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Brutale Hitzewelle am Mittelmeer: Das Inferno ist da


Tagesanbruch
Das Inferno ist da

MeinungVon Florian Harms

Aktualisiert am 05.08.2021Lesedauer: 7 Min.
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Libyen: Vertrockneter Boden in der SaharaVergrößern des Bildes
Libyen: Vertrockneter Boden in der Sahara (Quelle: Lutz Jäkel)

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Vom Backofen in die Hölle

Die Luft schmeckt wie Pudding. Jeder Atemzug kostet Anstrengung. Die Haut fühlt sich an, als würde sie geröstet. Jeder Schritt ist mühsam, das Denken wird zu einem zähen Brei, der zu einem einzigen sehnsüchtigen Gedanken gerinnt: trinken! Wer dann keine Wasserflasche zur Hand hat und keinen Schatten findet, empfindet Verzweiflung, die sich binnen Minuten zur Panik steigern kann: Ich muss hier weg!

So fühlt es sich an, wenn man mehr als 50 Grad Celsius ausgesetzt ist. Die Hitze traf mich wie ein Faustschlag ins Gesicht, als ich vor 16 Jahren durch die libysche Wüste fuhr. Bei geöffneten Autofenstern und Fahrtwind war sie erträglich, aber als der Jeep dann stehen blieb, als ich ausstieg und in die gleißende Sonne trat, da erlebte ich am eigenen Leib, welche brutale Wirkung die Sonne entfalten kann, wenn sie einen Landstrich aufheizt. Selbst wenn mal ein paar Regentropfen fallen, verdunsten sie augenblicklich, der benetzte Boden bricht wie eine Kruste auf, jedes Pflänzlein verdorrt.

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Was ich vor 16 Jahren in der Sahara erfuhr, könnten wir bald auch in Europa erleben. Die Erderhitzung beschert uns immer öfter Extremwetter, die Durchschnittstemperaturen klettern höher und höher, und wir tun viel zu wenig dagegen. Die Menschen in den Mittelmeerländern bekommen in diesen Tagen einen Vorgeschmack von dem Inferno, das nicht nur Afrikanern, Amerikanern und Australiern, sondern auch uns Europäern bald regelmäßig droht. In Griechenland werden 47 Grad Celsius gemessen, ganze Landstriche verdorren. Schon der Funke einer Zigarette genügt, um eine Flammenhölle zu entfachen. In den Vororten von Athen wüten Wald- und Buschbrände, beißender Qualm durchzieht die Stadt, Ascheflocken wirbeln durch die Luft. Auch auf dem Peloponnes und auf Urlaubsinseln wie Rhodos und Kos brennt es lichterloh, Hunderte Häuser sind in Flammen aufgegangen. "Es ist ein Albtraumbrand", sagt Regierungschef Kyriakos Mitsotakis.

In der Türkei ist die Lage ebenfalls außer Kontrolle geraten. An der Westküste lodern zahlreiche Brände, einige bedrohen Touristenhotels, ein anderer erfasst ein Kohlekraftwerk. "Die Situation ist sehr ernst", warnt der Bürgermeister der Stadt Milas nahe der Ägäis. In Italien hat die Region Molise wegen der Buschfeuer den Notstand beantragt. In Sizilien kämpfen Feuerwehrleute Tag und Nacht gegen die Flammen. Gestern hat die EU-Kommission Flugzeuge, Hubschrauber und Brandexperten nach Griechenland, Italien, Albanien und Nordmazedonien geschickt. Europa kämpft gegen das Inferno.

Nicht jedes Buschfeuer ist eine unmittelbare Folge der Klimakrise, aber die Erderhitzung steigert das Risiko unkontrollierbarer Brände – keinesfalls nur in fernen Ländern, sondern auch hierzulande. Experten des Umweltbundesamts sagen für die kommenden Jahrzehnte ein steigendes Waldbrandrisiko in Deutschland voraus. Die Gründe liegen im Wesentlichen in erhöhten Temperaturen und Trockenheit.

