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Ex-BND-Chef Gerhard Schindler: "Wir sollten wachsam sein"


Ex-BND-Chef Schindler
"Die Gefahr Chinas wird unterschätzt"

InterviewEin Interview von Adrian Arab

13.10.2020Lesedauer: 7 Min.
Interview
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Gerhard Schindler: Der frühere Präsident des Bundesnachrichtendiensts hat ein Buch zur Sicherheitspolitik geschrieben.Vergrößern des Bildes
Gerhard Schindler: Der frühere Präsident des Bundesnachrichtendiensts hat ein Buch zur Sicherheitspolitik geschrieben. (Quelle: Christian Ditsch/imago-images-bilder)

Jahrelang war er Deutschlands oberster Spion. Nun hat Gerhard Schindler ein Buch geschrieben. Wo lauern heute die größten Gefahren? Darüber spricht der frühere BND-Chef im Interview.

Der ehemalige Chef des Bundesnachrichtendienstes, Gerhard Schindler, hat ein Buch zur Sicherheitspolitik geschrieben – nachdem die Veröffentlichung seiner Memoiren durch die Bundesregierung gestoppt wurde. Im Interview erklärt er, was sich Deutschland von China bei der Verbrechensbekämpfung abschauen kann, welche Rolle die Bundesregierung gegenüber Russland einnehmen sollte und was er derzeit für die größte Gefahr für die Sicherheit hält.

t-online: Herr Schindler, Sie wollten in diesem Jahr Ihre Memoiren veröffentlichen, wurden aber von der Bundesregierung gestoppt. Gilt für ehemalige BND-Präsidenten nicht die Meinungsfreiheit?

Gerhard Schindler: Natürlich, aber bei meinem Beruf gehört es eben auch dazu, Buchprojekte in Zusammenhang mit meiner Arbeit vorab genehmigen zu lassen. Dass es so gekommen ist, empfinde ich in der Rückschau gar nicht als unglücklich.

Nicht unglücklich?

Ja, denn aus dem ursprünglichen Plan, meine Memoiren zu schreiben, ist jetzt eine Streitschrift zur Sicherheit geworden. Viel besser, finden Sie nicht?

Der Jurist Gerhard Schindler war von 2011 bis 2016 Chef des deutschen Auslandsgeheimdienstes BND. Er ist Mitglied der FDP und berät heute als Lobbyist Unternehmen zu Sicherheitsfragen. Gerade ist sein Buch "Wer hat Angst vorm BND?" erschienen.

Sie sollen in Ihrem ursprünglichen Buch mit der Flüchtlingspolitik von Bundeskanzlerin Angela Merkel und ihrem damaligen Kanzleramtschef Peter Altmaier hart ins Gericht gegangen sein. Wurde Ihr Buch in Wahrheit deshalb verboten?

Nein, die Prüfung durch das Kanzleramt war insoweit nicht zu beanstanden. Das Ergebnis ist aus meiner Sicht keine politische Entscheidung gewesen, sondern war die Folge einer möglichen Verletzung von Dienstgeheimnissen. Daran habe ich mich zu halten.

Lassen Sie uns über die Corona-Pandemie sprechen, die ja ein Paradies für Geheimdienstler sein muss. Wenn man sich die Maßnahmen so anschaut …

… dann gehören sie nicht zum Einsatzgebiet des BND. Der setzt sich nämlich nicht mit den Maßnahmen zur Bekämpfung einer Pandemie im Inland auseinander.

Wie alle Geheimdienste dürfte auch der BND davon profitieren, wenn es in einer Welt nach Corona mehr Überwachung gibt als zuvor.

Ich sehe da keine Gefahr. Corona hat keine qualitative Veränderung herbeigeführt, die Einfluss auf die Arbeit der Nachrichtendienste hätte.

