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Experte zu Syrien-Krieg: "In Assad erkennt Putin auch sich selbst."


"Russland wird noch dafür zahlen müssen"

Ein Interview von Marc von Lüpke

Aktualisiert am 22.02.2018Lesedauer: 6 Min.
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Krieg in Syrien: Russland hat durch sein Eingreifen den Dikator Baschar al-Assad vor dem Fall bewahrt.Vergrößern des Bildes
Krieg in Syrien: Russland hat durch sein Eingreifen den Dikator Baschar al-Assad vor dem Fall bewahrt. (Quelle: Samer Bouidani/dpa-bilder)

In Syrien kämpft die Türkei nun gegen die Kurdenmiliz YPG, Russland ist das Zünglein an der Waage. Sicherheitsexperte Stefan Meister erklärt, warum russische Truppen überhaupt in Syrien kämpfen.

Herr Meister, im Norden Syriens kämpfen türkische Soldaten gegen die Kurdenmiliz YPG. Gleichzeitig sind die Kurden traditionelle Verbündete Russlands. Droht ein weiterer Konflikt?

Stefan Meister: Moskau sieht überhaupt nicht gerne, was das türkische Militär zurzeit in Nordsyrien gegen die Kurden unternimmt. Gleichzeitig wägt Wladimir Putin ab, ob er sich in einen weiteren Konflikt hineinziehen lässt. Putin und der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan brauchen sich zurzeit gegenseitig, weil sie sich beide mit den USA, den Europäern und der Nato in einem Konflikt befinden. Die Russen handeln aber überaus pragmatisch. Sie unterstützen die Kurden, andererseits werden sie sich deshalb nicht mit Erdogan überwerfen. Sie brauchen ihn als Partner in Syrien.

Was bezweckt Russland eigentlich mit seinem Einsatz in dem Bürgerkriegsland?

Ursprünglich hat Putin Truppen nach Syrien geschickt, um den Diktator Baschar al-Assad zu retten, der kurz vor einer Niederlage stand. Gleichzeitig will Russland der Destabilisierung entgegenwirken, die der sogenannte Arabische Frühling in der Region ausgelöst hat.

Stefan Meister ist Experte für russische Außen- und Sicherheitspolitik. Der Politikwissenschaftler leitet das Robert Bosch-Zentrum für Mittel- und Osteuropa, Russland und Zentralasien der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik.

Ohne russische Waffenhilfe wäre Assad wahrscheinlich längst gestürzt. Befürchtete Putin ein ähnliches Schicksal für sich selbst?

In Assad erkennt Putin auch sich selbst. Nach Muammar al-Gaddafi in Libyen oder Saddam Hussein im Irak drohte mit dem syrischen Diktator ein weiterer autoritärer Herrscher zu fallen. In den Jahren 2011 und 2012 gab es Massendemonstrationen in Moskau und St. Petersburg gegen Putin. Er hat das Gefühl, der Westen wolle ihn schwächen oder gar beseitigen. Entsprechend hat er ein Interesse, autoritäre Regime weltweit und in benachbarten Regionen Russlands zu stabilisieren. In Assad sieht Putin einen natürlichen Verbündeten.

Russland unterhält auch Militärbasen in Syrien.

Natürlich ist auch die Sicherung seiner militärischen Einrichtungen wie der russischen Marinebasis Tartus wichtig gewesen. Aber das zentrale Interesse war es, die Lücke im arabischen Raum zu füllen, die die Amerikaner dort vor allem unter Barack Obama hinterlassen haben. Russland wollte durch den Syrien-Krieg auch wieder ein sogenannter Global Player werden und den Amerikanern auf gleicher Augenhöhe begegnen. Anders gesagt: Durch den Syrien-Krieg will sich Putin aus der internationalen Isolation befreien, die er mit dem Konflikt in der Ukraine ausgelöst hat und internationales Prestige gewinnen.

Putin mischt also in dem blutigen Krieg in Syrien mit, um wieder beachtet zu werden?

Richtig, und diese Strategie ist erfolgreich. Putin ist große Risiken eingegangen, hat aber letztlich sein Ziel erreicht. In der Region wird er inzwischen als wichtiger Akteur angesehen. Der türkische Präsident spricht mit ihm, genauso der Iran und Saudi-Arabien. Unter der Präsidentschaft Donald Trumps werden die USA von diesen Staaten nicht mehr unbedingt als glaubwürdiger Partner angesehen. Aber auch Israel steht in Kontakt zu Moskau. Und genauso wird in Deutschland und Europa diskutiert, dass man an Russland nicht vorbeikommt.

Wie wird der Syrien-Einsatz in Russland selbst bewertet?

Viele Russen waren bei der Entsendung von Truppen Richtung Syrien sehr skeptisch. Wirtschaftlich läuft es in Russland zurzeit nicht gut, es fehlt eine Modernisierung der Wirtschaft. Die offizielle Propaganda war allerdings sehr schnell darin, Erfolge aus Syrien zu melden. Es hilft auch, dass russische Opfer des Krieges in den russischen Medien praktisch nicht auftauchen. Mittlerweile kippt die Stimmung allerdings definitiv zu Ungunsten des Syrien-Einsatzes. Weshalb Putin auch Ende letzten Jahres einen Pseudoabzug angekündigt hat. Das war nicht das erste Mal, aber er weiß natürlich, dass dies im Wahlkampf gut ankommt. Viele Russen fragen sich eben, warum ihre Soldaten fern der Heimat im Nahen Osten sterben, während ihr Lebensstandard sinkt.

