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Bundespräsident Steinmeier im Tagesanbruch: Wir werden das Coronavirus besiegen


Was heute wichtig ist
So besiegen wir die Angst

MeinungVon Florian Harms

16.03.2020Lesedauer: 8 Min.
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"Die Welt wird danach eine andere sein", sagt Bundespräsident Steinmeier über die Coronavirus-Krise.Vergrößern des Bildes
"Die Welt wird danach eine andere sein", sagt Bundespräsident Steinmeier über die Coronavirus-Krise. (Quelle: Hans-Christian Plambeck für t-online.de)

Guten Morgen in einer weiteren außergewöhnlichen Woche, liebe Leserinnen und Leser,

hoffentlich sind Sie gesund und munter aufgestanden. Ich freue mich, ab heute wieder für Sie schreiben zu dürfen. Hier ist der kommentierte Überblick über die Themen des Tages:

WAS WAR?

Deutschland ist im Krisenmodus. Als ich am Wochenende auf der A7 von Süd nach Nord durch die Republik fuhr, rollte ich über eine weitgehend leere Autobahn. Nicht einmal an der vermaledeiten Baustelle bei Hannover gab es Stau. Als ich gestern auf deutsche Innenstädte blickte, sah ich leergefegte Straßen und Plätze. Als ich heute Morgen aus dem Fenster schaute: alles menschenleer. Die meisten Bürger beherzigen die Appelle der Behörden und ziehen sich in ihre Häuser und Wohnungen zurück. Das wichtigste Transitland Europas, durch das sonst kreuz und quer Autos, Lastwagen, Züge, Flugzeuge, Radler brausen und Menschenmengen wuseln, erlebt den kollektiven Rückzug ins Private. Die Kanzlerin fordert die Bevölkerung auf, "die sozialen Kontakte weitestgehend einzustellen" – und die Bevölkerung folgt. Zumindest überwiegend. Nun riegeln Polizisten auch noch die Grenzen zu mehreren Nachbarländern ab. Wir schotten uns ab, so wie es auch Italien, Spanien, Frankreich, Österreich, Polen, Tschechien und Dänemark längst getan haben.

Das Coronavirus stellt unsere Gesellschaft auf die Probe, und noch ist nicht klar, ob wir diese Probe bestehen. Denn die Krise hat unterschiedliche Facetten: Es gibt die reale Krise und die gefühlte Krise. Die reale Krise erfordert, dass wir den Kontakt zu unseren Mitmenschen vermeiden, um gesundheitlich vorbelastete und ältere Bürger vor einer Ansteckung zu bewahren, und um zu verhindern, dass die Krankenhäuser unter einem Patientenansturm kollabieren. Das ist logisch, das versteht jeder.

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Die gefühlte Krise aber ist noch größer als die reale. Sie manifestiert sich in kollektiver Verunsicherung, in Angst, bei manchen auch in Panik. Sie kann uns zu affektgetriebenen, egoistischen, auch riskanten Kurzschlussreaktionen verleiten. Dann sehen wir Leute, die sich im Supermarkt den Wagen mit stapelweise Klopapier beladen und einen Wutanfall bekommen, wenn man sie auffordert, doch bitteschön ein paar Packungen für andere Kunden übrig zu lassen. Wir hören Leute, die auf die Chinesen schimpfen, weil die uns den Mist eingebrockt hätten, und wir sehen andere hustend durch die U-Bahn keuchen. Wir sehen die Kurse an den Börsen in die Tiefe rauschen. Wir hören, dass manche Leute Olivenöl und Obst aus Italien wegwerfen, es könnten ja Viren daran haften. Das ist der Panikmodus, und er ist gefährlich. Er führt uns vor Augen, wie dünn der Firnis unserer Zivilisation ist.

Was geschieht da gerade mit unserer Gesellschaft? Ich wollte es genauer wissen und habe einen gefragt, der es besser erklären kann als ich: Professor Heinz Bude zählt zu den führenden Soziologen Deutschlands und lehrt an der Universität Kassel. Das hat er auf meine Fragen geantwortet:

Herr Professor Bude, die Coronavirus-Lage ist zur globalen Krise eskaliert, die Alarmmeldungen erreichen uns im Viertelstundentakt. Was für einen Zustand erleben wir da gerade als Gesellschaft?

Heinz Bude: "Wir erleben eine schleichende Desozialisierung, die Menschen ziehen sich mehr und mehr in ihre engsten sozialen Beziehungen zurück. Das stellt unsere sozialen Strukturen ernsthaft auf die Probe. Das permanente Informationsbombardement durch Eilmeldungen führt nicht dazu, dass wir uns sicherer fühlen – im Gegenteil, bei vielen Menschen verstärkt es das Gefühl der Unsicherheit. Wir greifen zum Smartphone, weil wir Bescheid wissen wollen, merken aber: Je mehr wir uns informieren, desto unfassbarer wird die Gefahr. Diese Unfassbarkeit der Gefährdung ist das Hauptproblem."

