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Schattenseiten des Fußballs: "Gewaltaufrufe, Kinderpornos und Rassismus"


Tagesanbruch
Jetzt kommt das ganze Übel ans Licht

MeinungVon Florian Wichert

Aktualisiert am 07.05.2021Lesedauer: 8 Min.
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Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.

Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.
DFB-Präsident Fritz Keller.Vergrößern des Bildes
DFB-Präsident Fritz Keller. (Quelle: Hartenfelser/imago-images-bilder)

Guten Morgen, liebe Leserin, lieber Leser,

hier ist für Sie der kommentierte Überblick über die Themen des Tages – heute von mir als Stellvertreter von Florian Harms. Es geht um Hoffnung, Freude, Abwechslung und eine auffällige Reihe von Skandalen.

Jetzt kippt die Stimmung

Haben Sie es schon bemerkt? Vielleicht beim Bäcker? Bei der Arbeit? Bei einem Telefonat? Im Gespräch mit den Nachbarn? Oder einfach, weil Sie jemand auf der Straße angelächelt hat? Die Stimmung in Deutschland kippt – und zwar ins Positive. Tag für Tag wird sie ein klein wenig besser. Und tatsächlich gibt es auch heute Morgen diverse Gründe, mit einem wohligen Gefühl Richtung Wochenende zu blicken. Die Inzidenz fällt weiter, die Neuinfektionen nehmen ab, die Impfquote steigt mittlerweile rasant. Aber das ist längst nicht alles.

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Nur einen Tag nach dem Bundestag stimmt heute um 9.30 Uhr auch der Bundesrat über die Rücknahme von Corona-Beschränkungen ab. Zumindest für vollständig geimpfte und genesene Menschen. Die Verordnung könnte nach Zustimmung der Länderkammer schon am Wochenende in Kraft treten. Rechtzeitig zum Wetteraufschwung, der bis zu 28 Grad und Sonnenschein beschert.

Sie gehören zu den 40 Prozent der Deutschen, die die Befreiung der Genesenen und Geimpften für falsch halten, wie es eine Infratest-Umfrage besagt? Oder Sie sind sich unsicher, ob das jetzt schon der geeignete Zeitpunkt ist? Ihr Arbeitskollege oder Nachbar hat bereits einen Impftermin und kann womöglich früher zurück in Richtung normales Leben als Sie? Womöglich hat er sich den Termin sogar erschlichen? Geben Sie sich einen Ruck, freuen Sie sich für Ihre Mitmenschen und über die guten Nachrichten. Dazu gehört auch, dass die Impfpriorisierung für Astrazeneca entfällt. Dass Pfingsten näher rückt. Und dass auch der Urlaub im In- oder Ausland bald wieder möglich ist.

Natürlich ist noch nicht alles überstanden, die Situation in den Krankenhäusern weiterhin angespannt und jeder Tote einer zu viel. Dennoch ist Hoffnung angebracht. Ein entscheidendes Indiz dafür ist es, wenn selbst der als Mahner bekannte SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach Optimismus verbreitet, wie unser Kolumnist Gerhard Spörl festgestellt hat.

Fakt ist: So aussichtsreich wie aktuell war die Lage seit einer gefühlten Ewigkeit nicht ...


Skandale zur Abwechslung?

Rund ein Jahr ist es her, da tobte der Streit um die Extrawürste. Kulturveranstaltungen? Untersagt! Hotels? Geschlossen! Restaurants? Ebenfalls. Fitnessstudios? Zu. Nur der Fußball, der mit Abstand liebste Sport der Deutschen, der könnte doch stattfinden, so der Vorschlag. Mitten in der Pandemie. Zumindest im Profibereich.

Sonderrechte, damit 22 junge Millionäre einem Ball hinterherlaufen können? Da schlug manch einer die Hände über dem Kopf zusammen. Schließlich gab es genug Branchen, die erst einmal wichtiger erschienen. Auf der anderen Seite legte die Deutsche Fußball-Liga (DFL) ein Hygienekonzept vor, das schlüssig und wirkungsvoll erschien.

