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Nancy Faeser fordert Waffenrechts-Reform: "Dürfen nicht in falsche Hände"


Innenministerin Nancy Faeser
"So kann es nicht weitergehen"

InterviewVon Miriam Hollstein

Aktualisiert am 22.03.2023Lesedauer: 6 Min.
Interview
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Nancy Faeser: "Da gerät etwas ins Rutschen."Vergrößern des Bildes
Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD): Ihre Pläne missfallen dem Koalitionspartner FDP. (Quelle: Hans-Christian Plambeck/T-Online-bilder)

Die Zuwanderung erleichtern? Da ist sich die Ampel einig. Aber Innenministerin Nancy Faeser will auch das Waffenrecht verschärfen – und hat Ärger mit der FDP.

Die Stimmung in der Koalition ist gerade irgendwo zwischen mies und unterirdisch. Aber nein, es war natürlich keine Flucht aus dem tristen Berlin, als Innenministerin Nancy Faeser und Arbeitsminister Huberuts Heil am Sonntag gen Kanada aufbrachen.

Die beiden SPD-Politiker wollten sich vor Ort umgucken, wie man das macht: ein erfolgreiches Einwanderungsland werden. Schließlich hat die Ampelkoalition genau das auch mit Deutschland vor. Noch in diesem Frühjahr könnte das Kabinett das sogenannte Fachkräfteeinwanderungsgesetz beschließen. Klingt sehr bürokratisch, soll Einwanderung in den deutschen Arbeitsmarkt aber deutlich erleichtern.

t-online: Frau Faeser, was kann Kanada, was Deutschland nicht kann?

Nancy Faeser: Deutschland kann von Kanada sehr viel lernen. Die Kanadier wollen, dass Menschen aus aller Welt zu ihnen kommen, um sich aktiv in Wirtschaft und Gesellschaft einzubringen und Kanada voranzubringen. Deshalb gibt es eine ausgeprägte Willkommenskultur, die auch sehr stark gelebt wird.

Sie haben für die geplante Reform des Einwanderungsrechts das kanadische Punktesystem kopiert. Wer mindestens sechs Punkte gesammelt hat, etwa durch berufliche Qualifikation oder Sprachkenntnisse, kann auch ohne Arbeitsvertrag nach Deutschland kommen und dort maximal ein Jahr nach einem Job suchen. Die Arbeitsaufnahme zu erleichtern, leuchtet vielen ein. Aber warum wollen Sie, dass es auch leichter wird, Deutscher zu werden?

Zum einen: Sie haben recht, die geplante Chancenkarte ist dem kanadischen Punktesystem in der Tat sehr ähnlich. Aber es gibt noch viel mehr zu tun. Wir müssen in Deutschland auch noch viel Bürokratie abbauen. Kanada ist gerade dabei, eine App zu entwickeln, mit der man den gesamten Einwanderungsantrag abwickeln kann. Das ist auch für Deutschland eine gute Idee. Das Wichtigste aber ist: Wir brauchen eine andere Haltung. Deutschland ist schon lange ein Einwanderungsland. Es ist eine Lebenslüge von CDU und CSU, diese Erkenntnis immer verweigert zu haben – und ein Riesenfehler, nicht gehandelt zu haben. Jetzt fehlen uns Hunderttausende qualifizierte Kräfte in diversesten Branchen. In Kanada können Menschen, die gut integriert sind, schnell auch kanadische Staatsbürger werden. Bei uns sind dagegen die Hürden viel zu hoch. Deshalb reformieren wir auch unser Staatsangehörigkeitsrecht.

Doch da knirscht es ziemlich mit der FDP. Diese pocht auf einen Generationenschnitt: Enkel der Ersteingebürgerten sollen sich für eine Staatsbürgerschaft entscheiden müssen.

Das Problem beim Generationenschnitt ist, dass wir nicht für andere Länder entscheiden können, ob sie auf ihre Staatsbürgerschaft bei in Deutschland lebenden Staatsangehörigen verzichten. Deshalb ist das rechtlich sehr schwierig. Ich bin aber sicher, dass wir uns da mit der FDP einigen werden.

