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Zehn Jahre Fukushima: Wie der GAU die deutsche Politik weiterhin prägt


Tagesanbruch
Erschüttert bis ins Mark

MeinungVon Florian Harms

Aktualisiert am 11.03.2021Lesedauer: 7 Min.
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Zehn Jahre nach der Katastrophe: Einige Menschen sind in das Krisengebiet zurückgekehrt, doch von Normalität ist man hier noch weit entfernt. (Quelle: t-online)

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WAS WAR?

Ich erinnere mich an den Moment, als sei es gestern gewesen: an die Aufregung nach den ersten Meldungen der Nachrichtenagenturen auf unseren klobigen Blackberry-Handys. Unvollständig noch, kryptisch formuliert, aber irgendwie beängstigend. Ein Tsunami vor der Küste Japans. Überschwemmungen. Viele Menschen betroffen. Erste Schadensmeldungen. Höchste Alarmstufe. Aber alles eben sehr weit weg. Wir hatten eigentlich ganz andere Themen: die Revolutionen in Tunesien und Ägypten, der Rücktritt von Copy/Paste-Minister Guttenberg. Aber die Meldungen rissen nicht mehr ab, bimmelten den ganzen Abend hindurch an diesem 11. März 2011. Also veröffentlichten wir, was wir wussten, auch wenn es noch nicht viel war. Irgendwann ging ich schlafen, weil ich als Newsdesk-Chef am nächsten Morgen früh raus musste: Wochenenddienst. Kaffee um 5 Uhr, Augenreiben. Auf der Fahrt in die Redaktion fraß ich mich durch die jüngsten Nachrichten, sah die Fotos der Zerstörung, holte tief Luft, zückte mein Handy und diktierte noch aus der S-Bahn einem Kollegen im Newsroom die erste Eilmeldung des Tages: Japan erlebt die nukleare Katastrophe.

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Zehn Jahre sind der Tsunami und das Reaktorunglück von Fukushima heute her. Nach einem Seebeben knallten damals 17 Meter hohe Wellen auf die Ostküste der Insel, schwemmten binnen Minuten Straßen, Häuser, Autos weg und ließen einen rasierten Landstrich zurück. Über dem Atomkraftwerk stand eine Rauchsäule, in drei von sechs Reaktoren schmolzen die Kerne, die ganze Region wurde verstrahlt. Fast 16.000 Menschen starben durch den Tsunami, mehr als 6.000 trugen Verletzungen davon, rund 2.500 gelten bis heute als vermisst. Bis zu 150.000 Einwohner mussten Hals über Kopf aus der kontaminierten Zone fliehen, 37.000 sind bis heute nicht in ihre Heimat zurückgekehrt. Die Schicksale der Überlebenden sind erschütternd.

Erschüttert wurde damals auch die deutsche Politik. Drei Tage nach der Reaktorkatastrophe vollzog Angela Merkel, die den rot-grünen Atomausstieg zurückgedreht hatte, eine Kehrtwende, verkündete erst ein Moratorium und später das schrittweise Ende aller deutschen AKWs: "Die Ereignisse in Japan lehrten uns, dass Risiken, die für absolut unwahrscheinlich gehalten wurden, doch nicht vollends unwahrscheinlich sind", meinte die Kanzlerin. Damals erschien die abrupte Entscheidung verständlich. Der Schock von Fukushima saß auch in der deutschen Bevölkerung tief, eine Mehrheit wünschte sich den Ausstieg, Merkel setzte politisch durch, was gesellschaftlicher Konsens war.

Aber wie es so ist mit großen Entscheidungen: Sie lassen sich einfach verkünden, aber nur schwer umsetzen. Zwar will Deutschland keinen Strom mehr aus der riskanten Kernkraft und nun auch keinen Strom mehr aus der schmutzigen Kohle beziehen – doch woher die Energie für Häuser, Fabriken, die Infrastruktur und bald auch all die E-Autos kommen soll, ist bis jetzt nicht geklärt. Die viel beschworene Energiewende ist im Berliner Regierungsviertel längst zur Lachnummer verkommen; wer als Politiker Karriere machen will, hält sich tunlichst aus dem Mammutprojekt heraus und verbrennt sich nicht die Hände daran. So wurde die Verantwortung von einem Minister zum nächsten weitergereicht, ob sie nun Röttgen, Gabriel oder Altmaier hießen, und dann sind da ja auch noch die Länderminister, die kommunalen Energieversorger, die Bürgerproteste gegen Windräder und Stromtrassen und, und, und…

Angesichts der Klimakrise ist klar: Die nächste Bundesregierung wird den Kohleausstieg wohl beschleunigen müssen – aber als Industrienation braucht Deutschland eben nicht nur eine nachhaltige, sondern auch eine sichere Energieversorgung. Mit Gasleitungen von Putins Gnaden allein wird das kaum gelingen. Auch der Bau von Windparks in der Nordsee und von Stromtrassen bis nach Bayern und Baden-Württemberg, wo die energiehungrige Autoindustrie sitzt, braucht Zeit. Innovative Forschungsprojekte wie der Berliner Dual Fluid Reaktor wiederum sind noch nicht weit genug gediehen.

