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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Mit Reichsbürgern und QAnon Für den Umsturz setzt Hildmann auf US-Botschaft und Reservisten
Seit Wochen versuchen Anhänger der QAnon-Bewegung, Reichsbürger und paranoide Impfgegner, in der Coronakrise einen "Systemsturz" anzustoßen. Mittendrin ist Attila Hildmann mit einem vorgeblichen Panzergrenadier.
Die amerikanische und die russische Botschaft sind in den vergangenen Tagen überschüttet worden mit "Hilferufen", das deutsche Volk zu "befreien". Die Aktion von Verschwörungsideologen, Verfassungsfeinden und indoktrinierten Menschen in Angst steht in einer Reihe von absurd bis kurios anmutenden Anläufen, die Regierung abzusetzen. Protagonisten der Posse sind der Kochbuchautor Attila Hildmann, ein Bundeswehrreservist im Fokus des Militärischen Abschirmdienstes sowie der Urenkel des letzten deutschen Kaisers.
Ein Tweet der US-Botschaft war die Initialzündung für eine Aktion, die der Twitter-Analyst Luca Hammer so noch nicht gesehen hat: In Deutschland wurden in wenigen Tagen Tausende Accounts neu angelegt, um an die amerikanische und die russische Botschaft in dem sozialen Netzwerk zu schreiben. 24.000 Tweets überwiegend mit Appellen wurden von rund 10.500 Accounts an die Botschaften geschickt. Fast jedes vierte Konto war dazu neu angelegt worden.
Tausende Tweets fordern Einschreiten von Russland und USA
Das Beispiel zeigt, Vegan-Koch Hildmann kann mit seiner Reichweite zumindest im Netz eine große Anhängerschaft mobilisieren. Er war es nämlich, der die Aktion maßgeblich befeuerte. "Fordert die Freiheit von Deutschland und das Militärgericht für Merkel", schrieb er. Und weiter: "Jetzt ist unsere Chance gekommen, mitzuteilen, dass wir wieder ein freies und souveränes Volk sein möchten."
Tatsächlich folgten auf den Aufruf Tausende Tweets, in denen die beiden Großmächte zum Einschreiten in Deutschland aufgefordert wurden. Sie sollen "Völkermord" und "Zwangsimpfung" verhindern, das deutsche Volk befreien sowie die "BRD GmbH" und ihr "verbrecherisches Regime" abschaffen. Unter den Absendern der Tweets hat t-online.de diverse Menschen gefunden, die sich offenbar mit ihren richtigen Namen angemeldet haben und aus deren Tweets Angst vor "Zwangsimpfung" und "Verchippung" sprechen. Der größte Teil der Accounts hat keine oder nur sehr wenige Follower.
US-Botschaft: "Diskussion wurde missbraucht"
Der US-Botschaft in Berlin ist es unangenehm, als Hoffnungsträger für einen von Verschwörungsanhängern herbeigesehnten Systemsturz herhalten zu müssen. In einem kürzlich geposteten Tweet ging es ihr eigentlich um die Proteste nach dem Tod von George Floyd: Wenn Menschen nach dem tragischen Todesfall Gerechtigkeit und wichtige Veränderungen forderten, höre man zu, schrieb die Botschaft. Jede Twitter-Nachricht werde gelesen. Jetzt sagt ein Sprecher zu t-online.de: "Zu unserem Bedauern wurde die Diskussion von Personen und Gruppen mit anderen Absichten missbraucht."
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Hildmanns Appell wurde am 14. Juni der erfolgreichste deutschsprachige Beitrag in dem nischigen Messenger-Dienst Telegram: 80.000 Menschen sahen ihn an dem Tag, inzwischen sind es 130.000.
Das lag auch daran, dass Hildmanns Ziel "Umsturz" sich überschneidet mit den Träumen in Gruppen von Corona-Leugnern, Reichsbürgern und QAnon. Die Szene von Reichsbürgern und Selbstverwaltern in Deutschland schätzt der Verfassungsschutz auf rund 19.000 Personen, darunter knapp 1.000 Rechtsextremisten.
QAnons sind Menschen, die glauben, dass "Q", ein angeblicher Top-Beamter der US-Regierung, exklusive Informationen über Trumps angeblichen Kreuzzug gegen den "Deep State" hat. Gemeint sind damit politische und wirtschaftliche Eliten, die, so die Überzeugung der Verschwörungsgläubigen, in unterirdischen Basen Kinder missbrauchen, foltern und töten. In den USA forderten bereits mehrfach Anhänger der Theorie mit Waffengewalt Aufklärung dazu. Die Szene hat in den vergangenen Monaten in Deutschland erheblichen Zulauf gefunden, ohne dass es bisher genauere Zahlen gibt.
QAnons glaubten an "Weltrettung"
Manche QAnons glaubten auch, dass das wegen der Coronakrise weitgehend ausgefallene Nato-Manöver Defender Europe 2020 eine Tarnung für die "Befreiung" und "Weltrettung" war. Doch das große Aufräumen mit Massenverhaftungen zu Ostern fiel aus. Hildmann war zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht sichtbar in der Szene der Verschwörungsideologen.
