Mehr als 150 Journalistinnen und Journalisten berichten rund um die Uhr für Sie über das Geschehen in Deutschland und der Welt.
Zum journalistischen Leitbild von t-online.Ukraine-Verhandlungen mit Trump in Istanbul? Plötzlich überschlagen sich die Ereignisse

Schon am Donnerstag könnte es in Istanbul zu Verhandlungen zwischen Russland und der Ukraine kommen. Kremlchef Wladimir Putin wollte die ukrainische Regierung politisch ausspielen, ist nun aber selbst im Zugzwang.
In mehr als drei Kriegsjahren in der Ukraine war von einem Friedensprozess lange nichts zu merken. Doch nun könnte der Kreml mit der ukrainischen Regierung verhandeln; schon am Donnerstag könnte es zu Gesprächen in Istanbul kommen. Optimisten sehen darin ein positives Signal, Pessimisten befürchten erneut ein taktisches Manöver des russischen Präsidenten Wladimir Putin. Einig sind sich Analysten darin, dass eine mögliche Aufnahme von direkten Gesprächen zu diesem Zeitpunkt überrascht.
Es ist ein politisches Schachspiel, das die Weltöffentlichkeit in den vergangenen Tagen erlebte. Putin versucht dabei, die Ukraine als friedensunwillig darzustellen. Dieser Plan ist nicht aufgegangen. Offenbar rechnete er nicht mit den Zügen des ukrainischen Präsidenten – und mit der Unberechenbarkeit von Donald Trump.
Putin ignoriert Ultimatum
Der russische Krieg in der Ukraine wird auch an vielen politischen Fronten geführt. Putin ist daran interessiert, dass Russland international wieder anschlussfähiger wird. Dafür muss er zumindest so tun, als sei er ernsthaft an einem Ende der Kämpfe interessiert. Auch deshalb bedient Moskau seit Kriegsbeginn das Narrativ, westliche Staaten würden die Ukraine zum Weiterkämpfen drängen.
Diesem Plan traten die E4-Staaten – Deutschland, Frankreich, Großbritannien und Polen – am vergangenen Wochenende entgegen, als sie Moskau drängten, einem 30-tägigen Waffenstillstand zuzustimmen. Andernfalls drohten sie mit weiteren Sanktionen gegen Russland. Zuvor hatte auch US-Präsident Donald Trump seinem russischen Amtskollegen mit Strafmaßnahmen gedroht, sollte dieser einen Waffenstillstand ausschlagen.
Die Ereignisse haben sich seither plötzlich überschlagen.
Putin ignorierte dieses Ultimatum, schlug seinerseits am Sonntag direkte Verhandlungen zwischen der Ukraine und Russland vor. Dabei konnte der Kreml davon ausgehen, dass Trump auch Verhandlungen ohne Vorbedingungen unterstützt – schließlich hatte sich der US-Präsident schon Wochen zuvor dafür ausgesprochen. Und er tat es auch jetzt wieder.
Druck auf Russland wächst
Doch der Effekt, den sich der Kreml offenbar erhofft hatte, blieb aus. Putins Angebot führte dazu, dass sich die Europäer und die Ukraine blitzschnell der Position der US-Regierung anpassten. Selenskyj wollte nicht nur mit Russland verhandeln, er wollte Putin am Donnerstag in der türkischen Metropole auch persönlich treffen. Er werde nach Istanbul kommen und warten, erklärte der ukrainische Präsident.
Putin steckt seitdem in einem Dilemma. Einerseits sieht er sich in der Ukraine militärisch noch immer in der Offensive. Er möchte seinen Krieg deshalb wohl weiterführen, andererseits Trump aber nicht vor den Kopf stoßen. Denn das russische Regime verfolgt mehrere strategische Ziele: auf Zeit spielen, um mindestens die von Russland völkerrechtswidrig annektierten Oblaste in der Ukraine komplett zu erobern. Zudem ist es in Putins Interesse, Trump vom Rest der Nato zu spalten und bestenfalls die US-Sanktionen gegen Russland loszuwerden. Doch Letzteres ist für Moskau mit dem Treffen der europäischen Staatschefs in weite Ferne gerückt.
Persönliches Gespräch nicht in Putins Interesse
Wie ernsthaft die russische Verhandlungsbereitschaft tatsächlich ist, scheint aktuell ohnehin fraglich. Unter Beobachtern gilt es als wahrscheinlich, dass der russische Präsident eigentlich eine Delegation unter der Führung seines mächtigen außenpolitischen Beraters Juri Uschakow in die Türkei schicken wollte. Denn eine persönliche Begegnung mit Selenskyj birgt für den Kremlchef gleich mehrere Fallstricke.