Offiziell bekämpfen die russischen Truppen die Terrormiliz Islamischer Staat. Ist das nur ein Vorwand?

Inzwischen ist bekannt, dass Russland kaum gegen die Islamisten gekämpft hat. Was die russischen Truppen in Syrien tun, führt aber dazu, dass es potenziell selbst ein Ziel von Anschlägen werden könnte. Erinnern Sie sich, mit welcher Brutalität die russische Luftwaffe die Zivilbevölkerung in Aleppo bombardiert hat. Das erzeugt Gegenreaktionen.

Welche grundlegende Politik verfolgt Putin in seiner Einflusszone: Stabilisierung oder Destabilisierung?

Russland destabilisiert seine Nachbarländer systematisch. Es gibt im Russischen sogar den Begriff der "kontrollierten Destabilisierung". Die Konflikte um Südossetien, Abchasien oder die Ostukraine: Überall wurden dort Zonen von Instabilität, Korruption und schwacher staatlicher Institutionen geschaffen, weil Russland diese Regionen auf diese Weise besser kontrollieren und eine Nato-Integration von Georgien und der Ukraine verhindern kann. Um anders zu agieren, ist es selbst weder militärisch noch ökonomisch stark genug.

Betrachtet Russland Syrien als seine Einflusszone?

Nicht in diesem Sinne. In den postsowjetischen Staaten kann Russland militärisch schalten und walten wie es will: Diese Ländern sieht es als seinen Einflussbereich. Für mehr reicht es eigentlich nicht. Wirtschaftlich betrachtet, befindet sich das Bruttoinlandsprodukt Russlands auf dem Niveau Spaniens. Militärisch ist es fraglos stärker. Aber Putin musste gleichwohl Truppen aus dem Umfeld der Ukraine abziehen, um ausreichend Soldaten nach Syrien schicken zu können. Zugleich setzt Russland auch verstärkt Söldner ein.

Eine Erfolg versprechende Strategie, um in Syrien die Oberhand zu gewinnen, scheinen aber weder Putin noch Assad zu haben.

Im Prinzip ist es die Strategie aus den Tschetschenienkriegen: Es wird alles zerbombt, viele Zivilisten werden getötet, systematisch "ausgemerzt". Dann versuchen sie, Stabilität mit einem Militär- oder autoritären Regime herzustellen. So etwas wird aber niemals dauerhaft funktionieren.

Wie lange wird Russland tatsächlich in Syrien bleiben?

Die russische Armee ist ohne langfristige Strategie nach Syrien gekommen. In Syrien entscheidet sich aber unter anderem, wer die zukünftige Regionalmacht im Nahen Osten wird. Iran oder Saudi-Arabien beispielsweise. Solange dies nicht gelöst ist, kommen die Russen da nicht raus. Sie sitzen sozusagen mit den anderen Akteuren in einem Boot. Putin wird mit Sicherheit pragmatisch agieren, aber die Situation kann ihm natürlich jederzeit entgleiten. Er kontrolliert seine Verbündeten, auch Assad, keineswegs. Letzten Endes ist Russland abhängig vom Iran und der Hisbollah, die mit Bodentruppen vor Ort sind, während Moskau die Luftwaffe stellt. Und auch der Islamische Staat ist noch lange nicht besiegt. Russland wird noch dafür zahlen müssen, dass es in Syrien reingegangen ist.

Seit Jahren wächst im Westen die Furcht vor einem aggressiven Russland. Ist die Angst berechtigt?

Die Nato war überhaupt nicht darauf vorbereitet, dass Russland wieder aggressiver auftritt. Russische Truppen üben beispielsweise seit Jahren, auch das Baltikum anzugreifen. Das ist aber kein strategisches Ziel, nur eine Option, die in einer bestimmten Situation zum Einsatz kommen kann. Aber für die Zukunft gilt: Wenn Russland glaubt, dass die USA und die Nato schwach sind, wird es versuchen, durch energisches Auftreten Vorteile zu erringen. Einen Faktor muss man verstehen: Für die russische Führung bedeuten Kompromisse Schwäche. Deshalb muss man immer aus einer Position der Stärke handeln und auch abschrecken können.

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Muss Putin bei den Wahlen im März dieses Jahres eigentlich Konkurrenz fürchten?

Die liberale Opposition ist irrelevant in Russland. Bei freien Wahlen würden die liberalen Kandidaten zwei oder drei Prozent gewinnen. Alexei Nawalny ist eine interessante Figur, auch wenn er wegen einer umstrittenen Verurteilung nicht kandieren darf. Er fordert Putin tatsächlich mit Schlüsselthemen wie der Korruption, der sozialen Frage und der Zukunftsfähigkeit Russlands heraus. Nawalny macht eine tolle Internetkampagne, die auch junge Leute anspricht und die Schwachpunkte des Regimes angreift. Er ist aber auch ein Nationalist, der die Annexion der Krim befürwortet. Eine freie Wahl würde aber selbst er nicht gegen Putin gewinnen.

Also wird Putin selbst entscheiden, wann er irgendwann die Macht abgibt?

Die Herausforderung für Putin liegt im System selbst. Vor allem im Sicherheitsapparat. Dort kann es zu Konflikten kommen, wenn es nicht mehr genug umzuverteilen gibt. Wenn beispielsweise nicht mehr genug Geld da ist, an dem sich diese Leute bereichern können. Dann kommt möglicherweise die Frage auf, ob Putin noch der Richtige ist.

Herr Meister, vielen Dank für das Gespräch.

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