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AKW Lubmin: Energiefirma plant Billig-Entsorgung


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AKW Lubmin: Energiefirma plant Billig-Entsorgung

spiegel-online, Spiegel Online

24.04.2012Lesedauer: 4 Min.
Das Kernkraftwerk Lubmin wird seit Jahren Schritt für Schritt abgebautVergrößern des BildesDas Kernkraftwerk Lubmin wird seit Jahren Schritt für Schritt abgebaut (Quelle: dapd)
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Im stillgelegten Atomkraftwerk Lubmin bei Greifswald werden die Kosten gedrückt. Nach "Spiegel-Online"-Informationen sollen die Gebäude 50 Jahre stehenbleiben - bis die Radioaktivität von selbst abklingt. Das Umweltministerium sieht die Methode als mögliches Vorbild für andere Reaktoren.

AKW-Eigner will Rückbaukosten drücken

Im AKW Lubmin ist der Atomausstieg schon Realität. Viele Schritte, die den anderen deutschen Atomkraftwerken in den kommenden Jahren bevorstehen, sind hier schon passiert. Der Rückbau des Kraftwerks nahe der Stadt Greifswald wird in der Branche genau verfolgt. Denn der derzeitige Eigentümer des AKW, die bundeseigenen Energiewerke Nord (EWN), hat eine beachtliche Kreativität beim Kostendrücken entwickelt - auf Kosten der Umwelt, wie die Grünen befürchten.

Die Pläne der EWN sorgen nach Informationen von "Spiegel Online" derzeit für Streit in der Strahlenschutzkommission (SSK) und der Entsorgungskommission (ESK), zwei wichtigen Beratergremien des Bundesumweltministeriums. Es geht um die Frage, was eigentlich mit Atomkraftwerken nach der Stilllegung passieren soll. Für den Rückbau haben die Energiewerke Nord eine Strategie entwickelt, die in Deutschland noch nie angewandt wurde. SSK und ESK prüfen diese Methode derzeit in einer gemeinsamen Arbeitsgruppe.

Einfache Strategie: Gebäude Jahrzehnte lang stehen lassen

Die Strategie ist schnell erklärt: Die Gebäude des Atomkraftwerks Lubmin sollen rund 50 Jahre stehen bleiben - so lange, bis die Radioaktivität in Mauern und Böden weitgehend von selbst abgeklungen ist. Danach sollen die AKW-Anlagen wie herkömmliche Häuser abgerissen werden.

Erfinder der Strategie ist der frühere EWN-Chef Dieter Rittscher. Er hat sie in ein 90-Seiten-Gutachten einfließen lassen, das "Spiegel Online" vorliegt. Das Gutachten wurde von der Brenck Systemplanung erstellt, einer Firma, die Landes- und Bundesministerien oft in Gesetzesverfahren für Stilllegung und Rückbau kerntechnischer Anlagen berät.

Mitautor der Studie ist neben Rittscher auch Brenck-Gesellschafter Stefan Thierfeldt. Rittscher sitzt selbst in der Entsorgungskommission, Thierfeldt in der Strahlenschutzkommission. Der gemeinsamen Arbeitsgruppe, die über die neue Strategie entscheidet, gehören sie jedoch nicht an.

Kombination zweier Strategien als günstige Alternative

Bislang werden in Deutschland nur zwei Rückbaustrategien angewandt - beide sind aufwändig und teuer. Erstens der sogenannte sichere Einschluss, bei dem die komplette Anlage abgesperrt und für einige Jahrzehnte stehen gelassen wird. Die Radioaktivität klingt in dieser Zeit deutlich ab. Das Konzept ist umstritten. Denn für den Eigentümer fallen durchgehend Betriebskosten an, und die mit der Anlage vertraute Belegschaft ist später nicht mehr verfügbar, was den Rückbau erschwert.

Das zweite Strategie ist der sogenannte sofortige Rückbau: Techniker säubern die Maschinen von Radioaktivität und zerlegen sie. Dann untersuchen sie Wände und Böden mit Strahlenmessgeräten. Bereiche, die radioaktiv belastet sind, fräsen sie ab; der anfallende Schutt kommt ins Atomzwischenlager; danach wiederholen sie das Prozedere, bis die Strahlung unter dem zulässigen Höchstwert liegt. Schließlich wird das Gebäude abgerissen.

Im AKW Lubmin wollen die EWN nun sicheren Einschluss und sofortigen Rückbau kombinieren. Alle Maschinen und Geräte, für deren Entsorgung man Fachpersonal braucht, werden sofort von radioaktiver Strahlung befreit und zerlegt. Die Gebäude selbst dagegen sollen in der Landschaft stehen bleiben, bis man sie konventionell abreißen kann.

