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Deutsches Corona-Mantra: Droht unsere Covid-Strategie jetzt zu scheitern?


Ist die deutsche Corona-Strategie gescheitert?

Von Sven Böll

Aktualisiert am 03.12.2020Lesedauer: 7 Min.
Meinung
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Die drei mit den schlechten Nachrichten: Angela Merkel, Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller (l.) und der bayerische Ministerpräsident Markus Söder (r.) am Mittwochabend in Berlin.Vergrößern des Bildes
Die drei mit den schlechten Nachrichten: Angela Merkel, Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller (l.) und der bayerische Ministerpräsident Markus Söder (r.) am Mittwochabend in Berlin. (Quelle: Markus Schreiber/AP POOL/dpa-bilder)

Guten Morgen, liebe Leserinnen und Leser,

heute schreibe ich stellvertretend für Florian Harms für Sie den kommentierten Überblick über die Themen des Tages.

WAS WAR?

Wir sind vergleichsweise gut durch die Krise gekommen – dieser Satz ist so etwas wie das deutsche Corona-Mantra. Und lange Zeit stimmte diese Bilanz ja auch: Das Gesundheitssystem war zu keinem Zeitpunkt überlastet, es gab zumindest im Vergleich mit anderen europäischen Ländern und den USA weniger Tote, betroffenen Unternehmen und Selbstständigen wurde so großzügig geholfen wie nur in wenigen Staaten. Und als sich im Herbst in vielen Teilen der Welt die zweite Welle erkennbar aufbaute wie die Fluten an den Küsten des Atlantiks, sah die Kurve der Neuinfektionen bei uns noch so aus wie die Ostsee in Schleswig-Holstein.

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Inzwischen ist es allerdings fraglich, ob wir wirklich noch immer vergleichsweise gut durch die Krise kommen. Es ist zu früh, die deutsche Strategie für gescheitert zu erklären. Aber es gibt zumindest Indizien, die nahelegen, dass sie zu scheitern droht.

Der wichtigste Hinweis dafür ist die Zahl der Neuinfektionen. Wer die Entwicklung in Deutschland mit der in Frankreich, Spanien oder Tschechien vergleicht, erkennt, dass die Fälle dort seit Wochen deutlich zurückgehen, während es bei uns nur eine leichte Entspannung gibt.

Der naheliegende Grund: Diese Länder haben härtere Lockdowns verhängt als wir. Natürlich lag das auch daran, dass es ihnen zu dem Zeitpunkt, als sie ähnlich weitreichende Maßnahmen wie im Frühjahr ergriffen, bereits viel schlimmer erging als uns. Aber entschlossene Maßnahmen wirken eben auch besser als lasche.

Das zeigt sich auch in Irland, das vor sechs Wochen einen rigiden Lockdown verhängte, als es pro eine Million Einwohner ähnlich viele Infektionen hatte wie Deutschland kurze Zeit später: Inzwischen liegt die Zahl der Neuinfektionen auf der Insel bei rund einem Viertel des deutschen Wertes.

Das lässt zumindest Folgendes vermuten: Hätte Deutschland Anfang November ähnlich entschlossen reagiert, wäre Corona wohl spätestens Mitte Dezember wieder unter Kontrolle.

Hätte, wäre ...

Die deutsche Realität sieht so aus: Am Mittwoch haben Kanzlerin und Ministerpräsidenten beschlossen, den Teil-Lockdown bis 10. Januar 2021 zu verlängern. "Im Grundsatz bleibt der Zustand, wie er jetzt ist", fasste Angela Merkel die Entscheidung zusammen. Was Mitte Januar kommt, wagt derzeit niemand zu prognostizieren.

"Wir haben dieses Virus unterschätzt, alle miteinander", sagte der sächsische Ministerpräsident Michael Kretschmer vor dem Treffen mit der Kanzlerin und seinen Kollegen. Für einen Spitzenpolitiker war das ein selten deutliches Bekenntnis. Auch wenn die Aussage so natürlich nicht ganz stimmt, weil ja nicht nur viele Experten immer wieder davor gewarnt haben, Corona zu unterschätzen, sondern andere Länder eben auch entschlossener handelten.

Doch Kretschmer hat insofern recht, dass es zu einfach ist, jetzt nur über die Politiker zu schimpfen, die vermeintlich falsche Entscheidungen getroffen haben. In einem System des institutionalisierten Konsenses wie in der Bundesrepublik ist immer nur das politisch durchsetzbar, was von der Mehrheit der Bevölkerung auch tatsächlich akzeptiert wird. Weil die meisten Menschen nicht radikal sind, gibt es radikale Lösungen meistens nur in Leitartikeln, nicht aber in der politischen Praxis.