Immerhin stellt die russische Kriegspropaganda den ukrainischen Regierungschef als illegitimen Herrscher dar, der nicht nur drogensüchtig sei, sondern auch ein angebliches Nazi-Regime anführe. Trifft Putin sich mit ihm nun, auf Augenhöhe, wäre das schwer zu erklären – und die entsprechenden Bilder würden um die Welt gehen.
Putin selbst wollte sich wahrscheinlich erst in mögliche Verhandlungen einschalten, wenn im Hintergrund ein Deal längst abgeschlossen worden wäre und der Kremlchef nur noch hätte anreisen müssen, um den Vollzug als Erfolg für sich zu verkaufen. Allerdings wäre ein solcher Deal in kurzer Zeit ohnehin unrealistisch.
Im Normalfall hätte Putin Selenskyjs Gesprächsangebot wahrscheinlich unkommentiert abgelehnt. Denn für den Kreml scheint es noch immer um ein politisches Schachspiel zu gehen und eben nicht um einen tatsächlichen Friedensschluss – sonst hätte Moskau einer Waffenruhe zugestimmt. Trotzdem kann der Kreml-Herrscher die diplomatischen Vorstöße nicht einfach ignorieren.
Trump mischt sich ein
Sollte der ukrainische Präsident am Donnerstag allein in Istanbul sitzen, sähe es so aus, als sei Putin nicht friedensbereit. Die dadurch entstehenden Bilder würden vielen Staats- und Regierungschefs noch einmal vor Augen führen, dass Putin seinen Krieg weiterführen möchte und eben nicht auf Diplomatie setzt. Das könnte auch die westlichen Verbündeten der Ukraine wieder enger zusammenbringen.
Das wäre zwar eine politische, aber für Putin vermutlich noch verkraftbare Niederlage. Doch es gibt einen Grund, warum sich Putin mit Blick auf eine mögliche Teilnahme an den Verhandlungen nicht in die Karten schauen lässt, und noch immer seine Optionen abwägt: Donald Trump hat sich in die Debatte um Verhandlungen in Istanbul eingemischt.
Denn der US-Präsident überlegt, aufgrund der russischen Zögerlichkeit selbst nach Istanbul zu reisen – nach seinem Besuch auf der Arabischen Halbinsel.
Selenskyj hätte Putin mit einer Delegation abspeisen können, aber nicht den amerikanischen Präsidenten. Schließlich möchte der Kremlchef eigentlich seit Kriegsbeginn mit den Amerikanern über die Zukunft der Ukraine verhandeln, aus russischer Perspektive bestenfalls ohne den ukrainischen Präsidenten.
Doch offenbar sichert sich auch Trump für den Fall ab, dass Putin nicht kommt: Drei Insider sagten Reuters, dass die USA die Sondergesandten Steve Witkoff und Keith Kellogg in die Türkei schicken möchten. Noch allerdings kann nicht ausgeschlossen werden, dass Putin und Trump ab Donnerstag in Istanbul erscheinen, wenn es auch ungewöhnlich wäre. Denn internationale Treffen auf diesem Level werden immer mit längerer Vorlaufzeit geplant.
Sollte es aber dennoch dazu kommen, wäre ein konkretes Ergebnis aufgrund fehlender Vorverhandlungen sehr unwahrscheinlich. Vielmehr könnte ein solches Treffen ein erster Aufschlag sein, um die Gespräche eventuell in der Zukunft weiterzuführen. Das wäre dann ein Hoffnungsschimmer, während die Kämpfe in der Ukraine wohl unvermindert weiterliefen.
- edition.cnn.com: Zelensky insists he will only join Ukraine-Russia talks in Turkey this week if Putin is present (englisch)
- reuters.com: Ukraine's Zelenskiy insists on face-to-face talks with Putin in Istanbul (englisch)
- sueddeutsche.de: "Warten auf Putin"
- spiegel.de: "Selenskyj will in Istanbul auf Putin warten" (kostenpflichtig)
- faz.net: Können direkte Gespräche mit Moskau der Ukraine den Frieden bringen?
- dw.com: Warum Putin der Ukraine Verhandlungen in Istanbul vorschlägt
- Eigene Recherche