Sind Sie sich da sicher? 18 Millionen Deutsche haben die Corona-App installiert und bei jedem Restaurantbesuch muss jetzt die Adresse notiert werden. Die Vergangenheit hat doch gezeigt, dass Überwachungssysteme, die einmal eingeführt wurden, nie wieder abgeschafft, sondern tendenziell ausgeweitet wurden.

Überwachung ist ein weltweites Phänomen, das wir losgelöst von Corona betrachten sollten. Wenn wir die Entwicklung in China anschauen, wo die Überwachung der Bevölkerung mit großem technischen Know-how betrieben wird, dann hat das nichts mit der Pandemie zu tun. Die chinesische Regierung hat ihre Leute vor Corona überwacht, sie überwacht sie heute und sie wird das auch in Zukunft tun.

Die Überwachung in China findet vor allem über die berüchtigte Gesichtserkennung statt, die Steven Spielberg schon 2002 in seinem Film "Minority Report" als Dystopie beschrieben hat. Ist diese Technik für Sie eine Utopie?

Die Bevölkerung hat ein Recht auf kluge Polizisten und Nachrichtendienste. Deshalb lohnt es sich, darüber nachzudenken, mit welchen technischen Mitteln die Sicherheit im öffentlichen Raum garantiert werden kann. Ich glaube, dass dazu auch eine smarte Gesichtserkennung gehört. Im vorvergangenen Jahr gab es einen Testlauf am Berliner Bahnhof Südkreuz, wo gesuchte Personen mittels Gesichtserkennung identifiziert werden sollten. Dieser Probelauf ist aus meiner Sicht positiv verlaufen. Ich halte solche Verfahren bei der Suche nach Straftätern oder terroristischen Gefährdern für ein kluges Vorgehen.

Das stellt, was Terroristen angeht, auch kaum jemand in Frage. Es gibt aber Anlass zur Sorge, dass irgendwann jeder Ladendiebstahl mit Hochtechnologie verfolgt und die ganze Bevölkerung unter Generalverdacht gestellt wird. So wie das in China bereits passiert.

Einspruch. Wenn wir sehen, dass Gesichtserkennung ein gutes Mittel zur Bekämpfung von Verbrechen ist, dann sollten wir sie auch dazu einsetzen.

Die SPD-Vorsitzende Saskia Esken twitterte dazu im Januar: "Videoüberwachung mit Gesichtserkennung ist ein zu hoher Eingriff in die Freiheitsrechte. Die falsch positiven Fehlalarme schaden der Sicherheit mehr als die Überwachung ihr nutzt. Unschuldige Menschen geraten ins Visier." Können Sie, als überzeugter Liberaler und langjähriges FDP-Mitglied, dieser Position nichts abgewinnen?

Ich kann ehrlich gesagt nicht erkennen, wo dieser schwerwiegende Eingriff in meine Persönlichkeitsrechte stattfinden soll, wenn mich die Videokameras am Bahnhof für einige Sekunden filmen. Diese Diskussion halte ich für übertrieben.

Sie sehen auch nicht, dass die Kameras ein trügerisches Sicherheitsgefühl vermitteln könnten? Ein aufgezeichnetes Verbrechen ist noch kein verhindertes Verbrechen.

Das ist das gängige Argument, das mich leider nicht überzeugt. Wenn Sie einen gesuchten Schläger in der U-Bahn mit einem solchen System dingfest machen, dann verhindern Sie selbstverständlich weitere Verbrechen. Wer solche Menschen mithilfe von Gesichtserkennung aus dem Verkehr zieht, schafft messbare Sicherheit.

Ende September ist das Unternehmen Palantir, das einst von der CIA finanziert wurde und heute von Geheimdiensten und Polizeien auf der ganzen Welt zur Verbrechensbekämpfung eingesetzt wird, mit einer Bewertung von 22 Milliarden US-Dollar an die Börse gegangen. Was macht das Unternehmen für Sicherheitsbehörden so interessant?

