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Ukraine-Krieg: "Taurus"-Marschflugkörper – Brücken-Killer aus Deutschland


Debatte um Taurus für die Ukraine
Der Brücken-Killer aus Bayern


Aktualisiert am 19.01.2024Lesedauer: 5 Min.
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Marschflugkörper Taurus: Aufnahmen zeigen, was die Hightech-Waffe so gefährlich macht. (Quelle: t-online)

Die Ukraine braucht den Marschflugkörper Taurus vor allem für einen Zweck. Doch genau deshalb scheut die Bundesregierung weiter vor der Lieferung zurück.

Die Kriegsherren im Kreml dürften sich über die Zögerlichkeit der Bundesregierung freuen: Deutschland wird der Ukraine auch weiterhin keine Marschflugkörper vom Typ Taurus schicken, die Blockade von Kanzler Olaf Scholz (SPD) bleibt bestehen. Der Bundestag hatte am Mittwoch mit großer Mehrheit einen Entschließungsantrag der Unionsfraktion abgelehnt, der die Bundesregierung ausdrücklich aufforderte, "endlich und unverzüglich der Ukraine einsatzbereite 'Taurus'-Marschflugkörper in größtmöglichem Umfang bereitzustellen". Die Ampelkoalition lehnt das weiter ab, aber der interne Streit um Taurus geht weiter.

Aus ukrainischer Sicht bedeutet das: Die russische Armee kann ihre Besatzungstruppen im Süden und Osten der Ukraine auch künftig einfacher mit Nachschub versorgen.

Schon seit Monaten bittet Kiew um die Hightech-Waffe aus deutsch-schwedischer Produktion. Der Grund dafür liegt auf der Hand. Die aus der Luft abzufeuernde Rakete ist wie gemacht, um Bauwerke wie die illegal errichtete Kertsch-Brücke zu zerstören. Außerdem könnten russische Nachschublinien und Waffendepots einfacher getroffen werden.

Wie hoch ist die Reichweite von Taurus?

Trotz wiederholter Angriffe ist es der ukrainischen Armee bislang nicht gelungen, die Kertsch-Brücke zu zerstören oder maßgeblich zu beschädigen. Selbst für die von Frankreich und Großbritannien gelieferten Marschflugkörper Scalp EG und Storm Shadow scheint diese Aufgabe zu groß. Das deutsch-schwedische Modell Taurus ist mit diesen Waffen zwar eng verwandt, bietet aber entscheidende Vorteile gegen Ziele, die weit hinter der Front liegen, schwer bewacht und von massiver Bauweise sind.

Da ist zum einen die Reichweite. Frankreich und Großbritannien haben der Ukraine die Exportversion ihrer Marschflugkörper geschickt, die in ihrer Reichweite auf 300 Kilometer begrenzt sind. Taurus kann dagegen nach Herstellerangaben mindestens 500 Kilometer weit fliegen. Für einen ukrainischen Angriff auf die Kertsch-Brücke wäre das ein entscheidender Vorteil, da das Bauwerk fast 500 Kilometer Luftlinie von ukrainisch gehaltenem Territorium entfernt ist. Und die größere Reichweite des Taurus bietet einen weiteren Vorteil.

Anders als ballistische Raketen, die vom Boden abgefeuert werden und in einem Bogen direkt auf ihr Ziel zusteuern, können Marschflugkörper wie Taurus komplizierte "Umwege" fliegen. Das fünf Meter lange und knapp 1,4 Tonnen schwere Geschoss lässt sich so programmieren, dass es nur wenige Meter über dem Boden entlang von Wegmarken im Gelände sein Ziel ansteuert. Das macht es für die gegnerische Flugabwehr schwieriger, den Marschflugkörper zu orten und zu bekämpfen. Kurz vor dem Ziel steigt Taurus dann in die Höhe, um in einem vorgegebenen Winkel und mit mehr als 1.000 km/h einzuschlagen.

Was geschieht beim Einschlag eines Taurus?

Reichweite, Wendigkeit und Geschwindigkeit sind aber nicht die einzigen Eigenschaften, die Taurus zu einem Brücken-Killer machen. Die Waffe kann insgesamt knapp 500 Kilo Sprengstoff tragen, verteilt auf einen sogenannten Tandem-Gefechtskopf, der beim Einschlag ins Ziel eine doppelte Detonation erzeugt. Die erste Explosion reißt dabei ein Loch in das Ziel, durch das dann ein sogenannter Penetrator ins Innere gelangen kann. Der Penetrator ist ein etwa zwei Meter langes, mit Sprengstoff gefülltes Wuchtgeschoss. Wann der Penetrator explodiert, kann vorher genau programmiert werden.

