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AfD-Verbot: Grünen-Politiker sieht Russland-Affäre um Bystron als Zeichen


Grünen-Justizexperte Till Steffen
"Ich will nicht wissen, was dann hier los wäre"

  • Johannes Bebermeier
InterviewVon Johannes Bebermeier

13.04.2024Lesedauer: 8 Min.
Interview
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Der Gesprächspartner muss auf jede unserer Fragen antworten. Anschließend bekommt er seine Antworten vorgelegt und kann sie autorisieren.

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Till Steffen: "Es gibt allein in den vergangenen Wochen eine Reihe von Meldungen, die eine Verfassungsfeindlichkeit der AfD nahelegen." (Quelle: IMAGO/imago)

Sollte die AfD verboten werden? Die Ampelspitzen wollen sich bisher nicht festlegen. Für den früheren Hamburger Justizsenator und Grünen-Politiker Till Steffen spricht viel dafür.

Es ist ruhig geworden. Erstaunlich ruhig. Viele Wochen diskutierte das politische Berlin Anfang des Jahres darüber, ob es ein AfD-Verbotsverfahren braucht. Nach den Recherchen von "Correctiv" zum Potsdamer "Geheimtreffen" wurde hin und her argumentiert: Muss man es angehen oder nutzt es der AfD am Ende nur? Und wenn ja, wann ist der richtige Zeitpunkt?

Seit einigen Wochen ebbt die Debatte ab. Was weniger damit zu tun hat, dass die AfD keine neuen Argumente liefert. Sondern wohl mehr damit, dass sich die Ampelkoalition bislang nicht klar positioniert: Will sie einen Verbotsantrag – oder nicht?

Till Steffen kennt die Zweifel, die Hürden und die Gefahren genau. Der promovierte Jurist war viele Jahre Justizsenator in Hamburg und Anwalt. Seit der vergangenen Wahl ist er für die Grünen Parlamentarischer Geschäftsführer im Bundestag. Er ist optimistischer als einige seiner Ampelkollegen, wie sich im Gespräch mit t-online zeigt. Und findet: Der Bundestag sollte bald darüber diskutieren.

t-online: Herr Steffen, gehört die AfD aus Ihrer Sicht verboten?

Till Steffen: Vor einigen Monaten hatte ich noch die Hoffnung, dass sich die AfD mäßigen könnte. Jetzt sieht man: Sie haben sich für die Radikalisierung entschieden. Wer Maximilian Krah als Spitzenkandidaten für die Europawahl aufstellt, der hat seinen Weg gewählt. Und es gibt allein in den vergangenen Wochen eine Reihe von Meldungen, die eine Verfassungsfeindlichkeit der AfD nahelegen.

Welche meinen Sie?

Es deutet viel darauf hin, dass einige Abgeordnete aus Russland finanziert werden, siehe den Fall Petr Bystron. Die "Remigrations"-Ideen werden breit geteilt und laufen darauf hinaus, viele Mitmenschen zu schikanieren und zu vertreiben. Die AfD ist offenkundig ein Sammelbecken für politische Gewalttäter. Und wir haben einen Spitzenkandidaten der AfD in Brandenburg, Hans-Christoph Berndt, der offen sagt, dass er den Parteienstaat abschaffen will. Das sind schon ziemlich viele Anhaltspunkte für Dinge, die mit unserer Verfassung nicht vereinbar sind.

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Till Steffen (Quelle: IMAGO/imago)

Zur Person

Till Steffen, 50 Jahre alt, hat seit 2008 in Hamburg unter Ole von Beust (CDU), Christoph Ahlhaus (CDU), Olaf Scholz (SPD) und Peter Tschentscher (SPD) als Justizsenator gearbeitet. Bei der Wahl 2021 ist er per Direktmandat in den Bundestag eingezogen. Er hat Jura studiert und mit einer Doktorarbeit abgeschlossen. Im Bundestag ist er für die Grünen Parlamentarischer Geschäftsführer und sitzt unter anderem im Rechtsausschuss.

