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Bundesregierung um Olaf Scholz: Übermäßiger Ehrgeiz? Gehört nicht dazu


Tagesanbruch
Bundesregierung: Eine gute Nachricht

MeinungVon Florian Harms

Aktualisiert am 21.01.2022Lesedauer: 5 Min.
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Christian Lindner, Robert Habeck und Olaf Scholz wollen Deutschland reformieren.Vergrößern des Bildes
Christian Lindner, Robert Habeck und Olaf Scholz wollen Deutschland reformieren. (Quelle: imago-images-bilder)

Guten Morgen, liebe Leserin, lieber Leser,

es gibt manches, was man den neuen Regierenden vorwerfen kann. Übermäßiger Ehrgeiz gehört nicht dazu. Sei es das Herumlavieren bei der Impfpflicht oder das allzu lange Herumdrucksen bei der Ostseepipeline Nord Stream 2: Kritische Kommentatoren sind sich einig, dass Olaf Scholz seinen Satz "Wer bei mir Führung bestellt, bekommt sie auch" allenfalls als Witz gemeint haben kann. Wohlmeinendere Analysten halten ihm zugute, dass selbst ein so erfahrener Politiker sich in einem so fordernden Staatsamt wie der Kanzlerschaft erst einmal einfuchsen muss. Dabei galt Scholz in der SPD eigentlich als alter Hase, der alle Stürme überstanden und am Ende seinen Machtwillen durchgesetzt hat.

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Ob Fuchs oder Hase: Leitartikler sind notorisch kritisch und dürfen eine Meinung zu allem und jedem haben. Das ist das Schöne an unserem Metier. Es tut jedoch auch Journalisten hin und wieder ganz gut, wenn sie nicht nur ihre eigenen Gedanken zum Maßstab aller Dinge machen, sondern auch mal draußen "bei de Leut" nachforschen, wie die Politiker da oben so ankommen. Wagt man sich also von seinem Schreibtisch auf die Straße und spricht mit Bürgern, wandelt sich das Bild. Und es wird sogar von Daten untermauert: 65 Prozent aller Befragten in der jüngsten Umfrage sagen, dass Herr Scholz seine Sache als Bundeskanzler eher gut macht, nur 17 Prozent finden seine Leistung eher schlecht. Auf so einem weichen Kissen sitzt es sich als Kanzler gut. Und es kommt sogar noch ein Pölsterchen hinzu: 76 Prozent von fast 500 befragten Führungsleuten aus der deutschen Wirtschaft und Verwaltung geben zu Protokoll, sie seien mit den Plänen im Koalitionsvertrag zufrieden – obwohl sich die Mehrheit einen anderen Wahlausgang gewünscht hätte.

Dieses Wohlgefallen hat einen Grund: Die schlimmsten Befürchtungen vor einer sozialistischen Klimaaktivisten-Republik, in der alles verboten wird, was Spaß macht oder Geld bringt, sehen offenkundig viele Unternehmenslenker abgewendet – und das rechnen sie der FDP an. Mit seiner kategorischen Absage an eine Vermögensteuer und überhaupt Steuererhöhungen sowie dem erklärten Willen, die Staatsverschuldung baldmöglichst zu tilgen, statt weiter fröhlich Miese anzuhäufen, habe Liberalen-Chef Christian Lindner das Schlimmste verhindert. Deshalb genießt der gelbe Ampel-Sheriff große Zustimmung in den Führungsetagen der Bosse – und die Anhänger der Grünen und der Roten müssen sich darüber noch nicht einmal grün und blau ärgern. Denn in ihrer Erleichterung über die glimpflich verlaufene Regierungsbildung zeigen sich nun viele Topmanager gewillt, gravierende Veränderungen anzuschieben, die der schnelle Klimaschutz und eine sozialere Republik erfordern.

Das neue Bundeskabinett hat also großen Rückenwind aus der Bevölkerung und der Wirtschaft, wenn es sich heute zu seiner ersten Klausurtagung trifft. Olaf Scholz und seine 16 Ministerinnen und Minister wollen die Schwerpunkte der deutschen G7-Präsidentschaft festlegen und außerdem besprechen, wie sie ihre ambitionierten Pläne zum Umbau Deutschlands anpacken: den Aufbau von Windparks, Solaranlagen, E-Tankstellen und der Wasserstoffproduktion. Die Erhöhung des Mindestlohns, die Einführung des Bürgergelds und der Kindergrundsicherung. Den Bau Zehntausender Sozialwohnungen und die Gründung eines Rentenfonds. Die Modernisierung des Bahnverkehrs, den ökologischen Umbau der Landwirtschaft sowie den systematischen Tier- und Pflanzenschutz. Den Kampf gegen Neonazis und das Einhegen der Digitalkonzerne. Das Senken des Wahlalters auf 16 Jahre, die Ausrüstung der Bundeswehr mit Drohnen und, und, und. Nicht alles geht gleichzeitig, und alles kostet Geld. Deshalb wird am Ende des heutigen Tages möglicherweise der eine oder andere Plan etwas blasser funkeln als in den bisherigen Ankündigungen der Minister. Doch immerhin sitzt da eine Regierung beisammen, die wirklich etwas bewegen will, statt das Land nur zu verwalten.

