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Robert Habeck und das große Energiechaos: Einfach Kokolores


Einfach Kokolores

  • Johannes Bebermeier
Von Johannes Bebermeier

Aktualisiert am 29.09.2022Lesedauer: 6 Min.
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Robert Habeck: Was für ein Politiker will er sein? (Quelle: Chris Emil Janssen/imago images)

Robert Habeck inszenierte sich lange erfolgreich als Politiker neuen Typs. Nun räumt er nicht nur die Gasumlage ab – sondern auch sein Selbstverständnis.

Robert Habeck sieht müde aus, wie er da Mitte August vor der hellblauen Wand in seinem Ministerium steht. Er und seine Leute haben in den Tagen zuvor rotiert, um die Gasumlage einzutüten, so wie sie schon seit Monaten rotieren in dieser Krise. Es sind irre Zeiten im Wirtschaftsministerium.

Doch Habeck wäre nicht Habeck, wenn er deshalb nur das Nötigste für die versammelten Journalisten mitgebracht hätte. Das wäre eine schnöde Zahl, die Höhe der Gasumlage: 2,4 Cent pro Kilowattstunde. Nein, Habeck hat natürlich auch eine Botschaft dabei.

Es dauert keine zwei Minuten, in denen Habeck über die "bittere Medizin" und Putins Schuld an dem ganzen Kladderadatsch spricht, bis er zum Kern kommt: "Die Alternative ist nicht keine Umlage", sagt er und reißt die Augen noch ein bisschen weiter auf. "Die Alternative wäre der Zusammenbruch des deutschen Energiemarktes gewesen und damit weiter Teile des europäischen Energiemarktes."

Gasumlage – oder Chaos. Das sind in Habecks Welt damals die Alternativen. Und wer wollte da schon das Chaos wählen?

Robert Habeck wird diese Sätze so oder so ähnlich in den folgenden Wochen wie ein Mantra wiederholen. Er wird mit ihnen jegliche Kritik an der Umlage und seiner Person abzubügeln versuchen. Journalisten werden die behauptete Alternativlosigkeit immer wieder hinterfragen und sich anschließend immer wieder ratlos am Kopf kratzen: Glaubt er denn wirklich, was er da sagt?

Die Antwort auf diese Frage sickerte in den vergangenen Tagen durch und sie ist ziemlich schmerzhaft, für die deutsche Krisenpolitik, aber eben auch für Robert Habeck selbst: Die Gasumlage ist natürlich nicht alternativlos, das weiß der Wirtschaftsminister auch. Und sie ist wohl nicht einmal das beste Mittel zum Zweck. Jedenfalls soll sie nun doch weg.

Während die Bundesregierung jetzt also hastig eine Alternative zur Gasumlage zusammenschrauben muss, wird Robert Habeck in einer stillen Minute noch über etwas anderes nachgrübeln müssen. Über etwas sehr Grundlegendes. Er wird sich überlegen müssen, ob er auch als Minister noch der Politiker sein kann und will, der er immer sein wollte.

"Kein Kokolores" als Grundprinzip

Es war Robert Habeck selbst, der einmal einen wichtigen Teil des Erfolgsrezepts des Robert Habeck beschrieben hat. Das war Mitte des vergangenen Jahres, als es im Bundestagswahlkampf gerade so gar nicht rund lief. Habeck erklärte damals in einer Talkshow, wie Annalena Baerbock und er die Grünen groß gemacht hatten.

"Viel unserer Arbeit bestand darin", sagte Habeck, "den Menschen keinen Scheiß zu erzählen." Fehler zum Beispiel wirklich Fehler zu nennen und sich nicht ständig alles schönzureden, nur weil man das in der Politik jahrelang so gemacht hat. Sich nicht allwissend zu geben, sondern die politische Unerhörtheit mitzudenken, dass es auch andere Lösungen geben kann als die eigene. "Kein Kokolores" als Grundprinzip der Kommunikation.