Die AfD würde dem entgegnen, diese Dinge seien nicht bewiesen, aus dem Zusammenhang gerissen oder Einzelfälle, die eben nicht für die Gesamtheit der Partei stünden.

Das würde sie vermutlich. Die Hauptaufgabe bei einem Verbotsverfahren ist tatsächlich, darzulegen, dass es eine strukturelle Verfassungsfeindlichkeit in der AfD gibt. Das kann das Bundesamt für Verfassungsschutz besser als wir Abgeordneten. Und unsere Gerichte klopfen anschließend ab, ob dessen Einstufungen rechtsstaatlich einwandfrei sind. Genau das passiert gerade in dem Verfahren am Oberverwaltungsgericht Münster.

Dort wird verhandelt, ob das Bundesamt für Verfassungsschutz die AfD bundesweit als rechtsextremistischen Verdachtsfall einstufen darf.

Genau. Diese Verhandlung verfolgen viele in der Ampel sehr aufmerksam, wenn es um die Frage eines Verbots geht.

Führende Ampelvertreter ziehen sich gerne auf den Standpunkt zurück, das Ganze sei eine juristische Frage. Machen sie es sich damit nicht zu leicht? Der erste Schritt zu einem Verbot ist ja eine politische Entscheidung: Stellt man einen Verbotsantrag oder nicht.

Es ist natürlich auch eine politische Entscheidung. Ein politisches Organ, also die Bundesregierung, der Bundestag oder der Bundesrat, muss eine Entscheidung treffen. Sie haben da eine Wächterrolle für unsere Demokratie, nur durch ihre Entscheidung kann das Bundesverfassungsgericht aktiv werden. Deswegen kann sich die Politik vor dieser Aufgabe nicht drücken.

Warum hat man dann den Eindruck, dass einige in der Ampel das tun?

Weil man einen Verbotsantrag nicht einfach mal so stellt. Die Grundlage müssen sehr gründliche Untersuchungen sein, die rechtlich stichfest sind. Dafür ist das Urteil in Münster absolut notwendig.


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"Aggressiv kämpferisch" klingt, als müsste die AfD gleich eine Kampftruppe aufbauen. Aber das zu beweisen, ist gar nicht nötig.


Till Steffen


Dort geht es aber nur darum, ob der Verfassungsschutz die AfD zu Recht als Verdachtsfall einstuft. Das ist doch etwas anderes als die Frage, ob sie verboten gehört.

Ein bisschen vereinfacht gesagt: Nein.

Das müssen Sie erklären.

Die Voraussetzungen für eine Beobachtung durch den Verfassungsschutz sind Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen. Für ein Parteiverbot ist die Voraussetzung einerseits die Verfassungsfeindlichkeit. Dafür könnte das Urteil von Münster also eine Grundlage bilden. Andererseits müsste der "aggressiv kämpferische" Charakter der Bestrebungen festgestellt werden.

Das Letztere gilt oft als noch schwerer nachzuweisen.

So eindeutig stimmt das nicht. "Aggressiv kämpferisch" klingt, als müsste die AfD gleich eine Kampftruppe aufbauen. Wir haben über die Gewalttäter in ihren Reihen gesprochen, auch dafür gibt es also Indizien. Aber das zu beweisen, ist gar nicht nötig, um dieses Kriterium zu erfüllen. Das hat man unter anderem beim NPD-Verbotsverfahren gesehen.

Das Verbot ist damals gescheitert, weil die NPD dem Gericht zufolge inzwischen zu klein war, um der Demokratie wirklich gefährlich zu werden.

Genau. Später wurde der NPD trotzdem die Parteienfinanzierung entzogen. Das Spannende an den Entscheidungen ist, dass das Verfassungsgericht sehr deutlich gemacht hat, dass allein die Programmatik ausreichen kann, um auch den "aggressiv kämpferischen" Charakter zu belegen. Zum Beispiel durch die geplante Entrechtung von Menschen mit Migrationshintergrund.

