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Corona-Pandemie | Bodo Ramelow: "Markus Söder hat uns leider allen geschadet"


Verkürzung des Genesenen-Status'
"Das war ein schwerer Fehler"

  • Daniel Mützel
InterviewVon Miriam Hollstein, Daniel Mützel

Aktualisiert am 16.02.2022Lesedauer: 6 Min.
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Thüringens Landeschef Bodo Ramelow: "Seit wann haben Verlautbarungen des Robert Koch-Instituts automatisch Gesetzeskraft?"Vergrößern des Bildes
1003. Sitzung des Deutschen Bundesrat Aktuell, 22.04.2021, Berlin, Ministerpraesident Bodo Ramelow (Die Linke) von Thue (Quelle: Political-Moments/imago-images-bilder)

Die Rufe nach Lockerungen vor dem Corona-Gipfel werden lauter. Im t-online-Interview fordert Thüringens Landeschef Ramelow (Linke) die Aufhebung der allermeisten Einschränkungen bis 19. März – und kritisiert das Robert Koch-Institut scharf.

Trotz explodierender Infektionszahlen hält das Gesundheitswesen der Omikron-Welle stand. Kanzler Olaf Scholz (SPD) und die Länder haben für die Ministerpräsidentenkonferenz am Mittwoch konkrete Öffnungssschritte versprochen. Thüringens Landeschef und Bundesratspräsident Bodo Ramelow (Linke) erklärt im Interview, was er von der Bund-Länder-Schalte erwartet, warum die teils erratische Kommunikation des Robert Koch-Instituts den Hass auf den Corona-Demos befeuert hat – und warum er von der Pandemie eine dünne Haut bekommen hat.

t-online: Herr Ramelow, Sie waren letzten Donnerstag zum Antrittsbesuch bei Kanzler Olaf Scholz. Haben Sie ihm bei der Gelegenheit gesagt, dass er beim Bund-Länder-Treffen mal ein Machtwort mit dem bayerischen Ministerpräsident Markus Söder sprechen sollte?

Das war nicht Gegenstand unseres Gesprächs, zumal ich ja als Bundesratspräsident bei ihm war. Wir haben aber über den Brief gesprochen, den ich dem Bundeskanzler vorher geschickt hatte. Ich habe darin klargemacht, dass ich als Ministerpräsident künftig nur noch dann Corona-Beschlüsse der Ministerpräsidentenkonferenz mittragen werde, wenn sie widerspruchsfrei und durch den Bundesgesetzgeber abgesichert sind. Damit kann man auch ausschließen, dass sich nach dem Treffen ein Kollege vor die Presse stellt und genau das Gegenteil von dem verkündet, was wir beschlossen haben.

Haben Sie eine Reaktion bekommen?

Scholz hat angedeutet, dass es diesmal eine solche "wetterfeste" Beschlussvorlage geben werde. Die Absicht ist, alle Sonderregeln im Bundesinfektionsschutzgesetz, die zeitlich befristet waren, ab dem 19. März nicht mehr zu verlängern.

Fürchten Sie, dass es dennoch nach dem Treffen am Mittwoch einen Wettbewerb der Lockerungen unter den Ministerpräsidenten geben könnte?

Ja, und das war auch Gegenstand meines Briefes. Wenn wir nicht ein geordnetes Verfahren finden, mit dem wir die Mindeststandards wie die AHA-Regeln, die Maskenpflicht und Ähnliches im Bundesinfektionsschutzgesetz eindeutig verankern, wird es einen Wettbewerb geben, der uns allen schadet. Ein Beispiel: Im Januar hatten wir in der Ministerpräsidentenkonferenz vereinbart, dass für den Einzelhandel 2G und für die Gastronomie 2G plus gelten soll. Direkt danach haben Sachsen-Anhalt und Bayern erklärt, 2G plus in der Gastronomie nicht einzuführen. Das war für mein Bundesland, das dazwischen liegt, ein ernstes Problem, weil meine Gastronomen sagen: Es kann doch nicht sein, dass bei uns andere Konditionen gelten als in Bayern oder Sachsen-Anhalt. Solche Situationen werden wir hoffentlich mit dem Beschluss am Mittwoch ein für alle Mal beseitigen und eine verbindliche, bundesweit gültige Grundlage schaffen.

