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Wahlrechtsreform: Darüber streiten Ampel, CDU, CSU und Linke in Karlsruhe


Klage gegen neues Wahlrecht
Söders CSU hat viel zu verlieren

Von dpa, t-online
Aktualisiert am 23.04.2024Lesedauer: 4 Min.
imago images 0446029055Vergrößern des BildesMarkus Söder: Seine Partei kämpft erbittert gegen die Wahlrechtsreform. (Quelle: IMAGO/Rolf Poss/imago)
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Die von der Ampel durchgesetzte Wahlrechtsreform ist schwer umstritten. Nun liegt sie beim Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe.

Scharfe Worte in Karlsruhe: Mit empörten Beiträgen von Vertretern aus Union und Linkspartei hat am Dienstag vor dem Bundesverfassungsgericht die Verhandlung über das neue Wahlrecht begonnen. Von einem "fundamentalen Verstoß gegen Grundsätze unserer Verfassung" sprach CDU-Chef Friedrich Merz. Der Linken-Politiker Gregor Gysi äußerte den Verdacht, dass eine Bundestagsmehrheit ihre Mehrheit missbraucht habe, "um die Möglichkeit zu schaffen, zwei Parteien aus dem Bundestag zu drängen."

Die Wahlrechtsreform der Ampel würde vieles verändern. t-online erklärt, was die Reform erreichen soll, wo die Kritikpunkte sind und wann mit einer Entscheidung zu rechnen sein könnte:

Was verändert die Reform am Wahlrecht?

Das im vergangenen Jahr mit den Stimmen von SPD, Grünen und FDP beschlossene neue Wahlrecht deckelt die Sitzzahl des Bundestages bei 630. Aktuell sitzen im Bundestag 736 Abgeordnete.

Gewählt wird weiter mit Erst- und Zweitstimme. Es gibt aber keine Überhang- und Ausgleichsmandate mehr. Überhangmandate entstanden bisher, wenn eine Partei über die Erststimmen mehr Direktmandate im Bundestag gewann, als ihr Sitze nach dem Zweitstimmenergebnis zustanden. Diese Überhangmandate durfte sie behalten. Die anderen Parteien erhielten dafür Ausgleichsmandate. Dieses System führte zu einer immer größeren Aufblähung des Bundestags. Für die Zahl der Sitze einer Partei im Parlament ist künftig allein ihr Zweitstimmenergebnis entscheidend.

Auch die Grundmandatsklausel fällt weg. Nach ihr zogen bisher Parteien, die unter der Fünfprozenthürde lagen, auch dann in der Stärke ihres Zweitstimmenergebnisses in den Bundestag ein, wenn sie mindestens drei Direktmandate geholt hatten. Bei der Bundestagswahl 2021 kam Die Linke zwar nur auf 4,9 Prozent der Zweitstimmen, aber Gregor Gysi (Berlin), Gesine Lötzsch (Berlin) und Sören Pellmann (Leipzig) gewannen jeweils ein Direktmandat – und die Linke zog mit 39 Abgeordneten in den Bundestag ein. Bei der Wahl 1994 holte die Linke-Vorgängerpartei PDS sogar nur 4,4 Prozent der Zweitstimmen. Doch dank vier in Berlin gewonnener Direktmandate entfielen auf sie 30 Sitze im Bundestag.

Das Wahlrecht wurde erst 2020 verändert – warum schon wieder?

Die 2020 von der großen Koalition aus CDU/CSU und SPD verabschiedete Wahlrechtsreform hat schlicht nicht das bewirkt, was sie hätte bewirken sollen: eine Verkleinerung des Bundestags. Von vornherein von ihren Kritikern als Reförmchen verspottet, schaffte sie es lediglich, den Anstieg der Abgeordnetenzahl zu bremsen. Der Bundestag wuchs bei der Wahl 2021 von 709 auf 736 Abgeordnete – und ist damit weiterhin das größte frei gewählte Parlament weltweit.