Allerdings hatte die NPD ihre verfassungsfeindlichen Pläne im Parteiprogramm stehen. Das Programm der AfD dürfte hingegen nicht ausreichen, ihr das nachzuweisen.

Das stimmt. Aber auch da ist das NPD-Verfahren interessant. Das Verfassungsgericht hat sich nämlich nicht auf das Programm verlassen. Es hat Aussagen von Mitgliedern und Unterstützern herangezogen – unter der Voraussetzung, dass sich die Partei nicht deutlich von ihnen distanziert hat. Also hat das Gericht genau das getan, was es bei der AfD wohl auch tun müsste.

Wann wäre der richtige Zeitpunkt für einen Verbotsantrag? Das Verfahren in Münster könnte sich bis in den Juli hineinziehen. Wäre ein Antrag so kurz vor den Landtagswahlen in Ostdeutschland klug?

Das sollte kein Kriterium sein. Entscheidend muss sein, ob man einen Antrag gut begründet stellen kann. Man muss sich wirklich sicher sein. Nur so kann man dem Vorwurf entgegentreten, Einfluss auf Wahlen nehmen zu wollen. Ohnehin würde ein Verbotsverfahren ja länger dauern.

Justizminister Marco Buschmann rechnet mit vier bis sechs Jahren.

Das sind Mutmaßungen. Bei der NPD hat sich das Verfassungsgericht aus meiner Sicht Zeit gelassen, weil die Partei so unbedeutend war. An anderer Stelle hat das Gericht gezeigt, dass es schnell entscheiden kann, wenn es geboten ist. Deswegen bin ich nicht so pessimistisch. Richtig ist, dass wir damit in anderthalb Jahren nicht durch sein werden.

Sie rechnen eher mit zwei bis vier Jahren?

Das hängt davon ab, ob ein Antrag gut vorbereitet wird. Wichtig ist in jedem Fall: Der gesellschaftliche Kampf gegen das Gedankengut, der natürlich mit einem Verbotsverfahren einhergehen muss, wird viel länger dauern.

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Das heißt, Sie wären dafür, den Verbotsantrag zu stellen, wenn das Oberverwaltungsgericht Münster die Einstufung des Verfassungsschutzes stützt?

Nach dem Urteil sollten wir eine Debatte im Bundestag über einen AfD-Verbotsantrag führen und weitere Vorbereitungen treffen. Der Antrag kann sich nicht allein auf die Erkenntnisse des Verfassungsschutzes stützen, sondern braucht noch eigene juristische Begutachtungen, die angestoßen werden müssten.

Kann man damit nicht schon beginnen?

Nein, das ergibt erst nach dem Urteil in Münster Sinn.

Sollte ein Verbotsantrag aus Ihrer Sicht von einem breiten Bündnis im Bundestag getragen werden? Oder reicht im Zweifel auch die Ampelmehrheit?

Eine breite Mehrheit wäre das politische Ideal und ein gutes Zeichen: Die Demokraten sagen, jetzt reicht es.

Der Ostbeauftragte der Bundesregierung, Carsten Schneider (SPD), glaubt, ein Verbotsverfahren würde zu einer noch größeren Solidarisierung mit der AfD führen. Ist das nicht eine reale Gefahr?

Die AfD wird sich immer in die Opferrolle begeben. Egal, was wir tun. Sie nutzt die Opfererzählung auch jetzt schon ausgiebig, wo es noch kein Verbotsverfahren gibt. Das ist ein wichtiger Teil ihrer politischen Strategie. Ich hoffe auf etwas anderes.

Nämlich?

Ich glaube, dass es für sehr viele Leute wichtig ist zu wissen, an welcher Stelle der Staat die Ansage macht: bis hierhin und nicht weiter. Wir sind an einem Punkt, an dem es eine Gefahr für das friedliche Zusammenleben gibt. Und für euch gibt es andere Wege, abseits der AfD Kritik zu üben und sich zu engagieren. Es braucht dieses Stoppschild.

