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USA: Ist Joe Biden eine sinnvolle Alternative zu Donald Trump?


Was heute wichtig ist
Amerikas Schrei nach Ruhe

MeinungVon Florian Wichert

Aktualisiert am 27.07.2020Lesedauer: 8 Min.
Meinung
Was ist eine Meinung?

Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.

Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.
Eine Black-Lives-Matter-Demonstrantin in Portland/USA wird festgenommen.Vergrößern des Bildes
Eine Black-Lives-Matter-Demonstrantin in Portland/USA wird festgenommen. (Quelle: Caitlin Ochs/Reuters-bilder)

Guten Morgen, liebe Leserinnen und Leser,

hier kommt der kommentierte Überblick über die Themen des Tages:

WAS WAR?

Oberlehrer. Oberdezernent. Klarsichthülle: Das waren wenig schmeichelhafte Spitznamen für den früheren Parteichef der SPD, Hans-Jochen Vogel, der nun im Alter von 94 Jahren verstorben ist. Die Spitznamen trug Vogel zu Unrecht, versichert unser Kolumnist Gerhard Spörl. Er muss es wissen, war er doch früher einmal pro Woche zum Frühstück mit Vogel eingeladen. Früh morgens um 7 Uhr. Er begleitete Vogel als Journalist und berichtete vom Aufstieg Vogels zum Oberbürgermeister der Stadt München mit nur 34 Jahren – oder von der Niederlage bei der Bundestagswahl 1983 gegen Helmut Kohl und die Union. "Vogel fragte sich nicht, was die Partei ihm geben konnte. Er gab der Partei, was sie brauchte", schreibt Gerhard Spörl, der es nicht immer leicht mit Vogel hatte.


WAS STEHT AN?

Auf dem Land leben oder zumindest mal ein, zwei Wochen dort Urlaub machen – das wär doch was. Der Gedanke kann einem schon mal kommen, während man diese Zeilen schreibt und aus dem Fenster auf eine bereits drei Jahre währende Großbaustelle gegenüber der Wohnung in Berlin-Mitte schaut, wo unterdessen alle fünf Minuten eine Straßenbahn vorbeirattert und das Haus vibrieren lässt.

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Die diversen Vorteile dieser Wohnlage rücken da schon mal einen Moment in den Hintergrund: der Supermarkt in unmittelbarer Nähe, die Restaurants und Cafés nebenan – oder der kurze Arbeitsweg.

Psychologen haben dafür sogar eine evolutionsbedingte Erklärung: den Negativitätseffekt. Vor tausenden von Jahren war es für den Menschen überlebenswichtig, sich insbesondere die negativen Erfahrungen mit giftigen Beeren oder Pilzen sowie gefährlichen Orten aufgrund von Raubtieren abzuspeichern, den Fokus also auf negative Dinge zu richten.

Heute kann dieser Effekt dazu führen, dass sich negative Erlebnisse, Gedanken oder Gefühle beim Menschen eher einbrennen als positive. Oder in diesem Fall: Dass man immer mal an Dinge denkt, die man gerade nicht haben kann – obwohl man andere hat. Dass man vielleicht gerade gern genau das Gegenteil hätte von dem, was man hat.

Vielleicht sehnen auch Sie sich – zumindest gelegentlich – nach dem Gegenteil von dem, was Sie haben. Womöglich vermissen Sie auf dem Land nahe gelegene Restaurants, Einkaufsmöglichkeiten oder Freizeitangebote? Oder Sie wohnen in der Stadt und träumen von Landluft? Sie haben Kinder und hätten gern endlich mal wieder Zeit für sich alleine? Sie versuchen mal eine gewisse Zeit, vegetarisch zu essen, würden nun aber einiges für ein saftiges Schnitzel geben?

Oder Sie leben in den USA.

