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Weitere Corona-Einschränkungen: Wie soll das eigentlich umgesetzt werden?


Was heute wichtig ist
Das Problem mit dem Corona-Hammer

MeinungVon Luis Reiß

Aktualisiert am 16.07.2020Lesedauer: 5 Min.
Meinung
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Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.

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Eine abgesperrte Wohnsiedlung in Verl nahe Gütersloh: Bei künftigen Corona-Ausbrüchen soll es Ausreiseverbote geben.Vergrößern des Bildes
Eine abgesperrte Wohnsiedlung in Verl nahe Gütersloh: Bei künftigen Corona-Ausbrüchen soll es Ausreiseverbote geben. (Quelle: Noah Wedel/imago-images-bilder)

Guten Morgen, liebe Leserinnen und Leser,

heute vertrete ich an dieser Stelle Florian Harms – und liefere Ihnen den kommentierten Überblick über die Themen des Tages:

WAS WAR?

Die Debatte über ein Ausreiseverbot für Corona-Hotspots führt seit zwei Tagen zum Streit zwischen Bund und Ländern. Kanzlerin Merkel ist dafür, Bayerns Ministerpräsident Söder auch – andere Länder wehren sich vehement. "So etwas kann man sich im fernen Berlin oder auch München ja gerne ausdenken, aber es ist in der Fläche überhaupt nicht praktikabel", wetterte Niedersachsens Innenminister Pistorius. An diesem Donnerstag soll weiter diskutiert werden und möglichst eine bundesweit einheitliche Entscheidung her. Doch das dürfte wieder einmal schwierig werden.

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Worum geht es genau? Bei einem Corona-Ausbruch sollen Menschen aus stark betroffenen Landkreisen ihre Heimat vorübergehend nicht mehr verlassen dürfen. Diese Regelung, so argumentieren Merkel und Söder, sei effektiver als die zuletzt von jedem Bundesland einzeln verhängten Einreisebeschränkungen.

Zwei Punkte sind unstrittig:

► Die geforderte Ausreisesperre verfolgt ein immens wichtiges Ziel, nämlich den Schutz der Bevölkerung vor dem Coronavirus.

► Hunderttausende Menschen in ihrem Wohnort einzusperren, obwohl die meisten von ihnen noch nicht einmal als Verdachtsfall gelten, wäre ein massiver Eingriff in die Grundrechte – und die Rückkehr des Corona-Hammers. Wenig zielgerichtet, aber mit möglichst großer Wirkung.

"Hammer and the Dance", so hatte der französische Autor Tomas Pueyo die Phasen der Pandemie-Bekämpfung genannt. Zuerst wird die Ausbreitung mit groben Maßnahmen wie einem nationalen Lockdown gedämpft, dem Hammer also. Danach folgt der "Tanz" mit dem Virus – lokale Kontaktbeschränkungen je nach Infektionslage und eine Maskenpflicht beispielsweise.

Problematisch wird es, wenn der Hammer zu häufig zum Einsatz kommt – und auch Grundrechte trifft. Das hat das Oberverwaltungsgericht in Nordrhein-Westfalen erst kürzlich deutlich gemacht. Es stoppte den Gütersloher Lockdown vorzeitig.

Die Begründung: Die Maßnahme treffe einen ganzen Kreis, obwohl nur wenige Orte tatsächlich vom Ausbruch betroffen gewesen seien. Damit sei der Lockdown unverhältnismäßig. Über das Urteil lässt sich trefflich streiten, doch war es in jedem Fall eine deutliche Mahnung der Justiz an die Politik: Anfangs mag er richtig gewesen sein, doch in der aktuellen Situation muss Schluss sein mit dem Corona-Hammer. Möglichst feine und zielgerichtete Mittel müssen her.

Die Mahnung sollten die Ministerpräsidenten heute im Hinterkopf behalten. Doch zum Thema Ausreisesperre stellen sich auch praktische Fragen: Wie soll das eigentlich umgesetzt werden? Einzelne Wohnblöcke unter Quarantäne zu stellen und abzuriegeln, wie beispielsweise in Göttingen und Berlin, mag möglich sein. Aber einen ganzen Landkreis? Das dürfte die Polizei vor eine nahezu unlösbare Aufgabe stellen. Am Ende sind wohl allenfalls Stichprobenkontrollen realistisch.

Mit diesem Argument hat beispielsweise Sachsens Ministerpräsident Kretschmer Ausreisesperren abgelehnt: "Ich kann mir kein Szenario vorstellen, in dem wir einen gesamten Landkreis mit einer Ausreisesperre belegen."

Und dann bleibt noch die wichtige Frage: Selbst wenn die Kontrolle möglich wäre, wollen wir diese Bilder wirklich? Mit Schrecken haben wir Anfang des Jahres nach China geschaut, wo Menschen von der Staatsmacht in ihren Häusern eingesperrt worden sind. Zuletzt wurden dann auch bei uns, zum Beispiel in Verl nahe Gütersloh, Bauzäune um Corona-Häuser aufgestellt. Das sollte ebenso die Ausnahme bleiben wie mögliche Polizeiblockaden am Ortsausgang.

Sollte heute die Möglichkeit einer Ausreisesperre geschaffen werden, muss es enge Grenzen dafür geben:

► Erstens: Wird die Ausreisesperre verhängt, muss eine noch nie da gewesene Test-Offensive folgen, um schnell ein genaues Bild der Lage zu bekommen.

