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Politischer Burnout: Angela Merkels Corona-Krisenmanagement ist am Ende


Tagesanbruch
So geht's nicht weiter

MeinungVon Florian Harms

Aktualisiert am 25.03.2021Lesedauer: 7 Min.
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Kanzlerin Merkel lässt sich nach der Regierungsbefragung im Bundestag wegfahren.Vergrößern des Bildes
Kanzlerin Merkel lässt sich nach der Regierungsbefragung im Bundestag wegfahren. (Quelle: Michael Kappeler/dpa-bilder)

Guten Morgen, liebe Leserin, lieber Leser,

wenn das Gemüt so trüb zu werden droht wie die allgemeine Lage, ist es Zeit für einen Ausbruch. Das sagte ich mir gestern, als die Lage mal wieder besonders misslich erschien, die vermasselte Gründonnerstagsruhe, Frau Merkels Entschuldigung, Sie wissen schon, dazu gleich mehr. Als gestern also alle Welt über die doofen Osteraussichten, die noch dooferen Politikerentscheidungen und die am doofsten empfundenen Lockdown-Wochen plapperte, stand ich kurzentschlossen vom Schreibtisch auf, unterdrückte den Fluch über die doofe Deckenlampe, die nun auch noch hinüber ist, und trat ins Freie vor die Tür. 150 Meter die Straße runter zum türkischen Gemüsehändler, netter Kerl, ich mag seine Oliven. Sah am Wegesrand plötzlich ein kleines gelbes Meer, das vorgestern noch nicht da gewesen war: Dicht an dicht standen dort die Osterglocken, die wohl auch Narzissen heißen, botanisch bin ich keine Leuchte. Der Name war mir eh egal, wichtig war das gelbe Strahlen am Wegesrand, so anmutig, so liebreizend, so aufmunternd nach dem langen Seuchenwinter. Beschwingt betrat ich den Laden, nahm den größten Einkaufskorb und packte eifrig ein, mit leerem Magen kauft man ja mutiger, ach, und die leckeren Oliven.

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Als ich die 150 Meter zurückschlenderte, kam ich wieder an dem gelben Meer vorbei, und daneben stand ein altes Ehepaar, ich schätzte die beiden auf um die achtzig. Der Mann bückte sich, pflückte ein Osterglöckchen und reichte es seiner Gattin: „Für dich, mein Schatz.“ Sie lächelte. Da lächelte auch ich. Und lächelte immer noch, als ich wieder am Schreibtisch unter der kaputten Deckenlampe saß. Ein kleiner Ausbruch aus dem Alltag, eine kleine gelbe Blume, ein Lichtstrahl im Herzen: Es kann so einfach sein, dem Trübsinn des Corona-Alltags zu entfliehen.


Politischer Burnout

Vertrauen ist ein ebenso kostbares wie zerbrechliches Gut. In der Politik ist Vertrauen unersetzlich. Nur wer das Vertrauen der Bürger genießt, wird gewählt, nur wer sich auf seine Minister verlassen kann, bleibt Regierungschef. Die CDU genießt seit bald 16 Jahren das Vertrauen so vieler Menschen, dass sie Mal um Mal Wahlen gewinnen und die Kanzlerin stellen konnte. Aber jetzt schwindet das Vertrauen rapide, die CDU und ihre Schwesterpartei CSU stürzen ab. Das verkorkste Corona-Krisenmanagement, die Korruptionsaffäre um Masken und Diktatorenlobbyismus, die verlorenen Landtagswahlen im Südwesten, die ungeklärte Kanzlerkandidatur, das fehlende Programm für die Bundestagswahl und nun auch noch Angela Merkels schwindende Autorität: Wenn die Union so weitermacht, steht sie in vier Wochen bei 20 Prozent.

Die Nacht-und-Nebel-Aktion für das Gründonnerstagspäuschen war ein Fehler: Mit bemerkenswerter Offenheit hat sich Angela Merkel gestern dafür bei den Bürgern entschuldigt. Das war ein Moment der entwaffnenden Größe, dazu ist nicht jeder im Stande, das verdient Respekt. Doch mit derselben Fähigkeit zur Selbstkritik sollte die Kanzlerin nun einsehen, dass das Corona-Krisenmanagement dringend anders organisiert werden muss – und dass sie mit ihrer Richtlinienkompetenz den entscheidenden Anstoß dazu geben muss, Föderalismus hin oder her.