Berechnungen des Weltklimarats zufolge werden Hitzewellen, Dürren und Starkregen massiv zunehmen. Nicht nur auf ohnehin gebeutelte Länder wie Griechenland kommen dann Kosten von Hunderten Milliarden Euro zu. Es scheint nicht mehr undenkbar, dass ganze Staaten durch die Extremwetterschäden in die Pleite schlittern. Zerstörte Stadtviertel, die nicht mehr aufgebaut werden können, verlassene Felder, Zonen ohne staatliche Kontrolle: Was wir derzeit nur aus gescheiterten Staaten wie dem Südsudan oder dem Libanon kennen, ist künftig auch in Europa vorstellbar.

Und der Planet heizt sich immer weiter auf. "Im Prinzip müssen wir uns jedes Jahr auf neue Temperaturrekorde einstellen", sagt der Klimaforscher Thomas Jung vom Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung im Gespräch mit dem Nachrichtenportal Watson. "Wenn man das einmal losgetreten hat, muss man lernen, damit zu leben." Das CO2 aus der Atmosphäre herauszubekommen oder die Wärme aus dem Ozean, funktioniere nicht so schnell. "Wenn man den Ausstoß der Treibhausgase heute auf null runterfahren würde, würde dieser Prozess trotzdem weitergehen", erklärt der Experte. "Der bisherige Klimawandel führt dazu, dass Extremwetterereignisse bis zu vier Grad Celsius heißer ausfallen als in präindustriellen Zeiten." Und das sei erst der Anfang der Erwärmung: "Wenn man in die Zukunft schaut, kann man gern noch einmal sieben, acht oder neun Grad auf die jetzigen Temperaturen draufpacken. Da kommt man dann in Bereiche, wo man an die 50 Grad erreicht." Schon in den nächsten 30 Jahren werden wir in einer anderen Welt leben als heute: "Wenn es so heiß und auch feucht wird, dass Schwitzen uns nicht mehr kühlt, ist das auch für den fittesten Menschen nicht lebbar."

"Nicht lebbar": Welch eine Formulierung. Sie klingt wie aus einem Backofen. Trotzdem machen fast alle Regierungen rund um den Globus immer noch zu kleine Schritte beim Klimaschutz, lassen sich viele Menschen nicht von ihrem gewohnten Konsumtrott abbringen: Morgens mit dem SUV ins Büro, Billigklamotten aus Asien shoppen, täglich Fleisch auf dem Teller, Fernreisen mit dem Flieger. Kaum sind die Länder Europas aus dem Corona-Lockdown herausgekommen, schießen die CO2-Emissionen wieder in die Höhe. Verhindern lässt sich der Temperaturanstieg nicht mehr, aber es macht einen gewaltigen Unterschied, ob er anderthalb, zwei oder noch mehr Grad im weltweiten Durchschnitt beträgt. Es ist der Unterschied zwischen einem Backofen und der Hölle.

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Wir müssen unser Verhalten schnellstens ändern, um das Schlimmste zu verhindern: Das ist der glasklare Appell, den mehr als 14.000 Wissenschaftler soeben veröffentlicht haben. Was zu tun ist, ist seit Langem bekannt. Klimaschutz als höchste Priorität im Regierungshandeln und auf jedem internationalen Gipfeltreffen. Schnell raus aus der Kohleverbrennung. Windräder und Solaranlagen bauen, auch gegen Widerstände. Wärmedämmung und moderne Heizungen für alle Gebäude. Busse, Bahnen und Fahrradwege statt Blechlawinen in den Städten. Die biologische Landwirtschaft viel stärker fördern. Die absurde EU-Politik stoppen, die den Bau von Kohlekraftwerken in Südafrika und die Abholzung des Regenwalds in Südamerika fördert.

All das und vieles mehr ist nötig. Es kostet Unsummen und verlangt jedem Einzelnen enorme Umgewöhnung ab. Doch die gute Nachricht ist: Wir können es schaffen, noch haben wir es in der Hand. Das darf man die Parteien im Bundestagswahlkampf gern wissen lassen. 50 Grad Hitze sollten wir uns nicht antun.