► Zweitens: Genau wie Gütersloher zuletzt nach einem negativen Testergebnis in Urlaubsregionen reisen durften, müsste ebenfalls die Ausreise nach einem negativen Testergebnis möglich sein. Ein einzelner Test bietet zwar nur eine Momentaufnahme und keine hundertprozentige Sicherheit. Aber alles andere wäre unverhältnismäßig.

► Und drittens: Eine Ausreisesperre darf zeitlich und örtlich nur so eng wie möglich verhängt werden – das Gütersloher Urteil hat verdeutlicht, dass ein ganzer Kreis schon unverhältnismäßig groß sein kann.

Es gilt: Je kleiner der Hammer, desto geringer der Schaden.


Ein richtungsweisendes Urteil ist gestern gefallen: Thüringens Verfassungsgericht hat das Paritätsgesetz des Landes gekippt. Es hatte den Parteien vorgeschrieben, ihre Wahllisten in gleichen Teilen mit Männern und Frauen zu besetzen – die AfD sah dadurch ihre Freiheit eingeschränkt und bekam Recht. Eine Partei dürfe parteiisch sein, also auch vorwiegend Männer nominieren, stellten die Richter fest.

Und nun? Das Problem bleibt: In vielen Länderparlamenten und dem Bundestag sind Frauen im Jahr 2020 noch immer deutlich unterrepräsentiert. Die Lösung per Quote mag nun juristisch erst einmal gescheitert sein. Doch beim nächsten Gang an die Wahlurne können wir alle den Wandel trotzdem herbeiführen.

WAS STEHT AN?

Auch heute blicken wir wieder gespannt in zwei Gerichtssäle. Zuerst am Europäischen Gerichtshof. Der entscheidet nämlich ab 9.30 Uhr, ob Unternehmen persönliche Daten von EU-Bürgern in die USA schicken dürfen oder nicht. In dieser Sache hatte der Datenschutzaktivist Max Schrems gegen Facebook und die zuständige irische Datenschutzbehörde geklagt – das Urteil könnte längst nicht nur Facebook in Europa den Stecker ziehen. Mein Kollege Jan Mölleken beantwortet die wichtigsten Fragen zum Fall.

Auch unsere Kolumnistin Nicole Diekmann hat sich Gedanken über das mächtige soziale Netzwerk gemacht – und schlägt eine Zerschlagung des Konzerns vor. Warum, lesen Sie hier.


Danach schauen wir in die Türkei. Im Prozess um Terrorvorwürfe gegen den "Welt"-Reporter Deniz Yücel wird in dessen Abwesenheit ab 12.30 Uhr ein Urteil erwartet. Die Staatsanwaltschaft wirft Yücel Propaganda für die verbotene kurdische Arbeiterpartei PKK und Volksverhetzung vor. Sie fordert dafür bis zu 16 Jahre Haft.

Die Vorwürfe sind haltlos, der Prozess ist politisch motiviert – und ein weiteres Zeichen dafür, wie Staatschef Erdogan die Justiz unterworfen hat. "Welt"-Journalist Yücel war von Februar 2017 bis Februar 2018 ohne Anklageschrift im Hochsicherheitsgefängnis Silivri westlich von Istanbul inhaftiert.

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WAS LESEN?

Die Corona-Krise in Indien wird immer schlimmer. Die Infektionszahlen erreichen neue Höchststände. Reiche bekommen Arzttermine, Arme bleiben auf der Strecke – ein deutscher Arzt und eine Caritas-Vertreterin berichten meiner Kollegin Melanie Muschong von schlimmen Zuständen vor Ort.


Mallorca hat gestern nicht nur die Lokale am Ballermann geschlossen, sondern seit einigen Tagen auch eine generelle Maskenpflicht im öffentlichen Raum eingeführt. Und auch in britischen Geschäften ist nun das Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes Pflicht. Während einige Unverbesserliche hierzulande noch immer meckern, zeigen Studien und ein Blick auf die Infektionszahlen, dass eine Maskenpflicht zur Eindämmung der Pandemie beitragen kann. Meine Kollegin Sandra Simonsen hat die Fakten.


Im Schwarzwald hält sich seit Tagen der schwer bewaffnete Yves R. vor der Polizei versteckt. Vier Ordnungshüter hatte er überlistet, seitdem fehlt offiziell jede Spur. Die Polizei ist weiter im Großeinsatz. Madeleine Janssen erklärt, was über den aufsehenerregenden Fall bis jetzt bekannt ist.


Fangio, Lauda, Schumacher – sie alle wurden im Ferrari Formel-1-Weltmeister. Sebastian Vettel sollte ihnen folgen, schließlich kam er 2015 bereits als viermaliger Weltmeister zur "Scuderia". Doch er ist gescheitert. Was über die Jahre schiefgelaufen ist, hat mein Kollege David Digili aufgelistet.


Ökonomen des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) haben die Vermögensverteilung in Deutschland untersucht – und kommen zu einem wichtigen Ergebnis. Der Reichtum ist noch deutlich ungleicher verteilt als bisher gedacht. Die Kollegen von "Zeit Online" haben die wichtigsten Befunde anschaulich aufbereitet.

WAS AMÜSIERT MICH?

Parität in Thüringen? Da hatten die Verfassungsrichter wohl etwas anderes im Kopf …

Morgen schreibt an dieser Stelle mein Kollege Daniel Fersch für Sie. Ich wünsche Ihnen einen erfreulichen Donnerstag – das Wochenende naht!

Ihr

Luis Reiß
Chef vom Dienst t-online.de
E-Mail: t-online-newsletter@stroeer.de

Twitter: @reiss_luis

Mit Material von dpa.

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