Das machte Robert Habeck zwar nicht zum "Antipolitiker", wie oft behauptet wird. Aber eben schon zu einem Politiker neuen Typs. Jedenfalls im Anspruch. Diesen Anspruch will Habeck eigentlich auch als Minister einlösen. Er ist ein wichtiger Grund für seine nimmermüde Kommunikation, für seine Erklärvideos auf Instagram und auch für seine Rabaukenhaftigkeit.

Wenn CDU-Chef Friedrich Merz also spottet, die Deutschen dürften Habeck "jeden Tag beim Denken zuschauen", dann ist das für den Wirtschaftsminister keine Kritik, sondern ein großes Lob. Immerhin ist er mit öffentlichem Grübeln zum beliebtesten Politiker Deutschlands geworden.

Es dürfte deshalb auch kein Zufall sein, dass Habecks Umfragewerte gerade jetzt wieder abstürzen. In dem Moment, in dem nicht nur deutlich wird, dass das mit der Gasumlage noch vermurkster ist, als ohnehin schon abzusehen war. Sondern in dem auch endgültig klar wird, dass Habeck die Sache eben wochenlang schöngeredet hat. Er also genau das getan hat, was er nicht tun wollte: Kokolores erzählen.

Wenige Tage im Juni

Wer sich dieser Tage unter Grünen umhört, wie es so weit kommen konnte, der erhält recht einhellig eine Antwort, für die man gedanklich kurz in die zweite Hälfte des Juni zurückspringen muss. Damals wird mit jedem Tag klarer, dass Gashändlern wie Uniper die Pleite droht, weil immer mehr Gas aus Russland ausfällt.

Um zu vermeiden, dass auf eine Pleite gleich die nächste und dann die übernächste folgt, am Ende also schlimmstenfalls die Gasversorgung zusammenbricht, muss die Politik eine Lösung finden – und zwar schnell. Als Alternative stehen damals grob gesagt zwei Dinge im Raum, so stellen es Grüne heute dar: die Unternehmen mit Steuergeld zu retten – oder eben mit einer Umlage auf die Gaskunden.

Die Zeit drängt, die Branche findet das mit der Umlage gut. Und gegen eine Finanzierung aus Steuergeld spricht: die Schuldenbremse. Finanzminister Christian Lindner, aber auch Kanzler Olaf Scholz sollen deshalb dagegen gewesen sein, heißt es nun bei den Grünen.

Am Ende jedoch tragen Robert Habeck und die Grünen die Entscheidung rasch mit. Manche von ihnen, die die Umlage schon damals kritisch sehen, sagen heute, man habe sich wohl zu leicht überreden lassen. Oder hätte zumindest transparent kommunizieren müssen, dass es eine Alternative gibt, die nur leider mit FDP und SPD nicht zu machen sei. Man könnte das auch so zusammenfassen: Habeck hätte anschließend keinen Kokolores erzählen sollen.

Doch Robert Habeck entscheidet sich anders und macht die Umlage zu seinem Projekt, das er energisch verteidigt. Vielleicht, weil er einen weiteren offenen Konflikt in der Regierung vermeiden will. Vielleicht, weil er die Umlage damals tatsächlich für die beste Idee hält. Vielleicht spielt beides eine Rolle.

Eine Panne nach der anderen

Es folgen Wochen, in denen es so scheint, als habe sich das Wirtschaftsministerium mit der Umlage selbst ein Arbeitsbeschaffungsprogramm gegen die Langeweile erdacht. Das Problem ist nur, dass sich dort schon lange niemand mehr langweilt. Die entscheidenden Abteilungen sind schwer überlastet, und das macht sich bemerkbar.

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Erst erinnert die Europäische Union das Wirtschaftsministerium daran, dass auf die Umlage Mehrwertsteuer erhoben werden muss. Dann erinnern die Kommunen daran, dass es auch für Fernwärme und Festpreisverträge eine Lösung braucht. Und die Medien erinnern daran, dass auch Trittbrettfahrer, die Milliardengewinne machen, die Umlage einstreichen könnten.

Alle diese Pannen muss Robert Habeck managen, während der Kanzler seinen Urlaub unterbricht, um Wohltaten zu verteilen: Im Gegenzug zur Umlage wird die Mehrwertsteuer auf Gas von 19 auf 7 Prozent gesenkt. Einige Grüne nehmen Olaf Scholz diese Aufgabenteilung noch heute übel. Und fragen sich, wo denn eigentlich die umfassenden Entlastungen bleiben, mit denen man die Gasumlage gemeinsam abfedern wollte.

