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Landtagswahl in NRW: Die Grüne Mona Neubaur ist jetzt die Königsmacherin


Tagesanbruch
Die neue Königsmacherin

MeinungVon Florian Harms

Aktualisiert am 16.05.2022Lesedauer: 7 Min.
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Mona Neubaur darf sich freuen: Ihre Grünen sind die eigentlichen Sieger der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen.Vergrößern des Bildes
Mona Neubaur darf sich freuen: Ihre Grünen sind die eigentlichen Sieger der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen. (Quelle: Max Brugger/Reuters-bilder)

Guten Morgen, liebe Leserin, lieber Leser,

bis vor Kurzem hat kaum jemand diese Politikerin gekannt. Sogar in ihrem Heimatland Nordrhein-Westfalen wussten die meisten Menschen mit ihrem Namen nichts anzufangen. Das hat sich seit gestern Abend schlagartig geändert. Zwar hat CDU-Mann Hendrik Wüst die Landtagswahl im bevölkerungsreichsten Bundesland gewonnen (hier alle Ergebnisse). Doch die eigentliche Wahlsiegerin heißt Mona Neubaur. Die Spitzenkandidatin der Grünen hat noch nie in einem Parlament und noch nie in einem Ministerium gesessen, aber mehr als 11 Prozent hinzugewonnen. Nun kann sie darüber entscheiden, welche Koalition NRW künftig regiert: Schwarz-Grün oder eine Ampel aus einer geschwächten SPD, bärenstarken Grünen und einer abgewatschten FDP? Beides wäre möglich – nicht nur rechnerisch, sondern auch inhaltlich.

Denn politisch ist Mona Neubaur ein Unikum: Einerseits verlangt sie mehr staatlich verordneten Klimaschutz, will in den nächsten fünf Jahren tausend Windräder bauen und neben Autobahnen massenhaft Solaranlagen aufstellen. So soll NRW zur "ersten klimaneutralen Industrieregion Europas" werden. Andererseits will sie, dass der Staat sich weitgehend aus der Wirtschaft heraushält. So was hört man sonst eher von der FDP.

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Wie passt beides zusammen? Das kann sie zeigen, wenn sie regieren darf, und das ist ihr klares Ziel. Es ist kein Geheimnis, dass sie von der Popularität der Bundesminister Robert Habeck und Annalena Baerbock profitiert hat. SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert hat gestern Abend sofort die Hand ausgestreckt: Die SPD will die Wahlniederlage ihres blassen Kandidaten Thomas Kutschaty doch noch in einen Erfolg ummünzen. Auch an der Grünen-Basis gibt es Sympathien für ein Ampelbündnis in NRW. Ob sich die gerupfte FDP dafür hergibt, ist jedoch fraglich: Entweder die geschwächten Liberalen retten sich in eine Regierung, um nicht von der Bildfläche zu verschwinden und ihre Posten zu sichern. Oder sie gehen erhobenen Hauptes in die Opposition, um sich neu aufzustellen und ihr Profil zu schärfen. Den Grünen kann es letztendlich einerlei sein. Sie werden so oder so regieren.


Der Kanzler spricht Klartext

Nicht nur in NRW, auch in Berlin sieht es nicht gut aus für die SPD. Ein halbes Jahr nach ihrem Sieg bei der Bundestagswahl ist die Aufbruchstimmung der Genossen verflogen. Das Impfpflichtdebakel, die Streiterei mit den Ukrainern und die geballte Kritik am Kommunikationsstil des Kanzlers setzen der Partei sichtbar zu. Während die Grünen-Minister Robert Habeck, Annalena Baerbock und Cem Özdemir die Umfragen als beliebteste Politiker Deutschlands anführen, nimmt die Unzufriedenheit mit der sozialdemokratischen Regierungsmannschaft zu:

Talkshow-König Karl Lauterbach hat durch seine widersprüchlichen Corona-Prophezeiungen an Glaubwürdigkeit eingebüßt. In Berlin munkelt man bereits, der Gesundheitsminister sei eine Fehlbesetzung.

Innenministerin Nancy Faeser kündigt zwar viel an, setzt bislang aber wenig um; ihre Zustimmungswerte sind schlecht. Nachdem der Verfassungsschutz mehr als 300 Rechtsextremisten in den deutschen Sicherheitsbehörden aufgespürt hat, will sie nun eilig das Disziplinarrecht verschärfen.

