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Teure Neukundentarife: Streit zwischen Verbraucherschützern und Grundversorgern entbrannt


Teure Neukundentarife
"Ich befürchte noch mehr Insolvenzen"

Von Mauritius Kloft

22.01.2022Lesedauer: 4 Min.
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Ältere Frau mit Unterlagen (Symbolbild): Die Strompreise steigen seit Monaten an.Vergrößern des Bildes
Ältere Frau mit Unterlagen (Symbolbild): Die Strompreise steigen seit Monaten an. (Quelle: Dobrila Vignjevic/getty-images-bilder)

In der aktuellen Energiekrise rutschten Hunderttausende Kunden plötzlich in die Ersatzversorgung. Das Problem: Hier mussten sie teils mehr als das Dreifache zahlen. Verbraucherschützer wollen jetzt klagen.

1,07 Euro. So viel kostete zwischenzeitlich eine Kilowattstunde Strom bei den Stadtwerken Pforzheim – zumindest für Neukunden. Wer in deren Ersatzversorgung rutschte, weil etwa der Stromanbieter die Belieferung einstellte, musste plötzlich das Zigfache der früheren Kosten tragen, in normalen Zeiten kostet eine Kilowattstunde um die 30 Cent. Ein Unding, kritisieren Verbraucherschützer.

Und die Stadtwerke Pforzheim waren bei Weitem nicht der einzige Grundversorger, der andere, deutlich teurere Tarife für Neukunden beschlossen hat. So zählt die Verbraucherzentrale NRW 300 Stadtwerke mit eigenen Entgelten für neue Strom- und Gasabnehmer.

Mehr Energieanbieter könnten pleitegehen

Hintergrund ist, dass Billiganbieter Strom und Gas kurzfristig an der Börse einkaufen und keine langfristigen Verträge schließen. Wegen der jüngst gestiegenen Börsenpreise können sie ihren Verpflichtungen oft nicht kostendeckend nachkommen und kündigen Verträge. In welchem Bundesland Strom besonders teuer für Verbraucher geworden ist, lesen Sie hier.

Das Problem kennt auch Udo Sieverding, Energieexperte bei der Verbraucherzentrale NRW. "In der Krise zeigt sich die Schwäche der Energiediscounter", sagt er. "Ich befürchte, dass noch weitere Firmen Insolvenz anmelden oder ihre Belieferung einstellen werden."

Einer der größten Billiganbieter ist dabei Stromio: Rund 800.000 Verträge kündigte er kurz vor Weihnachten. Auch Versorger wie Gas.de oder Grünwelt stellten die Lieferung an ihre Kunden ein, die dann von dem jeweiligen Grundversorger beliefert werden müssen. Das ist immer der Anbieter einer Region mit den meisten Verträgen. Der Stromio-Eigentümer geriet jüngst auch ins Visier der Bundesnetzagentur.

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Grundversorger galten seit jeher als teurer als andere Anbieter, doch dass plötzlich Neukunden einen anderen Tarif erhalten als Bestandskunden, hat es noch nicht gegeben, sagt Sieverding. "Das ist ein rechtlich umstrittenes Vorgehen der Grundversorger. Dieses Zweiklassen-System in den Grundversorger-Tarifen verstößt nach unserer Einschätzung auch gegen das Wettbewerbsrecht."

Grundversorger sehen sich im Recht

Daher hat die Verbraucherzentrale NRW vor knapp zwei Wochen die Unternehmen Rheinenergie, Stadtwerke Gütersloh und Wuppertaler WSW Energie & Wasser abgemahnt und aufgefordert, die Neukundentarife zurückzunehmen. Doch sie ließen die entsprechende Frist verstreichen – nun will die Verbraucherzentrale klagen. Mehr dazu lesen Sie hier.

