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Gelbwesten: Politik auf dem Rücken der Landbevölkerung


"Gelbwesten"-Proteste
In Deutschland besteht der gleiche Grundkonflikt

MeinungEine Kolumne von Ursula Weidenfeld

04.12.2018Lesedauer: 3 Min.
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Gelbwesten-Proteste: In Frankreich demonstrieren Menschen, teils gewalttätig, gegen die Finanzpolitik des Staates.Vergrößern des Bildes
Gelbwesten-Proteste: In Frankreich demonstrieren Menschen, teils gewalttätig, gegen die Finanzpolitik des Staates. (Quelle: ZUMA Press/imago-images-bilder)

Ausgestanden ist der Konflikt in Frankreich noch lange nicht, im Gegenteil: Hier können die Regierungen Europas lernen, wie groß die Spannungen zwischen Stadt- und Landbewohnern schon geworden sind.

Nach dem gewalttätigen vergangenen Wochenende in Paris ging es auf einmal ganz schnell. An diesem Dienstagmorgen hat die französische Regierung die geplante Erhöhung der Benzin- und Dieselsteuer erst einmal ausgesetzt. Man wolle Gespräche mit den Demonstranten führen, eine "starke Geste der Öffnung" machen, hieß es. Wie das gelingen kann, ist ungewiss. Doch der Erfolg der Mission "Versöhnung" wird auch darüber entscheiden, wie andere Länder Europas künftig mit den wachsenden Gegensätzen zwischen Stadt und Land umgehen.

Auseinandersetzungen entzünden sich an Klimapolitik

In Frankreich wird sich in den kommenden Monaten zeigen, wie reform- und konsensfähig die alternden Wohlstandsgesellschaften Europas sind. Es ist kein Wunder, dass sich die Auseinandersetzung zwischen Regierung und Bürgern ausgerechnet an der Klimapolitik entzündet. Denn hier müssen die Politiker handeln. Und hier offenbaren sich die Spannungen am deutlichsten.

Es war nur ein kleiner Funke, der die Bewegung der Gelben Westen in Frankreich auslöste: Die Bretonin Jacline Mouraud drehte im Oktober ein Video, in dem sie die steigenden Benzinsteuern und Autoabgaben der französischen Regierung anprangerte. Sie fragte den Präsidenten, was er mit dem ganzen Geld mache, das er ihr und ihren Mitbürgern abpresse: noch einen neuen Pool bauen, noch ein neues Porzellanservice für den Élysée-Palast? Die Wutrede verbreitete sich rasch. Schon Tage später gingen die ersten Protestler der "Gilets Jaunes" auf die Straße, blockierten Mautstellen an den Autobahnen, legten Innenstädte lahm. Am vergangenen Wochenende eskalierte die Situation in Paris.

Konflikt bahnt sich in allen europäischen Ländern an

Frankreich ist einer der ersten Staaten, die ihre Haushaltsprobleme mit Klimasteuern lösen wollen. Die Preise für die Einfahrt in die Innenstädte, Benzin und Diesel, Zulassungsgebühren und Geldbußen sind in den vergangenen Monaten drastisch gestiegen. Die Regierung braucht die Einnahmen, um ihren Etat zu sanieren. Doch schon jetzt beansprucht der französische Staat mehr als die Hälfte der gesamten Wirtschaftsleistung des Landes. Vor allem die Bewohner der ländlichen Räume argwöhnen, dass sie die Leidtragenden der Reformpolitik ihres Präsidenten sein werden. Sie sehen ihren bescheidenen Wohlstand schwinden, während sich die Großstädter, Politiker und Regierungsbeamte bereicherten.

Es ist ein Konflikt, der sich in fast allen Ländern Europas anbahnt. Wer soll die wachsenden Lasten schultern, die zum Beispiel aus den Klimaverpflichtungen der Regierungen entstehen? Für die gebildeten Bürger der Großstädte ist die Antwort klar und bestechend: Zahlen müssen diejenigen, die Klimagase verursachen und Kohlendioxid in die Atmosphäre pusten. Wer viel Auto fährt, soll den Umweltschaden ausgleichen. Wer Feinstaub und Stickoxide verursacht, soll aus den Städten verbannt werden.

Keine einfachen Lösungen

Doch an den Protesten in Frankreich zeigt sich, dass es so einfach nicht gehen wird. Die großen Städte profitieren von der Digitalisierung, vom Zuzug Gebildeter, von den Investitionen großer Unternehmen. Hier wird in Bildung und Nahverkehr investiert, in Theater, Parks und saubere Luft. Weil hier schon viele Kluge wohnen, wollen die anderen Schlauen und Gebildeten auch dorthin. Eine Wertschöpfungskette kommt in Gang, die sich auch in Lebenshaltungen ausdrückt: Wer hier wohnt, verzichtet leicht auf das Auto und kauft stattdessen eine Monatskarte für die Bahn und ein Lastenfahrrad.

Die Landbevölkerung dagegen weist sehr handfest darauf hin, dass ihr diese Wege nicht offenstehen. Auf dem Land steht der öffentliche Nahverkehr weder in der Qualität noch in der Frequenz zur Verfügung, dass er eine echte Alternative zum Auto wäre. Außerdem gilt: In den Städten wird Energie verbraucht, erzeugt wird sie woanders. Atomkaftwerke und Windräder stehen auf dem Land, mit den Kosten ihres Lebensstils werden die Großstädter nicht konfrontiert.

Faire Reformen notwendig

Nicht nur in Frankreich ist das ein Interessengegensatz mit dem Potenzial zum Großkonflikt. Er wird sich nur dann lösen lassen, wenn der oft hochnäsige Paternalismus der gebildeten Großstadtbewohner zugunsten der Suche nach fairem Ausgleich aufgegeben wird. Am Ende werden die Regierungen beweisen müssen, dass sie zu fairen Reformen fähig sind. Die Landbewohner werden sich zu neuen Arbeits- und Mobilitätsformen bequemen müssen. Doch am schlimmsten kommt es für die Bürger der Metropolen: Sie werden zeigen müssen, wie ernst es ihnen mit dem Klimaschutz ist, wenn sie selbst einen größeren Teil der Kosten dafür übernehmen sollen.

Ursula Weidenfeld ist Wirtschaftsjournalistin in Berlin. Ihr neues Buch heißt: "Regierung ohne Volk. Warum unser politisches System nicht mehr funktioniert."

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