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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Ukrainischer Botschafter Makeiev "Dann hört dieser Krieg auf"

Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine befindet sich im vierten Jahr. Was erwartet der ukrainische Botschafter Oleksii Makeiev vom nächsten Bundeskanzler Friedrich Merz?
Der Krieg gegen Russland ist für die Ukraine ein täglicher Kampf, deren Frontlinien sich nicht nur auf den Schlachtfeldern im eigenen Land befinden. Auch politisch müssen die Ukrainerinnen und Ukrainer kämpfen – für mehr westliche Militärhilfen und gegen die bröckelnde Entschlossenheit des Westens.
Kaum ein anderer Ort veranschaulicht diesen Kampf so sehr, wie die ukrainische Botschaft in Berlin. Die schmalen Gänge in dem Gebäude sind gesäumt von Plakaten und Bildern. Durchhalteparolen, Aufrufe zum Widerstand und zur Solidarität mit dem von Russland angegriffenen Land. Auch das Büro des ukrainischen Botschafters Oleksii Makeiev steht im Zeichen des Krieges: hinter seinem Schreibtisch ist eine weiße Tafel aufgebaut, an die Bilder von deutschen Waffensystemen zu sehen sind. "Wunschliste" steht darüber. Unter einem Tisch liegt ein Buch mit dem Titel "Punishing Putin", auf Deutsch: Putin bestrafen.
Ob der Kremlchef für seinen Überfall auf die Ukraine am Ende tatsächlich bestraft wird, erscheint momentan fraglicher denn je. US-Präsident Donald Trump möchte einen Deal mit Putin und scheint Putins Kriegsziele und die russische Herrschaft über ukrainische Gebiete akzeptieren zu wollen. Das setzt wiederum die Ukraine unter Druck.
Botschafter Makeiev erteilt im Interview dem US-Vorstoß eine Absage, ohne aber zu scharfe Kritik an Trump zu äußern. Sieht die ukrainische Regierung aktuell überhaupt eine Chance für einen Friedensdeal?
t-online: Herr Botschafter, US-Präsident Donald Trump will einen Deal mit Wladimir Putin über einen Waffenstillstand im Ukraine-Krieg geschlossen haben. Wie blickt die Ukraine auf die mögliche Einigung mit Russland, die vom Weißen Haus propagiert wird?
Oleksii Makeiev: Bislang gibt es ja noch keine Einigung, denn darüber wird noch verhandelt. Donald Trumps Idee, diesen Krieg so schnell wie möglich zu beenden, ist richtig und gut. Alle in Europa haben ein Interesse daran. Und natürlich sollen auch die USA an den Verhandlungen zusammen mit unseren europäischen Partnern teilnehmen.
Alle Parteien – auch Russland?
Wir haben mehr als 100 Jahre Erfahrung im Umgang mit Russland. Alles, was dieser Staat macht, ist durch seine imperialistische Tradition bestimmt. Für Russland existiert die Ukraine nicht als eigenständiger Staat, nicht als eigenständige Kultur. Seit über drei Jahren führt Russland einen Vernichtungsfeldzug gegen uns. Daher wissen wir auch, wie es sich in den Verhandlungen verhält: Wladimir Putin lügt im industriellen Maßstab. Man darf ihm nicht trauen, geschweige Zugeständnisse machen.
Warum nicht?
Das eröffnet den Russen die Chance auf weitere Zugeständnisse. Sie werden versuchen, die Welt mit schönen diplomatischen Worten und Floskeln auszutricksen, aber Taten und damit auch ein echter Frieden folgen darauf nicht
Was erwartet die Ukraine vom weiteren Verlauf der Verhandlungen?
Wir wünschen uns weiterhin, dass die USA zuerst mit uns und danach mit den Russen sprechen. Denn wir sind diejenigen, die den Frieden am meisten wollen – aber die Ukraine ist nicht bereit, einen Diktatfrieden zu akzeptieren.
Aber genau dieser Diktatfrieden droht aktuell. Die USA könnten sogar von Russland besetztes ukrainisches Staatsgebiet als russisch anerkennen.
