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Wie geht Putins Ukraine-Krieg weiter? "Könnte ein Ablenkungsmanöver sein"


Wie geht es in der Ukraine weiter?
Expertin warnt: "Das könnte ein Ablenkungsmanöver sein"


Aktualisiert am 11.05.2022Lesedauer: 5 Min.
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Kampf um Schlangeninsel: Drohnenaufnahmen zeigen das brutale Kriegsgeschehen auf der Schwarzmeerinsel. (Quelle: Glomex)

Russland steht im Angriffskrieg gegen die Ukraine massiv unter Druck: Die Soldaten scheinen die Motivation zu verlieren, es gibt kaum militärische Erfolge. Eine weitere Eskalationsstufe ist nicht ausgeschlossen.

Mit Spannung blickte die Welt am Montag auf die russische Militärparade zum "Tag des Sieges" in Moskau – doch die große Verkündung einer Generalmobilmachung oder gar eines Sieges im Ukraine-Krieg blieb in der Rede des Präsidenten Wladimir Putin aus. Vielmehr warf sie Fragen auf: Wie schlecht steht es wirklich um die russische Armee? Und wie geht es nun weiter?

Ein Überblick über die aktuelle Lage:

Wie ist die Lage in Odessa und warum ist die Eroberung der Hafenstadt wichtig für Russland?

Am Sonntag hat die russische Armee ihren Angriff auf Odessa verstärkt. Am Montagabend erschütterten die Hafenstadt zahlreiche Explosionen, die sowohl auf Raketeneinschläge als auch die Luftabwehr zurückzuführen waren. Die russische Luftwaffe soll nach Darstellung des ukrainischen Militärs mehrere Hyperschallraketen auf Odessa abgefeuert haben. Dabei seien touristische Objekte getroffen und mindestens fünf Gebäude zerstört worden. Mehrere Menschen sollen ums Leben gekommen sein, die Suche nach weiteren Opfern unter den Trümmern dauere an. Am Montag musste EU-Ratspräsident Charles Michel seinen Besuch in der Stadt wegen der Raketenangriffe unterbrechen.

"Die Angriffe auf Odessa könnten ein bloßes Ablenkungsmanöver sein", sagt die Russland-Expertin Margarete Klein t-online. Die ukrainische Armee solle durch den verstärkten Beschuss der südlich gelegenen Hafenstadt den Fokus auf den Osten aufgeben und Kräfte in beiden Gebieten aufteilen. Russland könne Odessa jedoch nur einnehmen, wenn es die Landverbindung mithilfe von Bodentruppen erobere. "Das sieht man derzeit nicht", so die Expertin. Bisher gebe es nur Angriffe aus der Luft.

Odessa ist nach Kiew und Charkiw die drittgrößte Stadt des Landes – und wichtig in Russlands Kriegsstrategie. In der Hafenstadt befindet sich der größte Güterhafen der Ukraine. Die Stadt hat deshalb eine hohe wirtschaftliche Bedeutung, ist besonders wichtig für den Handel. Fast die Hälfte aller ukrainischen Im- und Exporte wird aus Odessa abgewickelt.

Dr. Margarete Klein ist Mitarbeiterin der Forschungsgruppe Osteuropa und Eurasien bei der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) in Berlin. Ihre Schwerpunkte liegen in der Außen-, Sicherheits- und Militärpolitik Russlands und Moskaus Verhältnis zur Nato.

Neben der wirtschaftlichen Bedeutung gibt es allerdings auch eine symbolische: Der Kremlchef möchte das "urrussische" Odessa aus ukrainischer Hand "befreien". Urrussisch, weil die Stadt im Jahr 1794 auf Anweisung der russischen Zarin Katharina der Großen gegründet wurde. Putin weiß: Gelingt es ihm, die Hafenstadt zu erobern, dann kontrolliert Russland die gesamte Schwarzmeerküste.

Wie ist die Lage auf der Schlangeninsel?

Die Lage auf der Schlangeninsel bleibt angespannt und unübersichtlich. Nach eigenen Angaben hat das russische Militär am Wochenende mehrere Flugzeuge, einen Hubschrauber und Drohnen über der ukrainischen Insel abgeschossen. Zudem hätten die Soldaten eine Landungsaktion ukrainischer Einheiten verhindert.

Hintergrund: Die ukrainischen Truppen sollen dem Verteidigungsministerium zufolge am Wochenende Marineeinheiten sowie Luftlandeeinheiten auf der Insel abgesetzt haben. Das hätten die russischen Einheiten als Provokation aufgefasst.

Die Schlangeninsel gilt als strategisch wichtiges Ziel – für beide Kriegsparteien. Die russische Armee hatte am ersten Tag der Invasion ein Schiff dorthin entsandt, die dort stationierten ukrainischen Soldaten reagierten wütend: Der Funkspruch "Russisches Kriegsschiff, fick dich" ging um die Welt. Am selben Tag musste die Ukraine das Eiland aufgeben. Seitdem attackiert die ukrainische Armee die Insel und russische Schiffe in der Nähe.