Mögliche Ersparnis von Millionen Euro

Jeder Block des AKW Greifswald habe eine Oberfläche von rund 80.000 Quadratmetern, heißt es in dem Gutachten von Brenck. EWN-Chef Henry Cordes schätzt, dass man "einen kleinen bis mittleren dreistelligen Millionenbetrag spart", wenn man darauf verzichtet, die Gebäude sofort von Radioaktivität zu befreien. Aufwändige Abschleifarbeiten würden vermieden, und es würde insgesamt weniger radioaktiv belasteter Abfall anfallen.

Zudem könnte ein größerer Teil der Gebäudesubstanz nach dem Abriss eine sogenannte uneingeschränkte Freigabe erhalten; der Schutt muss dann nicht auf Deponien gelagert werden, sondern kann zum Beispiel im Straßenbau verwendet werden. Zwar entstünden durch das EWN-Konzept auch zusätzliche Ausgaben, zum Beispiel dadurch, dass der Personalaufwand steigt. Doch diese seien bei der Schätzung der Ersparnisse bereits berücksichtigt, sagt Cordes.

Billig-Variante könnte Schule machen

Eine solche Strategie wäre auch für den Rückbau vieler anderer Atomkraftwerke attraktiv. Entsorgungskommission und Strahlenschutzkommission sollen in ihren Beratungen auch prüfen, inwieweit die Pläne der EWN in Lubmin als allgemeine Anforderungen für den Rückbau von anderen Kernkraftwerken verwendet werden können, teilte das Bundesumweltministerium mit. Mit anderen Worten: Die Billig-Strategie könnte schon bald Schule machen.

Das ursprüngliche EWN-Konzept ging teils sehr weit. So wurde in dem Brenck-Gutachten empfohlen, die betroffenen Gebäude "mit einem möglichst geringen Aufwand" zu erhalten. Auch wenn es dadurch möglich sei, dass "Luken oder Gebäudeöffnungen undicht werden", dass "Feuchtigkeit eindringen könnte" und dass Radioaktivität austrete. Brenck teilt mit, es handle sich um ein Worst-Case-Szenario, selbst in diesem bliebe die Strahlenbelastung auf einem niedrigen Niveau.

Arbeitsgruppe soll Aufwand prüfen

Diese Forderung wurde dennoch schon auf Landesebene abgeschmettert. Die Arbeitsgruppe aus ESK und SSK soll nun bestimmen, inwieweit die leer stehenden AKW-Gebäude während der Wartezeit instand gehalten werden müssen. "Es dürfen keine radioaktiven Stoffe in die Umwelt gelangen", teilt das Umweltministerium mit.

Die Arbeitsgruppe soll zudem festlegen, wie gründlich Strahlung in leer stehenden Gebäuden gemessen werden muss. Brenck hält es für ausreichend, dass die radioaktive Belastung der Gebäude einmalig erfasst wird, bevor sie für Jahrzehnte dichtgemacht werden. Wenn die Kraftwerkshallen später abgerissen werden, müsste die Messung nach Ansicht der Beraterfirma nicht noch einmal wiederholt werden.

Schwere Störfälle in der Vergangenheit

Das könnte ein Anlass für weiteren Streit liefern. Als das AKW Lubmin noch im Betrieb war, gab es immer wieder schwere Störfälle: 1974 barsten in Block eins etliche Brennelemente; mehrfach brannte es auf der Anlage; ins Reaktorgebäude regnete es teilweise hinein, weil die Decke undicht war. Immer wieder wurden Wände und Böden bei solchen und anderen Zwischenfällen radioaktiv belastet.

Grüne: Idee zeugt von "bedenkenloser Schlampigkeit"

Umweltschützer sind deswegen alarmiert. "Die Idee, eine Atomanlage jahrzehntelang stehen zu lassen und sie dann ohne Strahlenmessung aus der Überwachung zu entlassen, zeugt von bedenkenloser Schlampigkeit", sagt Sylvia Kotting-Uhl, die atompolitische Sprecherin der Grünen, "ein fachlich so zweifelhaftes und verantwortungsloses Vorgehen hat im Atombereich nichts zu suchen."

Die von den EWN angepeilte Strategie gehe zu Lasten des Umweltschutzes und habe nur den Zweck, den AKW-Rückbau zur Billiglösung zu schrumpfen. Kotting-Uhl: "Das dient den Interessen der Energiekonzerne, denn es würde einen Präzedenzfall schaffen. Teile des Rückbaus werden unnötig in die Zukunft verlagert."

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