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"Leck mich!": Handel schlägt wegen eskalierender 2G-Kontrollen Alarm


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Eskalierende 2G-Kontrollen
Handel schlägt wegen gewaltbereiter Impfgegner Alarm


Aktualisiert am 17.01.2022Lesedauer: 4 Min.
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Bundesweite Proteste: In Deutschland und Europa versammelten sich wieder Tausende Menschen, um gegen die Corona-Maßnahmen zu protestieren. (Quelle: reuters)

Wegen der 2G-Regel rasten immer mehr Impfgegner aus: Sie randalieren, beschimpfen und bespucken Mitarbeiter im Einzelhandel. Der Handelsverband richtet nun einen eindrücklichen Appell an die Politik.

Krakelende Kunden, bedrohte Angestellte, beschädigte Ware: In nicht wenigen deutschen Geschäften spielen sich seit Kurzem schockierende Szenen ab. Immer öfter, so berichten es einzelne Händler und auch große Ketten, flippen in ganz Deutschland Impfgegner aus – weil sie ohne 2G-Nachweis nicht in die Läden dürfen.

Der Handelsverband Deutschland (HDE) schlägt deshalb jetzt Alarm. "Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter werden beschimpft, bespuckt und auch aggressiv körperlich angegangen. Vorfälle dieser Art sind unerträglich", sagte HDE-Hauptgeschäftsführer Stefan Genth t-online.

"Den Menschen, die sich derart rücksichtslos verhalten, müssen klare Grenzen gesetzt werden." Mit der Kontrolle der Maskenpflicht und von 2G übernehme der Handel derzeit staatliche Aufgaben. "Das darf nicht zum Dauerzustand werden, das ist eine massive Überforderung der Unternehmen", so Genth.

Interne Übersicht führt Hunderte Vorfälle auf

Wie heftig die Situationen bisweilen sind, wie schnell die Einlasskontrollen eskalieren, zeigen interne Dokumente einer der größten deutschen Mode- und Textilketten. Minutiös listet diese die schlimmsten Vorfälle in einer Tabelle auf. Das Dokument liegt t-online vor. Namentlich genannt werden möchte das Unternehmen nicht, auch um die eigenen Mitarbeiter nicht noch mehr zu verunsichern. Der Firmenchef will sich auf Anfrage ebenfalls nicht öffentlich äußern.

Der Liste zufolge hat es in den Filialen der Kette seit der ersten Einführung der 2G-Regel im Einzelhandel Ende November 227 Vorfälle gegeben: Beleidigungen, Drohungen, Pöbeleien, Vandalismus. Achtmal ist es sogar zu Handgreiflichkeiten gekommen, zuletzt am 8. Januar. "Kundin hatte keinen Impfnachweis, hat vor Wut der Verkäuferin gegen das Schienbein getreten", heißt es vergleichsweise nüchtern in dem Dokument.

In anderen Filialen flogen gleich ganze Gegenstände: Einmal warf ein Kunde mit einem Einkaufskorb nach einer Mitarbeiterin, ein anderes Mal mit Spielzeugautos. In wieder einer anderen Zweigstelle rammte ein Mann einer Angestellten seinen Ellbogen ins Kreuz, weil sie ihm ohne Ausweis den Einlass verwehrte. Als er davonzog, drohte er ihr: "Warte du Bitch, irgendwann hast du Feierabend."

Angestellte antisemitisch beleidigt

Sätze wie diese sowie Beleidigungen sind offenbar an der Tagesordnung, ganze 89 stehen in der Tabelle. "Ey du Alte, du hast sie wohl nicht alle!", ist dabei einer der harmloseren Sätze. "Du sollst verrecken", brüllte ein Kunde, nachdem er nach seinem 2G-Nachweis gefragt worden sei. "Leck mich am Arsch, du alte Schlampe", äußerte ein anderer. Die Filiale meldete gar an die Zentrale: "MA (Anm. d. Red.: Mitarbeiterin) hatte Angst, musste abgeholt werden nach Feierabend."