Und natürlich ging es nicht einfach um Fußballspiele. Die Vereine seien Unternehmen, für die es ums Überleben geht. Um Arbeitsplätze. Ein besonders nützliches Argument: Die Spiele sollen den Bundesbürgern in diesen dunklen Zeiten ein wenig Spaß vermitteln. Ein Lichtblick, wie zuletzt im März der Geschäftsführer von Borussia Dortmund betonte. "Das Wichtigste ist, dass der Fußball den Leuten momentan ein bisschen Freude und Abwechslung bringt", so Hans-Joachim Watzke.

Die Fußballer als Wohltäter. Ins Rennen geschickt mit Vorschusslorbeeren und Vertrauen. Hilfreich: eine starke Lobby bei der Politik. Und dazu die Beteuerungen der Verantwortlichen: Natürlich ist jetzt auch Demut eingekehrt.

Und tatsächlich: Die Kritik an Fußballspielen während der Pandemie ist längst verstummt. Obwohl immer noch diverse Branchen geschlossen sind, die mindestens genauso ums Überleben kämpfen wie die Vereine, spricht niemand mehr von Extrawürsten. Mit Corona infizierte Spieler werden isoliert. Sind mehrere betroffen, wird eine ganze Mannschaft in Quarantäne geschickt. Weiter geht's.

Alles gut also im Fußball? Nicht ganz, wenn man sich die Nachrichten der vergangenen Tage und Wochen anschaut. Ein paar bedauerliche Vorfälle haben den Ruf des Fußballs dann doch ordentlich ramponiert.

"Ist Dennis eigentlich euer Quotenschwarzer?", schrieb der einstige Held der Weltmeisterschaft 2006 und Nationaltorwart Jens Lehmann bei WhatsApp. Nicht an irgendwen. Sondern aus Versehen direkt an den TV-Experten und ehemaligen Nationalspieler Dennis Aogo, der den Vorfall gleich in den sozialen Medien öffentlich machte.

Kleiner Haken: Eben dieser Aogo hatte den Fußballern von Manchester City gerade live im TV attestiert, dass sie "bis zum Vergasen" trainieren würden. Upps.

Es gibt weitere katastrophale Vorfälle.

Thomas Berthold, ehemaliger Nationalspieler und Weltmeister von 1990, verbreitete als "Querdenker" irre Corona-Theorien.

Martin Hinteregger, Spieler von Eintracht Frankfurt, sagte über Schlägereien unter Fans vor laufender Kamera: "Wenn es beide gewollt haben, ist es ja okay. […] Ist ja nix Schlimmes."

Der anerkannte und erfahrene Fußballtrainer Friedhelm Funkel kommentierte im TV: "Leverkusen hat natürlich auch eine enorme Schnelligkeit durch ihre, ihre – ja, den einen oder anderen Ausdruck darf man ja jetzt nicht mehr sagen – durch ihre Spieler, die halt so schnell sind." Kritiker warfen dem heutigen Köln-Trainer vor, er hätte auf die Hautfarbe der Fußballer angespielt.

Und dann gibt es da noch eine Verfehlung in einer ganz anderen Kategorie.

Vizeweltmeister Christoph Metzelder wurde zu 10 Monaten auf Bewährung verurteilt, weil er kinderpornografische Bilder gespeichert und weitergeleitet hatte.

Auch schlimm: DFB-Präsident Fritz Keller verglich seinen Vize Rainer Koch mit keinem Geringeren als Roland Freisler, dem berüchtigten NS-Richter, der als Präsident des Volksgerichtshofes von 1942 bis 1945 in Schauprozessen etwa 2.600 Todesurteile aussprach. Keller traf diese Aussage auf einer Präsidiumssitzung.

Ist das die Abwechslung, von der Watzke sprach? Ist da irgendwo Freude? Wird da eine Vorbildfunktion gelebt? Das Gegenteil ist der Fall!

Stattdessen gibt es Rassismus, Gewaltaufrufe, Kinderpornographie – alles mitten im Fußball. Die Skandale werfen einen Schatten auf die ganze Branche.

Im Zentrum stehen nicht etwa Randfiguren oder Dauer-Querulanten. Nicht nur zumindest. Es sind vielmehr frühere Helden. Bundesliga-Legenden. Nationalspieler. Idole von Millionen Kindern und Jugendlichen. Und sogar der DFB-Präsident.