Sein doppelter Gefechtskopf macht Taurus zur perfekten Waffe für Angriffe auf unterirdische Bunker oder ein massives Bauwerk wie die Kertsch-Brücke. Bei einem Treffer würde die erste Sprengladung des Marschflugkörpers die Fahrbahn der Brücke durchschlagen und dem Penetrator den Weg frei machen zum Brückenpfeiler. Russland hat gezeigt, dass es Beschädigungen an der Fahrbahn und an den Schienensträngen der Brücke relativ zügig reparieren kann. Ein direkter Treffer gegen tragende Pfeiler könnte die Kertsch-Brücke dagegen so massiv beschädigen, dass sie als Nachschubroute für Putins Truppen ausfällt.

Auch gegen gut geschützte russische Kommandoposten und Munitionsdepots ließe sich das Taurus-System einsetzen. Damit könnte die Ukraine den Versorgungslinien von Putins Invasionstruppen empfindliche Schäden zufügen.

Wie viele Taurus hat Deutschland?

Aus ukrainischer Sicht bietet Taurus aber noch weitere Vorteile. Seit dem Frühjahr greift die ukrainische Armee regelmäßig russische Ziele mit Scalp EG und Storm Shadow an, doch der Vorrat an den Marschflugkörpern ist endlich. Wie viele Exemplare Frankreich und Großbritannien der Ukraine geliefert haben, ist unklar. Es dürften aber nicht mehr als einige Dutzend sein. Der Taurus aus Deutschland könnte sicherstellen, dass Kiew auch weiterhin aus großer Entfernung gegen Kommandoposten, Bunkeranlagen und Munitionsdepots der russischen Armee weit hinter der Front zuschlagen kann.

Nach der Indienststellung des Taurus 2005 bestellte die Bundeswehr 600 Stück davon für einen Gesamtpreis von 570 Millionen Euro. Ein einzelnes System kostet also knapp eine Million Euro in der Beschaffung. Allerdings sollen nicht alle 600 deutschen Taurus einsatzbereit sein. Aus Bundeswehrkreisen heißt es, dass zurzeit etwa 150 Stück zur Verfügung stehen. Was mit den übrigen 450 Geschossen nicht stimmt, ist unklar.

 
 
 
 
 
 
 

Unklar ist auch, wie sich Taurus in die ukrainische Luftwaffe mit ihren Kampfflugzeugen aus Sowjetzeiten integrieren ließen. Bei Scalp EG und Storm Shadow haben die ukrainischen Militäringenieure allerdings schon gezeigt, dass sich auch moderne westliche Waffen von alten MiG-Kampfflugzeugen abfeuern lassen. Außer der Bundeswehr verfügen die Armeen Spaniens und Südkoreas ebenfalls über den Marschflugkörper, der im bayerischen Schrobenhausen produziert wird. Für eine Weitergabe der Waffe an die Ukraine bräuchte es aber eine Exportgenehmigung aus Deutschland.

Warum Scholz keine Taurus liefern will

Nach langem Hin und Her hatte Bundeskanzler Olaf Scholz im Oktober bestätigt, dass er keine Taurus-Systeme liefern will. An dieser Entscheidung hält er bislang fest. Man müsse beachten, "was uns die Verfassung vorgibt und was unsere Handlungsmöglichkeiten sind", hatte der Kanzler nach einem Gespräch mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj am Rande des Europagipfels im spanischen Granada im Herbst vergangenen Jahres gesagt.

"Dazu zählt ganz besonders die Tatsache, dass wir selbstverständlich gewährleisten müssen, dass es keine Eskalation des Krieges gibt und dass auch Deutschland nicht Teil der Auseinandersetzung wird", so Scholz.

Der "Bild" zufolge habe Scholz bei einem Geheimtreffen mit den wichtigsten Mitgliedern seines Kabinetts erläutert, was er damit meint: In Scholz' Verständnis müsste er für den Einsatz der Taurus-Waffen durch die Ukraine deutsche Soldaten in das angegriffene Land entsenden. Diese würden dann die komplizierte Programmierung der Taurus-Lenkwaffen überwachen. Das wiederum erfordere ein Bundestagsmandat, da die Bundeswehr per Verfassung eine Parlamentsarmee sei, so Scholz laut "Bild" unter Berufung auf Teilnehmer.

In so einem Fall rechne der Kanzler jedoch mit einer Verfassungsklage vonseiten der Linken oder der AfD – in deren Verlauf die Bundesregierung gezwungen wäre, sensible Militärdaten offenzulegen, womöglich auch von Verbündeten.

Ob die Entsendung von Bundeswehrsoldaten in die Ukraine vonnöten ist, um den Taurus zu bedienen, wird von zahlreichen Experten und Politikern bestritten. Das Kanzleramt beruft sich darauf, dass diese Frage umstritten ist – und in jedem Fall eine Klage mit den genannten negativen Konsequenzen zur Folge hätte. An diesem Punkt steckt die Debatte auch weiterhin in einer Sackgasse.

Verwendete Quellen
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