Auch Bundesgesundheitsminister Jens Spahn liegt natürlich richtig, wenn er sagt, dass die Corona-Pandemie nur dann erfolgreich bekämpft werden kann, wenn möglichst viele ihr Verhalten verändern. Genauso stimmt sein Hinweis, niemand sei gezwungen, die Regeln bis zum Anschlag auszunutzen. Man hat als Bürger in einer Demokratie eben eine Verantwortung für sich und alle anderen.

Auch wenn diese einschränkenden Anmerkungen wichtig sind, und die Verlängerung des Teil-Lockdowns entschlossen wirkt: Es zeigt sich immer mehr, dass eine Krise historischen Ausmaßes eben auch eine besonders ausgeprägte politische Führung braucht.

Diese würde dafür sorgen, dass wir öfters darüber diskutieren, was machbar ist – und seltener darüber, was alles nicht geht.

Diese würde Entscheidungen begünstigen, mit denen die Vernünftigen rasch und umfassend vor den Unvernünftigen geschützt werden – und nicht erst, nachdem ewig rumlaviert wurde.

Diese würde sich stets am Allgemeinwohl ausrichten – und nicht allzu lange auf jede noch so unbedeutende Partikularnörgelei Rücksicht nehmen.

An dieser ausgeprägten politischen Führung mangelt es im Moment allerdings in Deutschland. Darüber kann auch die Entscheidung vom Mittwoch nicht hinwegtäuschen.

Denn die Kanzlerin spielt ihr Potenzial nicht voll aus, weil sie wahrscheinlich ahnt, dass die Ministerpräsidenten dann nur noch geneigter wären, auszuprobieren, was sie ein Jahr vor dem Ende ihrer Amtszeit wirklich noch auf die politische Waage bringt.

Die Ministerpräsidenten wiederum haben oftmals ein merkwürdiges Verständnis von Führung. Sie zeigen sie besonders gern dann, wenn es darum geht, von eben noch vermeintlich einvernehmlich getroffenen Entscheidungen abzuweichen. Deshalb werden in Baden-Württemberg die Weihnachtsferien nun doch nicht um wenige Tage vorgezogen, obwohl das sinnvoll wäre. Und deshalb dürfen in vielen Bundesländern über die Feiertage "Verwandte" in Hotels übernachten, obwohl eine Prise gesunder Menschenverstand ausreicht, um zu urteilen, dass diese Regel nicht kontrollierbar ist.

Wirklich vertrauenerweckend ist das alles nicht. Zumal Deutschland in den nächsten Wochen gleich aus mehreren Gründen auf eine harte Probe gestellt wird.

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Wir werden erleben, dass bei uns über weitere Einschränkungen – sei es noch vor oder erst nach dem 10. Januar – diskutiert wird, während andere Länder vermehrt Lockerungen beschließen. Irland, wo Museen bereits wieder geöffnet sind und Restaurants bald folgen werden, markierte nur den Anfang. Auch in Tschechien dürfen Restaurants ab heute wieder öffnen.

Wir werden auch erleben, dass andere Staaten entschlossener sind, Fehler nicht zu wiederholen. Die vor allem in Richtung Deutschland gerichtete Kritik aus Belgien, "nicht das Erforderliche" zu tun, war nur ein Vorgeschmack. Und während der französische Präsident Emmanuel Macron "abschreckende Maßnahmen" für Bürger ankündigte, die im Ausland Skiurlaub machen wollen, gab es bei uns nur Gerede, ein zweites Ischgl müsse verhindert werden. Insofern war die Erleichterung in Berlin und den Landeshauptstädten wohl groß, als Österreich am Mittwoch Maßnahmen beschloss, die dazu führen, dass Skifahren über die Feiertage faktisch nur für Einheimische möglich sein wird.

Und wir werden erleben, dass in wenigen Tagen in Großbritannien und wahrscheinlich in der kommenden Woche in den USA die Impfung mit einem Stoff beginnt, der aus Mainz stammt. Die britische Behörde hat das Produkt von Biontech bereits zugelassen, die US-Behörde FDA wird es wohl am 10. Dezember tun. In Deutschland und der EU könnte es dagegen noch bis Ende Dezember dauern. Politisch ist das – vorsichtig formuliert – nicht ganz leicht zu vermitteln. Zumal es keine Hinweise gibt, dass etwa die FDA laxere Entscheidungen trifft als ihr europäisches Pendant Ema.


WAS STEHT AN?