Bisher läuft es so: Kanzleramtschef Helge Braun heckt die Vorlagen für die Ministerpräsidentenkonferenzen aus, und Frau Merkel tischt sie in ermüdenden Marathon-Videogipfeln den Länderchefs auf, die sie dann abnicken oder ablehnen können. Der eine trägt noch diesen Passus bei, die andere streicht jenen, schließlich präsentiert das Trio Merkel/Söder/Müller die Beschlüsse zu nachtschlafender Zeit vor den Fernsehkameras – aber drei Tage später sind sie das Papier, auf dem sie gedruckt sind, oft nicht mehr wert, weil eh jeder Ministerpräsident und jeder Oberbürgermeister seinen Stiefel durchzieht. So wurschteln sich die Regierenden durch die größte Krise seit Jahrzehnten, so mangelte es ihnen an Kompetenzen, Weitsicht und der nötigen Ruhe. Schon vor Weihnachten hatten Wissenschaftler die Politiker bekniet, einen harten, aber kurzen Lockdown zu verhängen, um die Gefahr der britischen Mutante zu bannen. Doch Laschet, Bouffier, Schwesig, Günther, Haseloff und Co. setzten lieber auf das Prinzip Lockern und Hoffen, vielleicht würde ja alles nicht so schlimm. Nun kommt es exakt so schlimm, wie die Epidemiologen es prophezeit haben, die Infektionszahlen steigen, die Intensivstationen füllen sich – aber manche Verantwortliche tun so, als hätte das keiner ahnen können. Es ist erbärmlich. Und es wird noch schlimmer, weil im Kanzleramt Land unter herrscht.

Nach einem Jahr Dauereinsatz an der Virusfront sind die Regierenden in Bund und Ländern überarbeitet, ausgelaugt, fahrig. Sie haben den Überblick verloren, sie sind am Ende ihrer Kräfte. Die Kosten dieses politischen Burnouts sind hoch: schlechte Organisation beim Impfen, Testen und Auszahlen der Staatshilfen, konfuse Kommunikation, noch mehr Corona-Opfer, noch höhere Schuldenberge, frustrierte Bürger. So kann und darf Deutschland nicht weitermachen, das Krisenmanagement braucht einen Neustart.

Wann richtet die Bundesregierung endlich eine Corona-Taskforce ein? Was ist so schwer daran, Manager deutscher Firmen um Unterstützung bei der Bewältigung der Weltkrise zu bitten? Juristen von BASF und Bayer könnten EU-Beamte bei den Verhandlungen mit Impfstofffirmen beraten. Bofrost könnte tiefgekühlte Impfdosen in Arztpraxen liefern. Die Radler von Delivery Hero könnten Corona-Tests per Anruf frei Haus liefern. Programmierer von SAP und Telekom sollten dringend die Corona-Warn-App überarbeiten. Und wann helfen Logistiker der Bundeswehr Schulen und Kitas, um sicheren Unterricht für alle Schüler anzubieten, notfalls in Turnhallen? Es gäbe so viel zu tun, so viel zu verbessern.

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Und dann die quälenden Corona-Gipfel: Warum beginnen die nicht morgens statt nachmittags, damit sie zu Ende sind, bevor keiner der Teilnehmer mehr einen klaren Gedanken fassen kann? Wann bezieht die Regierung das Parlament stärker ein – zum Beispiel, indem die Kanzlerin ihre Pläne VOR den Gipfeln mit den Länderchefs im Bundestag erläutert, nicht HINTERHER? So entsteht Raum für Debatten, für den Austausch von Argumenten und Ideen. Hunderte Gehirne leisten mehr als 20. Diese Woche hat die Republik das Scheitern der deutschen Corona-Krisenstrategie vor Augen geführt bekommen, viel Vertrauen ist zerbrochen. Um es schnell zu kitten, braucht es mehr als schöne Worte.


Der Impfstoff-Dealer

Hoffnung in Argwohn zu verwandeln, das muss man erst mal schaffen. Dem Management des britisch-schwedischen Konzerns Astrazeneca ist es gelungen: Nach den nebulösen Impfstoffverhandlungen mit der EU und den massiven Lieferproblemen sind nun auch noch 29 Millionen in den Niederlanden hergestellte Dosen in Italien aufgetaucht. Waren sie wirklich für Europa bestimmt, wie die Firma behauptet, oder doch klammheimlich für den Export nach Großbritannien vorgesehen? Die Indizien sind brisant. Feststeht nur eines: Auch hier wurde viel Vertrauen zerstört.


