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Rechtsextreme Polizei-Chats: "geilten sich an gestellten Gewaltbildern auf"


Was heute wichtig ist
Das wahre Ausmaß sehen wir nicht

MeinungVon Florian Harms

Aktualisiert am 17.09.2020Lesedauer: 8 Min.
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Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.

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Transparent an einer Hauswand in Greifswald.Vergrößern des Bildes
Transparent an einer Hauswand in Greifswald. (Quelle: imago images)

Guten Morgen, liebe Leserinnen und Leser,

einige iPhone-Nutzer unter Ihnen haben in den vergangenen Tagen Probleme mit den Links im Tagesanbruch gemeldet. Die Firma Apple hat den Fehler behoben, wenn Sie die t-online-App aktualisiert haben, funktioniert alles wieder reibungslos.

Und hier ist der kommentierte Überblick über die Themen des Tages:

WAS WAR?

Manchmal unterscheiden sich brennende gesellschaftliche Fragen nicht vom Matheunterricht. Also befassen wir uns heute mit einer Textaufgabe. Das Bundesamt für Verfassungsschutz schätzte das "rechtsextremistische Personenpotential" in Deutschland Ende vergangenen Jahres auf 32.080 Personen – in einer Gesamtbevölkerung von 83,1 Millionen Menschen. Es gibt in Deutschland 334.000 Polizisten. Berechne: Wie viele Polizisten sind also rechtsextrem?

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Diese Frage stellt sich seit gestern auch außerhalb der Mathestunde mit neuer Dringlichkeit. In Nordrhein-Westfalen ist ein rechtsextremes Netzwerk von Polizisten aufgeflogen. Die Wächter über Recht und Gesetz geilten sich an gestellten Bildern auf, in denen Menschen mit schwarzer Hautfarbe erschossen werden und ein Flüchtling sich in der Gaskammer eines Konzentrationslagers wiederfindet. Des Weiteren gefielen: Hitlerbilder, Hakenkreuze, Reichskriegsflaggen. Ich habe schnell noch mal nachgeschaut: "Die Polizei ist wesentlicher Garant für die Innere Sicherheit", lesen wir zu "Rolle und Selbstverständnis" auf der Website der Polizei NRW. Aha.

Herbert Reul, der zuständige Landesminister, sagte das Selbstverständliche, als er gestern von "einer Schande für die Polizei" sprach. Ebenfalls selbstverständlich, aber trotzdem eine Hervorhebung wert: Die Zeiten, dass Nazis und Verfassungsfeinde in der Polizei als bedauerliche Irrläufer weggelächelt werden, sind offenbar vorbei. "Ich kann heute nicht mehr von Einzelfällen sprechen", stellte Herr Reul fest. Daran gab es allerdings auch vorher schon nichts zu deuteln. Einschlägige Vorfälle in Aachen und Hamm, ein Rechtsterrorist mit Schreibtisch im Polizeipräsidium, unaufgeklärte Morddrohungen, die von Polizeirechnern in Hessen an Personen des öffentlichen Lebens verschickt werden – all das allein in diesem Jahr. Umso mehr interessiert deshalb die Lösung unserer Textaufgabe.

Mit einfachem Dreisatz kommen wir dabei aber nicht weiter. Was in unserem Land an Menschenverachtung und krimineller Energie zu finden ist, darf schließlich nicht einfach eine repräsentative Stichprobe in den Polizeidienst entsenden. Natürlich dürfen wir uns keinen Illusionen hingeben. Eine Gesellschaft, in der sich Nazisprüche auf WhatsApp, Facebook und Twitter breitmachen, muss auch mit dem einen oder anderen vereinzelten Wirrkopf in den Sicherheitsbehörden rechnen. Aber das ist nicht, was wir sehen. Wir sehen Systematik. Wir sehen Netzwerke. Nur das wahre Ausmaß, das sehen wir nicht.