Deshalb wird die nächste Bundesregierung im Herbst vor einer brisanten Frage stehen: Soll Deutschland im großen Maßstab Atomstrom aus dem Ausland kaufen – oder die Laufzeit einiger deutscher Kernkraftwerke verlängern, bis die Energie irgendwann tatsächlich zu 100 Prozent aus nachhaltigen Quellen kommt? Nein, ein Gewinnerthema ist das nicht. Der zuständige Minister wird viel erklären, viel verhandeln und viel Überzeugungsarbeit leisten müssen. Ein Job, für den man neben Fachkenntnis und Erfahrung auch Fingerspitzengefühl sowie ein hohes Maß an Glaubwürdigkeit braucht. Es gibt nicht viele Leute, denen diese heikle Aufgabe im Minenfeld der Energiepolitik zugetraut wird, aber der Name Robert Habeck fällt meistens als erster. Käme der grüne Vordenker tatsächlich zum Zuge, müsste er also mit dem Erbe von Fukushima aufräumen. Weitere zehn Jahre darf das allerdings nicht dauern.


WAS STEHT AN?

Viele Leute haben den Corona-Blues satt und sehnen weitere Lockerungen des Lockdowns herbei. Mindestens genauso groß wie dieser Wunsch ist aber die Sorge in der Bundesregierung, dass die Lage gerade jetzt außer Kontrolle geraten könnte. Die Mutationen des Coronavirus verbreiten sich rasant und sind gefährlicher, auch für junge Menschen. Hört man sich in Berlin um, offenbart sich ein Dilemma: Falls die EU den Impfstoff von Johnson & Johnson schnell zulässt – womöglich ja schon heute – wird die Impfkampagne trotzdem erst im Mai oder Juni flächendeckende Erfolge zeigen. Im Juli könnten dann womöglich zehn Millionen Menschen pro Woche ihre Spritze bekommen, wie dieser Simulator zeigt. Bis dahin dürfen die Infektionszahlen aber nicht in die Höhe schießen – und das bedeutet: Der Lockdown bleibt uns wohl noch monatelang erhalten.

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Es gibt Bilder, die jeder kennt. Das Foto des springenden DDR-Grenzpolizisten gehört dazu: Zwei Tage nach Beginn des Mauerbaus, am 15. August 1961, nahm sich der 19-jährige Conrad Schumann kurzentschlossen ein Herz und sprang an der Kreuzung Bernauer Straße / Ruppiner Straße über den Stacheldraht auf die Westberliner Seite. Der Pressefotograf Peter Leibing hielt den Moment der Flucht geistesgegenwärtig mit seiner Kamera fest – das Foto avancierte zu einer Bildikone des 20. Jahrhunderts. Auf einen Blick symbolisierte es die deutsche Teilung und die Skrupellosigkeit des SED-Regimes.

Sieht man so ein Foto heute, ist man schnell geneigt, es gedanklich abzuheften: Ach ja, das war damals, na gut, kenne ich. Aber was spielte sich damals an dieser Berliner Straßenecke genau ab? Wie kam es zu der historischen Szene, welche Rolle spielte dabei ein plötzlich heranfahrender Transporter, und warum griffen die anderen DDR-Grenzer nicht ein? Auf der Suche nach Antworten auf diese Fragen kann man dicke Bücher wälzen. Oder man unternimmt eine Zeitreise ins Jahr 1961 und erlebt die Szene einfach selbst. Ja, genau das ist jetzt möglich – dank einer spektakulären Installation, die der Künstler Boris Hars-Tschachotin mit 7 Schauspielern, 41 Komparsen und 14 Kameras gedreht und dann als 360-Grad-Film zusammengebaut hat. Ab dem kommenden Montag ist das Werk im Deutschen Historischen Museum zu sehen. Unter Corona-konformen Regeln können Sie sich dort eine Virtual-Reality-Brille aufsetzen und den berühmten Sprung aus drei Perspektiven hautnah erleben: der des fliehenden DDR-Grenzers, der des Fotografen und der eines Westberliner Polizisten (hier erfahren Sie mehr). Ich durfte es bereits vorab sehen, und was soll ich sagen: Es ist eine einmalige Erfahrung. Wer sich auch nur ein kleines bisschen für deutsche Geschichte interessiert, der sollte dieses Erlebnis nicht verpassen. Allerdings muss man sich sputen, die Ausstellung läuft nur kurze Zeit (eine Folgestation wird noch gesucht). Ich denke, ich werde mir die Brille noch mal aufsetzen. Und anschließend bitte ich den Künstler, mich als nächstes auch in die 1920er-Jahre zu versetzen. Und in die 1930er, 1940er, 1950er…