Auch Anspielungen auf die Zeit des Nationalsozialismus und Verharmlosungen des Holocausts finden sich zuhauf in der Übersicht. "Das ist ja hier wie bei den Juden ...", schrie etwa ein Kunde. Eine perfide Verknüpfung, die "Querdenker" und Verschwörungserzähler gerne bei den 2G-Regeln bemühen – und die von purem Antisemitismus zeugt.

Die Vorfälle sind dabei keineswegs auf einzelne Regionen beschränkt, sie ereigneten sich in Filialen in ganz Deutschland. Amberg (Bayern), Berlin, Mülheim an der Ruhr (Nordrhein-Westfalen), Nauen (Brandenburg), Schmalkalden (Thüringen) – überall schlugen renitente Impfverweigerer über die Stränge. Und: Das Problem betrifft bei Weitem nicht nur dieses Unternehmen.

Kunden zunehmend "aggressiv, genervt oder verärgert"

Der Schuhhändler Deichmann etwa teilte auf t-online-Anfrage mit: "Unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bemerken eine generell zunehmend gereizte Stimmung beim Einkaufen." Manche Kunden würden "aggressiv, genervt oder verärgert" reagieren – zum Beispiel, weil sie eine FFP2-Maske tragen oder einen 2G-Nachweis vorzeigen müssen. "Zu gar handgreiflichen Übergriffen ist es bei uns bisher zum Glück noch nicht gekommen", so der Sprecher weiter.

Auch der Textildiscounter Kik beobachtet die hochkochenden Emotionen vieler Kunden. "Die deutlich überwiegende Zahl unserer Kunden hält sich an die Corona-Regelungen", sagte ein Sprecher t-online. "Dennoch bekommen wir auch immer wieder Rückmeldungen aus unseren Filialen, dass einzelne Personen, die den Regelungen kritisch gegenüberstehen, verbal und in manchen Fällen auch körperlich aggressiv gegen unser Verkaufspersonal auftreten."

Man behalte sich die Möglichkeit vor, "solche Fälle nach einer entsprechenden Prüfung zur Anzeige zu bringen". Einen Security-Dienst beschäftigt Kik allerdings nicht. Wohl auch, weil er schlicht zu teuer ist.

Handel fordert schnelle Einführung einer Impfpflicht

Zwar können Händler im Einzelfall die Kosten dafür über die staatlichen Corona-Hilfen zurückbekommen, vielerorts jedoch sind die Sicherheitsfirmen komplett ausgebucht. HDE-Chef Genth kritisiert die 2G-Regel auch deshalb von Grund auf. Es gebe "keinen vernünftigen Grund" für sie, sagte er.

"Es ist nicht einzusehen, warum in der U-Bahn, in der man eng an eng steht, stichprobenartige Kontrolle ausreicht, während beim Einkauf, wo Abstände eingehalten werden und die Aufenthaltsdauer geringer ist, jeder einzelne Kunde kontrolliert werden muss." Er fordert: "Wir müssen zu Stichprobenkontrollen übergehen dürfen."

Der Einzelhandel leiste seit Monaten seinen Beitrag bei der Bekämpfung der Pandemie. "Aber der Staat darf die Branche nicht dauerhaft mit hoheitlichen Kontrollaufgaben alleine lassen und die ungelösten gesellschaftlichen Konflikte auf die Handelsunternehmen und das Personal vor Ort abwälzen", so Genth.

Nicht zuletzt, um eine vergleichbare Situation im kommenden Herbst zu vermeiden, bekräftigte Genth seine Forderung nach der baldigen Einführung einer gesetzlichen Impfpflicht. "Die politische Debatte dazu läuft", so der HDE-Chef. "Da muss jetzt aber sicher noch etwas mehr Tempo rein. Wir dürfen das nicht schon wieder verschlafen. Die Erwartung auf ein zeitnahes, konkretes Ergebnis ist groß."

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherche
  • Statement von HDE-Chef Stefan Genth
  • Anfragen an Textilhändler
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