Korpsgeist verschließt die Münder, und knallharter Gruppendruck sorgt dafür, dass das so bleibt. Mit der Trillerpfeife auf Missstände hinzuweisen, erfordert in der Truppe zu viel Mut. "Wir müssen Polizistinnen und Polizisten sprachfähig machen, also eine Kultur schaffen, in der Whistleblowing nicht zu Mobbing und Ausschluss aus der Gruppe führen. Das ist das Schlimmste, was Polizisten passieren kann, bei den Uniformierten noch mehr als bei der Kriminalpolizei", erklärte uns Rafael Behr, der als Professor an der Polizeiakademie in Hamburg für die Ausbildung der Ordnungshüter zuständig ist. Die Neonazis in Polizeiuniform überraschten ihn nicht.

Umso dringlicher müssen wir wissen, woran wir sind. Wenn uns im Alltag das staatliche Gewaltmonopol begegnet, steckt es in einer Uniform. Menschen mit Dienstwaffe und Handschellen dürfen ihr Blaulicht anknipsen und die rote Ampel ignorieren. Kraft ihres Amtes tun die Beamten Dinge, die wir Normalsterblichen uns nicht herausnehmen können – und sie müssen ihr Handeln deshalb an einem besonders strengen Maßstab messen lassen. Die überwältigende Mehrheit der Polizistinnen und Polizisten wird diesem Maßstab gerecht. Die Minderheit aber verlangt mehr Aufmerksamkeit.

Die Hürden, um als Beamter aus dem Dienst entfernt zu werden, sind viel zu hoch. Es fehlt an Unterstützung für jene, die den Mund aufmachen wollen. Und es mangelt noch immer am politischen Willen, das wahre Ausmaß des Problems zu ermitteln. Minister Reul in NRW hat einen Anfang gemacht und will schon seit März Extremismus-Beauftragte in den Polizeibehörden sehen. Jetzt müssen sich die betroffenen Dienststellen unangenehmer externer Prüfungen unterziehen, ein landesweiter Posten zur Beobachtung und Bekämpfung "rechtsextremistischer Tendenzen in der nordrhein-westfälischen Polizei" kommt hinzu. Der Kollege im Bund hingegen, Horst Seehofer heißt er, hat gerade erst den Versuch, Rassismus bei der Polizei unter die Lupe zu nehmen, mit fadenscheinigen Begründungen vom Tisch gewischt. Wozu Staub aufwirbeln und das Ausmaß ermitteln? Die Textaufgaben mag er nicht. Vielleicht ist er nicht gut in Mathe. Schicken wir ihn besser in eine Deutschstunde, da lernt er was über Goethe. Zum Beispiel, dass der schrieb: Man sieht nur, was man weiß.


WAS STEHT AN?

Morgens aus dem Haus, Kaffee beim Bäcker. Zum Mitnehmen bitte. Dazu ein Sandwich im praktischen Plastikkarton. Draußen Kippe an, Kippe aus und in den Rinnstein geschnippt. Nachmittags zwei pralle Tüten aus dem Supermarkt schleppen, Verpackung hier, Verpackung da, die Trinkhalme für die Kinder leuchten so schön bunt. Oh, Duschgel ist alle! Lieber gleich die Dreierpackung. Abends im Park ein, zwei Dosenbier mit Freunden, und irgendwie hat der Wind dann wohl die Tüte mitgenommen.