Sie haben einen Präsidenten, der seit Jahren so laut und ohrenbetäubend regiert, dass es Ihnen ganz schwindelig wird. Der politische Gegner bepöbelt und Verbündete verprellt. Derbe in seiner Wortwahl. Er zettelt Konflikte an, um von eigenen Fehlern abzulenken. Er schickt gegen den Willen von Stadt und Bundesstaat Sicherheitskräfte nach Portland oder Seattle, um gewaltsam die Proteste gegen Rassismus und Polizeigewalt niederzuschlagen. Die Bilder von dort sind grausam.

Er stolpert mit dem Land in eine tiefe wirtschaftliche Krise, obwohl er es eigentlich in jeder Hinsicht "great again" machen wollte. Er schlingert durch die Corona-Krise und übertönt sein Versagen, indem er alle paar Tage irgendeine Parole in die Welt bläst, die ihn womöglich in ein besseres Licht rückt als die letzte am Vortag. Mittlerweile kann Sie nichts mehr schockieren. Aber wenn Sie mal in sich hineinhorchen, fällt Ihnen auf: Sie sehnen sich nach dem Gegenteil dieses ohrenbetäubenden Lärms. Nach Ruhe und Beständigkeit.

Sie sehnen sich…

…nach Joe Biden. Der Mann ist 77 Jahre alt und in 99 Tagen die Alternative zu Donald Trump bei den Präsidentschaftswahlen. Er war der Vizepräsident von Barack Obama. In einer Zeit also, in der es diesen ohrenbetäubenden Lärm aus dem Weißen Haus noch nicht gab.

Ist das der Mann, der die USA mit einer Vision anführen und wieder zur unangefochtenen Weltmacht machen wird? Der dem aufstrebenden China die Stirn bietet? Der das Land vereint, Corona- und Wirtschaftskrise genauso wie die Rassismus-Probleme wegbläst? Ein Präsident, um den die Welt die USA beneiden wird?

Eher nicht.

Die Realität sieht so aus: Biden hält keine mitreißenden Reden, stattdessen verhaspelt er sich oder verliert sich in seinen Sätzen. Sein Charisma? Überschaubar. Seine Energie früherer Wahlkämpfe? Futsch. Seine Mimik? Steif. Sein Wahlkampf? Eigentlich eine Farce.

Aus Angst vor einer Corona-Infektion führt Biden den Wahlkampf von seinem Keller aus. Von dort meldet er sich gelegentlich digital via Livestream zu Wort. Auch er versucht die ein oder andere Attacke Richtung Trump – für die Verhältnisse in einem tobenden US-Wahlkampf agiert er dennoch auffallend zurückhaltend.

Trump totzusagen verbietet sich. Selbst heute, nur 99 Tage vor der Wahl. Es wird allein noch drei TV-Duelle geben, bei denen es eigentlich nur einen Sieger geben kann. Und Trump hat auch 2016 die Präsidentschaftswahlen gegen Hillary Clinton gewonnen, die er eigentlich nicht mehr gewinnen konnte. Dennoch könnte Stand heute das, was von Joe Biden übrig geblieben ist, ausreichen, um Trump zu schlagen. Zumindest liegt Biden in Umfragen teils deutlich vorn. Wäre heute Wahl, würde er wohl gewinnen. Sein größtes Problem ist, dass heute eben nicht Wahl ist.

Aber wie kommt Biden durch die kommenden 99 Tage? Je leiser, desto besser? Weil Trump so laut wie möglich sein wird, um doch noch zu gewinnen?

Nur mit Nichtstun wird Biden wahrscheinlich nicht über die Runden kommen. In den nächsten Tagen will und muss Biden zunächst den Kreis der Kandidatinnen enger ziehen und dann seine mögliche künftige Vizepräsidentin benennen. Das ist eine extrem spannende Personalie, weil diese ihn bei gesundheitlichen Problemen im höchsten Amt der Welt beerben könnte und spätestens bei den nächsten Wahlen in vier Jahren hervorragende Aussichten auf eine Kandidatur hätte. Bidens Kandidatur in diesem Jahr ist höchstwahrscheinlich nur auf eine Amtszeit angelegt.

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Auch nach dieser Entscheidung für eine Stellvertreterin wird es für Biden schwierig, abzutauchen. Dann stehen noch die schwierigen TV-Duelle an.