Das änderte sich schlagartig, als er am 3. Mai ein Foto von sich mit Waffen postete und schrieb: Im Untergrund werde er eine Armee aufbauen, "wenn sie tatsächlich die Demokratie abschaffen und einen globalen Polizeistaat errichten".
Hildmann sieht sich als neuer Staatschef
Inzwischen verbreitet Hildmann, das "Merkel-Regime in Kombination mit Gates und den Kommunisten" habe vor, die Weltbevölkerung von 7,7 Milliarden auf 500 Millionen Menschen zu reduzieren. Deshalb nannte er zwischenzeitlich Hitler "einen Segen im Vergleich zur Kommunisten-Merkel!"
Er selbst sei nach eigenen Worten "in diese Zeit geboren, um das Schlimmste zu verhindern". Hildmann schrieb: "Ich bin hier bald der neue Staatschef." Auf Anfrage an sein Management bekam t-online.de keine Antwort.
Bei seiner jüngsten Kundgebung in Berlin waren – sehr großzügig gezählt – 150 Rentner, Kinder und deren Eltern – damit wird sich die Machtübernahme schwierig gestalten. Er bete deshalb für Trump: "Er ist unsere einzige Chance, wenn die deutsche Exekutive weiter tatenlos zusieht, was Merkel mit diesem Land macht".
Hildmann sucht Unterstützer in Militär und Polizei
Sein "schönster Traum" sei es, so Hildmann, "meine Kameraden des Deutschen Heeres und die Wachtmeister der Polizei stellen sich hinter mich und wir befreien Deutschland (...)" Es gibt mehrere derartige Posts von ihm.
Hildmann versucht offenbar gezielt, in Polizei und Militär Unterstützer zu finden, zum Beispiel indem er "allen deutschen Polizisten und Soldaten einen Burger gratis" in seinem Restaurant verspricht. Empörung löste er in der Bundeswehr aus, als er ein Foto von Soldaten mit seinem Buch aus dem Jahr 2017 als Zeichen der Unterstützung ausgab.
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Andere Beiträge in seinem Kanal haben inzwischen dazu geführt, dass einer seiner Vertrauten im Fokus von Militärischem Abschirmdienst (MAD) und Verfassungsschutz ist. Ein Mann, der sich auch Renegade ("Abtrünniger") nennt, hat für Hildmanns Kanal zwei Videos gedreht (Ausschnitte sehen Sie hier). Er bezeichnet sich als Hauptgefreiter der Reserve und Panzergrenadier und nennt seine Videos "Wehrwolf-Ansagen". "Wehrwolf" war ein nationalistischer und republikfeindlicher, paramilitärischer Wehrverband in der Weimarer Republik.
Reservistenverband "erschüttert" über Auftritt
Es sind Videos, zu denen der Reservistenverband auf Anfrage von t-online.de erklärt: "Die darin enthaltenen menschenverachtenden und extremistischen Inhalte sowie der dort verbreitete Hass haben uns zutiefst erschüttert."
Nach mehr als einer Woche erklären Pressezentrum des Heeres und MAD, zu den laufenden Ermittlungen keine Angaben machen zu können. Aus Bundeswehrkreisen heißt es: Wäre er kein Reservist, wäre das längst verkündet worden. Bestätigt sich, dass er Reservist ist, könnte er aus der Reservebestellung entlassen werden, er verliert dann den Reservistenstatus.
Im Video nennt der Mann offenbar seinen echten Namen. Auf eine Anfrage bei Twitter hat er nicht reagiert. In der Aufnahme sagte er, er werde "jeden Scheißbefehl von Schwarz-Rot-Gold" verweigern, "weil das ist nicht unsere Farbe, das ist nicht unser Volk". Zunächst kamen Zweifel auf, ob es sich bei dem Mann tatsächlich um einen Reservisten handelt. In dem Video trägt er unter der Feldjacke ein schwarzes Hemd, es fehlen Schulterklappen und Litzen. In der ersten Sekunde des Videos ist zudem zu sehen, dass er eine Jeans trägt.
Was Hildmann mit den Videos bezweckt, scheint klar: Suggerieren, dass es bei den Sicherheitskräften Widerstand und Unterstützung für ihn gibt. Unmittelbar nach dem ersten Video forderte er gezielt Polizisten auf, sich mit ähnlichen Botschaften bei ihm zu melden.
Hildmanns Reservisten-Kamerad, nach Recherchen der Hackergruppe Anonymous auch Administrator von Hildmanns Kanal, stellt im Video absurde Falschbehauptungen mit einem in Teilen wahren Kern auf: Bundesgesundheitsminister Jens Spahn habe "wie von uns vorausgesagt", 125 Verbindungskommandos der Reserve mobil gemacht, "um die Durchsetzung von Zwangsimpfungen von der Gates-Sorros-Stiftung durchzuführen".