Urteil zum Gesundheitspass in Frankreich

Beschäftigte im Gesundheitswesen müssen geimpft sein, viele Freizeitaktivitäten gibt's nur noch mit Impfung oder Test, aber Schnelltests müssen die Bürger selbst bezahlen: Vieles, was bei uns noch diskutiert wird, hat der französische Präsident Emmanuel Macron bereits beschlossen. Tatsächlich hat er damit die Impfquote deutlich gesteigert – allerdings auch die Proteste gegen seine Corona-Politik. Mehr als 200.000 Menschen sind am vergangenen Wochenende in unserem Nachbarland auf die Straße gegangen. Das französische Parlament hat die Beschlüsse nach hitzigen Debatten trotzdem gebilligt. Nun muss das Gesetz zum Gesundheitspass die letzte Hürde nehmen: Für heute ist die Entscheidung des französischen Verfassungsrats angekündigt, den Premierminister Jean Castex aufgrund der heftigen Kritik einberufen hat. Auch im Fall einer Zustimmung wird sich Herr Macron jedoch Gedanken machen müssen, wie er den Riss durch die französische Gesellschaft kitten kann.


Urteil zum Rundfunkbeitrag

Es geht um schlappe 86 Cent, die aber so manchen in Wallung versetzen: Um diesen Betrag sollte der monatliche Rundfunkbeitrag mit Beginn dieses Jahres steigen, von 17,50 Euro auf 18,36 Euro. Die Landesparlamente von 15 Bundesländern hatten schon zugestimmt, dann aber zog Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU) wegen eines Streits in seiner Koalition und aus Sorge vor einer gemeinsamen Abstimmung mit der AfD die Regierungsvorlage zurück. Weil medienrechtliche Staatsverträge von allen Landesparlamenten ratifiziert werden müssen, war die Erhöhung blockiert. Mit dem Argument, ohne die Beitragserhöhung ihren Programmauftrag angeblich nicht erfüllen zu können, zogen ARD, ZDF und Deutschlandradio mit einem Eilantrag vors Bundesverfassungsgericht. Dort scheiterten sie, weil sie nach Auffassung der Richter besser hätten aufzeigen müssen, warum ihnen durch die Verzögerung "schwere Nachteile" drohen. Heute verkündet Karlsruhe sein Urteil in der Hauptsache. Auf jeden Fall rechtzeitig, um das Thema öffentlich-rechtlicher Rundfunk noch in den Wahlkampf einzuspeisen.


Es ist das erste Olympia-Gold für Deutschland in dieser Disziplin und das erste für den Deutschen Schwimm-Verband seit 13 Jahren: Florian Wellbrock hat in der Bucht von Tokio sein "persönliches Sommermärchen" geschrieben. Der 23-Jährige aus Magdeburg ließ der Konkurrenz keine Chance – und sicherte sich den Sieg im Freiwasser über zehn Kilometer.


Was lesen?

Die Klimadebatte leidet darunter, dass immerzu Schrecken beschworen werden? Arnold Schwarzenegger hat dazu ein paar interessante Anmerkungen.


Wie schnell sich das Blatt doch wenden kann! "Der brutale Fall des Weltmeisters" – "Götze passt nicht mehr" – "Der BVB will Götze das Gehalt kürzen": So lauteten vor knapp einem Jahr die Schlagzeilen. Und jetzt? "Die Götze-Show" – "Gala von Götze" – "Götze von Fans mit Sprechchören gefeiert". Seit seinem Siegtor im WM-Finale 2014 zählt Mario Götze zu den bekanntesten deutschen Fußballern, trotzdem wurde er in den vergangenen Jahren oft hart kritisiert. Dann verschwand er von der Bildfläche – und nun entpuppt sich genau dieser Schritt als weise Entscheidung. Unser Sportchef Robert Hiersemann hat mit dem Fußballprofi über dessen neues Leben in den Niederlanden gesprochen.


Wirtschaftsminister Peter Altmaier und Finanzminister Olaf Scholz wollen die Corona-Hilfen für Unternehmen noch einmal verlängern. Das würde Deutschland jedoch mehr schaden als nützen, meint unsere Wirtschaftskolumnistin Ursula Weidenfeld.


Wirtschaftlich gehört China längst zur Weltspitze, aber die Volksrepublik will auch in der Entwicklungszusammenarbeit zur Nummer eins werden: Peking verteilt Abermilliarden rund um den Globus – auch in Europa. Wie die Diktatoren ihre Macht global ausbauen, erklärt der Experte Heiko Herold.


Was amüsiert mich?

Amerika ist nicht zu Unrecht das Land der unbegrenzten Möglichkeiten.

Ich wünsche Ihnen einen grenzenlos schönen Tag.

Herzliche Grüße,

Ihr

Florian Harms
Chefredakteur t-online
E-Mail: t-online-newsletter@stroeer.de

Mit Material von dpa.

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