Was genau meinen Sie mit Unfassbarkeit?

"Anders als bei einer Grippe oder einer Erkältung weiß man ja zunächst noch nicht genau, ob man von dem Virus betroffen ist oder nicht. Die Inkubationszeit ist lang, hinzu kommt die Unklarheit, was das Virus mit einem macht. Das bringt die zentralen Überprüfungsstrategien in unserer Gesellschaft durcheinander. Zugleich verändert sich die Wahrnehmung der Gefährdung. Wir leben in einer alternden Bevölkerung. Die Gruppe, die als potenziell gefährdet angesehen wird, ist ziemlich groß. Und die Leute fangen an, die Schwelle der möglichen Betroffenen zu variieren: vor einer Woche sprach man noch von Menschen im Alter 70 aufwärts, heute schon von 50 aufwärts. Das ist ein Ausdruck der Angst. Es ist keine schlagartig aufbrechende Angst, sondern eine Angst, die langsam in die Gesellschaft hineinrieselt."

Wie sollten wir mit dieser Angst umgehen?

"Es ist keine Lösung, nur zu beschwichtigen, wie es die Politik zu Beginn der Krise getan hat. Die Panik vor einer Panik ist ja auch eine Angst. Die Beglaubigung kollektiver Handlungsfähigkeit durch die Politik wird wichtiger: Wer vom politischen Führungspersonal sagt wie was? Es reicht aber auch nicht, als Bürger permanent nur im Internet zu gucken, was es gerade an neuen beunruhigenden Meldungen gibt. Es ist wichtig, dass wir mit anderen Menschen von Angesicht zu Angesicht über unsere Ängste reden. Dass wir uns darüber unterhalten und uns eingestehen: Ja, es gibt wirklich eine Gefährdung, und wir müssen uns nun eben vernünftig verhalten. Der Reflex mancher Menschen nach dem Motto 'Na ja, das Virus ist ja global, also kann man eh nichts dagegen tun', ist falsch. Jeder Einzelne von uns kann die Gefährdung eindämmen, indem er sich vernünftig verhält: sich die Hände wäscht, direkte soziale Kontakte vermeidet – und auch seine Resilienz gegen die Verunsicherung stärkt. Wir besiegen die Angst, indem wir über sie reden. So zeigen wir unseren Mitmenschen, dass sie mit ihren Ängsten nicht allein dastehen. So können wir jetzt Respekt und Solidarität leben."

Sagt Professor Bude. Und ich erlaube mir hinzuzufügen: Das ist ein gutes Rezept, um den Krisenmodus zu überstehen.


WAS STEHT AN?

Einer, der sich mit Krisen so gut auskennt wie kaum ein anderer in unserem Land, ist Frank-Walter Steinmeier. Als Kanzleramtschef holte er für Gerhard Schröder die Kohlen aus dem Feuer, als SPD-Fraktionschef hielt er manchen Hitzkopf im Zaum und die leicht entflammbare Partei auf Temperatur, als Außenminister löschte er rund um den Globus Feuer: Ob in der Ukraine-Krise, im Atomkonflikt mit dem Iran oder im Afghanistan-Krieg – überall war Steinmeier zur Stelle, ausgestattet mit besten Kontakten, klugen Ideen, guten Helfern und vor allem viel Erfahrung. So viele heiße Eisen packte er an, dass er sich an manchen fast die Finger verbrannte, etwa an der Affäre um den Guantanamo-Häftling Murat Kurnaz. Aber auch die hat Steinmeier überstanden und ist unbeirrt seinen politischen Weg weitergegangen.

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Seit ziemlich genau drei Jahren steht er unserem Land nun als Bundespräsident vor, und es gibt nicht wenige, die sagen: So ein gutes Staatsoberhaupt wie ihn hatten wir seit sehr langer Zeit nicht. Wobei, eigentlich ist er viel mehr als nur das Staatsoberhaupt, das zu Repräsentationszwecken über rote Teppiche schreitet. Steinmeier hält Reden, die nachhallen. Reden, über die auch in Jahren noch geredet werden wird. Sei es zu den Nazi-Verbrechen in der Toskana oder in Auschwitz, sei es zu den Chancen und Tücken der Digitalisierung, sei es zur Frage, wie Deutschland in einer zunehmend unsicheren Welt bestehen kann.

Vor allem aber ist Steinmeier ein Bürgerpräsident, der unermüdlich durchs Land reist und mit den Menschen spricht. Dabei scheut er nicht davor zurück, sich ausgiebig mit jenen auseinanderzusetzen, die für Politiker nur noch Verachtung übrig haben oder deren Frust über die Lage im Land, über Migranten, über Wessis, über Ossis oder über sich selbst so groß geworden ist, dass sie hinter der Enttäuschung die Hoffnung nicht mehr sehen. Trifft er solche Menschen, dann hört Steinmeier zu – und er vermag lange zuzuhören, was heute leider nicht mehr viele Politiker können. Dann fragt er nach, schildert vergleichbare Schicksale anderer Menschen, lobt ihren Mut – und pflanzt so soziale Setzlinge, die irgendwann zu Zuversicht aufkeimen mögen. Steinmeier stellt sich den Problemen unserer Zeit, er benennt sie ungeschönt, und er zeigt Lösungswege auf, die nicht nur Staatschefs gehen können, sondern jeder Bürger. So ist dieser Bundespräsident zur wohl größten politischen Autorität gereift, die wir derzeit in Deutschland haben.

