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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Streit über Waffenlieferungen Das kann nur eines bedeuten

Der Kanzler hat der Ukraine versprochen, sie "so lange wie nötig" zu unterstützen. Doch ein neues Waffenpaket knüpft Scholz an harte Bedingungen – und stößt damit auch seine eigenen Leute vor den Kopf.
Der Streit über neue Militärhilfen für die Ukraine geht weiter. Nachdem Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) am Dienstag überraschend nach Kiew gereist war und dort weitere Unterstützung versprochen hatte, nannte Kanzler Olaf Scholz am Mittwochabend eine klare Bedingung für das drei Milliarden Euro schwere Rüstungspaket. In einem Interview mit RTL sagte Scholz, er würde den Waffenlieferungen vor der Bundestagswahl nur zustimmen, wenn sie über ein Aussetzen der Schuldenbremse finanziert werden.
Die Hilfe sei nur über eine gesonderte Kreditaufnahme möglich, "weil sonst das Geld nicht da ist", so Scholz. Bei dem Paket geht es um drei weitere Luftverteidigungssysteme vom Typ Iris-T, Lenkflugkörper für Patriot-Flugabwehrbatterien, zehn Radhaubitzen und Artilleriemunition.
Der Vorschlag ist nicht neu, Scholz hatte ihn bereits Anfang November gemacht, als die Ampel ein letztes Mal über den Haushalt 2025 verhandelte, bevor sie am Widerstand der FDP zerbrach. "Ich würde auch jetzt das noch beschließen, wenn alle mitmachen bei einem Beschluss: Wir finanzieren das extra über Kredite", so der Kanzler bei RTL. Aber dann müssten "einige über ihren Schatten springen".
Riegel vorgeschoben
Damit hat der Kanzler das Ukraine-Paket wahrscheinlich begraben. Denn Scholz weiß ganz genau: Eine parlamentarische Mehrheit für eine Aussetzung der Schuldenbremse gibt es nicht, sie lässt sich bis zur Wahl am 23. Februar auch nicht einfach herbeizaubern.
Entsprechend scharf fallen die Reaktionen der politischen Konkurrenz aus. FDP-Generalsekretär Buschmann schloss einen solchen Weg für die Liberalen aus und machte dem Kanzler schwere Vorwürfe. "Scholz ging es nie um die Ukraine. Es ging ihm immer um die Aussetzung der Schuldenbremse", so Buschmann auf der Plattform X. Der Kanzler wolle nun drei Milliarden Euro "vom Bundestag erpressen" und drohe, dass die Ukraine sonst leer ausgehe, so der ehemalige Justizminister der Ampel.
Auch Scholz' grüner Koalitionspartner tobt. Der Haushaltspolitiker Sebastian Schäfer schrieb auf X: "Offenbar hat man im Kanzleramt fieberhaft nach einem Weg gesucht, bei dem es im Bundestag KEINE Mehrheit gibt." Für die Ukraine-Hilfe brauche es einen solchen "Überschreitungsbeschluss" – gemeint ist die Aussetzung der Schuldenbremse – nicht, so der Grünen-Politiker.
Alternative Finanzierungswege
Dabei gebe es tatsächlich alternative Finanzierungswege, wie Befürworter des Waffenpakets argumentieren. So könnte der Haushaltsausschuss in seiner Sitzung am 29. Januar etwa eine überplanmäßige oder eine außerplanmäßige Ausgabe beschließen, um die drei Milliarden Euro für das Ukraine-Paket aufzutreiben. Eine überplanmäßige Ausgabe bedeutet die Überschreitung eines bereits bestehenden Haushaltstitels (hier im Falle der Ukraine-Hilfen), bei einer außerplanmäßigen Ausgabe existiert ein solcher Haushaltsansatz gar nicht.
Sowohl Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) als auch FDP-Chef Christian Lindner haben sich dafür ausgesprochen, über einen solchen parlamentarischen Beschluss im Bundestag die Ukraine-Gelder freizugeben. Lindner sagte, man könne das Drei-Milliarden-Paket "problemlos finanzieren, ohne die Schuldenbremse mit einem Notlagenbeschluss auszusetzen". Auch die Union hat ihre Zustimmung signalisiert.
Zugleich ist klar: Auch über- oder außerplanmäßige Ausgaben müssen finanziert werden. Die drei Milliarden Euro müssten dann irgendwo aus dem Haushalt kommen. Das wird nicht einfach. Da die geplatzte Ampelregierung sich auf keinen Haushalt 2025 einigen konnte, rutschte der Bund am 1. Januar in die vorläufige Haushaltsführung. Neue Ausgaben sind seither nur begrenzt möglich.
Wo kommen die drei Milliarden Euro her?
Hier liegt der Kern des Konflikts zwischen Scholz und seinen Gegnern: Der Kanzler argumentiert mit der klammen Kassenlage – Scholz beziffert das Minus auf 26 Milliarden Euro –, um seine Linie "Schuldenbremse oder nichts" durchzusetzen. Zudem suggeriert er, die Gelder für die Ukraine könnten dann für Sozialleistungen fehlen. "Ich bin dagegen, dass wir das von den Renten holen", so Scholz kürzlich bei einem Bürgertermin in Bielefeld.
