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Annalena Baerbock stürzt ab: Herber Rückschlag für die Kanzlerkandidatin


Tagesanbruch
Baerbock stürzt drastisch ab

MeinungVon Florian Harms

Aktualisiert am 11.06.2021Lesedauer: 6 Min.
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Annalena Baerbock muss Rückschläge einstecken.Vergrößern des Bildes
Annalena Baerbock muss Rückschläge einstecken. (Quelle: Kay Nietfeld/dpa-bilder)

Guten Morgen, liebe Leserin, lieber Leser,

je höher man fliegt, desto tiefer kann man fallen. Keine andere Partei hat in den vergangenen Monaten derartig Aufwind bekommen wie die Grünen, ihre Frontfrau schickte sich sogar an, zur Sonne zu fliegen, die Kanzleramt heißt. In den Umfragen ließ sie ihre Konkurrenten Armin Laschet vom trägen Planeten CDU und Olaf Scholz vom irrlichternden Kometen SPD weit hinter sich; gegen den aufgehenden Stern wirkten die Herren wie Dinosaurier aus dem politischen Pleistozän.

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Doch wer der Sonne zu nah kommt, ohne gewappnet zu sein, dessen Flügel verbrennen. Der wird zum Ikarus. Wie dem Höhenflieger aus der griechischen Mythologie ergeht es in diesen Tagen den beiden Grünen-Chefs Robert Habeck und vor allem Annalena Baerbock. Der eine stolpert mit Stahlhelm durch die Ukraine und offenbart seine außenpolitische Unbedarftheit. Die andere vergisst, dem Bundestag Sonderzahlungen von mehr als 25.000 Euro zu melden, und kämpft mit ihrem eigenen Lebenslauf, der offenkundig nicht nur lückenhaft, sondern auch geschönt war. "Ich habe da offensichtlich einen Fehler gemacht, und das tut mir sehr, sehr leid", gestand sie gestern Abend in der ARD.

Seit Tagen berichten Medien über die Ungereimtheiten in der offiziellen Vita der Kandidatin, und weder die Parteizentrale noch die Chefin bekommt das Thema abgeräumt. Wer nicht einmal so ein läppisches Thema in den Griff kriegt, wie will so jemand die großen Krisen in der Welt lösen: Diese Frage stellen sich immer mehr Bürger, und die täglichen Verbotswünsche und Gebotsforderungen der Grünen-Basis machen die Skepsis noch größer. Kurzflüge verbieten (obwohl der Effekt auf den CO2-Ausstoß gering wäre), Benzinpreis erhöhen (obwohl er durch die längst beschlossene CO2-Steuer eh steigt), Gendersprache einführen (obwohl die Mehrheit der Bevölkerung sie ablehnt): Die Liste der unausgegorenen Ideen ließe sich fortsetzen, und falls die Grünen-Spitze ihren Laden auf dem heute beginnenden Parteitag ähnlich chaotisch managt wie in den vergangenen Tagen, könnte Annalena Baerbocks lang geplante Krönungsmesse zur Luftnummer werden. Von 3.280 Änderungsanträgen zum Wahlprogramm sind 20 übrig geblieben, aber die haben es in sich. Tempolimit 100 km/h auf Autobahnen, noch höherer CO2-Preis, massive Steuererhöhungen: "Die grüne Parteibasis probt den Aufstand gegen Baerbocks Realo-Kurs", kommentiert das "Handelsblatt". "Der Parteitag ist nichts weniger als eine Reifeprüfung", schreibt unser Reporter Johannes Bebermeier.

Debatten sind Ausdruck einer lebendigen Partei und angesichts der beispiellosen Herausforderung durch die Klimakrise wichtig. Aber dreieinhalb Monate vor einer Bundestagswahl gewinnt man Vertrauen in der Bevölkerung nicht mit Maximalforderungen, sondern mit einer klugen Balance aus Ambitionen und Pragmatismus, mit Kompromissbereitschaft und vor allem mit Professionalität.