Bauministerin Klara Geywitz ist den meisten Bürgern unbekannt und zeigt wenig Elan, die im Wahlkampf angekündigte Wohnraumoffensive schnell umzusetzen. Dass beim Geldverteilen der Ampelkoalition nun Aufrüstung, Energieversorgung und Soziales im Vordergrund stehen, macht ihren Job nicht leichter.

Arbeitsminister Hubertus Heil gilt als der SPD-Minister mit der größten Erfahrung, bekommt für seine Themen aber wenig Aufmerksamkeit. Heute befasst sich der Arbeitsausschuss des Bundestags mit seinem wichtigsten Projekt: der im Wahlkampf vollmundig versprochenen Mindestlohnerhöhung auf 12 Euro. Mit ihrer Umsetzung steht und fällt die Kanzlerschaft von Olaf Scholz.

Verteidigungsministerin Christine Lambrecht steht massiv unter Beschuss. Einer Insa-Umfrage zufolge befürworten 55 Prozent der befragten Bürger ihren Rücktritt. Es sind nicht nur ihre Ungeschicklichkeiten wie der Hubschrauberflug mit Sohnemann, sondern auch ihr demonstratives Desinteresse an den Details des Amtes, die ihr in politischen Kreisen immer mehr Kritik einbringen. Sie habe ihr Ministerium nicht im Griff, kenne die Dienstgrade und Strukturen der Bundeswehr nicht, sei offensichtlich überfordert, ist zu hören. Auch in EU-Partnerländern wächst der Unmut über die chaotische Amtsführung der Ministerin. "Der Eindruck ist sehr negativ", sagt ein europäischer Diplomat.

Und der Kanzler? Machen ihm die sinkenden Umfragewerte, die Kritik der Medien und die zunehmenden Querschüsse aus den eigenen Reihen der Ampelkoalition zu schaffen? Als meine Kollegen Sven Böll, Miriam Hollstein und ich Olaf Scholz Ende vergangener Woche zum Interview trafen, machte er einen demonstrativ gelassenen Eindruck. Nahm sich viel Zeit für unsere Fragen und unseren Fotografen. Plauderte über die Reise kürzlich nach Japan, bei der wir über den Nordpol geflogen waren.

Der Job des Bundeskanzlers zählt zu den härtesten der Welt. Rund um die Uhr Termine, permanente Beobachtung durch die Öffentlichkeit, Verantwortung für 83 Millionen Menschen: Wer in dem großen Büro im siebten Stock des Kanzleramts sitzt, ist privilegiert, aber auch enorm gefordert. Man will sich lieber nicht ausmalen, wie Armin Laschet sich dort geschlagen hätte.

Als Journalist wünscht man sich ja immer, dass die Interviewpartner Tacheles reden. Dass sie prägnante Sätze formulieren und Neuigkeiten verkünden. All das tut Olaf Scholz nicht. Er redet genauso staatstragend, wie es schon seine Vorgängerin zu tun pflegte – auch Interviews mit Angela Merkel waren wenig originell. Trotzdem hat das t-online-Gespräch mit dem Kanzler am Wochenende Wellen geschlagen und ist von vielen Medien zitiert worden. Denn auch auf seine ruhige, mitunter spröde Art hat Scholz einige bemerkenswerte Dinge gesagt und klargestellt, wie es in der Regierungspolitik weitergeht:

Die Ukraine will er weiterhin stark unterstützen und Russland mit immer härteren Sanktionen bestrafen: "Wir wollen mithelfen, dass sich die Ukraine verteidigen kann. Und gemeinsam mit unseren Verbündeten wollen wir Russland dazu bringen, dass es die Waffen schweigen lässt und seine Truppen aus der Ukraine zurückzieht", sagte er. "Die Sanktionen zeigen ganz erhebliche Wirkungen. Die russische Wirtschaft hat darunter massiv zu leiden, ihre Entwicklungschancen sind stark beeinträchtigt. Langsam sollte Putin klar werden, dass ein Ausweg aus dieser Situation nur über eine Verständigung mit der Ukraine führt."

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Einen schnellen EU-Beitritt der Ukraine sieht Scholz aber nicht: "Es geht darum, dass die Kriterien für Beitritte nicht verwässert werden." Ein Land könne nur dann EU-Mitglied werden, "wenn es dauerhaft eine liberale Demokratie ist und Rechtsstaatlichkeit und soziale Marktwirtschaft garantieren kann."

CDU und CSU wirft der Kanzler die Vernachlässigung der Bundeswehr vor: "Die schlechte Zeit für die Bundeswehr begann unter Guttenberg, Schäuble und Merkel. (…) "Richtig gut wurde es von 2018 an, als im Finanzministerium wieder ein Sozialdemokrat saß." Nämlich er selbst.