Solche Vorschläge werden wir nicht akzeptieren. Wenn wir uns nach den russischen Wünschen richten, bekommen wir keinen echten Frieden. Im Gegenteil: Wir wären der Gefahr durch Russland weiterhin ausgesetzt.
Es gibt in der Ukraine aber auch Gegenstimmen. Etwa der Kiewer Bürgermeister Vitali Klitschko erklärte vergangene Woche, dass die Ukraine temporäre Gebietsabtretungen für einen Deal akzeptieren soll. Was sagen Sie ihm?
Russland kontrolliert seit 2014 die Halbinsel Krim und hat nun insgesamt ungefähr 20 Prozent unseres Staatsgebietes besetzt. Es geht dabei nicht um das Land, sondern um Millionen von Menschen, die befreit werden müssen. Die Russen radieren ihre Identität aus, sie dürfen sich nicht mehr als Ukrainer bezeichnen. Tausende Kinder wurden nach Russland verschleppt, Menschen werden zwangsumgesiedelt. Sie vernichten die ukrainische Sprache und die ukrainische Kultur. Sie foltern und töten Gefangene und errichten Konzentrationslager. Die Ukraine hat so etwas schon einmal erlebt: während der Besatzung durch die Nazis vor 80 Jahren. Einige Bilder sind vergleichbar.
Dementsprechend sind Gebietsabtretungen für die Ukraine inakzeptabel?
Diese wären gegen die ukrainische Verfassung und würden das Völkerrecht missachten. International anerkannte Grenzen sind unantastbar und wenn wir Putin damit durchkommen lassen, dann wäre das ein Blankocheck für jeden anderen Despoten, der mit Gewalt Grenzen verschieben möchte. Putin würde sich damit gestärkt fühlen, er würde weitermachen. Das Völkerrecht würde damit zerstört werden, und das dürfen wir auf keinen Fall zulassen.
Doch US-Präsident Trump scheint sich wenig für diese Zusammenhänge zu interessieren. Er sagt lediglich: Das Sterben muss aufhören.
Nicht das Sterben muss aufhören, sondern das Töten. Wenn Russen nicht mehr töten und foltern, wenn sie nicht mehr besetzen und angreifen, dann hört dieser Krieg auf. Ganz einfach. Wir müssen immer daran erinnern: Russen töten uns, Russen sind schuld an diesem Krieg. Wir wollen keine russischen Gebiete und verteidigen lediglich die Ukraine – solange es nötig ist.
Aber gibt es aus ukrainischer Sicht dann überhaupt eine Chance für einen Verhandlungsfrieden?
Putin muss zu seinem Frieden gezwungen werden, mit diplomatischen, militärischen und wirtschaftlichen Mitteln wie Sanktionen. Erst dann wird Russland verstehen: Es hat nicht geklappt. Es ist in unserem gemeinsamen Interesse, dass dieser Krieg endet. Aber es ist die falsche Strategie, Russland zu beschwichtigen und auf eine Verschnaufpause zu hoffen.
Was ist die richtige Strategie?
Erstens brauchen wir die USA und eine enge Zusammenarbeit in Europa mit den G7. Zweitens muss Putin nicht mit Worten und Zugeständnissen überzeugt werden, sondern mit klarer Kante und starken Positionen. Europa und die USA sind militärisch und wirtschaftlich viel stärker als Russland. Sie können Putin in die Schranken weisen.
Die USA tun das jedoch nicht. Im Gegenteil: Trump scheint russische Kriegsziele zu akzeptieren. Wie erklären Sie sich das?
Russland investiert viel in Kriegspropaganda und die Verbreitung falscher Erzählungen. Diese Bemühungen sickern manchmal in Gesellschaften durch und setzen sich bei manchen Entscheidungsträgern fest. Vor dieser Gefahr muss noch viel deutlicher gewarnt werden.
Im Vorfeld seiner Präsidentschaft haben Beobachter gehofft, Trump könnte Putin mehr unter Druck setzen. Er tat das Gegenteil. Ist die Ukraine mit Blick auf seine bisherige Präsidentschaft ernüchtert?
