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Jürgen Trittin über Wagenknecht-Manifest: "Eine unheilige Tradition."


Trittin über Wagenknecht-Manifest
"Das ist eine unselige Tradition in Deutschland"

InterviewVon Patrick Diekmann

Aktualisiert am 24.02.2023Lesedauer: 5 Min.
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Sahra Wagenknecht: Spekulationen um eine Parteineugründung durch sie räumt Wagenknecht nicht komplett aus.Vergrößern des Bildes
Sahra Wagenknecht wirbt in Deutschland um Rückhalt: Sie spricht sich dagegen aus, dass die Bundesregierung die Ukraine weiterhin mit Waffen unterstützt. (Quelle: Political Moments/imago images)

Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine tobt nun seit einem Jahr. Grünen-Politiker Jürgen Trittin wertet den chinesischen Vorstoß als positives Signal und kritisiert Sahra Wagenknecht scharf.

Vor einem Jahr gab der russische Präsident den Angriffsbefehl, und die russische Invasion der Ukraine begann. In diesen zwölf Monaten hat Moskau den Krieg immer weiter eskalieren lassen, und der Westen schickte immer mehr Waffen, um die Ukraine zu unterstützen. Während China nach zwölf Monaten nun endlich der internationalen Gemeinschaft ein Positionspapier vorlegte, demonstrieren in Deutschland Menschen, die sich mit Sahra Wagenknecht (Linke) und ihrem Aufruf gegen westliche Waffenlieferungen für die Ukraine solidarisieren.

Der Grünen-Politiker Jürgen Trittin bewertet im Interview mit t-online den chinesischen Vorstoß und erklärt, von welchen Irrtümern sich Deutschland durch diesen Krieg habe verabschieden müssen.

t-online: Herr Trittin, der russische Angriffskrieg in der Ukraine tobt nun seit genau einem Jahr. Wo stehen wir aktuell in dem Konflikt?

Jürgen Trittin: Wladimir Putin ist offensichtlich gewillt, seine Aggression fortzusetzen. In seiner Rede an die Nation hat er erneut der Ukraine ihre Existenzberechtigung abgesprochen. Wir sind damit konfrontiert, dass sich der russische Angriffskrieg auch im Jahr 2023 fortsetzen wird.

Am Jahrestag des Krieges haben die USA erneut Sanktionen gegen Russland beschlossen. Im Westen gab es die Hoffnung, dass die Strafmaßnahmen Wirkung entfalten würden. Das hat aber nicht funktioniert.

Dem würde ich deutlich widersprechen.

Warum?

Die Sanktionen sind beispiellos. Europa hat sich vom russischen Geschäft mit Gas und Öl abgekoppelt, und das hat in Russland zu massiven Einnahmeausfällen geführt. Im Fall von Erdgas konnte Moskau die Einnahmeausfälle nicht durch Lieferungen in andere Länder ersetzen. Das Erdöl muss Russland dagegen weit unter Weltmarktpreis verkaufen.

Dennoch hat das noch keine Wirkung auf den Krieg.

Durch die finanziellen Ausfälle sollte es Putin möglichst schwer gemacht werden, seinen Krieg weiterzuführen. Dieses Ziel wurde erreicht. Sanktionen sind kein Zaubermittel, sie haben immer eine lang- und eine mittelfristige Wirkung. Bestimmte Sanktionen werden aber von einigen Staaten umgangen – zum Beispiel von der Türkei oder den Vereinigten Arabischen Emiraten. Dem versuchen wir mit dem 10. Sanktionspaket der EU entgegenzuwirken.

Jürgen Trittin.
Jürgen Trittin. (Quelle: Hubert Jelinek/imago-images-bilder)

Jürgen Trittin sitzt seit 1998 für die Grünen im Bundestag und ist außenpolitischer Sprecher. Von 1998 bis 2005 war er Bundesumweltminister, von 2009 bis 2013 war er Co-Vorsitzender seiner Partei.

Wie unterstützen diese Staaten Russland?

Sie nutzen etwa Schlupflöcher aus, zum Beispiel beim Export von Dual-Use-Technologien, die zivil und militärisch genutzt werden können.

Sehen Sie aktuell Anzeichen dafür, dass der Sanktionsdruck auf Putin so groß werden könnte, dass er einlenkt?

Der Krieg wird erst zu einem Stillstand kommen, wenn Putin klar ist, dass er militärisch nicht weiterkommen kann und der Preis für ihn zu hoch wird. Dieser Zustand ist aber noch nicht erreicht. Die Mobilmachung einer halben Million Soldaten ist klar als Versuch zu sehen, doch noch seine Kriegsziele zu erreichen.

Bei der Generalversammlung der Vereinten Nationen stimmten 141 Staaten für eine Resolution, die Russland zum sofortigen Rückzug der Truppen auffordert. Wie isoliert ist Putin international?

Das war ein großer Erfolg von Außenministerin Annalena Baerbock, die sehr hart daran gearbeitet hat. Es ist ein wichtiges Signal, dass sich 141 Staaten für den Rückzug der russischen Truppen aus der Ukraine aussprachen. Aber wir sehen mit Sorge, dass sich von den BRICS-Staaten nur Brasilien der Resolution anschloss. Bevölkerungsreiche Länder wie Indien oder China haben sich enthalten.

Was bedeutet das für die deutsche Außenpolitik?