Seine Kritiker wenden jedoch ein, die drei Milliarden könnten auch ohne schmerzhafte Kürzungen mobilisiert werden. So sagte der CDU-Haushälter Ingo Gädechens dem "Tagesspiegel": "In einer vorläufigen Haushaltsführung fließen viele eingeplante Gelder nicht ab – wenn wir also der Ukraine mehr helfen als bisher geplant, muss dafür gar nichts bei Renten, Gemeinden und Straßen gekürzt werden." Sein grüner Kollege im Haushaltsausschuss, Sven Kindler, nennt als Beispiel nicht genutzte Rücklagen aus dem vergangenen Jahr, die zur Finanzierung des Ukraine-Pakets herangezogen werden könnten.
Auch SPD-Haushälter zeigen sich im Gespräch mit t-online optimistisch, dass das Geld aufgetrieben werden könne. "Wenn sich alle Befürworter anstrengen, können wir das Ukraine-Paket parteiübergreifend stemmen. Drei Milliarden Euro sind durch eine Ausnahme bei der Schuldenregel oder kluge, aber sicher schwierige Umschichtungen im Haushalt realisierbar", so der stellvertretende haushaltspolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Andreas Schwarz, zu t-online.
Wachsende Zustimmung in der SPD
Bemerkenswert am Machtwort des Kanzlers ist, dass er damit auch die eigenen Leute in ein ungünstiges Licht rückt. Zuletzt hatten sich immer mehr Sozialdemokraten für das Ukraine-Paket ausgesprochen – ohne es mit derart harten Bedingungen zu verknüpfen.
"Die Ukraine hat keine Zeit und braucht dringend weitere Unterstützung", so Schwarz. Es wäre "fatal", als zweitgrößter Ukraine-Unterstützer auszufallen, während Russland seinen Raketenterror weiterführe. Der SPD-Politiker rief zugleich die Union und die FDP auf, gemeinsam "eine parlamentarische Mehrheit" zu bilden, um das Ukraine-Paket auf den Weg zu bringen.
Der Hamburger Bundestagsabgeordnete Metin Hakverdi hält das Drei-Milliarden-Paket ebenfalls jetzt für notwendig: "Es wäre ein wichtiges Signal angesichts der Wahl von Donald Trump ins Weiße Haus. Deutschland muss seiner Verantwortung gerecht werden und zeigen, dass wir ein verlässlicher Partner der Ukraine bleiben", so der SPD-Politiker. Die Kanzlerpartei stehe hinter den Hilfen, und auch bei den anderen Parteien der demokratischen Mitte sehe er Zustimmung.
Auch der SPD-Außenpolitiker und ehemalige Regierende Bürgermeister von Berlin, Michael Müller, sagte t-online, er unterstütze das Waffenpaket, "da die russischen Angriffe weitergehen und nicht zu erkennen ist, dass sich eine Verhandlungssituation abzeichnet".
Verzwickte Lage für Pistorius
Aber vor allem für einen dürfte das Scholz-Machtwort unangenehm sein: Boris Pistorius. Der SPD-Verteidigungsminister traf auf seiner Kiew-Reise Anfang der Woche auch den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj, um ihm die deutsche Solidarität zu versichern. Die beiden dürften auch über das neue Militärpaket gesprochen haben, das Pistorius und die grüne Außenministerin Annalena Baerbock geschnürt haben und auf das Kiew seit Monaten wartet.
Noch am Dienstag sagte Pistorius von Kiew aus über das Paket: Die Arbeiten daran seien abgeschlossen. "Das ist ein fiskalisches Problem, und wir müssen es lösen. Daran arbeiten wir." Pistorius fügte hinzu, er sei "optimistisch", dass man eine Lösung finde.
Doch diese Lösung hat Scholz nun praktisch verunmöglicht. Zwar hat der Kanzler mit der Aussetzung der Schuldenbremse einen klaren Weg aufgezeigt, wie der Bundestag die drei Milliarden Euro noch mobilisieren könnte. Aber Scholz weiß, dass weder die FDP noch die Union ihre Haltung zur Schuldenbremse einfach aufgeben werden, nur weil Scholz sie unter Druck setzt. Schon gar nicht fünf Wochen vor der Wahl.
Ukraine-Milliarden kein Wahlkampfschlager
Der Kanzler hat sich nun öffentlich festgelegt. Dass sich eine parlamentarische Mehrheit findet, die gegen den ausdrücklichen Willen des Kanzlers eine Finanzquelle jenseits neuer Kredite auftut, gilt als wenig wahrscheinlich. Einige in der SPD dürfte das beruhigen. Neue Ukraine-Milliarden mitten in einer Wirtschaftskrise gelten nicht unbedingt als Wahlkampfschlager. SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich, einer von Scholz' wichtigsten Unterstützern, hat sich bereits gegen sie ausgesprochen.
Und auch der rheinland-pfälzische Bundestagsabgeordnete Joe Weingarten sagt t-online: "Die politische Entscheidung über ein neues Waffenpaket soll die nächste Bundesregierung treffen. Die Haushaltsmittel, um die es geht, würden ohnehin erst Mitte 2025 fällig werden."
Das neue Ukraine-Paket, so scheint es, bleibt im deutschen Wahlkampf stecken.
- Eigene Beobachtungen