Eine weitere Forderung der FDP: Alle, die sich einbürgern lassen wollen, müssen ihren Lebensunterhalt selbst bestreiten können. Ohne Ausnahme, etwa auch für Alleinerziehende.

Es geht um gut integrierte Menschen, die Jobs haben und davon leben können. Über notwendige Ausnahmen sprechen wir gerade.

Die Union wirft Ihnen vor, die Staatsbürgerschaft "verramschen" zu wollen.

Das ist grober Unsinn, der unserem Land schadet. Wir verramschen nichts, sondern handeln endlich auf der Höhe der Zeit. In kaum einem Land dauert es so lange wie bei uns, bis man die Staatsangehörigkeit bekommt. In Kanada ist das nach drei Jahren möglich, wir sprechen bei uns in der Regel von fünf Jahren. Die Union sollte mal auf die Wirtschaft hören: Die braucht dringend Fachkräfte – und dazu gehört als wichtigste langfristige Perspektive auch die Staatsangehörigkeit. Wir kämpfen gerade mit anderen wirtschaftsstarken Staaten um die besten Köpfe auf der Welt. Und wir müssen aufpassen, dass wir diesen Kampf nicht wegen völlig überholter Vorstellungen verlieren. Es geht hier um den Wohlstand in Deutschland. Uns werden schon bald Millionen Arbeits- und Fachkräfte fehlen, die wir allein durch Qualifizierung in Deutschland nicht ersetzen können.

Zur Wahrheit gehört aber auch: Kanada ist deshalb so erfolgreich bei der Einwanderung, weil es gleichzeitig eine sehr strikte Flüchtlingspolitik betreibt. Im Gegensatz zu Deutschland hat es auch nur eine einzige Landesgrenze und deshalb viel weniger Probleme mit irregulärer Migration.

Kanada hat mehr Geflüchtete aus der Ukraine aufgenommen als manches europäische Land – und auch Menschen aus Syrien. Aber richtig ist: Wir müssen in der Migrationspolitik viel stärker ordnen und steuern, als es in den letzten 16 Jahren unter Unions-Innenministern geschehen ist. Wir haben Grenzkontrollen intensiviert, wir haben endlich die Blockade beim europäischen Asylsystem überwunden und wir schließen Migrationsabkommen mit Herkunftsstaaten. Dazu gehören auch konsequente Abschiebungen, wo immer das möglich ist. Das ist auch eine Frage der Akzeptanz für Migration.

Mit der FDP gibt es auch Streit bei Ihrem Vorhaben, das Waffenrecht zu reformieren. Sie wollen ein psychologisches Gutachten für alle zur Pflicht machen, die einen Waffenschein erwerben wollen. Bislang gilt das nur für unter 25-Jährige. Die FDP lehnt dies ab und auch der Deutsche Schützenbund spricht von einem "Generalverdacht".

Es geht darum, Extremisten und andere gefährliche Personen davon abzuhalten, Waffen zu erwerben und zu besitzen. Da reicht die Gesetzeslage eben nicht. Das hat der schreckliche rassistische Anschlag in Hanau gezeigt. Und in Hamburg haben wir vor zwei Wochen erneut gesehen, welch entsetzliches Leid ein Amoktäter mit einer legalen Waffe angerichtet hat. Wie viele solcher Vorfälle braucht es noch, bis wir erkennen: So kann es nicht weitergehen! Wir müssen sicherstellen, dass bei Anzeichen für eine Gefährlichkeit der jeweiligen Person Waffenerlaubnisse gar nicht erst erteilt oder rechtzeitig entzogen werden. Mein Gesetzentwurf sieht eine allgemeine Pflicht zur Vorlage eines ärztlichen oder psychologischen Zeugnisses bei der erstmaligen Beantragung einer Waffenerlaubnis vor – für alle, nicht nur für unter 25-Jährige. Außerdem brauchen wir einen viel engeren Informationsaustausch der Behörden, auch mit den Gesundheitsämtern.

Wie kann man umgekehrt eine Stigmatisierung verhindern? Dass Menschen, die eine Waffe erwerben wollen, dann einfach nicht mehr zum Arzt gehen, um nicht aufzufallen?