Die Konsequenzen? Sind ganz unterschiedlich. Lehmann wurde sogleich von all seinen Partnern und Arbeitgebern gefeuert. Metzelder wird wohl nie wieder einen Job im Fußball bekommen. Hinteregger kam straffrei davon. Aogo kündigte gestern Nachmittag an, seine Expertentätigkeit "ruhen zu lassen". Und Keller klebt an seinem Sessel, obwohl ihn kaum noch jemand als DFB-Präsident haben will. Er entschuldigte sich bei der früheren Präsidentin des Zentralrats der Juden, die zufällig auch die Mutter eines Mitglieds der Ethikkommission des DFB ist – und ihm möglicherweise beim Klebenbleiben helfen kann. Obwohl sich Keller windet wie ein Aal, ist es eine Frage der Zeit, bis sich der komplexe DFB-Apparat so formiert hat, dass der Vorstand Keller aus dem Amt hebt. Wenn der nicht doch noch vorher von sich aus geht.

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Die spannende Frage: Was zur Hölle ist hier los? Was ist in die Protagonisten gefahren? Waren Gewalt, Skandale und Beleidigungen schon immer Teil des Geschäfts und lediglich unterm Radar? Ist es Zufall, dass jetzt das ganze Übel ans Licht kommt? Glauben einige Fußballer, dass für sie keine Gesetze gelten und keine Regeln? Oder liegt es einfach daran, dass der hypernervösen Gesellschaft heute Aussagen auffallen, die früher nicht nur toleriert wurden, sondern in Teilen als ganz normal galten?

Wer mal im Stadion in der Fankurve war oder selbst in einer Hobbytruppe gekickt hat, weiß: Der Ton im Fußball ist sicherlich rauer als bei vielen anderen Freizeitbeschäftigungen. Und natürlich gehört es auch dazu, dem Gegenspieler mal einen fiesen Spruch reinzudrücken, ihn mit einer Grätsche zu stoppen, ihm beim Zweikampf auf dem Fuß zu stehen. Vielleicht auch zu provozieren. Und ja, vielleicht auch mal mit einer Äußerung unterhalb der Gürtellinie. Erst recht, wenn es hitzig wird – und man das Spiel natürlich unbedingt gewinnen will. Als Sportsfrau oder -mann gibt man dem Gegner nach dem Spiel in der Regel die Hand – und der Streit ist vergessen und abgehakt.

Doch es gibt einen Unterschied: zwischen Fußballfeld und TV-Studio, zwischen Anschreien und Twittern, zwischen einem fiesen Spruch und einem rassistischen.

Sind die oben genannten früheren Fußballhelden und Persönlichkeiten alle Rassisten? Ist Metzelder ein Kinderschänder und Hinteregger ein Schläger? Wahrscheinlich nicht. Und dennoch haben sie nicht nur sich selbst beschädigt, ihre Karrieren zerstört und Menschen verletzt. Sie haben auch dem Fußball geschadet und das Vertrauen mit Füßen getreten. Der Fußball sollte der Bundesbevölkerung eigentlich gerade Freude machen und Abwechslung schenken. Doch dazu gehört neben ein paar Spielen vor leeren Rängen ganz sicher mehr: Demut, Vorbildfunktion, Fingerspitzengefühl. Ganz sicher nicht dazu gehören Skandale.


SPD bläst zur Attacke

Noch vier Monate bis zur Bundestagswahl. Da tobt der Wahlkampf. Normalerweise. In Zeiten der Pandemie dagegen kommt er etwas gemächlicher in Fahrt. Oder steht zumindest nicht so uneingeschränkt im Vordergrund wie gewöhnlich.

Das soll sich nun ändern. Die Grünen sind dafür schon auf Flughöhe. Oder besser gesagt: Sie erleben einen echten Höhenflug: in Umfragen, als Vorreiter in Sachen Klimaschutz und mit einer realistischen Chance auf das Kanzleramt. Entsprechend selbstbewusst gibt sich Jürgen Trittin im Interview mit meiner Kollegin Theresa Crysmann. Er kennt noch ganz andere und weniger erfolgreiche Zeiten, auch wenn er von 1998 bis 2005 Umweltminister im Kabinett von Kanzler Gerhard Schröder war. Und er erklärt, warum er der wachsenden Konkurrenz beim Klimaschutz gelassen entgegenblickt und die Volkspartei als "Auslaufmodell" bezeichnet.