Genau daran scheint es Frau Baerbock und ihrem Team zu mangeln. Die Folgen dokumentiert das neue ZDF-Politbarometer: In der Frage der Kanzlertauglichkeit schmiert Frau Baerbock von 43 Prozent auf 28 Prozent ab, sogar die nüchterne "FAZ" schreibt von einem "drastischen Einbruch". Damit liegt sie nun hinter Unionskandidat Laschet, der sich auf 43 Prozent verbessert – während SPD-Vorkämpfer Scholz plötzlich mit 48 Prozent vorne liegt. Der ARD-Deutschlandtrend zeigt ein ähnliches Bild: Dort verliert die Grünen-Chefin in der Kanzlerfrage satte 12 Punkte und liegt nun deutlich hinter Laschet und Scholz. Und das, obwohl die Mehrheit der Befragten als drängendste Anliegen die grünen Herzensthemen Umwelt und Klima nennt. Haben die Grünen die falsche Spitzenkandidatin, ist Frau Baerbock der Aufgabe nicht gewachsen?

Umfragen sind nur Momentaufnahmen – einerseits. Andererseits dokumentieren sie Stimmungen – und die positive Stimmung, von der sich die Grünen ins Wahljahr haben tragen lassen, hat sich gedreht. Nun bläst ihnen der Wind scharf ins Gesicht. Zuzuschreiben haben sie sich das selbst. Falls sie sich am Abend des 26. September fragen sollten, warum sie ihr Wahlziel wieder einmal verfehlt haben, könnte die nüchterne Analyse lauten: Wegen einer verbaerbockten Vita und tölpelhaftem Management. Wer bis zur Sonne fliegen will, braucht starke Flügel. Die grüne Höhenfliegerin scheint sie gegenwärtig nicht zu haben.


Europa zwischen Tür und Angel

Tony Blair grinste sein Tony-Blair-Grinsen, George W. Bush erschreckte die Kanzlerin mit einer plötzlichen Rückenmassage, Jacques Chirac dagegen gab sich wie immer galant, Wladimir Putin durfte damals immerhin noch dabei sein: Als Angela Merkel im Juli 2006 zum ersten Mal an einer Runde der mächtigsten Industriestaaten teilnehmen durfte, hieß der Gipfel noch G8. Die Themen kommen uns aus heutiger Sicht vertraut vor: Eskalation zwischen Israel und Palästinensern im Gazastreifen, Streit übers iranische Atomprogramm, Nordkoreas Raketentests, der Klimawandel, dazu Welthandel, Bildung und ja, tatsächlich auch der Kampf gegen Infektionskrankheiten.

Außer Frau Merkel ist keiner der damaligen Protagonisten mehr dabei, wenn sich die Staatenlenker ab heute zum G7-Gipfel im britischen Cornwall treffen. Formal ist die Themenliste auch diesmal lang, de facto stehen aber nur zwei im Mittelpunkt: der Umgang mit den Corona-Folgen und der Kampf gegen die Klimakrise. US-Präsident Joe Biden will den Gipfel allerdings auch nutzen, um im Konflikt mit China die Europäer auf seine Seite zu ziehen. Statt sich nach der verrückten Trump-Ära aber wieder den USA zuzuwenden, sollte sich Europa lieber emanzipieren: Sage nicht ich, sondern der China-Experte Stefan Baron. Im Interview mit meinem Kollegen Marc von Lüpke und mir erklärt er, warum Europa endlich selbstständig werden muss – und die USA eigentlich gar keine Demokratie mehr sind.