Die AfD ist allerdings dort besonders stark, wo sie vom Landesverfassungsschutz als "gesichert rechtsextrem" eingestuft wird: in Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen. Fürchten Sie nicht, dass es Widerstand gibt, wenn dort eine Partei verboten wird, die auf 30 Prozent kommt?

Wir wissen natürlich nicht, wie die Leute reagieren. Aber Demokraten dürfen sich nicht einschüchtern lassen und dadurch erpressbar werden. Und ich stelle mir die Gegenfrage: Haben wir irgendeinen Hinweis, dass Anhänger einer Partei, die der Ideologie von Björn Höcke folgen, keine Gewalt einsetzen, wenn die AfD ungestört mitregieren kann? Ich glaube: Der Staat muss sich hier von seiner harten Seite zeigen, um die Demokratie zu schützen.

Was aber wäre durch ein Parteiverbot gewonnen? Die Überzeugung der Menschen verschwindet damit ja nicht.

Das zentrale Ziel eines Parteiverbots ist, dass sich die totalitäre Ideologie, die in der AfD Überhand gewinnt, nicht in staatliche Macht umsetzt. Also der Schutz aller anderen vor der AfD. Aber natürlich gibt es auch die Hoffnung, anschließend ihre Wähler besser zu erreichen. Nur ein kleiner Teil ist wirklich durch und durch überzeugt von dieser völkischen Ideologie. Für die anderen müssen die Demokraten Politik machen.


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Ich will nicht wissen, was dann hier los wäre.


Till Steffen


Es gibt im Gegensatz dazu auch die Auffassung, dass es statt eines voreiligen Verbots besser wäre zu warten, bis die AfD in Ländern regiert und sich zeigt, dass sie ihre Pläne auch umsetzt, es also nicht nur Gerede, sondern handfeste Beispiele gibt für Diskriminierung, Einflussnahme auf Gerichte oder die Behinderung von Parteiarbeit. Was spricht dagegen?

Der Justizjournalist Christian Rath, den ich sehr schätze, hat das vorgeschlagen. Aber was würde das konkret bedeuten? Sollen wir wirklich abwarten, dass Menschen mit Migrationshintergrund systematisch schikaniert werden? Das wäre doch zynisch: Diese Menschen zu opfern, um bei einem Verbotsverfahren auf der sicheren Seite zu sein. Es würde nicht nur Angst und Schrecken bedeuten. Das könnte Menschenleben kosten. Und ich würde aus einem weiteren Grund davor warnen.

Aus welchem?

Wenn die AfD erst einmal staatliche Macht besitzt, hat sie sehr weitreichende Möglichkeiten, die Demokratie auszuhöhlen. Zum Beispiel mit der Besetzung von Schlüsselpositionen. Das lässt sich nicht ohne Weiteres schnell rückabwickeln. Und es wäre auch nicht mehr damit getan, die Partei zu verbieten, weil ihr Handeln fortwirken würde. Es ist ohnehin denkbar, dass wir einer Regierungsbeteiligung der AfD nicht mehr zuvorkommen, weil ein Verbotsverfahren seine Zeit braucht. Aber dann sollten wir wenigstens angefangen haben.

Das Gegenargument an der Stelle ist: Wenn es brenzlig wird, könnte man in der Zwischenzeit mit einer einstweiligen Anordnung ein Betätigungsverbot für die AfD erwirken. Oder per "Bundeszwang" einen Staatskommissar ins Land entsenden, der der Landesregierung Weisungen erteilt. Das halten Sie für unrealistisch?

Es ist gut, dass wir jetzt mal schauen, welche Instrumente unsere wehrhafte Demokratie bereithält. Denn darum muss es gehen: Verfassungsfeinde aus unserem Staatsapparat herauszuhalten. Nur: Wäre es wirklich das mildere Mittel, einen Staatskommissar aus Berlin einzusetzen, der einer gewählten Landesregierung mitteilt, sie habe jetzt gar nichts mehr zu sagen? Ich will nicht wissen, was dann hier los wäre.

Herr Steffen, vielen Dank für das Gespräch.

Verwendete Quellen
  • Gespräch mit Till Steffen im Bundestag
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