Ich denke, da geht es nicht in erster Linie um Palantir selbst, sondern um jedes Unternehmen, das große Datenmengen in kurzer Zeit auswerten kann. Künstliche Intelligenz ist momentan für jeden Geheimdienst ein spannendes Thema, weil sich lernende Maschinen viel schneller durch große Mengen an Daten arbeiten können als der Mensch.

Teilen Sie die Sorge, dass solche Unternehmen nicht der üblichen parlamentarischen Kontrolle unterliegen und deshalb ihr eigenes Schattendasein pflegen können?

In Deutschland sehe ich nicht die Gefahr, dass nachrichtendienstliche Aufgaben outgesourct werden. Dennoch muss unser Anspruch sein, dass die Sicherheitsbehörden mit der Entwicklung, zum Beispiel in den USA, eigenständig mitgehen können. Dann kommt man nicht in Verlegenheit, irgendwann Dritte mit geheimdienstlichen Tätigkeiten beauftragen zu müssen. Ich halte es für überfällig, dass wir auf diesem Gebiet eine nationale technische Souveränität aufbauen, sodass wir nicht mehr abhängig von anderen Firmen und Staaten sind, die nicht für saubere Technik garantieren können.

In einem Bericht des US-Repräsentantenhauses kritisierten Abgeordnete Ende September, dass sich die Geheimdienste zu wenig auf China und zu viel auf den Terrorismus fokussiert hätten. Teilen Sie die Einschätzung?

Die Gefahr, die von Peking ausgeht, ist den Sicherheitsbehörden sehr bewusst. Besorgniserregender finde ich vielmehr, dass diese Gefahr außerhalb der Sicherheitsbehörden vielfach unterschätzt wird.

Woran liegt das?

Wenn Russland in der Ukraine, also praktisch vor unserer Haustür, Militär einsetzt, dann schätzen wir diese Gefahr aufgrund der geographischen Nähe als größer ein. Die Realität ist jedoch, dass das Risiko, das von Peking ausgeht, mindestens genauso groß ist.

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Wieso?

China macht unmissverständlich klar, dass es die weltweite Nummer eins sein will – wirtschaftlich, geopolitisch und damit auch militärisch. Dieser Machtanspruch ist im Sinne einer neuen, von China dominierten Weltordnung, global. Das ist übrigens kein Geheimnis, sondern das können Sie zum Beispiel in den Jahresplänen der Kommunistischen Partei nachlesen.

Dort steht, dass China bis 2049, also zum hundertjährigen Bestehen der Volksrepublik, als führende Industrienation an der Weltspitze stehen soll. Wie der Griff nach der Weltherrschaft klingt das noch nicht.

Wo wir noch von Wirtschaftsbeziehungen träumen, schafft China weiter Fakten. Peking agiert aggressiv im Südchinesischen Meer und macht in Afrika ganze Regionen von sich abhängig. Peking baut dort Straßen und Schienen, finanziert Energieprojekte und dominiert den Abbau von Rohstoffen. Aus meiner Sicht kommuniziert China mit erstaunlicher Klarheit, wo die Reise hingeht, nämlich auch in Richtung Europa. Mit der neuen Seidenstraße, die übrigens am Duisburger Hafen endet, ist das China teilweise schon gelungen.

Was Sie beschreiben, sind allesamt wirtschaftliche Gefahren. Aber wo greift China unsere Sicherheit an?

Kein anderes Land setzt seine wirtschaftliche Macht so konsequent in politische Autorität um. Uns Deutschen fällt das gar nicht so auf, aber fragen Sie mal in Vietnam, Malaysia oder auf den Philippinen nach. Denen wird gerade sehr bewusst, wie sich diese wirtschaftliche Macht binnen weniger Jahre zu einer faktisch autoritären Macht in der ganzen Region entwickelt hat. Im Südchinesischen Meer, wo China ganze Gebiete vereinnahmt, kann man ein aggressives Vorgehen beobachten, das weltweit seinesgleichen sucht. Wir sollten wachsam sein.