Der karge Felsen, der 35 Kilometer vor der Küste entfernt direkt vor dem Donaudelta im Gebiet Odessa liegt, bestimmt den Verlauf der Grenze zwischen den Seegebieten Rumäniens und der Ukraine. Wer die Schlangeninsel besetzt, hat eine bessere Kontrolle der Schiffsrouten auf der Westseite der Bucht.

Die Insel sichert der Ukraine laut einem Urteil des UN-Gerichtshofs von 2009 die Kontrolle über bislang unerschlossene Öl- und Gasressourcen. Mit der Eroberung der Krim im Jahr 2014 machte Moskau Kiew die Bestände wieder streitig. Der Verlust der Schlangeninsel gilt für die Ukraine deshalb als besonders schwer.

Die Insel ist noch aus einem anderen Grund bedeutsam: Kontrolliert Russland sie, könnte es die Versorgung der Südukraine einschließlich Odessa kappen und die Stadt effektiver angreifen. Die Schlangeninsel gehörte bis 1948 zu Rumänien. Erst 2003 wurde in einem Vertrag die ukrainische Hoheit über das Eiland verbindlich festgeschrieben.

Wie steht es um die russische Armee?

Die Motivation der russischen Armee soll laut US-Informationen stark nachlassen. Viele russische Soldaten missachteten die Befehle ihrer Vorgesetzten, berichtet das Pentagon. Hintergrund ist wohl die Ineffizienz des Einsatzes in der Ukraine. So seien viele Kämpfer unzufrieden mit dem Kriegsverlauf und sähen keine Hoffnung auf eine schnelle Verbesserung der Lage.

Zudem sollen russische Soldaten dem US-Verteidigungsministerium zufolge ihre eigenen Fahrzeuge beschossen haben, um nicht an die Front zu müssen. Vor allem die Soldaten rund um die südukrainische Stadt Saporischschja sollen unzufrieden sein. Ihr Unmut äußert sich dem US-Bericht zufolge auch darin, dass sie sich betrinken.

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Wie ist der Stand bei den Verhandlungen?

"Die Verhandlungen zwischen Russland und der Ukraine sind schwierig", sagt Russland-Expertin Klein. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron betonte nach einem Treffen mit Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) in Berlin am Montag, man wolle so schnell wie möglich einen Waffenstillstand erreichen. Nur so könnten die Verhandlungen zwischen der Ukraine und Russland für einen Frieden und einen dauerhaften Rückzug der russischen Truppen zum Abschluss gebracht werden.

Die Russland-Expertin sieht zwei Szenarien, die die Verhandlungen jedoch erheblich erschweren könnten: zum einen, wenn der Kreml den Donbass annektiere. "Das würde die Gespräche fast unmöglich machen", so Klein. Und auch ein mögliches Unabhängigkeitsreferendum im eroberten Cherson verkompliziere die Verhandlungen enorm.

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Auch die US-Geheimdienstkoordinatorin Avril Haines sagt: "Da sowohl Russland als auch die Ukraine glauben, dass sie militärisch weiter vorankommen können, sehen wir zumindest kurzfristig keinen gangbaren Verhandlungsweg." Putin rechne wahrscheinlich damit, dass die Entschlossenheit der USA und der EU angesichts von Inflation und Lebensmittelknappheit nachlasse.

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Wie geht es im Ukraine-Krieg weiter?

Expertin Klein rechnet damit, dass sich Russland stark auf die ganze Eroberung des Donbass konzentrieren wird. Putin habe am 9. Mai von "unserem Volk im Donbass" gesprochen. Es sei durchaus möglich, dass als nächste Stufe eine Annexion des Donbass geplant sei. Allerdings fehlten der russischen Armee bedeutende Geländegewinne. Im Norden werde die Armee sogar zurückgedrängt.

Im Süden, um die Krim herum, wo auch die eroberte Stadt Cherson liegt, sei es jedoch möglich, dass Russland die Unabhängigkeit des Gebietes per Referendum erklären lasse. "Durch die Einführung des Rubels dort sieht man bereits, dass der Kreml in Cherson Fakten schaffen will, um das Gebiet von der Ukraine abzutrennen", so Klein.

Die US-Geheimdienstkoordinatorin Avril Haines warnte derweil vor einer weiteren Eskalation. Die Lage sei unübersichtlich, zudem stünden Putins Ambitionen und die militärischen Fähigkeiten Russlands in einem Missverhältnis. Der Kampf entwickle sich deshalb zu einem Zermürbungskrieg – der noch Monate andauern könnte.

Verwendete Quellen
  • Interview mit Margarete Klein am 10. Mai 2022
  • Nachrichtenagentur dpa
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