Wenn Sie jetzt denken: Unerhört, mach ich doch alles nicht!, dann verhalten Sie sich so verantwortungsvoll, wie auch ich es versuche. Aber kein Mensch ist perfekt, und viele unserer lieben Mitbürger scheinen sich nicht die Bohne dafür zu interessieren, wo all das Zeug landet, dem sie ihre Speisen, Getränke, Kosmetika und sonstigen Bedürfnisse entnehmen. 140 Liter Müll – so viel, wie in eine Badewanne passt – hinterlässt im Schnitt jeder Bundesbürger auf öffentlichen Flächen – pro Jahr. Allein die Entsorgung von Getränkebechern, Lebensmittelverpackungen und Zigarettenkippen aus öffentlichen Parks und Straßen kostet die Müllabfuhr Jahr für Jahr rund 700 Millionen Euro. Und das ist nur ein kleiner Teil. Noch viel größer ist der Schaden, den Plastikmüll in den Ozeanen anrichtet, wo auch Teile des Abfalls aus Ihrer Stadt früher oder später landen. Eine Million Seevögel und mehr als 130.000 Meeressäuger verenden jährlich durch den Kontakt mit unserem Abfall. Wer eine der eindrucksvollen Dokumentationen zur Plastikmüllplage gesehen hat, den lässt das Problem nicht ruhen.

Deshalb haben Bürger, Umweltinitiativen und grüne Parteien jahrelang Druck gemacht. Doch die meisten Regierenden interessierten sich nicht sonderlich dafür – bis sich das Europaparlament des Problems angenommen und eine EU-weite Rahmengesetzgebung verabschiedet hat. Heute stimmen die Abgeordneten des Deutschen Bundestags darüber ab. Plastikprodukte wie Gabeln, Luftballonstäbe und Trinkhalme sollen verboten werden. Deutschland will aber noch weiter gehen: Der Staat soll Firmen verbieten können, Waren zu vernichten, die von Kunden zurückgeschickt wurden. Bislang ist das bei Unternehmen wie Amazon gang und gäbe. Außerdem werden öffentliche Auftraggeber verpflichtet, bevorzugt recycelte Produkte zu kaufen und nachhaltig produzierende Firmen zu bevorzugen.

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Nun mögen Sie denken: Okay, na ja, aber in Zeiten von Corona, Trump und anderen Katastrophen ist das mit dem Plastik doch nicht sooo wichtig. Soll der Harms mal lieber über bedeutendere Dinge schreiben. Dann erlaubt der Harms Ihnen zu entgegnen: Die heutige Gesetzesänderung im Bundestag mag zwar weder große Schlagzeilen machen noch perfekt erscheinen (beim Umwelt- und Klimaschutz muss noch sehr viel mehr passieren). Doch sie könnte unser Wirtschaftsleben umkrempeln. In Wahrheit ist sie der Startschuss für eine Revolution: Immer mehr Firmen sehen ein, dass sie nur dann eine Zukunft haben, wenn sie nachhaltig produzieren. Und wer jetzt vorne dran ist, der wird in Zukunft zu den Gewinnern zählen. So wie der Süßwarenhersteller Katjes, der Umweltschutz ganz groß schreibt. Oder der Spielwarenhersteller Lego, der gestern angekündigt hat, seine Klötzchen künftig in Papier statt in Plastik zu verpacken und obendrein seinen Wasserverbrauch zu senken. Fast 440 Millionen Euro lässt sich Lego die Umstellung kosten. Teure Verschwendung? Nein, gut investiertes Geld. Der Tag wird kommen, an dem Parlamente allen Firmen die nachhaltige Produktion vorschreiben. Oder an dem die Mehrheit der Bürger verstanden hat, dass es keine gute Idee ist, Kaffee aus dem Einwegbecher und Produkte im Plastikkarton zu kaufen. Wer dann zu spät kommt, den bestraft der Kunde.


EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen will ernst machen mit dem Klimaschutz: Die Klimagase in der Union sollen bis 2030 um 55 Prozent unter den Wert von 1990 sinken. Aber wie kann das gelingen? Heute erläutert Kommissionsvize Frans Timmermans Details des Plans und mögliche Folgen für Firmen und Bürger.