Wem hat Söder mit seinem Abrücken von der Teil-Impfpflicht mehr geschadet: dem Vertrauen in die Politik, den Ländern beim Versuch einer gemeinsamen Corona-Politik oder dem Rechtsstaat?

Er hat uns leider allen geschadet. Aber er ist ja danach zurückgerudert. Was uns viel mehr geschadet hat, war die Tatsache, dass Verlautbarungen auf der Internetseite des Robert Koch-Instituts und des Paul-Ehrlich-Instituts plötzlich automatisch Gesetzeskraft bekommen haben.

Sie sprechen von der Regelung, dass die Gültigkeit des Genesenestatus um die Hälfte verkürzt wurde – von 180 auf 90 Tage.

Genau. Das haben wir in Deutschland noch nie gemacht. Dass wir auf eine Behörde verweisen und sagen: Je nachdem, wie der wissenschaftliche Stand ist, wird es auf einmal automatisiert zum Gesetz. Die Verkürzung des Genesenenstatus stand in völligem Widerspruch zu allen Regeln, die wir in den Ländern als Verordnungen hatten oder die der Bundestag anwendet. Die Bürger haben das mitbekommen und sich natürlich gesagt: Moment mal, wieso gilt in Europa die Sechs-Monate-Regel beim Genesenstatus, bei uns aber nur drei Monate, im Bundestag aber wieder sechs Monate? Das hat bei den Corona-Demonstrationen zu noch mehr Hass und Mobilisierung geführt. Das war ein schwerer Fehler und hat uns viel Glaubwürdigkeit gekostet. Es ist gut, dass diese Automatisierung im Gesetz wieder rückgängig gemacht wird.

Wenn schon die Teil-Impfpflicht zu regelrechten Rebellionen gegen beschlossene Gesetze führt, erscheint die Umsetzung einer allgemeinen Impfpflicht fast unvorstellbar. Wer spricht als Erster diese Wahrheit aus?

Ich bedauere es sehr, dass die Debatte über die allgemeine Impfpflicht nicht schneller gelaufen ist. Ich war bei der einrichtungsbezogenen Impfanordnung skeptisch, weil ich es nicht fair finde, es nur Mitarbeitern einzelner Einrichtungen zu überlassen, was man scheinbar in der Allgemeinheit nicht anwenden will. Aber ich habe meine Skepsis überwunden. Kanzler Scholz hatte versprochen, dass er als Abgeordneter für die allgemeine Impfpflicht kämpfen werde, wenn seine Regierung das Gesetz schon nicht selbst einbringen wird. Ich sagte mir: Okay, wenn die Teil-Impfpflicht beschlossen wird, dann wird auch die Debatte um die allgemeine Anordnung im Bundestag an Fahrt aufnehmen und wenigstens zeitgleich behandelt werden. Das ist nicht geschehen. Ich sehe nur allgemeine Vorlagen, aber keinen Willen des Bundestages, die Impfpflicht tatsächlich auf eine gesetzliche Basis zu bringen. Das halte ich für kontraproduktiv.

Die europäischen Nachbarn sind beim Lockern viel forscher, die Kritik am "deutschen Sonderweg" wird hierzulande lauter. Ist es an der Zeit, den Bürgern eine klare Ansage zu machen, wann sie ihre Grund- und Freiheitsrechte zurückbekommen?

Ich weiß nicht, was Sie mit Freiheitsrechten meinen, wenn wir von denen sprechen, die auf den Covid-Stationen liegen oder die sich Long Covid geholt haben. Die hätten auch gerne die Freiheit, ihre Gesundheit wiederzubekommen.

Was sagen Sie denen, die wieder ohne Maske einkaufen und ohne Test und Impfung ins Theater oder ins Restaurant gehen wollen?

Wir haben nichts getan, was nicht eine Begründung hatte, und zwar der Schutz für Leib und Leben. Demjenigen, der gesund und munter ist, dem gönne ich das. Aber derjenige, der Gefahr läuft, schwer zu erkranken oder möglicherweise zu sterben, der hat auch einen Anspruch darauf, die Politik zu fragen: Habt ihr verantwortlich gehandelt? Diese reine Reduktion auf den Begriff eines "Freiheitstags" finde ich befremdlich. Seit zwei Jahren mache ich Dinge, die ich in meinem Leben nie machen wollte. In Grundrechte eingreifen oder Schulen schließen ist einfach etwas Furchtbares.

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Andere Länder sind bei den Lockerungen schon viel weiter als wir. Können Sie die Sehnsucht nach einem normalen Leben nicht nachvollziehen?

