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Ampelkoalition: Warum die Schuldenbremse wieder greifen muss


Neue Schulden
Dieses Vorhaben der Ampel birgt große Gefahren


Aktualisiert am 19.10.2021Lesedauer: 4 Min.
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Kuppel des Reichstages: Die kommende Regierung will weiter die Schuldenbremse aussetzen, doch das könnte gefährlich werden, schreibt Kolumnistin Ursula Weidenfeld.Vergrößern des Bildes
Kuppel des Reichstages: Die kommende Regierung will weiter die Schuldenbremse aussetzen, doch das könnte gefährlich werden, schreibt Kolumnistin Ursula Weidenfeld. (Quelle: getty-images-bilder)

Die Koalitionsverhandlungen für eine Ampel-Regierung stehen bevor. Es wird auch darum gehen, was aus der Schuldenbremse wird. Diese auszusetzen birgt eine große Gefahr.

Die Koalitionsverhandler diskutieren die Umgehung der Schuldenbremse, um die Vorhaben einer neuen Bundesregierung finanzieren zu können: Sie sollten es bleiben lassen.

So viel Einmütigkeit war selten: Wenn es um Finanzierungstricks für die wahrscheinliche neue Regierungskoalition geht, stehen die Ökonomen neuerdings freundlich Spalier. Der Staat könne sich, so empfehlen sie, im kommenden Jahr einen Batzen Geld borgen, um damit die Zukunftsaufgaben zu bezahlen. 500 Milliarden Euro könnten so schon 2022 zur Seite gelegt werden. Es sieht so aus, als wolle es die kommende Regierung in ihren Gesprächen genauso verabreden. Das wäre ein Fehler.

Nur, damit es klar ist: Natürlich kann man am Sinn der Schuldenbremse zweifeln. Es gibt gute Gründe dafür. Die wirtschaftswissenschaftlichen Berater der Bundesregierung können sie im Chor aufsagen. Doch dafür darf man keine Tricks versuchen, dafür muss man das Parlament überzeugen. Auch wegen des "Respekts", den die neue Regierung sich, ihrem Parlament und ihren Bürgern verspricht.

Grundlage für ausgesetzte Schuldenbremse entfällt

Noch ist die Schuldenbremse ausgesetzt. Im kommenden Jahr darf der Finanzminister noch einmal mehr Schulden machen, als es das Grundgesetz eigentlich erlaubt. Nur: Am Montag erst hat Noch-Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) angekündigt, im November die Corona-Notlage aufheben zu wollen.

Die Wirtschaftsforschungsinstitute haben in der vergangenen Woche für 2022 ein Wachstum von 4,8 Prozent vorhergesagt. Die Aussicht auf eine baldige vollständige Erholung ist also gar nicht schlecht. Wenn eine Bundesregierung mit einem Kanzler Olaf Scholz trotzdem die Staatsverschuldung weiter hochtreibt, nutzt sie Covid19-Ausnahmeregeln, für die die Grundlage entfallen ist.

Das ist aus mehreren Gründen frivol und riskant.

  • Erstens: Frivol ist es, weil das Parlament natürlich nicht die Absicht hatte, eine komfortable Haushaltssituation für eine kommende Regierung zu schaffen. Den Abgeordneten ging es bei der Zustimmung einzig und allein um den Kampf gegen die Pandemie und ihre verheerenden gesundheitlichen, sozialen und ökonomischen Folgen. Diese Notlage mit der Begründung der neuen, der Klima-, der Renten-, der Digitalisierungs- und Verwaltungskrise umzuwidmen, gleicht den Tricks einen Taschenspielers. Nur, dass es hier um richtig viel Geld geht.
  • Zweitens: Auch der vermeintliche "Respekt", den der mögliche künftige Kanzler ganz oben auf die Agenda einer neuen Art von Politik setzen will, ginge mit einer solchen Maßnahme schon in den ersten Monaten vor die Hunde. Wem will ein Kanzler Scholz denn noch Respekt zollen, wenn er quasi als erste Amtshandlung das Grundgesetz beugt, seine eigene Politik als Finanzminister dementiert, und den Willen der vorherigen Parlamente ignoriert?
  • Drittens: Riskant ist ein solcher Plan vor allem wegen der Inflation. Schon in diesem Winter wollen die meisten Notenbanken der Welt die Zügel wieder anziehen. In den USA ist eine erste Zinserhöhung möglich. Irgendwann in den kommenden Jahren wird auch der Finanzminister der neuen Koalition wachsende Zinslasten bezahlen müssen. Der Spielraum, den sich die neuen Regierenden erkaufen wollen, könnte schneller schrumpfen als gedacht.
  • Viertens: Mit 500 Milliarden Euro mehr im Kreuz würde der Staat zudem zu einem aktiven Treiber der Inflation. Schon heute fehlen der Klimaschutzbranche Fachkräfte zum Montieren von PV-Zellen, Monteure zum Aufstellen von Windrädern, Beton zum Gießen der Fundamente. Den Firmen, die für die digitale Infrastruktur sorgen, gehen die Kabel und Halbleiter aus. Schon existierende milliardenschwere Förderprogramme werden nicht abgerufen, weil entweder die Planung und Genehmigung zu lange dauert, oder niemand die Aufträge haben will. Hier gibt keine Nachfrage-, sondern eine Angebotskrise. Schleust eine neue Regierung nun kurzfristig zusätzliche Hunderte Milliarden Euro ein, wird nur eins passieren: Die Preise steigen rasant.
  • Fünftens: In die Kategorie "frivol und riskant" fällt das letzte Argument. Wie will eine Regierung, die sich neben dem Kampf gegen den Klimawandel auch der sozialen Gerechtigkeit, der Chancengleichheit, dem Wohnungsbau und der Bewältigung des Strukturwandels verschrieben hat, den einmal geschaffenen Sonderfonds gegen Begehrlichkeiten anderer Interessengruppen verteidigen? Will sie den Rentnern – die den Erfolg eines gewonnenen Klimakampfs nicht mehr genießen werden – erklären, die Rente könnte nicht mehr steigen, wenn sie gleichzeitig Milliarden auf der hohen Kante hat? Möchte sie den Eltern sagen, dass es keine Schulneubauten geben kann, weil das Ersparte für die Renaturierung der Moore reserviert ist? Kann sie Schwerkranken die optimale Versorgung schmälern, gleichzeitig aber Mittel für die Ausbreitung von Lastenfahrrädern zurücklegen?

Natürlich kann sie, wird sie und darf sie sich auf diese Verteilungskonflikte nicht einlassen. Sie wird versuchen müssen, mit dem Geld alles zu erreichen – gerade weil die Legitimation für einen solchen Schuldenberg von vornherein brüchig ist. Das aber wird nicht gelingen. Wie seufzte der frühere SPD-Finanzminister Hans Eichel heute Morgen im Deutschlandfunk zu Recht? "Es ist nichts anderes als eine Umgehung der Schuldenbremse. Es geht nicht unter einen Hut."

Ursula Weidenfeld ist Wirtschaftsjournalistin in Berlin. Im August erscheint ihr neues Buch: Die Kanzlerin. Porträt einer Epoche. Sie können es jetzt schon vorbestellen.

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