Jetzt spricht der Präsident

Natürlich hat der neue US-Präsident seit seiner Vereidigung schon bei verschiedenen Gelegenheiten Reporterfragen beantwortet. Eine formelle Pressekonferenz aber hat er auch nach mehr als 60 Tagen im Amt noch nicht abgehalten, weshalb ihm der Vorwurf der "Unsichtbarkeit“ gemacht wird. Heute will sich Joe Biden in Washington erstmals ausführlich den Journalisten stellen. Der Zeitpunkt ist heikel: Zwar läuft das amerikanische Impfprogramm bestens, mehr als 100 Millionen US-Bürger haben schon mindestens eine Dosis erhalten. Zugleich aber stecken 15.000 Kinder und Jugendliche in Auffanglagern an der Südgrenze der USA fest. Sie sind in den vergangenen Wochen aus Mexiko eingereist, nachdem die US-Regierung erklärt hatte, dass unbegleitete Minderjährige nicht mehr automatisch abgeschoben würden. Dazu wird Herr Biden heute wohl einige kritische Frage hören.

Am Abend unserer Zeit schaltet sich der Präsident dann zum Videogipfel der EU-Staats- und Regierungschefs dazu. Da bekommen dann deutsche Außenpolitiker spitze Ohren: Der oberste Amerikaner will ihnen ein paar Takte zum künftigen Umgang mit Russland sagen.


Feier ohne Glanz

Rund 80 Jahre nach dem Überfall der deutschen Wehrmacht auf Griechenland und dem Massenmord an den griechischen Juden ist die Frage möglicher Entschädigungszahlungen immer noch ungelöst. Die Grünen machen nun einen neuen Vorschlag: Die Bundesregierung soll eingestehen, dass Griechenland nie auf die Rückzahlung einer von den Nazis erhobenen Zwangsanleihe verzichtet hat. Als Geste des guten Willens könnten Ortschaften Geld erhalten, die damals unter der Besatzung gelitten haben.

In Athen hört man den Vorschlag gerne, wird heute aber erst einmal ein stolzes Jubiläum begehen: Vor 200 Jahren begann der Freiheitskampf gegen die osmanische Fremdherrschaft. Aus der großen Feier mit Staatsgästen aus ganz Europa wird wegen Corona nichts, immerhin sind Prinz Charles nebst Gattin und der russische Ministerpräsident angereist. Nach der Militärparade wird sich Premier Kyriakos Mitsotakis in den EU-Videogipfel klicken – und dabei mit einem Thema konfrontiert, das ihm vor dem Hintergrund des Revolutionsjubiläums bekannt vorkommen dürfte: Es geht um die schwierigen Beziehungen der EU zur Türkei.


Ball rollt, Uli redet

Wenn unsere Nationalkicker heute Abend in Duisburg zur WM-Qualifikation gegen Island antreten, markiert das nicht nur den Beginn vom Ende der Ära Jogi Löw. Es gibt auch eine Premiere zu bestaunen: Uli Hoeneß, wortgewaltiger Ehrenpräsident des FC Bayern München, debütiert bei RTL als TV-Experte. Wird bestimmt lebhaft.


Was lesen?

Das mit der Osterruhe war ein Fehler: Mit diesem Eingeständnis der Kanzlerin ist mehr gescheitert als der Versuch, die Corona-Krise einzudämmen. Angela Merkels Politikstil stößt an seine Grenzen – mit unabsehbaren Folgen für sie selbst und das Land, wie unser Reporter Johannes Bebermeier nach einem historischen Tag schreibt.


Atemnot, Müdigkeit, Muskelschmerzen: Die Liste der möglichen Langzeitfolgen von Covid-19 ist lang. Neue Studien zeigen, dass offenbar auch Probleme mit den Ohren zu den bleibenden Symptomen gehören können. Meine Kollegin Melanie Weiner berichtet über die neuesten Erkenntnisse.


Israel hat wieder mal gewählt – und wieder mal gibt es ein politisches Patt: Die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" erklärt uns die komplizierte Lage in Jerusalem.


Was amüsiert mich?

Humor ist, wenn man trotzdem lacht!

Ich wünsche Ihnen einen humorvollen Tag.

Herzliche Grüße,

Ihr

Florian Harms
Chefredakteur t-online
E-Mail: t-online-newsletter@stroeer.de

Mit Material von dpa.

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