Manche gefallen sich jetzt damit, dass sie am lautesten nach dem Freedom Day rufen. Je weiter man weg ist von jeder Verantwortung, desto lauter kann man danach rufen. Fest steht doch, dass am 19. März alle Maßnahmen herunterreduziert werden. Ich hoffe darauf, dass dann nur noch das Allernotwendigste wie die AHA-Regeln, Masken tragen, Abstand halten oder Lüften gelten wird.

Wie sinnvoll ist es, Maßnahmen an Fristen festzumachen? Das Virus hält sich ja nicht an unseren Kalender.

Der Vier-Wochen-Rhythmus für Verordnungen wurde durch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ausgeprägt, weil Eingriffe in die Bürgerrechte immer wieder neu begründet werden müssen. Die Fristen habe ich mir nicht ausgedacht. Mir wäre lieber gewesen, wir hätten nicht alle vier Wochen eine neue Verordnung machen müssen, denn die Bürger haben es am Ende gar nicht mehr verstanden. Leider ist das auch im Journalismus oft untergegangen. Diese vier Wochen sind irgendwann zu einem Selbstzweck verkommen, sodass öffentlich der Eindruck entstanden ist, Politiker hätten nichts Besseres zu tun, als die Bevölkerung zu quälen.

Sie planen, in Thüringen die Auflagen für Corona-Demonstrationen zu lockern. Warum?

Es ist geplant, die Corona-bedingten Auflagen für Versammlungen aus der Sonderverordnung zu nehmen. Das heißt, es gilt das allgemeine Recht. Ich will weg von diesen ganzen Sonderpandemieregeln. Wir brauchen wieder das ganz normale Versammlungsrecht mit Anzeigepflicht. Wenn dann das Ordnungsamt eine Masken-Anordnung vom Gesundheitsamt bekommt, dann soll es das in die Auflagen der Versammlung entsprechend hineinschreiben.

Bei Corona-Demonstrationen kommt es immer wieder zu Gewalt. Kann eine Lockerung der Auflagen sich darauf auswirken?

Erst mal will ich, dass die Leute sich eingeladen fühlen, ihre Meinung zu sagen und nicht das Gefühl haben, sie werden daran gehindert. Das nutzen leider die völlig falschen Kräfte in diesem Land aus. Man muss höllisch aufpassen, dass man diesen falschen Propheten nicht die Menschen zutreibt, die einfach Angst vor dem Impfstoff haben oder frustriert sind von den Widersprüchen, die wir Regierende produziert haben.

Sie haben sich für das Corona-Chaos entschuldigt. Sollten die Ministerpräsidenten und die gesamte Politik das nicht einmal gemeinsam tun?

Mir wäre es lieber, wir würden gemeinsam der Toten gedenken, die in dieser Pandemie gestorben sind und die ein Recht darauf gehabt hätten, noch länger leben zu können, wenn wir es geschafft hätten, schneller mit dem Impfen durchzukommen. Wir müssen jetzt aufpassen, dass wir aus diesen Widersprüchen herauskommen. Deswegen steht in meinem Brief an den Bundeskanzler auch, dass ich alles mittragen werde, was widerspruchsfrei und flächendeckend in Deutschland umgesetzt wird.

Nach zwei Jahren Corona sind viele Leute erschöpft. Wie geht es Ihnen als Ministerpräsident, der an vorderster Front der politischen Pandemiebekämpfung ist?

Ich habe im wahrsten Sinne des Wortes eine dünne Haut bekommen. Es gibt Stellen an meinem Körper, wo meine Haut angefangen hat, auf den Stress zu reagieren. Das begleitet mich seit meiner Kindheit. Man sieht es mir nicht an, aber ich merke, wie an diesen Stellen die Haut dünner wird. Ich merke jetzt, wie sehr mich diese zwei Jahre belasten, dass ich zum Beispiel nachts aufwache und hellwach bin. Immer wieder die Sorge zu haben: Ist das, was du tust, richtig? Ist die Entscheidung notwendig? Gibt es möglicherweise eine Alternative? Ein Politiker, der den Schmerz der Menschen nicht spürt, die den Maßnahmen ausgesetzt sind, sollte sich von der politischen Bühne vielleicht fernhalten.

Verwendete Quellen
  • Video-Interview mit Bodo Ramelow am 15. Februar 2022
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