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Sorge vor Drittem Weltkrieg: Die gefährlichste Lektion des Krieges


Tagesanbruch
Die gefährlichste Lektion des Krieges

  • Bastian Brauns
MeinungVon Bastian Brauns, Washington

Aktualisiert am 03.06.2022Lesedauer: 6 Min.
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Unkontrollierbare Nuklearmächte: Der Weg in ein bedrohliches Jahrhundert?Vergrößern des Bildes
Unkontrollierbare Nuklearmächte: Der Weg in ein bedrohliches Jahrhundert? (Quelle: imago-images-bilder)

Guten Morgen, liebe Leserinnen und Leser,

wegen der vielen täglichen Nachrichten zum Krieg in der Ukraine ist es manchmal gar nicht so einfach, noch nachzuvollziehen, was dieser Konflikt langfristig für uns und die übrige Welt bedeutet.

Zwar verstehen und erleben wir schon jetzt viele Auswirkungen: Seien es bei uns die hohen Benzinpreise, die wachsenden Energiekosten und als Folge davon die beschleunigte Inflation. Oder seien es in anderen Teilen der Welt sogar Hungersnöte angesichts der blockierten Getreidelieferungen oder drohende Flüchtlingsbewegungen.

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Was sich langfristig durch den russischen Angriffskrieg verändern wird, ist in seiner Gänze längst noch nicht gewiss. Niemand kennt die Zukunft.

Und doch gibt es zahlreiche Hinweise auf mögliche Entwicklungen, denen wir unbedingt Beachtung schenken sollten. Denn das, was passieren könnte, ist bedrohlich.

Womöglich machte der ehemalige US-Außenminister Henry Kissinger uns vor Kurzem in einem Interview mit der "Financial Times" auf einen blinden Fleck aufmerksam. Er beklagte, dass es bei Politikerinnen und Politikern weltweit so gut wie keine Diskussion darüber gebe, wie man eigentlich reagieren könnte, sollte ein Land tatsächlich seine Atomwaffen einsetzen. Dann warnte er: "Wir leben jetzt in einer vollkommen neuen Ära."

In der Tat gibt es eine große Sorge, die derzeit Sicherheitsexperten auf der ganzen Welt beschäftigt. Es ist die Angst vor einer Ära der multipolaren nuklearen Bedrohungen, die kaum noch zu kontrollieren sein könnten.

Die Staaten dieser Erde könnten durch den Krieg in der Ukraine wie nie zuvor in der Geschichte in eine Phase der Instabilität eintreten, in der Atommächte sich einfach nehmen können, was sie möchten. Schlicht, weil niemand einen Dritten Weltkrieg mit zerstörerischen Folgen auslösen will. Weil niemand weiß, wie man eine Atommacht wirklich daran hindern soll, taktische Nuklearwaffen einzusetzen, ohne selbst in einen atomaren Konflikt hineingezogen zu werden.

US-Präsident Joe Biden machte am vergangenen Dienstag in einem Gastbeitrag für die "New York Times" noch einmal deutlich: Er und seine Militärberater setzen bei Russland ausschließlich auf nicht-nukleare Reaktionen. Mehr als Diplomatie, Sanktionen und im Zweifel Hilfe für konventionelle Militärschläge stehen demnach für die USA nicht zur Debatte.

Es ist derzeit die wohl einzige Strategie, die bleibt. Aber sie ist nicht ohne Risiko. Und sie lässt außen vor, wie die Supermacht und auch der Rest des Nato-Bündnisses reagieren würde, sollte Russland doch nukleare Waffen einsetzen.

Dabei beginnt mit Putins Krieg womöglich tatsächlich ein Jahrhundert, das außer Kontrolle zu geraten droht. Wann und wie dieser schwerste Konflikt in Europa seit dem Zweiten Weltkrieg zu Ende geht, ist deshalb von nicht zu unterschätzender Bedeutung. Unsere historische Erfahrung ist, dass Kriege fast immer an Verhandlungstischen und nicht auf Schlachtfeldern aufhören.

Aber dieses Mal geht es eben wie nie zuvor darum, welche Lehren die Welt aus den Ereignissen zieht. Das ist auch einer der Hauptgründe, warum der Westen und die übrigen Verbündeten in nie da gewesener Ent- und Geschlossenheit Russland sanktionieren und immer noch schwerere Waffen an die Ukraine liefern.