Wir sind ja schon lange ernüchtert. Sie müssen sich vorstellen, dass ukrainische Zivilisten jeden Tag unter Beschuss stehen. In der Nacht zum Donnerstag hat Russland die Hauptstadt Kiew angegriffen. Stellen Sie sich vor, Ihre Freunde, Ihre Familienangehörigen müssten jede Nacht in den Schutzbunker oder auf die Straße laufen, damit sie nicht von Trümmern oder russischen Drohnen und Raketen getötet werden. Es ist schrecklich.
Trotzdem erhöht der US-Präsident den Druck auf Kiew und behauptet, dass Präsident Wolodymyr Selenskyj ein größeres Hindernis für einen Frieden sei.
Mittlerweile haben viele in Europa sich gewöhnt, alles, was aus Washington kommt, sehr kritisch zu beäugen. Aber es haben sich auch nur wenige deutsche Politiker zum Angriff auf Kiew geäußert. Die Attacken auf die Ukraine sind leider zur Normalität geworden. Die westlichen Entscheidungsträger sind sehr still.
Was erwarten Sie konkret von deutschen Politikern in der gegenwärtigen Situation?
Ich bin ehrlich: Solidarische Worte wären schon ein Anfang. Beileidsbekundungen wie in diesem Fall sind immer noch wichtig.
Und darüber hinaus?
Den Worten müssen natürlich Taten folgen. Wir wissen, dass Deutschland auf der richtigen Seite steht – aber die wahrscheinlich künftige Regierung unter Friedrich Merz muss noch stärker eine Führungsrolle bei der Unterstützung und dem Schutz der Ukraine einnehmen.
Trauen Sie Merz das zu?
Er scheint es klar zu wollen. Über die genauen Schritte wird natürlich die neue Bundesregierung entscheiden. Aber wir stehen in engem Kontakt zu Friedrich Merz und wichtigen Außen- sowie Verteidigungspolitikern. Aktuell haben wir viele vertrauenswürdige Partner unter deutschen Beamten und Politikern. Was das angeht, schaue ich mit Zuversicht in die Zukunft.
In Ihrem Büro in der Botschaft hängt eine Wunschliste mit militärischem Gerät aus Deutschland. Welche Unterstützung steht auf dieser Liste aktuell ganz oben?
Diese Wunschliste ist schon älter. Viele Elemente sind bereits auf den Schlachtfeldern angekommen. Ich glaube, dass es müßig ist, über die Lieferung einzelner Waffensysteme zu diskutieren – denn allein ist keines davon entscheidend.
Sie fordern also auch nicht explizit den Marschflugkörper "Taurus", dessen Lieferung seit bald zwei Jahren hitzig diskutiert wird?
Ich sehe eher das große Ganze, also die Fähigkeit der ukrainischen Armee zum Kampf der verbundenen Waffen. Lediglich unter Fachleuten sprechen wir tagtäglich über die einzelnen Systeme, die unsere Armee benötigt, um sich gegen die russische Aggression zu verteidigen. Diese Diskussion muss nicht in der Öffentlichkeit stattfinden.
Dennoch stehen die Ukraine und ihre europäischen Verbündeten vor dem Dilemma, dass die militärische Unterstützung der USA nicht schwer kurzfristig ersetzbar sein wird. Sind die Debatten in Deutschland über bestimmte Waffensysteme wie "Taurus" zu schwerfällig?
Der Bedarf an Waffensystemen ist weiterhin hoch. Es fallen russische Bomben, und wir brauchen weiterhin Flugabwehrsysteme. Unsere Soldaten benötigen weiterhin Munition, um die Ukraine verteidigen zu können. Für bestimmte Ziele sind dagegen Marschflugkörper wie "Storm Shadow" nötig und wir haben die Deutschen erstmals im Frühjahr 2023 auf "Taurus" angesprochen, nun sind wir im Frühjahr 2025. Beantwortet das Ihre Frage?
Haben Sie denn Verständnis dafür, dass auch Teile der noch geschäftsführenden Bundesregierung Angst vor einer Eskalation mit Blick auf die "Taurus"-Lieferungen haben?