Die heiß diskutierte 100-Milliarden-Spritze für die Bundeswehr will er unbedingt durchsetzen: "Das Sondervermögen ist eine nationale Aufgabe, es geht um eine wirksame Verteidigung unseres Landes." Von der Union verlangt er, dass sie sich "patriotisch" verhalten und deshalb zustimmen soll.

Christine Lambrecht nimmt er ausdrücklich in Schutz: "Ich bin sehr sicher: Wenn man in drei Jahren auf die Wahlperiode zurückblickt, wird es heißen: Sie ist die Verteidigungsministerin, die dafür gesorgt hat, dass die Bundeswehr endlich ordentlich ausgestattet ist."

Altkanzler Schröder ruft er dazu auf, seine Posten in russischen Energiekonzernen endlich aufzugeben: "Weil Gerhard Schröder sich als Kanzler große Verdienste um unser Land erworben hat, wünsche ich mir, dass er den Weg, den er gegenwärtig beschreitet, verlässt. (…) Ich habe es immer falsch gefunden, dass man als ehemaliger Kanzler solche Mandate übernimmt. Und seit dem Angriffskrieg auf die Ukraine gibt es dafür überhaupt keine Rechtfertigung mehr."

Für einen Kanzler, dem immer wieder vorgeworfen wird, er rede keinen Klartext, sind das bemerkenswert deutliche Sätze (hier lesen Sie das vollständige Interview). Kaum eine Bundesregierung ist schon kurz nach ihrem Antritt mit so gewaltigen Krisen konfrontiert worden wie die Ampelkoalition. Man kann ihr sicher vorwerfen, dass nicht alles rund läuft. Man kann aber auch einfach mal anerkennen, dass ihre Herausforderungen – der Angriffskrieg einer Atommacht in Europa, Corona immer noch nicht besiegt, der drohende Klimakollaps – tatsächlich riesig sind. Und dass es eine Leistung ist, in so einer Situation einen besonnenen Kurs zu verfolgen, der die Sicherheit und den Wohlstand der Bürger zu wahren und eine Spaltung der Gesellschaft zu verhindern versucht. Wer die Dinge so sieht, erkennt in den Handlungen dieses Kanzlers tatsächlich eine klare Linie: einen Kurs der Vorsicht und der Ausgewogenheit.


Der Bildvergleich:

Immer wieder sind t-online-Redakteure zu Interviews im Kanzleramt. Was dabei auffällt: Olaf Scholz hat sein Büro deutlich nüchterner eingerichtet als seine Vorgängerin. Vergleichen Sie mal den Zustand des Bücherregals:


Gestern hat Finnland beschlossen, den Nato-Beitritt zu beantragen, heute diskutiert das schwedische Parlament über dieselbe Frage. Beobachter rechnen damit, dass die Abgeordneten einen Beschluss für einen Nato-Mitgliedsantrag fassen. Kremlchef Putin hat damit das exakte Gegenteil seiner Strategie erreicht, Europa zu spalten: Der Westen rückt immer enger zusammen.


Nach seinem Wahlsieg lässt sich Victor Orbán vom ungarischen Parlament zum vierten Mal in Folge zum Ministerpräsidenten wählen. Ob er seinen autoritären Kurs fortsetzen kann, ist fraglich: EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen dreht ihm den Geldhahn zu.


Was lesen?


Viele Länder wollen sich von Russland entkoppeln – doch ihre Abhängigkeit von russischen Rohstoffen ist zu groß. Meine Kollegen Hanna Klein und Axel Krüger zeigen Ihnen, wie sich der Kreml weiter finanziert.


In seiner zweiten Amtszeit steht für Emmanuel Macron viel auf dem Spiel. Am Ende könnte der französische Präsident als Verlierer in die Geschichte eingehen, meint der Politologe Joseph de Weck im Interview mit meiner Kollegin Lisa Becke.


Die Tätigkeit eines Kutschers war früher ehrenwert, doch dieser Herr wurde sogar zu einer Berühmtheit. Warum, lesen Sie auf unserem Historischen Bild.


Was amüsiert mich?

VfB, Werder, Hurra 1. Liga! Für Schwaben und Bremer war es ein perfektes Wochenende. Für Herthaner in Berlin eher nicht.

Ich wünsche trotzdem auch allen Berlinern einen schönen Tag.

Herzliche Grüße,

Ihr

Florian Harms
Chefredakteur t-online
E-Mail: t-online-newsletter@stroeer.de

Mit Material von dpa.

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