Tatsächlich hat die Bundeswehr bereits am 3. April, auf dem Höhepunkt der ersten Welle, mitgeteilt, in dieser Größenordnung Verbindungskommandos auf Anforderungen aus den Kreisen aktiviert zu haben. Kommunen haben so Ansprechpartner, wenn es um mögliche Unterstützung der Bundeswehr geht. Mit Zwangsimpfen, das in keiner Weise geplant war und auch nicht zulässig wäre, hat dies nichts zu tun. Inzwischen sind auch nur noch 37 Verbindungskommandos im Einsatz.
Aus den Szenarien leitet der Reservist aber ab: "Wenn Ihr Ehre im Leib habt, schließt Euch zusammen. Polizisten, Soldaten, Reservisten, alle Demokraten." Weiter heißt es: "Dann können wir den Teufel aus der Hölle treten, und machen den Stuhl frei für jemanden, der uns wirklich liebt und führen kann." Dabei trägt er eine Uniform mit Hoheitszeichen der USA, Russlands und einer schwarz-weiß-roten Flagge des deutschen Kaiserreichs. Die Flagge war auch bei Corona-Protesten vielfach zu sehen.
Petition für Inthronisierung von Kaiser
Die Regierung zu vertreiben und das Deutsche Reich wieder einzuführen, waren auch schon im April die Ziele zweier Petitionen an das Weiße Haus. Auf der offiziellen Plattform fanden sich zwei Eingaben an den US-Präsidenten: Die Petition "Angela Merkel ist (...) eine Marionette des tiefen Staats und muss verschwinden" kam auf 24.000 Unterzeichner. 100.000 wären nötig, damit sich die US-Regierung damit befasst.
Eine zweite Petition forderte: "Wir wünschen uns Georg Friedrich Ferdinand Prinz von Preußen, Oberhaupt des Hauses Hohenzollern, als unseren Kaiser". Diese kam nur auf 7.000 Unterzeichner.
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In der Kaiser-Frage ist die Szene gespalten und streitet teils heftig. Xavier Naidoo war einer, der vor Georg Friedrich am lautesten warnte. Schließlich hat irgendwer mal in einem Buch geschrieben, dass Georg Friedrich Prinz von Preußen zu einem "Komitee der 300" gehört, also auch irgendeiner Weltregierungs-Geheim-Elite.
K-Frage: Wer ist der richtige Kaiser?
Naidoo hat einen anderen Favoriten: "Stefan Ratzeburg. König von Deutschland. Wir kommen, um Dir zu helfen", schrieb Naidoo. Ratzeburg ist bereits 2016 am Hermannsdenkmal ziemlich folgenlos zum Oberhaupt des Interims-Staates Germanitien ausgerufen worden. In seinen Ahnen, so behauptet es Ratzeburg, befände sich ein Sohn von Friedrich Karl von Preußen aus dem 19. Jahrhundert. Weil das aber allenfalls ein uneheliches Kind gewesen sei, könne er nicht Kaiser sein: So sehen es einige Vorbeter der Q- und Reichsbürger-Szene aus dem Lager, das lieber nach Georg Friedrich ruft.
Am 23. Mai fand am Bismarck-Denkmal in Berlin eine Aktion von Anhängern des Preußen-Prinzes statt. Die Resonanz war jedoch spärlich. Und der Prinz ließ auf diverse Fragen von t-online.de nur mitteilen: "Georg Friedrich Prinz von Preußen hat bereits deutlich gemacht, dass er kein politisches Amt anstrebt."
Hildmann war auch nicht zum Kaiser-Huldigen am Bismarck-Denkmal erschienen. Er hielt unweit sein eigenes Hildmann-Huldigen ab.
Inzwischen würdigt aber auch der Staatsschutz sein Tun: "Wegen der öffentlichen Androhung von Straftaten haben wir Anzeige von Amts wegen aufgenommen. Unser Staatsschutz hat die Ermittlungen übernommen", teilt die Brandenburger Polizei mit. Das LKA hat übernommen.
Hildmann tut, was er schon länger tut: Auf Trump hoffen. Der Polizei antwortete er auf Twitter: "Deckt das Schwerverbrechen auf, was wir hier vorliegen haben und bringt die echten Täter hinter Gitter! Ansonsten wird es Trump tun!"
- Eigene Recherchen
- Tweet Anonymous zum Reservisten
- Streitkräftebasis: Die Reserve als Berater der regionalen Krisenstäbe: Bundeswehr aktiviert 130 Verbindungskommandos
- Verfassungsschutz: Personenpotenzial von „Reichsbürgern und Selbstverwaltern“
- Tagesspiegel: Attila Hildmann zieht bewaffnet „in den Untergrund“
- Lippische Landes-Zeitung: Reichsbürger feiern Germaniten-König am Hermannsdenkmal
- Preußenjournal: Faktencheck: Stefan I. Ratzeburg