Die Grundversorger fürchten sich indes nicht, sie sehen sich im Recht. Der Hauptgeschäftsführer des Verbands kommunaler Unternehmen, Ingbert Liebing, sagt, die Aufteilung der Preise stehe im Einklang mit bestehenden Regelungen.

"Einer möglichen gerichtlichen Überprüfung dieser Aufteilung sehen wir optimistisch entgegen", sagte er am Donnerstag. Auch die Rheinenergie zeigte sich überzeugt, dass die Preisspreizung für Neukunden rechtmäßig sei.

Höhere Preise für alle in der Grundversorgung?

Die Wuppertaler Stadtwerke wiesen die Vorwürfe bereits Mitte Januar zurück. "Eine Aufnahme in den allgemeinen Grundtarif hätte für viele treue Bestandskunden der WSW eine Preiserhöhung bedeutet und das wollten wir ihnen nicht zumuten", sagte der WSW-Vorstandsvorsitzende Markus Hilkenbach laut einer Mitteilung.

Diese Gefahr sieht Sieverding nicht. "Die Beschaffungsstrategie der Unternehmen kennen wir nicht, aber wir beobachten, dass einige Unternehmen auf die Spaltung der Grundversorgung verzichten, ohne dass die Tarife stark steigen."

Steffi Lemke: "Das ist in keiner Weise zu rechtfertigen"

Die Verbraucherschützer haben eine wichtige Fürsprecherin: die zuständige Umwelt- und Verbraucherschutzministerin Steffi Lemke (Grüne). "Aktuell haben wir es mit Preisaufschlägen zu tun, die den Strompreis auf bis zu 90 Cent pro Kilowattstunde hochtreiben", sagte Lemke. "Das ist in keiner Weise durch Marktgeschehen zu rechtfertigen."

Lemke kündigte daher Gespräche mit der Energiewirtschaft an, um mögliche regulatorische Schritte zu prüfen. "Wir werden nicht zulassen, dass es bei den Verbraucherinnen und Verbrauchern abgeladen wird, wenn Billigstromanbieter in die Insolvenz gehen oder massenhaft Verträge kündigen."

Zuvor hatte bereits Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) eine Überprüfung des stark liberalisierten Gas- und Strommarkts angekündigt. Gut möglich also, dass der Tarifpraxis bald ein Riegel vorgeschoben wird.

Das sollten Verbraucher tun

Bis das aber so weit ist, dürfte es noch Wochen oder Monate dauern, so Sieverding. Für Verbraucher bleibt es also ungemütlich. Er rät Kunden, die von hohen Neukundentarifen betroffen sind, Schadenersatz zu fordern. Dazu stellt die Verbraucherzentrale auch Musterbriefe auf ihrer Webseite bereit.

Anderen Verbrauchern rät er, bei ihrem Stromanbieter zu bleiben, sofern die Tarife halbwegs in Ordnung seien. Wegen der Energiekrise dürfte es kaum noch günstige Tarife geben. "Wer aktuell einen vernünftigen Tarif von um die 30 Cent pro Kilowattstunde hat, sollte mit einem Wechsel abwarten, bis sich die Situation wieder beruhigt hat", so Sieverding.

In der Bundesregierung und den Koalitionsfraktionen weiß man um das Problem. Hier wird darüber gesprochen, bestimmte Entlastungen für Stromkunden womöglich auch früher zu gewähren, sagte SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich in Berlin.

Als Beispiele nannte er die EEG-Umlage und zielgerichtete Hilfen. Auch Habeck sagte dem "Spiegel", man wolle die Ökostrom-Umlage so weit wie möglich abbauen, "und das so früh wie möglich". Eigentlich wollten SPD, Grüne und FDP die Finanzierung der EEG-Umlage erst zum 1. Januar 2023 reformieren – und sie für Verbraucher abschaffen.

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherche
  • Gespräch mit Udo Sieverding
  • Verbraucherzentrale NRW
  • Mit Material der Nachrichtenagenturen dpa und AFP
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