Immerhin: Im Endspurt hat Biden ganz klar die einfachere Rolle. Er kann abwarten, dass Trump sich weiter selbst zerstört – und dann womöglich die Sehnsucht nach der Ruhe erfüllen. Dem Gegenteil von dem, was die USA heute haben.


Die USA und Russland verhandeln in dieser Woche in Wien nicht nur von Dienstag bis Donnerstag über atomare Rüstungskontrollen. Heute bereits werden Vertreter beider Parteien über die Sicherheit im Weltraum reden.

Ja genau. Im Weltraum.

Die USA werfen Russland "seltsame und gefährliche" Aktivitäten im Weltraum vor, Moskau arbeite an der Entwicklung von Raketen, die Satelliten zerstören könnten. Erst am Donnerstag hatten die USA und Großbritannien erklärt, Russland habe ein Geschoss von einem Satelliten abgefeuert, das die Züge einer Waffe habe.

Aus dem US-Außenministerium hieß es dazu am vergangenen Freitag: "Wir hoffen, dass dieses Treffen uns ermöglicht, Wege zu erkunden, um die Stabilität und Sicherheit im Weltraum zu erhöhen und die Entwicklung von Normen für verantwortungsbewusstes Verhalten voranzutreiben." Hoffentlich gelingt das.


Im Kuppelsaal des US-Kapitols in Washington werden lediglich Präsidenten, Befehlshaber des Militärs und Kongressabgeordnete aufgebahrt. Seit 1952 wurde diese Ehre insgesamt 30 Persönlichkeiten zuteil, zuletzt dem ehemaligen US-Präsidenten George H. W. Bush, der im Jahr 2018 starb. Heute wird der Leichnam von John Lewis hier aufgebahrt.

Lewis war Kongressabgeordneter und vor allem Weggefährte des Bürgerrechtlers Martin Luther King. In den 1960er-Jahren gehörte er zu dessen bekanntesten Mitstreitern, die für die Gleichstellung der schwarzen Bevölkerung in den USA kämpften. Später vertrat er die Demokratische Partei jahrzehntelang im Kongress. Vergangene Woche war Lewis im Alter von 80 Jahren an Bauchspeicheldrüsenkrebs gestorben.


WAS LESEN UND ANSCHAUEN?

Vom früheren Bayern-Präsidenten Uli Hoeneß weiß man, dass er schon mal zum Telefonhörer greift und sich in die Talkrunde "Doppelpass" im TV durchstellen lässt, wenn eine Diskussion in eine aus seiner Sicht falsche Richtung läuft. Einen ähnlichen Vorfall erlebten in der vergangenen Woche die Kollegen des Bayrischen Rundfunks. Nicht mit Hoeneß, dafür aber mit dem aufgebrachten Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer von der CSU. Die Dünnhäutigkeit kommt nicht von Ungefähr.

Nachdem der Europäische Gerichtshof seinen Vorschlag für eine "Ausländermaut" in Deutschland einkassiert hatte, preschte Scheuer letzte Woche mit einer neuen Idee vor, einer europaweiten Maut. Im SPD-geführten Umweltministerium wurde die Idee scharf zurückgewiesen. Und meine Kollegen Tim Kummert und Johannes Bebermeier berichten nicht nur über Rücktrittsforderungen der Opposition, sondern auch über schwindenden Rückhalt in der Union. Dort werden bereits Wetten geschlossen, wann für den Pannen-Minister Schluss ist.


Hat Bundeskanzlerin Angela Merkel vergangene Woche in der Ägäis einen Krieg verhindert? Zumindest war die Situation so ernst, dass sie laut Angaben des Kanzleramtes mit dem griechischen Regierungschef Kyriakos Mitsotakis und dem türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan telefonierte, um sie zu beruhigen. Türkische und griechische Kriegsschiffe standen sich gegenüber, türkische F-16-Kampfjets donnerten durch die Luft und das griechische Heer auf dem Festland wurde in Alarmbereitschaft versetzt. Was dort passierte, war eine neue Eskalationsstufe im Gas-Konflikt zwischen Griechenland und der Türkei. Ein fast vergessener Konflikt, der die Angst vor einem Krieg neu entfacht hat. Mein Kollege Patrick Diekmann erklärt, wie brisant die Lage ist.


