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Nord Stream 2: Angela Merkel und der riskante Pipeline-Deal


Tagesanbruch
Merkels riskanter Deal

  • Bastian Brauns
MeinungVon Bastian Brauns

Aktualisiert am 22.07.2021Lesedauer: 5 Min.
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Joe Biden folgt Angela Merkel: Nord Stream 2 darf fertig gebaut werden.Vergrößern des Bildes
Joe Biden folgt Angela Merkel: Nord Stream 2 darf fertig gebaut werden. (Quelle: imago-images-bilder)

Guten Morgen, liebe Leserinnen und Leser,

das Kanzlerkandidaten-Dasein ist anstrengend. Vielleicht sehnt sich Armin Laschet deshalb insgeheim zurück in eine Zeit, als die K-Frage der Union noch gar nicht entschieden war. Spätestens vor rund einem Jahr muss ihm jedenfalls klar geworden sein, warum er sich nicht gegen das deutsch-russische Pipeline-Projekt Nord Stream 2 aussprechen wird.

Eine ganz andere K-Frage

Es war ein heißer Tag im August, Laschet stand auf dem Areal von Thyssenkrupp in Duisburg. Irgendwie sah alles nach Vergangenheit aus: Kohle auf Förderbändern, dampfende Kokereien und brennende Hochöfen. Doch Laschet hielt ein Stückchen Zukunft in den Händen: die "Sonderbramme #1" – ein Stück Stahl, das aus Eisenerz und Wasserstoff gegossen wurde.

Um Klimaneutralität zu erreichen, will Thyssenkrupp demnächst auf Kohle verzichten und seinen Stahl irgendwann ausschließlich mit grünem Wasserstoff erzeugen. Also Wasserstoff, der nur mit Strom aus erneuerbaren Energien hergestellt wird.

Es ist eine schöne Zukunft, aber eben auch noch ein wenig eine utopische. Bis es so weit ist, brauchen die neuen Thyssenkrupp-Hochöfen Gas. Und zwar viel. Deutschland solle, Deutschland müsse Industrieland bleiben, betonte Laschet schon damals in Duisburg. Und er sagt es seitdem immer wieder. Erdgas ist demnach eine Brückentechnologie in eine klimaneutrale Zukunft. Längst nicht nur für die Stahlbranche.

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Seit gestern kann sich Laschet freuen. Noch bevor er sich bald womöglich selbst als Kanzler damit herumschlagen muss, hat die Amtsinhaberin die Kuh namens Nord Stream 2 vom dünnen transatlantischen Eis bekommen. Die weitere Gasversorgung aus Russland scheint gesichert.

Nach langen Gesprächen, zuletzt noch einmal beim Besuch von Angela Merkel in Washington, hat die US-Regierung unter Präsident Joe Biden eingelenkt. Nord Stream 2 soll ohne die Androhung oder Verhängung von amerikanischen Sanktionen zu Ende gebaut werden können. Die Ukraine soll mit Kompensationszahlungen und mit Lippenbekenntnissen zur Unterstützung ihrer territorialen Sicherheit gegen Russland zufriedengestellt werden. Was bleibt dem armen Land auch anderes übrig, als halbwegs gute Miene zum recht bösen Spiel zu machen.

Zu wichtig scheint Biden im neuen Kampf der Systeme, insbesondere gegen China, das Bündnis mit dem wichtigsten europäischen Verbündeten zu sein. Wobei neben Konzernen wie Uniper und Wintershall längst nicht nur deutsche Unternehmen in Nord Stream 2 investiert sind. Mit OMV (Österreich), Engie (Frankreich) und Royal Dutch Shell (Großbritannien/Niederlande) haben auch andere wichtige europäische Partner der USA ein elementares Interesse an der Ostseepipeline. Isoliert in Europa jedenfalls war Deutschland nicht, auch wenn das gerne behauptet wurde.

Dem US-Präsidenten dürfte es angesichts der vehementen Vorbehalte bei den Republikanern und auch bei seinen Demokraten kaum gelingen, den Eindruck zu vermeiden, er sei vor der deutschen Bundeskanzlerin eingeknickt. Sein Preis ist hoch. Der von Merkel womöglich auch. Sollten am Ende die Republikaner unter dem Einfluss von Donald Trump profitieren, hätten sich die Deutschen einen erneuten Gegner quasi selbst geschaffen.

