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Tagesanbruch: "Die Grünen wollen um fast jeden Preis regieren"


Tagesanbruch
Grünes Wunder, schwarze Wunden

MeinungVon Sven Böll

Aktualisiert am 19.04.2021Lesedauer: 7 Min.
Meinung
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Ein Bild aus ähnlich harmonischen Zeiten: Robert Habeck und Annalena Baerbock im November 2019.Vergrößern des Bildes
Ein Bild aus ähnlich harmonischen Zeiten: Robert Habeck und Annalena Baerbock im November 2019. (Quelle: imago-images-bilder)

Guten Morgen, liebe Leserinnen und Leser,

heute schreibe ich für Sie den kommentierten Überblick über die Themen des Tages.

Die doppelte Überraschung

Natürlich haben wir uns gut vorbereitet. So wie die meisten Redaktionen.

Deshalb hat mein Kollege Johannes Bebermeier in der vergangenen Woche Porträts über Annalena Baerbock und Robert Habeck geschrieben. Sie oder er wird heute gegen 11 Uhr zur/zum Kanzlerkandidaten/in der Partei ausgerufen. Wir waren zwar vergleichsweise sicher, dass die Grünen zumindest bis zum Montagmorgen dichthalten. Aber ganz darauf vertrauen konnten wir nicht. Das lehrt die Erfahrung im politischen Berlin, wo wenig Geheimes wirklich lange geheim bleibt. Deshalb wollten wir für den Fall vorbereitet sein, dass doch früher etwas durchsickert.

Rückblickend lässt sich sagen: Wir haben uns getäuscht.

Das gilt auch für den zweiten Fall. Eigentlich wollte mein Kollege Tim Kummert am Freitag ins Sauerland aufbrechen. Er war für den Nachmittag zu einem Gespräch mit Friedrich Merz verabredet, der am nächsten Tag im Stadion "Große Wiese" in Arnsberg seinen x-ten Comeback-Versuch in die Spitzenpolitik startete.

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Es wäre sicherlich eine muntere Geschichte geworden, doch wir haben die Reise abgesagt, weil wir dachten: Es wäre nicht optimal, in einem Gebiet mit schlechtem Handyempfang zu sitzen, wenn auf Bundesebene eine wichtigere Entscheidung fallen soll.

Um kurz nach 12 Uhr am Samstag war klar: Merz hat sich deutlich durchgesetzt gegen den Bundestagsabgeordneten, der sein Nachfolger im Wahlkreis Hochsauerland ist. Der Machtkampf in Arnsberg war rasch entschieden, der zwischen Armin Laschet und Markus Söder aber war es noch längst nicht.

Warum erzähle ich Ihnen das?

Weil diese Beispiele für weit mehr stehen als für vorbereitete Porträts und abgesagte Reportagen. Sie zeigen, wie sich die Zeiten gewandelt haben – und vor allem: Welchen Weg die Grünen zurückgelegt haben und welchen CDU und CSU gegangen sind.

Die Union wird Wunden davontragen, von denen niemand weiß, ob sie verheilen. Und den Grünen ist ein Wunder gelungen, an das sie vor einiger Zeit selbst nicht glaubten.

Früher galten die Grünen als zerstrittene Chaostruppe mit illusorischen Forderungen und Verbotsphantasien. Und die Union hatte das Image des Garanten für Vernunft und Ordnung in dieser Republik.

Inzwischen ist es fast schon egal, wer mangels eines halbwegs geordneten Prozesses den Machtkampf der Schwesterparteien gewinnt: Setzt sich Armin Laschet durch, wird ihm der Makel anhaften, dass selbst viele in der eigenen Partei nicht an ihn glauben. Viel Erfolg! Triumphiert Markus Söder, muss der christsoziale Spitzenkandidat mit gedemütigten Christdemokraten Wahlkampf machen. Viel Spaß!

Tja, und dann ist da noch das andere Thema, das neben dem Personal in der Politik auch noch immer eine gewisse Rolle spielt: die von Politikern gern bemühten Inhalte.

Als die Union zumeist noch so geschlossen agierte, wie ihr Name noch immer suggeriert, galt sie auch nicht gerade als inhaltsgetriebene Partei. Zuletzt zog sie meistens mit drei zentralen Forderungen in die Wahlkämpfe:

Die schwarze Null im Haushalt gilt,

die Schuldenbremse wird eingehalten –

und wir setzen irgendeine Idee der CSU um (zum Beispiel die Maut).