Beim Klimaschutz spielen Elektroautos eine wichtige Rolle als Übergangstechnologie. Immer mehr Menschen liebäugeln mit dem Kauf eines E-Mobils, andere sausen längst lautlos über die Straßen. An sie alle richtet sich unser neuer Podcast LADEZEIT, der heute um 9 Uhr erstmals erscheint. Meine beiden Kollegen Richard Gutjahr und Don Dahlmann beantworten alle Fragen zu den Stärken und Schwächen der Elektroautos: von neuen Modellen bis zu möglichen Lösungen für unterschiedliche Ladesysteme. Ab jetzt jeden Donnerstag auf allen Audio-Plattformen und auf t-online!

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und seine Frau Elke Büdenbender besuchen Mailand. Nach Gesprächen mit Staatspräsident Sergio Mattarella trifft das Staatsoberhaupt Ärzte und andere Betroffene der Corona-Pandemie.


WAS LESEN?

Lang war sie, Ursula von der Leyens Rede zur Lage der Union. Weit über eine Stunde erklärte die deutsche Kommissionschefin, wie sie die EU im kommenden Jahr voranbringen will. Corona-Krise bewältigen, Wirtschaft stützen, Digitalisierung stärken, Klima schützen: alles richtig, wichtig und unstrittig. Doch als es um die Umsetzung ging, hatte von der Leyen mehr Fragen als Antworten parat. Das liegt allerdings nicht nur an ihr, analysiert unser Reporter Johannes Bebermeier.


Wenn es um Corona geht, ist Karl Lauterbach nicht weit. Der Rat des SPD-Gesundheitspolitikers ist gefragt; manchmal wundert man sich, dass er noch nicht zeitgleich in zwei Talkshows sitzt. Viele seiner Urteile klingen fundiert, manche seiner Voraussagen alarmistisch. Nun prophezeit er: "Von einer Steigerung der Todesfälle gehe ich in sechs bis acht Wochen aus." Wie in Frankreich und Spanien werde es im Herbst auch in Deutschland zuerst die Jüngeren treffen, bevor das Virus dann auf die Älteren überspringe und wieder mehr schwere Erkrankungen auslöse. Das sollte man ernst nehmen – und zugleich bedenken, dass der Epidemiologe nicht immer richtig liegt, wie die Kollegen der ARD belegen.


Gleichberechtigung ist wichtig. Aber mancherorts treibt der Versuch, Gleichberechtigung in jedes Detail unseres Lebens hineinzupressen, seltsame Blüten. Etwa, wenn Texte durch Sternchen verunstaltet werden oder Radiobeiträge plötzlich merkwürdig klingen. Was ich davon halte, wissen Sie als Leserinnen und Leser des Tagesanbruchs bereits. Was der Vorsitzende des Vereins Deutsche Sprache nun dazu gesagt hat, interessiert Sie womöglich ebenfalls.


Im Libanon kommt die Bildung einer neuen Regierung nur stockend voran, die alten Seilschaften versuchen, hinter den Kulissen ihren Einfluss zu wahren. Und noch immer leiden viele Menschen unter den Folgen der Explosion im Hafen von Beirut. Wie heftig die Detonation wirklich gewesen ist, zeigt diese Grafik der Reuters-Kollegen.


WhatsApp-Nutzer laufen Gefahr, Opfer von Cyberkriminellen zu werden: Das zeigt eine Studie von Forschern der Universitäten Würzburg und Darmstadt. Die Wissenschaftler konnten durch wenige Handgriffe die Daten von Millionen Konten abgreifen. Mein Kollege Ali Roodsari weiß mehr.


Fußballtrikots sind mehr als Rasenleibchen. Sie stiften Identität, schweißen Fans mit ihren Helden zusammen und reifen zu Kultklamotten. Für meine Kollegen Dominik Sliskovic und Arno Wölk hat der ehemalige Bundesliga-Trainer Peter Neururer die originellsten Hemden bewertet.


WAS AMÜSIERT MICH?

Sachen gibt’s, die gibt’s gar nicht.

Ich wünsche Ihnen einen schönen Tag.

Herzliche Grüße,

Ihr

Florian Harms
Chefredakteur t-online
E-Mail: t-online-newsletter@stroeer.de

Mit Material von dpa.

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