Vorerst aber hat Angela Merkel ein letztes Mal Ausdauer bewiesen. Und im Grunde blieb Joe Biden angesichts des vehementen Neins aus Berlin auch kaum etwas anderes übrig, als klein beizugeben. Zerknirscht gestand Ned Price, der Sprecher des US-Außenministeriums, schon am vergangenen Dienstag ein: Die bisherigen US-Sanktionen hätten einfach nicht zum Ziel geführt. Merkels hartnäckige Sturheit aber schon.

Sie wusste, dass es auch um ihr energiepolitisches Vermächtnis geht. Unter der Bundeskanzlerin wurde in Deutschland der Atomausstieg (bis 2022) beschlossen und der Ausstieg aus der Kohleverstromung (bis 2038). Bislang ist das ein deutscher Sonderweg. Erdgas braucht es trotz eines massiven Ausbaus der erneuerbaren Energien ohne Zweifel noch eine ganze Weile. Zumal bei dem durch die Dekarbonisierung (wie bei Thyssenkrupp) und die Elektrifizierung der Straße massiv steigenden Strombedarf. Russisches Gas braucht es, weil die Gasfelder in den Niederlanden längst versiegen und auch Norwegens Fördermengen immer weiter sinken werden.

Ob es deshalb Nord Stream 2 braucht? Tatsächlich nicht.

Das schon bestehende europäische Pipelinesystem hätte noch ausreichend freie Kapazitäten. Aber auch hier besteht bereits die viel kritisierte Abhängigkeit von Russland.

Abhängig bleiben wird Europa so oder so. Im Gegensatz zu den USA wird es Deutschland und Europa kaum gelingen, auf Energieimporte verzichten zu können. Auch weil die Amerikaner auf dem Weg zum Selbstversorgerstaat sind, müssen Deutschland und der Rest Europas einen eigenen Weg in die Energie-Zukunft finden.

Die Kanzlerin weiß zudem um die Abhängigkeit Russlands von den Devisen aus den Erdgasgeschäften. Auch deshalb floss selbst zu Hochzeiten des Kalten Krieges verlässlich das Erdgas von der Sowjetunion in den Westen.

Die Ära der fossilen Brennstoffe, Herzstück der russischen Exportwirtschaft, neigt sich allerdings dem Ende entgegen. Nord Stream 2 hin oder her.

Der Druck auf Russland, seine Wirtschaft neu auszurichten, wächst. Ein so großes Land unter einem noch viel größeren wirtschaftlichen Druck als ohnehin schon könnte viel eher zur Gefahr für Europa werden als ein Russland, das den Westen zwar gern beschimpft, aber auch ganz gut von ihm lebt.

Die Pipeline als letzte wirklich intakte Verbindung nach Moskau – kann das gut gehen?

Sollte Russlands Präsident Wladimir Putin trotz des Pipeline-Projekts weiter gegen die Ukraine vorgehen, "kann man es jederzeit, auch wenn die Pipeline fertig ist, auch wieder stoppen". Das sagte vor Kurzem nicht irgendwer, sondern Armin Laschet.

So einfach, wie der Unions-Kanzlerkandidat es darstellte, scheint die Sache aber nicht zu sein. Laut einem Bericht des "Wall Street Journal" soll die deutsche Regierung genau diese US-Forderung nach einer Stopp-Klausel erfolgreich abgeschmettert haben. Das Argument aus Berlin soll demnach gewesen sein: Eine solche staatliche Einmischung in ein privatwirtschaftliches Projekt könnte rechtlich angefochten werden.

Und so könnte Laschets voreilige Behauptung durchaus sein nächstes Malheur werden. Vor einem Jahr war eben vieles noch etwas einfacher.


Was steht an?

Mit Sicherheit wird die Bundeskanzlerin heute um 11 Uhr bei ihrer letzten traditionellen Vor-Sommerpausen-Pressekonferenz auch Fragen zum Nord-Stream-2-Deal mit den USA beantworten müssen. Im Vordergrund aber dürften Fragen zur aktuellen Flutkatastrophe und auch zur weiteren Entwicklung der Corona-Pandemie stehen. Von Angela Merkels Antworten erfahren Sie bei t-online.

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Washington-Korrespondent
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Mit Material von dpa.

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