Dieser Dreiklang wird in diesem Bundestagswahlkampf wahrscheinlich kaum reichen. Angesichts der Jahrhundertkrise Corona und all der strukturellen Defizite, die sie in Deutschland offenbart hat, wird es in den kommenden Jahren eher ums Klotzen als ums Kleckern gehen. Natürlich werden CDU und CSU ein Wahlprogramm aufschreiben. Angesichts des Auseinanderklaffens von innerparteilichem Wunsch und finanzieller Wirklichkeit dürfte es aber viel "Wir wollen, müssen, sollten ..." enthalten.

Kein geordneter Prozess zur Kandidatenfindung, tief zerstritten, eher allgemeine Forderungen: Das ist die Union 2021.

Ganz anders wirken die Grünen: Hier machen Annalena Baerbock und Robert Habeck unter sich aus, wer von beiden ins Rennen geht. Für eine Partei, die viel auf die eigene Basis und auf mehr direkte Beteiligung von Bürgern setzt, ist das ein erstaunlich traditionelles, man möchte fast schon sagen: christdemokratisches Vorgehen. Aber dieser "Die beiden machen das unter sich aus"-Prozess wird offenbar von der Breite der Partei mitgetragen. Denn viel Kritik ist nicht zu vernehmen.

Die Grünen wollen – da ähneln sie CDU und CSU – um fast jeden Preis regieren. Und Streit kommt bei den Wählern nie gut an. Deshalb braucht es Geschlossenheit. Und es hilft, wenn man nicht allzu angreifbar ist.

Das lässt sich am besten erreichen, wenn man keine völlig grotesken Forderungen aufstellt. Und diszipliniert kommuniziert. Nicht groß darüber reden – das ist die grüne Strategie für jene Pläne wie die Erhöhung des Spitzensteuersatzes, die bei der eigenen, nicht selten gut verdienenden Klientel auf Vorbehalte stoßen könnten.

Dabei hilft der Partei auch, dass die meisten Menschen bei ihnen eh an andere Themen denken. Fragen Sie mal in Ihrem Freundes- und Bekanntenkreis nach, wofür die einzelnen Parteien stehen:

Die Union? Hauptsache, sie stellt den Kanzler.

Die SPD? Gibt's die noch?

Die FDP? Also früher waren die mal für weniger Steuern.

Die Grünen? Klimaschutz.

Mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit werden Sie also bei den Grünen die konkreteste Antwort bekommen – unabhängig davon, ob jemand mit der Partei sympathisiert, ihr indifferent gegenübersteht oder sie ablehnt.

Man muss weder das grüne Spitzenpersonal noch ihre inhaltlichen Vorstellungen gut finden. Aber es ist beachtlich, wie sehr der Machtwille die Partei domestiziert hat.

Das ist in diesen Tagen umso erstaunlicher, weil sich die Union zerlegt. Eine Attacke per Farbbeutel, wie es sie 1999 bei einem Grünen-Parteitag auf den damaligen Außenminister Joschka Fischer gab, würde man im Moment wohl eher auf einem Kongress von Christdemokraten und Christsozialen erwarten.

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Am Montagvormittag wird der Kontrast vielleicht so deutlich wie selten: Die Grünen wirken ge- und entschlossen, CDU und CSU dagegen gespalten und orientierungslos.

Immerhin gibt es für die Union einen Trost: Sollte sie heute Vormittag mehr oder weniger parallel mit den Grünen ihren Kanzlerkandidaten präsentieren, wird sie der Konkurrenz wohl die Show stehlen. Danach sah es in der Nacht allerdings nicht aus. Denn auch ein Krisentreffen zwischen den Kontrahenten in Berlin endete offenbar ergebnislos.


K-Frage versus I-Gesetz

Die Fraktionen von CDU/CSU und SPD befassen sich um 11.30 Uhr mit möglichen Änderungen am Entwurf des Infektionsschutzgesetzes. Am Nachmittag soll der Gesundheitsausschuss darüber beraten. Die Abstimmung im Bundestag ist für Mittwoch geplant, der Bundesrat soll dazu am Donnerstag tagen. Ob es in der Sitzung der Unionsfraktion wirklich nur um dieses Thema geht?


Putins Zynismus

Der Gesundheitszustand des inhaftierten russischen Oppositionellen Alexej Nawalny hat sich übers Wochenende offenbar weiter verschlechtert. Gleichzeitig zog Russland in den vergangenen Tagen weiter Truppen an der Grenze zur Ukraine zusammen.