Was bedeutet das nun konkret für Deutschland? Droht uns der Angriff von Huawei-Produkten oder ein Angriffskrieg?

Die Gefahr ist nicht, dass die Volksarmee morgen in Wanne-Eickel einmarschiert. Wir können aber nicht wollen, dass alle Entscheidungen auf dieser Welt, die beispielsweise bei den Vereinten Nationen getroffen werden, nie mehr gegen, sondern nur noch mit China getroffen werden können. Dann stehen uns nicht nur wirtschaftliche, sondern auch geo- und sicherheitspolitische Probleme bevor.

Bei Ihrem Amtsantritt 2011 bezeichneten Sie den weltweiten Terrorismus als größte Bedrohung für die Sicherheit. Hat sich an dieser Einschätzung etwas verändert?

Wenn man Phänomene betrachtet, würde ich nach wie vor den Terrorismus und zusätzlich den Cyberwar nennen. Wir erleben aber auch eine ganze Reihe von Staaten, die von autoritären Populisten geführt werden und somit eine Bedrohung darstellen: Russland, China, die Türkei oder die Hindu-Nationalisten in Indien. Auf dieser Liste würde ich China an erster Stelle einordnen.

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Sie gehen in Ihrem Buch ungewöhnlich handzahm mit Russland um. Deutschland müsse Russland die Hand reichen und froh sein, das Land als Partner an seiner Seite zu wissen, schreiben Sie. Ich nehme an, diese Zeilen sind vor dem Anschlag auf den Oppositionspolitiker Alexej Nawalny entstanden?

Da haben Sie recht, aber an den Grundaussagen halte ich fest. Es ist richtig, jetzt auf die russische Regierung zuzugehen und sie dazu aufzufordern, diesen hinterhältigen Anschlag aufzuklären. Wir sollten jedoch nicht in ein generelles Russland-Bashing verfallen und ein ganzes Land, in dem die Bürger uns sehr schätzen, wie einen internationalen Paria behandeln. Gerade jetzt, wo noch nicht einmal klar ist, wer oder welche russische Organisation konkret hinter dem Anschlag steckt.

Alles deutet darauf hin, dass der Kreml hinter dem Anschlag steckt. Das sagt auch der Bundesnachrichtendienst.

Das hat er meines Erachtens in dieser Eindeutigkeit nicht getan. Und selbst wenn, bleibt die Frage, ob die russische Führung, also Herr Putin selbst, den Anschlag angeordnet hat, ob die Idee in den Geheimdiensten unter Billigung der Führung entstanden ist, oder ob es sich um irgendwelche durchgeknallten Geheimdienstler handelt, die sich in vorauseilendem Gehorsam beliebt machen wollten. Ich glaube, das ist alles noch sehr offen. Die Verantwortung der russischen Regierung bleibt allerdings bestehen, weil nur sie dieses Verbrechen aufklären kann.

Sie sind also gegen Konsequenzen für Russland, bis der Anschlag aufgeklärt ist?

Dieser Fall zeigt doch, dass wir im Grunde genommen auf Krisen dieser Art unvorbereitet sind. Man gewinnt den Eindruck, dass wir bei jeder neuen Eskalation von vorne anfangen zu überlegen, wie wir den anderen möglichst sinnvoll sanktionieren. Was uns fehlt, ist eine vorbereitete Eskalationsstrategie mit einem Instrumentenkasten mit verschiedenen und gut dosierten Maßnahmen.

Was bedeutet das konkret?

Ich plädiere für einen nationalen Sicherheitsrat, der sich mit genau solchen Fragen auseinandersetzt. Am Ende kann ein Mix aus Sanktionen stehen, wobei man immer mit bedenken muss, ob diese mehr schaden als nützen.

Verwendete Quellen
  • Gespräch mit Gerhard Schindler
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