Geordneter Rückzug

Die Zweifel an der Gasumlage wachsen mit der Zeit allerorten, nur nicht im Wirtschaftsministerium, so zumindest hat es den Anschein. Bis Anfang vergangener Woche dann doch durchsickert, dass sich auch Robert Habeck von der Umlage verabschieden möchte.

Bei einer internen Sitzung mit anderen Grünen begründet er den Schritt zunächst mit "finanzverfassungsrechtlichen Zweifeln", so berichtet es die ARD und so wird es auch t-online aus der Partei bestätigt. Soll heißen: Weil Uniper nun komplett verstaatlicht werden soll, werden Klagen befürchtet, wenn der Staatskonzern anschließend vom Umlagegeld der Gaskunden profitiert.

Finanzminister Christian Lindner, den Habeck bittet, das zu prüfen, tut das schnell – und hält die Befürchtung für unbegründet. Und auch in der SPD heißt es, vielleicht betone Habeck die rechtlichen Bedenken ja auch vor allem, um die ungeliebte Umlage loszuwerden und Lindner zu triezen.

Jedenfalls verlauten in dieser Woche aus dem Wirtschaftsministerium noch weitere Begründungen für die Umkehr. Es stellten sich mit der Uniper-Verstaatlichung nun eben zusätzliche Fragen – juristischer wie inhaltlicher Art. Und es ergebe auch keinen Sinn, Preise zu begrenzen und dann gleichzeitig eine Umlage zu erheben, heißt es.

Dass ein Preisaufschlag dem Ziel zuwiderläuft, die horrenden Gaspreise zu senken, das ist jedoch nicht erst seit vergangener Woche richtig.

Plötzlich "kein Hexenwerk" mehr

Am Dienstag ist für Robert Habeck dann plötzlich "kein Hexenwerk" mehr, was er vorher wochenlang als quasi unmögliche Operation dargestellt hat: eine Alternative zur Gasumlage zu finden.

Das Hauptproblem ist die Finanzierung. 34 Milliarden Euro wollte man eigentlich bis Ende April mit der Umlage an die Gashändler verteilen. Angesichts des kompletten Lieferstopps aus Russland dürfte die benötigte Summe inzwischen eher noch höher sein. Für eine Gaspreisbremse, deren Kosten noch obendrauf kämen, rechnet die SPD noch einmal mit einem dreistelligen Milliardenbetrag.

Kein einfaches Unterfangen, wenn Finanzminister Lindner wirklich an der Schuldenbremse festhalten will. Nicht wenige in der Ampel sagen: Ohne ein erneutes Aussetzen wird es nicht gehen, Lindner hin, FDP her. Irgendeine Lösung muss es jedenfalls geben, das sehen natürlich nicht nur der Wirtschaftsminister und die Grünen so.

Für die aber ist es eben auch aus parteipolitischen Gründen besonders wichtig. Denn natürlich habe man mit der Gasumlage Vertrauen verspielt, sagt ein Grüner hinter vorgehaltener Hand. Das mit der Kommunikation sei einfach nicht gut gelaufen.

Also von jetzt an wieder weniger Kokolores?

Als Robert Habeck am frühen Dienstagabend vor die Presse tritt, um zu verkünden, dass zwei Atomkraftwerke wohl bis April weiterlaufen werden, sagt er auf Nachfrage auch ein paar Worte zu seinem zweiten Schmerzensprojekt: der Gasumlage.

Er habe "zur Kenntnis genommen, dass jetzt Finanzierungsmöglichkeiten gefunden wurden, die vor drei Monaten noch nicht da waren", sagt Habeck. Und dann sagt er noch etwas, was doch ziemlich nach Rechtfertigung klingt: "Selbstverständlich gibt es auch eine Alternative. Das ist ja nie verheimlicht worden."

Es ist, so muss man das sagen, mal wieder eine recht eigenwillige Interpretation der Geschehnisse.

Verwendete Quellen
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