Wie viel das wert ist, wird deutlich, wenn man sich für einen Augenblick an das Personal der alten Regierung erinnert: Da wurschtelten Frau Klöckner (das war die Landwirtschaftsministerin), Herr Spahn (der jede Woche einen neuen Plan hatte, aber das Umsetzen vergaß), Frau Kramp-Karrenbauer (die in keinem Amt richtig ankam), Herr Seehofer (der eher döste als arbeitete) und Herr Altmaier (der sein Ministerium nicht im Griff hatte) vor sich hin, und es wurde auch nicht besser durch Frau Bär (die irgendwas machte, das ich vergessen habe) und Herrn Scheuer (der ... na, Sie wissen schon).

Die Ampelkoalition ist angetreten, Deutschland grundlegend zu reformieren. Ob ihr das gelingt, bleibt abzuwarten. Den Aufbruch immerhin wagt sie. Das ist eine gute Nachricht. Nun darf sie gern ehrgeiziger sein.


Diplomatisches Kräftemessen

US-Präsident Joe Biden hat mit seiner verkorksten Pressekonferenz für Wirbel in der Außenpolitik und Verunsicherung bei Amerikas Partnern gesorgt. Sein Außenminister Antony Blinken musste seine ganze Eloquenz aufbringen, um die Dinge geradezurücken. Schließlich will man gegenüber den Militärs in Moskau nicht schwächlich wirken. Heute trifft der Chefdiplomat aus Washington in Genf auf seinen russischen Amtskollegen Sergej Lawrow. Die Amerikaner wollen über den russischen Truppenaufmarsch an der ukrainischen Grenze und die Cyberangriffe gegen Kiew reden. Die Russen wollen über die als Bedrohung empfundene Osterweiterung der Nato und die Aufrüstung der Ukraine reden. So hat jeder seine Perspektive. Und richtig gute Diplomaten sind die beiden nur dann, wenn sie aufhören, sich gegenseitig Maximalforderungen an den Kopf zu werfen, und endlich Kompromissbereitschaft signalisieren.


Ach ja, Corona

Die Corona-Zahlen sind … ja was: bestürzend hoch oder viel weniger bedrohlich als vor einem halben Jahr? Gefühlt gibt es ja mittlerweile in jeder zweiten Familie einen Infektionsfall, aber die Symptome sind meistens nicht schlimmer als bei einer Erkältung (wenn überhaupt welche auftreten). Die Seuche beginnt ihren Schrecken zu verlieren, wie meine Kolleginnen Melanie Rannow und Sandra Simonsen schreiben, und das ist gut so. Nach zwei Jahren Pandemie markiert Omikron den Übergang in einen Zustand, in dem das Virus Teil unseres Lebens, aber für die allermeisten Menschen keine Gefahr mehr ist. Heute stellt das Robert Koch-Institut wieder seinen Wochenbericht zur Infektionslage vor. Aber so ganz genau will man das alles ja eigentlich gar nicht mehr wissen. Es wird Zeit, dass das normale Leben wieder beginnt.

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Endlich gute Unterhaltung

Endlich was Buntes in diesen grauen Januartagen! Heute startet das Dschungelcamp bei RTL. Doch mal ehrlich: Wie viele der Kandidaten sind Ihnen bekannt? Sogar Ex-RTL-Chef Helmut Thoma kennt auf Nachfrage unseres TV-Kritikers Steven Sowa nur Tina Ruland, Harald Glööckler und Anouschka Renzi; den Namen Jasmin Herren habe er "mal gehört". Sein ehemaliger Sender müsse endlich mehr Geld in die Hand nehmen und echte Stars an Land ziehen, fordert er. Dann kämen nämlich auch Günther Jauch und Thomas Gottschalk.


Was lesen?

Hunderte missbrauchte Jungen, systematische Vertuschung der Täter und ihrer Komplizen: Das neue Gutachten zur Erzdiözese München und Freising offenbart den Abgrund der jahrzehntelangen Verbrechen in der katholischen Kirche – und legt nahe, dass Joseph Ratzinger, damals Erzbischof und später Papst, ein eiskalter Lügner ist. Die "Süddeutsche Zeitung" fasst die erschreckenden Details zusammen.


Die Grünen wollen eigentlich in Ruhe regieren. Ausgerechnet jetzt wird die Partei von einer ominösen Bonuszahlung eingeholt – und verfällt prompt wieder in zweifelhafte Verhaltensmuster, wie unser Reporter Johannes Bebermeier berichtet.


Die USA wollen sich ihrem größten Rivalen China widmen. Doch immer wieder durchkreuzt Russland diesen Plan. Haben die Amerikaner Wladimir Putin unterschätzt? Unser US-Korrespondent Bastian Brauns analysiert die strategischen Probleme in Washington.


Hardy Krüger war vieles auf einmal: Weltstar und Weltbürger, Schriftsteller und ein politischer Mensch. Unser Kolumnist Gerhard Spörl würdigt den verstorbenen Leinwandhelden, der sich noch im hohen Alter gegen Rechtsextreme engagierte.


Was amüsiert mich?

Omikron verändert die Corona-Lage.

Ich wünsche Ihnen einen gesunden Tag. Falls Sie im Homeoffice sitzen: Heute ist "Internationaler Jogginghosentag". Aber bewahren Sie bitte Ihre Würde.

In diesem Sinne formvollendete Grüße

Ihr

Florian Harms
Chefredakteur t-online
E-Mail: t-online-newsletter@stroeer.de

Mit Material von dpa.

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