Die Lage in der Ukraine ist seit Beginn der russischen Invasion 2014 eskaliert. Mit unserer Offensive gegen Kursk seit August 2024 haben wir auch gezeigt, dass all die Apologeten der Eskalationsgefahr falschliegen. Die Russen konnten die ukrainische Armee nur langsam zurückdrängen und erzielen weiterhin nur geringe Geländegewinne. Diejenigen, die eine weitere Eskalation fürchten, lade ich sehr herzlich in die Ukraine ein: Verbringen Sie ein paar Nächte im Schutzkeller, dann verstehen Sie vielleicht, worum es geht.
Die europäischen Partner der Ukraine bemühen sich um eine Koalition der Willigen, um eine langfristige Unterstützung garantieren zu können. Aber kann ein Rückzug der Amerikaner überhaupt kompensiert werden?
Das müssen sich die Regierungen in Europa überlegen. Sie müssen mehr Führung in diesen Fragen übernehmen, denn es gibt keinen Krieg in Amerika. Der Krieg ist in Europa.
Was bedeutet das konkret?
Die Europäer tun viel, aber sie müssen nicht nur debattieren, sondern ihre Verteidigungsfähigkeit möglichst schnell stärken – jetzt und nicht erst in zehn Jahren. Nur im Verbund sind wir Europäer stark, aber gemeinsam haben wir auch viele Möglichkeiten.
Wie meinen Sie das?
Deutsche Waffen etwa sind den russischen Systemen weit überlegen. Auch die Kampfführung der Nato ist besser als die russische Fleischwolf-Taktik, mit der die russische Armee Wellen von Soldaten in den Tod schickt. Für uns ist das Menschenleben unbezahlbar, aber dafür müssen unsere Soldaten gut ausgebildet und ausgestattet werden. Nur aus einer Position der Stärke kann verhindert werden, dass Russland die Ukraine weiterhin attackiert.
Sprechen Sie darüber auch mit deutschen Parteien wie der AfD oder der Linken, die eine militärische Unterstützung der Ukraine ablehnen und damit Wahlkampf machen?
Nein. Ich rede nicht mit der AfD, und ich habe nie mit der AfD gesprochen. Bei den Linken hatte ich zu dem damaligen Thüringer Ministerpräsidenten Bodo Ramelow einen guten Draht. Es gibt immer wieder Politiker, die die Ukraine menschlich und politisch unterstützen, auch wenn es nicht der Parteilinie entspricht. Auch nicht alle AfD-Wähler befürworten den Genozid, den Russland in der Ukraine verübt.
Was schließen Sie daraus?
Dass nicht alle Wählerinnen und Wähler der AfD bei der Bundestagswahl gegen die Unterstützung der Ukraine sind. Trotzdem ist es die Aufgabe der demokratischen Parteien, diese Menschen auch in anderen politischen Fragen mitzunehmen – zum Schutz der deutschen Demokratie. Sonst besteht die Gefahr, dass wir von den Autokraten dieser Welt in den Abgrund gestoßen werden.
Einer dieser Autokraten ist Wladimir Putin. Wie kann in diesem Krieg überhaupt so viel Vertrauen aufgebaut werden, dass Verhandlungen funktionieren können?
Wir werden Russland nie vertrauen. Putin kann diesen Krieg stoppen, er kann mit seinen Soldaten unsere Gebiete verlassen. Das kann von heute auf morgen passieren.
Aber das ist doch unrealistisch.
Ich hasse dieses Wort: realistisch.
Warum?
Weil wir die Realitäten schaffen. Nicht wenige haben seit Kriegsbeginn die Frage gestellt, ob der Widerstand der Ukraine realistisch sei. Putin sei zu stark, die Ukraine zu schwach. Aber ich werde einem Verbrecher nicht meine gesamte Familie überlassen und mein Haus übergeben, weil ich zu schwach bin. Das ist keine Einstellung. Wenn du siehst, wie deine Kinder weggenommen werden und deine Frau vergewaltigt wird, wirst du alles tun, um deine Familie zu schützen. Dieser Krieg ist auch etwas sehr Persönliches.
Vielen Dank für das Gespräch, Herr Makeiev.
- Gespräch mit Oleksii Makeiev