Die Bundesregierung hat infolge der russischen Invasion in der Ukraine sehr viel Mühe investiert, um bessere Beziehungen zu Asien aufzubauen. Das hat aber leider noch nicht ausreichend gefruchtet. Insofern ist auch ein bitterer Teil der Wahrheit, dass sich fast die Hälfte der Weltbevölkerung aktuell neutral verhält und Putins Krieg politisch im Rahmen der Vereinten Nationen nicht verurteilt.

Nun hat China einen Zwölf-Punkte-Plan vorgelegt, der angeblich bei der Lösung des Konfliktes helfen soll. Könnte das ein Schritt in Richtung Frieden in der Ukraine sein?

Es ist mehr eine Positionsbestimmung als ein Plan. China könnte nur einen Durchbruch erzielen, wenn es Angreifer und Angegriffene klar benennt. Peking setzt die Ukraine und Russland einfach gleich, und das ist bei aller Neutralität nicht richtig. China nennt als ersten Punkt in seinem Positionspapier, dass die Souveränität, Unabhängigkeit und territoriale Integrität aller Länder geachtet werden sollten. Das würde ich als klare Botschaft an Putin und an den Rest der Welt verstehen.

Was steckt dann hinter dem chinesischen Vorstoß?

Der Vorstoß beschreibt eher die Interessenlage Chinas. Die positivere Nachricht: Peking möchte offenbar nicht, dass sich dieser Konflikt weiter fortsetzt. Ausdrücklich wird in dem Papier erwähnt, dass Lieferketten durch den Krieg gestört sind. Das chinesische Positionspapier ist mehr als Absichtserklärung formuliert. Aber wenn China die eigenen, formulierten Absichten ernst nimmt, dann muss es zum Beispiel den Kreml nun dazu bewegen, die Gebiete um die ukrainischen Atomkraftwerke zu entmilitarisieren. Da könnte Peking einen echten Beitrag liefern. Wenn nicht, wäre das nur ein hohles Bekenntnis von der chinesischen Seite.

Aber die Absichtserklärungen sind vollkommen unglaubwürdig, wenn China Russland zum Beispiel mit Drohnen unterstützen sollte.

Das Papier, das China den Vereinten Nationen vorgelegt hat, mahnt an, dass alle Parteien es vermeiden sollen, Öl ins Feuer zu gießen. Die Lieferung von Kampfdrohnen an Russland wäre dieses Öl. Wenn China sein eigenes Papier ernst nimmt, muss es das unterlassen.

Abschließend noch ein Blick auf Deutschland: Was hat dieser Krieg mit der deutschen Gesellschaft gemacht? Die Bundesregierung investiert nun mindestens 100 Milliarden in die Bundeswehr, und es werden schwere Waffen exportiert.

Deutschland musste sich von zwei Irrtümern verabschieden: Erstens dachten wir in den letzten 30 Jahren, nur von Freunden und Verbündeten umgeben zu sein. Wir sind nun in Europa mit einer revisionistischen Macht konfrontiert, die mit Gewalt Grenzen verschieben will. Zweitens haben wir unseren Wohlstand auf dem Import von billigen fossilen Rohstoffen begründet. Von beiden Irrtümern mussten wir uns sehr schmerzhaft verabschieden.

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Wie schwierig war dieser Perspektivwechsel für die Grünen? Ähnlich wie die SPD machten sie zum Beispiel Wahlkampf damit, dass keine deutschen Waffen in Kriegsgebiete geschickt werden sollen.

Das mussten wir unter den Bedingungen dieses unvorstellbaren Angriffs korrigieren. Wir hatten dabei einen kürzeren Weg als die SPD oder die Union, weil wir nie davon ausgegangen sind, dass es sich bei Putin um einen Garanten der Stabilität handelt. Aber auch wir hatten nicht geglaubt, dass sich der russische Präsident gegen jede Vernunft in diesen Krieg werfen würde.

Nun gehen am Samstag Menschen in Berlin für Verhandlungen mit Russland und gegen die Waffenhilfe für die Ukraine auf die Straßen. Wie bewerten Sie den Vorstoß von Sahra Wagenknecht?

Wer mit Faschisten auf die Straße geht, hat aus der deutschen Geschichte nichts gelernt. Wagenknechts Nationalbolschewismus ist eine ganz unselige Tradition in Deutschland.

Dabei klingt der Ruf nach Verhandlungen in ihrem sogenannten Manifest vergleichsweise harmlos.

Es stimmt nicht, dass nicht verhandelt wird. Die Bundesregierung betreibt aktiv Diplomatie. Der Bundeskanzler versucht regelmäßig, mit Putin zu sprechen, Außenministerin Annalena Baerbock hat mit großem diplomatischen Aufwand 141 Länder in den UN zusammengebracht, und da waren auch Vertreter Russlands in den Debatten der Generalversammlung dabei. Ergebnis dieser diplomatischen Bemühungen aber ist, dass Europa durch den Kreml immer wieder mit absurden historischen Parallelen und Schuldzuweisungen gekontert wird. Das erste Mal seit 1945 tobt in Europa wieder ein Krieg, der darauf abzielt, ein Land zu vernichten. Da erwarte ich gerade von Linken, dass sie klar Partei beziehen und nicht Putins Erzählung mittransportieren.

Vielen Dank für das Gespräch, Herr Trittin.

Verwendete Quellen
  • Gespräch mit Jürgen Trittin
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