Das ist eine Frage der Abwägung. Die Gesellschaft muss vor solchen Amoktaten geschützt werden. Würden wir das auch diskutieren, wenn der Täter von Hamburg eine Schule überfallen hätte? Ich möchte nicht auf einen solchen Vorfall warten, sondern lieber jetzt das Recht verschärfen.

Warum dann nicht grundsätzlich den privaten Waffenbesitz verbieten, wie es einige fordern?

Wir brauchen Regeln, die Missbrauch verhindern. Waffen dürfen nicht in falsche Hände kommen. Deshalb habe ich wirksame Änderungen vorgeschlagen und treibe sie in der Koalition voran.

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Was sind die Lehren aus der Amoktat von Hamburg?

Wir müssen dafür sorgen, dass künftig schnell vorübergehend Waffen entzogen werden können, wenn es konkrete Hinweise auf eine Gefährdung gibt. Während diese Hinweise genau geprüft werden, wäre eine möglicherweise gefährliche Person dann nicht mehr im Besitz legaler Waffen. Wir prüfen außerdem gerade, wie man Behörden zu Internetrecherchen verpflichten kann, wenn es entsprechende Hinweise gibt.

Weil die Hamburger Polizei trotz Hinweisen das religiöse Wahnpamphlet des Attentäters nicht genauer prüfte.

Das werden die weiteren Ermittlungen zeigen. Entscheidend ist sicherzustellen, dass den Behörden kein Hinweis auf eine Gefahr durch Waffenbesitzer entgeht. Deshalb wollen wir auch den Zeitraum verlängern, der bei der Erteilung einer Waffenbesitzkarte überprüft wird. Bislang wird fünf Jahre zurückgeschaut, ob jemand bei der Polizei zum Beispiel durch Gewalt aufgefallen ist. Wir prüfen, ob wir diesen Zeitraum auf die letzten zehn Jahre verlängern. Wir dürfen nicht erst nach so furchtbaren Taten wie jetzt in Hamburg die immer wieder gleiche Diskussion um Konsequenzen führen. Wir wissen schon von früheren schweren Gewalttaten, dass wir striktere und engmaschigere Überprüfungen brauchen.

Es ist auffällig, wie viel Streit es bei Ihren Vorhaben mit der FDP gibt. Passen SPD und die Liberalen einfach nicht zusammen, wenn es ums Regieren geht?

Das stimmt so nicht. Zum einen haben wir das erste Mal in der Geschichte der Bundesrepublik eine Drei-Parteien-Koalition. Da ruckelt es eben manchmal. Ich kann Ihnen auch viele Punkte nennen, wo es mit der FDP leichter ist als mit den Grünen.

Hält die Ampel bis zum Ende der Legislatur?

Da bin ich mir absolut sicher.

Sie sind oft mit Kabinettskollegen unterwegs, mit Außenministerin Annalena Baerbock waren Sie in der Türkei, mit Arbeitsminister Hubertus Heil in Kiew und jetzt in Kanada. Wenn Sie mit einem anderen Kabinettsmitglied auf einer einsamen Insel stranden würden, mit wem am liebsten?

Mit Finanzminister Christian Lindner, um genügend Zeit zu haben, mit ihm über den Haushalt zu diskutieren.

Sie fallen momentan mit vielen Vorhaben auf. Wollen Sie beweisen, dass Sie eine gute Bundesinnenministerin sind für den Fall, dass die Landtagswahl in Hessen, bei der Sie als Spitzenkandidatin für die SPD antreten, für Sie schlecht ausgeht?

Nein, ich mache nur meine Arbeit. Wie man es von jeder Bundesministerin erwarten kann.

Die Umfragen in Hessen fallen für Sie deprimierend aus.

Davon lasse ich mich nicht erschüttern. Bis zur Wahl im Herbst ist es noch lange hin. Die Menschen haben die Wahl noch gar nicht im Bewusstsein. Das beginnt erst, wenn die Plakate hängen. Und denken Sie daran, wo Olaf Scholz wenige Monate vor der Bundestagswahl stand. Jetzt ist er unser Kanzler. Ich möchte die erste Frau an der Spitze der hessischen Landesregierung werden. Ich will Wahlen gewinnen, nicht Umfragen.

Verwendete Quellen
  • Interview mit Nancy Faeser
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