Mit wem könnte man also besser über die großen Krisen dieser Tage sprechen als mit ihm? Eben. Deshalb haben sich mein Kollege Tim Kummert und ich ins Schloss Bellevue in Berlin aufgemacht und den Bundespräsidenten zu einem ausführlichen Gespräch getroffen. Das Ergebnis veröffentlichen wir heute Morgen auf t-online.de – auf Deutsch sowie für unsere ausländischen Leserinnen und Leser auch auf Englisch. Darin richtet der Bundespräsident einen eindringlichen Appell an die deutsche Bevölkerung: "Wir werden das Coronavirus besiegen", sagt er. "Aber in was für einer Gesellschaft wir danach leben werden, und in was für einer Welt, das hängt davon ab, wie wir heute handeln." Dabei nennt Steinmeier drei Aufgaben für Deutschland – und er sagt auch: "Unsere Antwort auf diese Krise wird Teil der weltweiten Auseinandersetzung um das beste politische System sein."

Was der Bundespräsident konkret zur Corona-Krise, zum Zustand der deutschen Demokratie, zum Rechtsextremismus, zur neuerlichen Flüchtlingskrise und zu den Brüchen zwischen Ost- und Westdeutschland sagt, lesen Sie hier in unserem Exklusiv-Interview.


Man glaubt es ja kaum, aber es gibt auch abseits der Coronavirus-Lage noch relevante Themen. Hier die wichtigsten:

Bundesumweltministerin Svenja Schulze (SPD) stellt heute die vorläufigen amtlichen Daten zum deutschen Treibhausgasausstoß 2019 vor. Vor allem in der Energiewirtschaft soll er überraschend stark gesunken sein.

In Lyon wird das Urteil im Prozess gegen den ehemaligen Priester Bernard Preynat erwartet. Er soll Dutzende Kinder sexuell missbraucht haben; der preisgekrönte Berlinale-Film "Gelobt sei Gott" erzählt die Geschichte. Die Staatsanwaltschaft fordert acht Jahre Haft.

Und dann geht es doch wieder um das Virus: US-Präsident Donald Trump (dessen Coronavirus-Test negativ ausfiel) bittet die Staats- und Regierungschefs der G7-Länder zu einem Gedankenaustausch, um über Schritte gegen das Virus zu beraten. Die Herrschaften treffen sich nicht persönlich, sondern reden per Videokonferenz – so, wie das alle jetzt tun sollten.


WAS LESEN UND ANSCHAUEN?

Apropos Trump: Unser Washington-Korrespondent Fabian Reinbold hat den obersten Krisenmanager der USA in den vergangenen Tagen aus der Nähe beobachtet und kommt zu einem ziemlich düsteren Fazit. "Gefährlich uninformiert", lautet der Titel seiner Kolumne aus dem Weißen Haus.


Gut 100 Jahre nach der Spanischen Grippe wird das Gesundheitssystem durch das Coronavirus erneut auf die Probe gestellt. Meine Kollegen Sandra Sperling, Philip Friedrichs und Adrian Röger zeigen Ihnen historische Aufnahmen der Pandemien im Wandel der Zeit – und warum es uns der Fortschritt so schwer macht, die Krankheit zu besiegen.


Alarmierend ist, was unser Rechercheur Lars Wienand herausgefunden hat: Der österreichische Wintersport-Ort Ischgl war die heimliche Virus-Drehscheibe in Europa. Warum ging der Skispaß dort trotzdem noch acht Tage lang weiter?


Es heißt nun immer, man solle "soziale Kontakte vermeiden". Aber warum genau ist das so wichtig, und was geschieht konkret, wenn man es missachtet? Die Kollegen der "Washington Post" zeigen es Ihnen in eindrucksvollen Visualisierungen.


Das Virus verunsichert nicht nur Anleger und Investoren, auch Bürger mit Tagesgeld- und Girokonten haben Angst um ihr Erspartes. Ist die Furcht begründet? Mein Kollege Florian Schmidt gibt Ihnen Antworten.


WAS AMÜSIERT MICH?

Gar nicht so einfach, die Sache mit dem Homeoffice.

Ich wünsche Ihnen trotz des außergewöhnlichen Wochenbeginns einen halbwegs geordneten Tag. Bleiben Sie bitte gesund und zuversichtlich – und denken Sie daran: Reden hilft!

Herzliche Grüße

Ihr

Florian Harms
Chefredakteur t-online.de
E-Mail: t-online-newsletter@stroeer.de

Mit Material von dpa.

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