Endlich Anpfiff

Na endlich: Mit einjähriger Corona-Verzögerung beginnt heute die Fußball-Europameisterschaft. Anpfiff zwischen Italien und der Türkei ist in Rom, alle weiteren Spiele in elf Ländern finden Sie hier in unserem praktischen EM-Plan zum Ausdrucken. Startet die deutsche Elf bei Jogi Löws letztem Turnier einen Lauf zum vierten EM-Titel nach 1972, 1980 und 1996? Angesichts der zuletzt, nun ja, durchwachsenen Leistung der Nationalkicker bezweifeln das viele – doch Deutschland ist traditionell eine Turniermannschaft, die sich im Laufe des Wettbewerbs steigert. Also haben wir Promis aus Sport, Politik und Unterhaltung nach ihrer Einschätzung gefragt. Karl-Heinz Rummenigge hat meinem Kollegen David Digili besonders ausführlich geantwortet. Der Vorstandsboss des FC Bayern verrät, welchen Teams er den Titel zutraut, wer zum überragenden Spieler des Turniers werden kann – und welcher DFB-Star alle überraschen wird. Schauen Sie mal.

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Überfälliger Schritt

Dass sich Unternehmen künftig mit der Einhaltung von Menschenrechten bei ihren internationalen Zulieferern beschäftigen müssen, ist das Ziel des lange diskutierten Lieferkettengesetzes. Heute wird es im Bundestag verabschiedet und soll helfen, Kinder- und Zwangsarbeit sowie Umweltzerstörung einzudämmen. Wie so oft bei Projekten der großen Koalition handelt es sich zwar um einen zaghaften Kompromiss: Auf Druck der Wirtschaft wurde darauf verzichtet, die Unternehmen zivilrechtlich haftbar zu machen – stattdessen müssen sie bei Verstößen gegen die Sorgfaltspflicht nur mit einem Bußgeld und dem Ausschluss von öffentlichen Ausschreibungen rechnen. Trotzdem ist das Gesetz kein zahnloser Tiger, sondern ein Schritt in die richtige Richtung, dem auf europäischer Ebene weitere folgen können.


Was lesen?

Wenn sie wollte, könnte sie die Inflation senken. Doch Christine Lagarde will nicht, die Präsidentin der Europäischen Zentralbank lässt den Leitzins weiter bei null Prozent. Die Deutschen finden das nicht gut, zeigt jetzt eine Umfrage für t-online: Viele Bürger fürchten die steigenden Preise, wie auch unser Reporter Mauritius Kloft in Gesprächen auf den Straßen Berlins erfahren hat.


Schon fast 19 Millionen Menschen sind hierzulande vollständig gegen Corona geimpft, fast die Hälfte der Bevölkerung hat immerhin die erste Spritze erhalten. Aber obwohl die Impfreihenfolge inzwischen aufgehoben worden ist und nun auch Betriebsärzte mitmachen dürfen, bemühen sich viele Leute immer noch vergeblich um einen Impftermin. Meine Kollegin Sandra Simonsen kennt Tipps, wie es möglichst schnell klappt.


Der Fall Silas macht Schlagzeilen: Der Fußballprofi des VfB Stuttgart lebte und spielte jahrelang unter falscher Identität, die ihm vermutlich sein Agent aufzwang. Wie konnte es dazu kommen – und ist Silas womöglich kein Einzelfall? Mein Kollege Dominik Sliskovic hat mit jemandem gesprochen, der das krude Geschäftsmodell mit afrikanischen Fußballtalenten erklären kann.


Was amüsiert mich?

Apropos Fußball: Wussten Sie, wie sagenhaft schwer es ist, einen Elfmeter zu verwandeln? Doch, ist es.

Ob Sie nun Bälle mögen oder nicht, ich wünsche Ihnen einen spitzenmäßigen Sommertag. Der Wochenend-Podcast kommt morgen von Marc Krüger und Peter Schink, von mir lesen Sie am Montag wieder.

Herzliche Grüße

Ihr

Florian Harms
Chefredakteur t-online
E-Mail: t-online-newsletter@stroeer.de

Mit Material von dpa.

Anmerkung: In der ursprünglichen Version dieses Textes war die Formulierung zum Prozentwert von Armin Laschet im ZDF-Politbarometer missverständlich formuliert, sie wurde nachträglich korrigiert.

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