Wer klagt heute?

Es klagen die CSU, die Linke, die Linke-Bundestagsfraktion, einzelne Bundestagsabgeordnete der Linken, 195 Mitglieder der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, die bayerische Staatsregierung sowie mehr als 4.000 Privatpersonen.

Woran stören sich die Kläger?

Die Kläger sehen sich insbesondere in zwei Grundrechten verletzt: bei der Wahlrechtsgleichheit nach Artikel 38 Grundgesetz und beim Recht auf Chancengleichheit der Parteien nach Artikel 21 Grundgesetz.

Künftig wird jede Partei nur noch so viele Mandate erhalten, wie ihr nach ihrem Zweitstimmenergebnis zustehen – auch dann, wenn sie mehr Direktmandate geholt hat. Dann gehen die Wahlkreisgewinner mit dem schlechtesten Erststimmenergebnis leer aus. Dies wird vor allem von der CSU kritisiert, aber auch von der CDU.

Deutliche Worte wählte Alexander Dobrindt, Vorsitzender der CSU-Landesgruppe im Bundestag. Die Ampel versuche, das Wahlrecht zu "missbrauchen". Die Wahlrechtsreform sei eine "Manipulation des Wahlrechts".

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Der Grund für den Widerstand aus der Union ist einfach: Bei der Bundestagswahl 2021 gewann die CSU 45 Direktmandate, kam aber nur auf ein bundesweites Zweitstimmenergebnis von 5,2 Prozent. Sie erhielt so 11 Überhangmandate, die sie nach dem neuen Wahlrecht nicht mehr bekäme. Weitere 12 Überhangmandate holte die CDU in Baden-Württemberg. Zusammen waren das 23 von insgesamt 34 Überhangmandaten, die wiederum 104 Ausgleichsmandate zur Folge hatten.

Für die CSU könnte es besonders bitter kommen. Würde sie bundesweit hochgerechnet unter die Fünf-Prozent-Marke rutschen, flöge sie nach dem neuen Wahlrecht aus dem Bundestag – auch wenn sie wieder die allermeisten Wahlkreise in Bayern direkt gewinnen würde.

Wann ist mit einem Urteil zu rechnen?

Das steht noch nicht fest. Allzu viel Zeit kann sich das Bundesverfassungsgericht aber nicht lassen. Der nächste Bundestag wird regulär im Herbst kommenden Jahres gewählt. Und die Venedig-Kommission des Europarats hat in einem Verhaltenskodex festgelegt, dass etwa ein Jahr vor einer Wahl deren Regeln feststehen sollen. Demnach müsste spätestens direkt nach der parlamentarischen Sommerpause ein Urteil verkündet werden.

Die Kommission, die Staaten in Verfassungsfragen einschließlich des Wahlrechts berät, hat sich das neue deutsche Wahlrecht im Juni vergangenen Jahres angeschaut. Sie kam zu dem Schluss, dass die Reform im Einklang mit den internationalen Wahlrechtsstandards stehe. Kritisch angemerkt wurde aber, dass eine breite Unterstützung über die Parteigrenzen hinweg fehle.

Wie könnte ein Urteil aussehen?

Das lässt sich überhaupt nicht vorhersagen. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hatte keine verfassungsrechtlichen Bedenken und unterzeichnete das Gesetz. Das Bundespräsidialamt machte dabei deutlich, dass der Gesetzgeber nach dem Grundgesetz und der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts sehr frei in der Ausgestaltung des Wahlrechts sei. Das stimmt zwar. Trotzdem ist das Wahlrecht auch am höchsten deutschen Gericht ein umstrittenes Thema, wie das Urteil zur Reform der großen Koalition vom November vergangenen Jahres zeigte: Es fiel mit fünf zu drei Richterstimmen denkbar knapp aus.

Verwendete Quellen
  • Mit Material der Nachrichtenagentur dpa
  • Eigene Recherche
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