Damit meint er auch die SPD. Und tatsächlich hinken die Sozialdemokraten nicht nur in den Umfragen hinterher. Sie scheinen noch nicht wirklich angekommen im Wahlkampf und sind vom Kanzleramt weit entfernt. Am Sonntag will die SPD nun auf einem Parteitag in Berlin mit 600 digital zugeschalteten Delegierten ihr Wahlprogramm verabschieden, Olaf Scholz als Kanzlerkandidaten bestätigen und in den Angriffsmodus schalten.

"Das Schattenboxen ist vorbei", sagte SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil gestern. Und heute erklärt er im Interview meinen Kollegen Johannes Bebermeier und Sven Böll, wie die Partei noch alles drehen und sich zurückmelden will. Seinen Koalitionspartner attackiert Klingbeil nebenbei auch noch scharf: "Die Union ist einfach kaputt", sagt er.

Ja, jetzt geht es richtig los.


Guterres bewirbt sich für weitere Amtszeit

UN-Generalsekretär António Guterres hält heute um 16 Uhr seine Bewerbungsrede für eine zweite Amtszeit als Chef der Weltorganisation. Der Portugiese will wohl unter anderem den Kampf gegen die Klimakrise und für die Gleichberechtigung von Frauen als Schwerpunkte für die Arbeit der Vereinten Nationen in den kommenden fünf Jahren setzen.

Guterres führt die UN seit 2017. Seine Wiederwahl gilt unter Diplomaten in New York als sehr wahrscheinlich – insbesondere, weil er den Rückhalt der fünf permanenten Mitglieder des UN-Sicherheitsrats genießt, also den der USA, Chinas, Russlands, Großbritanniens und Frankreichs.


Was lesen?

Hurra, die Corona-Infektionszahlen sinken! Die Bundesnotbremse scheint also nur zwei Wochen nach dem Inkrafttreten zu wirken. Oder etwa doch nicht? Der Frankfurter Virologe Martin Stürmer glaubt, dass die Wirkung der Ausgangssperre für Deutschland überschätzt wird. Im Gespräch mit meinem Kollegen David Schafbuch erläutert er, warum er eine andere Regelung für deutlich effektiver hält.


Forscher haben die Fälle von Hirnvenenthrombosen nach Covid-19-Impfungen in Deutschland neu ausgewertet. Ihr Fazit: Grundsätzlich können die sehr seltenen Nebenwirkungen auch Männer und ältere Frauen treffen. Bislang standen vor allem Frauen unter 60 Jahren im Fokus. Wie hoch das Risiko für welche Personengruppe ausfällt und bei welchen Impfstoffen die Komplikationen bislang auftraten, hat meine Kollegin Melanie Weiner zusammengefasst.


Bund und Länder haben beschlossen: Astrazeneca wird für alle freigegeben. Der Impfstoff ist bisher kaum gefragt. Ulrich Weigeldt, Bundesvorsitzender des Deutschen Hausärzteverbands, macht im Gespräch mit meiner Kollegin Annika Leister dafür die bisherige Kommunikation der Bundesregierung verantwortlich: "Der erhebliche Imageschaden, der zu Unrecht bis heute auf dem Impfstoff von Astrazeneca lastet, ist auch der Verunsicherung geschuldet, die die desaströse Kommunikation seiner möglichen Nebenwirkungen seitens Politik und Behörden bei der Bevölkerung verursacht hat." Mehr dazu lesen Sie hier.


Was amüsiert mich?

Zu viele Lockerungen? Die können unter Umständen lebensgefährlich werden.

Ich wünsche Ihnen einen angenehmen Freitag sowie ein wunderbares und sonniges Wochenende. Der Tagesanbruch-Wochenend-Podcast pausiert, in der kommenden Woche schreiben meine Kollegen Sven Böll, Camilla Kohrs, Peter Schink, Janna Halbroth und Johannes Bebermeier für Sie.

Ihr

Florian Wichert
Stellvertretender Chefredakteur t-online
Twitter: @florianwichert

Was denken Sie über die wichtigsten Themen des Tages? Schreiben Sie es uns per E-Mail an t-online-newsletter@stroeer.de.

Mit Material von dpa.

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