Wenn heute in Peking die Tagung des chinesischen Volkskongresses zu Ende geht, gibt es wieder allerhand gute Gründe, mit Sorge auf das Reich der Mitte zu blicken: Nicht nur sieht der neue Fünfjahresplan milliardenschwere Investitionen in Künstliche Intelligenz, Quanten-Informationstechnologie, Medizin, Gen- und Biotechnologie vor, die China rasant an die technologische Weltspitze führen sollen. Auch der Militäretat soll um kräftige 6,8 Prozent steigen, was angesichts der Spannungen mit den USA, Grenzkonflikten mit Indien sowie Streit um Inseln im Südchinesischen Meer nicht gerade zur Beruhigung beiträgt. Die aggressive Rhetorik von Diktator Xi Jinping gibt es gratis dazu. Schlussendlich werden die knapp 3.000 Delegierten auch noch eine umstrittene Wahlreform für Hongkong abnicken. Sie soll sicherstellen, dass die Sonderverwaltungsregion künftig nur von "Patrioten" – sprich: Pekings Lakaien – beherrscht wird. Chinas Diktatur expandiert, und der Westen kann wenig dagegen tun.


Bundestrainer Joachim Löw wird sich also nach der Fußball-EM zurückziehen, dabei ist noch gar nicht klar ist, ob die überhaupt stattfindet. Heute Nachmittag will er die Hintergründe seiner Entscheidung erläutern. Unser Kolumnist Berti Vogts kennt den perfekten Nachfolge-Job für Jogi bereits.


WAS LESEN?

Die Maskenaffäre erschüttert die Union, es macht sich Panik breit. Nun hat unser Rechercheur Jonas Mueller-Töwe einen weiteren Fall ausgegraben, der dokumentiert, wie groß die Transparenzdefizite im Deutschen Bundestag sind. Und wieder betrifft es einen Abgeordneten der CSU.


Bei den Wahlkämpfern in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz schlägt der Maskenskandal wie eine Bombe ein. Unser Politikreporter Tim Kummert hat die CDU-Spitzenkandidatin in Stuttgart besucht – und eine aufgebrachte Politikerin erlebt.


Die Bundesregierung will Hausärzten erst Mitte April gestatten, Patienten gegen Corona zu impfen. Sonst drohe Chaos, weil nicht genügend Dosen verfügbar seien. Der Chef des Hausärzteverbands hat meiner Kollegin Camilla Kohrs erklärt, warum das bürokratischer Unfug ist.


Wundern Sie sich auch über die Art und Weise, wie immer mehr Leute im Fernsehen, im Radio, an Universitäten und in der Politik sprechen? Dann sind Sie nicht allein. "Es wird gegendert, also krampfhaft auf geschlechtergerechte Sprache geachtet. Mein Sprachgefühl macht das nicht mit. Es findet die Sternchen, Doppelpunkte und Unterstriche grauenhaft", meint die Journalistin Julia Ruhs in einem Kommentar, der hohe Wellen schlägt. "Gendern ist kein natürlicher Sprachwandel, sondern vollkommen künstlich. Ich finde, wir sollten die Sprache endlich in Ruhe lassen und versuchen, das richtige Leben gerechter zu machen." Treffender kann man es nicht sagen.


t-online soll die führende digitale Medienmarke werden, deshalb bauen wir auch unser regionales Angebot aus: In der neuen Köln-App finden Sie ab sofort alle wichtigen Nachrichten aus der Stadt.


WAS AMÜSIERT MICH?

Auch die Regierenden in Bund und Ländern haben derzeit mehr Fragen als Antworten.

Ich wünsche Ihnen einen entspannten Tag.

Herzliche Grüße

Ihr

Florian Harms
Chefredakteur t-online
E-Mail: t-online-newsletter@stroeer.de

Mit Material von dpa.

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