Am 27. Januar dieses Jahres, also exakt vor sechs Monaten, wurde in Deutschland zum ersten Mal eine Infektion mit dem Coronavirus bestätigt – bei einem Mitarbeiter des Autozulieferers Webasto in Bayern. Seitdem hat sich das Leben hier in allen Bereichen verändert. Es folgten mehr als 200.000 weitere Infektionen, ein Lockdown und unzählige weitere Maßnahmen zur Eindämmung, die bis zu diesem Jahr völlig undenkbar gewesen wären – von Abstandsgeboten bis zur Maskenpflicht. Aber: Deutschland hat die Pandemie in den Griff bekommen.

Stand heute.

Denn am Wochenende gab es fast 200 infizierte Erntehelfer in Bayern, ein Corona-Ausbruch in St. Wolfgang in Oberösterreich, Tausende auf illegalen Partys: Die Angst vor einer zweiten Welle der Pandemie steigt – und die Fragen werden wieder mehr. Einige davon haben meine Kolleginnen Sandra Simonsen, Melanie Weiner, Nicole Sagener, Hanna Klein und mein Kollege Arno Wölk beantwortet. Zum Beispiel diese: Droht uns bei einer zweiten Welle erneut ein bedenklicher Medikamenten-Engpass, weil viele wichtige Wirkstoffe und Medikamente in China und Indien produziert werden? Wie beeinflusst das Stresshormon Cortisol den Krankheitsverlauf von Covid-19, wenn durch die psychischen Belastungen während der Pandemie bei vielen Menschen der Spiegel steigt? Was muss ich im Österreich-Urlaub beachten, nachdem das Nachbarland aufgrund steigender Infektionszahlen bei den Lockerungen zurückrudert? Und: Wie legt das Coronavirus unser Immunsystem genau lahm?


An kaum einem Fußballer scheiden sich die Geister so sehr wie an ihm: Thiago gilt für viele Fans als verletzungsanfällig, überschätzt und verzichtbar. Für andere dagegen ist er ein Künstler, Taktgeber und Virtuose, den es so in der Bundesliga noch nie gegeben hat. Vor sieben Jahren begann seine Zeit in Deutschland, nachdem der damalige Bayern-Trainer Pep Guardiola seinen Transfer mit dem legendären Satz "Thiago oder nix" angekündigt hatte. Seitdem ist er mit dem Verein in jedem Jahr Deutscher Meister geworden. Nun wird er den FC Bayern verlassen – und löst damit erneut eine große Diskussion aus. Wird er Bayern und der Bundesliga fehlen? Im "Zweikampf der Woche" diskutiere ich das mit unserem Sportchef Robert Hiersemann.


An den Vorsitzenden des Zentralrats der Muslime werden immer brutalere Drohungen verschickt, die mit "NSU 2.0" unterschrieben sind. Vor einigen Tagen berichtete Aiman Mazyek davon in einem schockierenden Video auf Twitter. Mit t-online.de hat Mazyek über die aktuellen Vorfälle gesprochen. "Von Zerstückeln und Vergasen ist hier die Rede", warnt er. Über welche Konsequenzen Aiman Mazyek nachgedacht hat und wie er mit den Drohungen für sich und seine Familie lebt, sehen und hören Sie im Video-Interview meiner Kollegen Adrian Röger und Saskia Leidinger.


WAS AMÜSIERT MICH?

Falls Sie noch ein nettes Urlaubsziel suchen:

Ich wünsche Ihnen einen wunderbaren Start in die Woche. Morgen schreibt an dieser Stelle wie gewohnt Florian Harms.

Ihr

Florian Wichert
Stellvertretender Chefredakteur t-online.de
E-Mail: t-online-newsletter@stroeer.de

Mit Material von dpa.

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