Die Bertelsmann-Stiftung veröffentlicht die Ergebnisse einer repräsentativen Umfrage, wie sich die Rollenverteilung zwischen Frauen und Männern in der Corona-Krise verändert hat. Zwar sollten Umfragen grundsätzlich nicht überbewertet werden, aber die Antwort auf die Frage, ob es in deutschen Haushalten eher einen Rollentausch oder einen Rollback gegeben hat, ist dann doch aufschlussreich.


Die UN-Welthandels- und Entwicklungskonferenz (UNCTAD) veröffentlicht einen Bericht über die finanziellen und wirtschaftlichen Folgen der Corona-Pandemie für die Menschen in Entwicklungsländern. Es ist zu hoffen, dass anschließend nicht das folgt, was bei den Vereinten Nationen häufig zu gelten scheint: Gut, dass wir mal ausführlich drüber geredet haben. Wir müssen ja nicht auch noch entschieden handeln.


Der Weihnachtsbaum in der Nähe des Weißen Hauses wird zum Leuchten gebracht. Der "Nationale Weihnachtsbaum" geht auf eine fast 100 Jahre alte Tradition zurück. Für den amtierenden Präsidenten müsste das eigentlich Grund genug sein, damit zu brechen. Aber vielleicht will Donald Trump inzwischen einfach nur noch ein halbwegs besinnliches "Last Christmas" in Washington erleben.


Das Landgericht München fällt wahrscheinlich sein Urteil im Prozess um den wahren Käpt'n Iglo. Die Firma Iglo hat das Unternehmen Appel Feinkost verklagt, weil dieses inzwischen ebenfalls mit einem älteren Herrn mit Seemannsmütze für Fischprodukte wirbt. Iglo sieht eine Verwechslungsgefahr und hält die Appel-Werbung für irreführend. Es gibt wohl nur wenige Prozesse, bei denen der Spruch "Vor Gericht und auf hoher See ist man in Gottes Hand" so zutrifft.


WAS LESEN?

Kaum ein französischer Präsident war Deutschland so verbunden wie Valéry Giscard d'Estaing. Während seiner Amtszeit entstand sogar eine Freundschaft zu Bundeskanzler Helmut Schmidt. Gestern ist Giscard d'Estaing, der 1926 im französisch besetzten Koblenz geboren wurde, gestorben. Mein Kollege Gerhard Spörl erinnert an den Politiker, der mit Schmidt auch einen Grundstein für den Euro legte.


Es ist eine Idee, die auf den ersten Blick absurd anmutet: Mehrere CDU-Politiker schlagen vor, das einheitliche Renteneintrittsalter von bald 67 Jahren durch ein individuelles zu ersetzen. Was die Idee bedeutet, und ob dann jeder Arbeitnehmer in einem anderen Alter in den Ruhestand gehen darf, erklärt mein Kollege Mauritius Kloft.


Es war ein historischer Moment: Vor 20 Jahren gewann der Geschichtsprofessor Eckhard Freise bei "Wer wird Millionär?" – und räumte als erster Kandidat die höchste Gewinnsumme ab. Im Gespräch mit meinem Kollegen Steven Sowa erinnert sich Günther Jauch an den Mann, den er als "Systemsprenger" bezeichnet. Der Moderator verrät auch, warum er die Deutschen als "absolut neidfrei" erlebt.


Fußball-Profis haben einen Job, von dem die meisten Menschen nur träumen können: Sie machen ihr Hobby zum Beruf, verdienen viel Geld und werden auch noch von Millionen Menschen angehimmelt. Doch so glänzend, wie die Fußballwelt zu sein scheint, ist sie nicht: Rund 40 Prozent aller Spieler gehen innerhalb von fünf Jahren nach ihrem Karriereende pleite, ein Drittel trennt sich innerhalb eines Jahres von seiner Partnerin oder seinem Partner. Dazu kommen Depressionen, Burnout und Planlosigkeit. Mein Kollege Benjamin Zurmühl hat sich auf die Suche nach den Gründen gemacht und dabei auch mehrere Ex-Profis befragt.


WAS AMÜSIERT MICH?

"Der liebe Gott freut sich über jedes Kind", sagte Franz Beckenbauer, nachdem er offenbar bei der Weihnachtsfeier des FC Bayern ein uneheliches Kind gezeugt hatte. Das war um die Jahrtausendwende. In diesen Zeiten wäre es wohl schwieriger.

Ich wünsche Ihnen einen guten Start in den Tag. Morgen schreibt an dieser Stelle wieder Florian Harms für Sie.

Ihr

Sven Böll
Managing Editor t-online
E-Mail: t-online-newsletter@stroeer.de

Twitter: @SvenBoell

Mit Material von dpa.

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