Beide Entwicklungen dürften zusammenhängen, denn sie folgen einem bekannten Muster: Mit dem Anheizen außenpolitischer Konflikte lässt sich gut von innenpolitischen Problemen ablenken. Das gilt nicht nur für Russland, angesichts von Wladimir Putins Zynismus dort aber besonders. Innenpolitische Probleme hat der Kremlchef genug – auch wegen Nawalnys Enthüllungen über ihn.

Die Zuspitzung des Ukraine-Konflikts ist ein Thema bei der Videokonferenz der EU-Außenminister heute. Doch für eine potenzielle Lösung braucht es wohl mehr politisches Gewicht. Gut möglich, dass Angela Merkel in den kommenden Wochen noch eine wichtige außenpolitische Rolle zukommt. Denn kein westlicher Regierungschef kennt Putin so lange wie sie.


Auch 60 Jahre gehen vorbei

Auf Kuba endet der Kongress der Kommunistischen Partei. Zum Jahrestag des kubanisches Sieges über die Invasoren in der Schweinebucht 1961 markiert das Treffen eine Zeitenwende: Weil Rául Castro, der in wenigen Wochen 90 Jahre alt wird, für heute seinen Rücktritt als Parteichef ankündigte, endet die Ära der Castro-Brüder.

Als Fidel Anfang der Sechzigerjahre an die Macht kam, hieß der deutsche Kanzler noch Konrad Adenauer. Als Rául ab 2006 nach und nach die Regierungsgeschäfte übernahm, hörte die deutsche Regierungschefin immerhin bereits auf den Namen Angela Merkel.


Jetzt auch noch die Super League

In der Nacht zu Montag sorgte eine Nachricht für Aufsehen im europäischen Fußball: Zwölf Topklubs aus Spanien, England und Italien kündigten an, als Konkurrenz zur Champions League die sogenannte Super League zu gründen. Meine Kollegen Anna-Lena Janzen und Benjamin Zurmühl haben alle wichtigen Infos für Sie zusammengetragen.

Die Ankündigung überschattet zwei andere Themen, über die das Exekutivkomittee der Uefa ab 9 Uhr entscheiden will: die Reform des Europapokals ab 2024 und die Gastgeber der EM im Sommer. So soll geklärt werden, ob München auch ohne Garantie für die Durchführung der vier EM-Partien vor Zuschauern Co-Ausrichter bleiben darf. Es wird sich also zeigen, ob das Primat des Fußballs gilt.


Was lesen?

Natürlich gibt es noch ein anderes dominierendes Thema: Corona. Meine Kolleginnen und Kollegen beleuchten auch derzeit zahlreiche Aspekte der Pandemie.

Am Sonntag fand die offizielle Gedenkfeier für die Corona-Opfer statt. Was aber wünschen sich Hinterbliebene von der Regierung und der Gesellschaft insgesamt? Annika Leister hat mit vier Menschen gesprochen, die ihre Nächsten verloren haben.

In den USA ist bereits ein deutlich größerer Teil der Bevölkerung gegen Corona geimpft als in Deutschland. Neue Daten des Centers for Disease Control and Prevention zeigen, dass die Impfstoffe offenbar sehr effektiv schützen. Sandra Simonsen hat die positiv stimmenden Ergebnisse für Sie zusammengefasst.

In wenigen Staaten steigen die Neuinfektionen derzeit so stark wie in Indien. Dort versammeln sich im Moment zahlreiche Menschen beim Kumbh-Mela-Fest zum traditionellen Bad im Ganges. Es ist allerdings auch ein großes Fest für das Virus. Das könnte schon bald auch für Europa zum Problem werden, wie Saskia Leidinger berichtet.

Und dann gibt es noch eine weitere Dimension der Krise: Impfstoffe, die eigentlich eine medizinische Angelegenheit sind, können auch eine politische Wirkung entfalten. So versetzte Russlands Präsident Wladimir Putin der Europäischen Union mit seinem Vakzin Sputnik V einen schmerzhaften Piks an einer Stelle, wo es besonders wehtut. Das schreibt unser Gastautor Wladimir Kaminer.


Was amüsiert mich?

Es ist alles nicht so einfach mit der effektiven Corona-Bekämpfung.

Bleiben Sie trotzdem optimistisch! Morgen schreibt an dieser Stelle wieder mein Kollege Florian Harms für Sie.

Ihr

Sven Böll
Managing Editor t-online
Twitter: @SvenBoell

Was denken Sie über die wichtigsten Themen des Tages? Schreiben Sie es uns per E-Mail an t-online-newsletter@stroeer.de.

Mit Material von dpa.

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