Es geht nicht nur darum, den Preis für Putin hochzutreiben. Sondern eben auch darum, der Welt zu zeigen, dass nicht-atomare Antworten noch immer funktionieren.

Denn eine erste gefährliche Lektion haben alle Staaten, insbesondere die Atommächte, schon jetzt aus dem Krieg in der Ukraine gelernt: Nukleare Abschreckung funktioniert. Aber eben ganz anders als einst im Kalten Krieg. Damals standen sich mit der Sowjetunion und der Nato nur zwei große nuklear aufgerüstete Blöcke gegenüber. Zahlreiche Verträge regelten im Grunde das Gleichgewicht des Schreckens in der bipolaren atomaren Welt.

Inzwischen aber sind viele dieser Verträge gekündigt. China, Indien, Pakistan, Israel und Nordkorea gehören zu den Atommächten. Hinzu kommen der Iran und andere Staaten, die zumindest theoretisch in der Lage wären, innerhalb kurzer Zeit "die Bombe" zu bauen. Sie alle beobachten sehr genau, wie das Ergebnis dieses Krieges aussehen wird. Ob es sich im Zweifel sogar lohnen könnte, einen solchen Konflikt selbst einzugehen. China und seine ungelöste Taiwan-Frage ist dabei nur einer der möglichen nächsten Konflikte.

Die zweite bereits gelernte Lektion lautet: Auf Atomwaffen zu verzichten, wie es die einstige Nuklearmacht Ukraine gutgläubig getan hat, rächt sich im Zweifel bitter. Vor allem für Staaten, die zu keinem größeren Bündnis gehören.

Die dritte Lektion aber muss sich erst noch beweisen: Lege dich nicht mit dem Westen oder großen Teilen der Weltgemeinschaft an! Denn trotz aller harten Sanktionen des Westens: Putin hat seinen Krieg längst nicht beendet.

Die von Kanzler Olaf Scholz geäußerten Sorgen vor einem Dritten Weltkrieg zeugen von diesem Problembewusstsein. Zum einen signalisieren sie eine berechtige Vorsicht. Zum anderen aber eine gewisse Ratlosigkeit. Mein Kollege Fabian Reinbold kommentiert hier, welche Antworten der Bundeskanzler uns nach 100 Tagen Krieg noch schuldig ist.

Immerhin drohte Putin von Beginn an mit seinem Atomwaffenarsenal, sollte der Westen sich einmischen. Das lange Zögern, es hing auch damit zusammen. Und trotz seiner schweren Verluste und Fehlkalkulationen ist der russische Präsident mit seiner Drohung noch immer erfolgreich:

Längst sind sich Olaf Scholz in Berlin und Joe Biden in Washington darüber im Klaren, dass es kaum möglich sein wird, den russischen Präsidenten wieder ganz aus der Ukraine herauszudrängen. Öffentlich hält man sich mit solchen Eingeständnissen bedeckt, weil man den Ukrainern nicht in den Rücken fallen will.

Doch hinter manchen Sätzen steckt mehr, als auf den ersten Blick zu erkennen ist. "Die Ukraine muss selbstbestimmt über ihre Zukunft und ihr Schicksal entscheiden", sagte etwa US-Außenminister Antony Blinken bereits mehrmals. Und auch Scholz' vehemente Äußerung "Die Ukraine muss bestehen" (nicht gewinnen) zeigt: Wir bleiben im Zweifel auf Abstand, weil sonst Schlimmeres droht. Putin muss offenbar etwas angeboten werden.

Es gibt die Überzeugung im Kanzleramt und auch im Weißen Haus, dass die Regierung von Wolodymyr Selenskyj das sehr bald selbst verstehen muss. Denn es geht noch um viel mehr als die Ukraine.

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Es ist der wohl heikelste Balanceakt, den die westliche Wertegemeinschaft je bestehen musste: Eine atomare Eskalation verhindern, dabei aber die Konsequenzen für Putin so schwerwiegend wie nur möglich machen. Sollte sie damit scheitern, droht die Welt aus den Fugen zu geraten.

Das Atomwaffenarsenal der Chinesen wächst immer weiter. Taiwan wird nachgesagt, selbst an einem Nuklearprogramm zu forschen. Nordkorea testet neue Raketen. Südkorea überlegt deshalb, selbst eine Atombombe zu entwickeln. Dazu kommen neue Berichte über Urananreicherungen im Iran. Israel würde eine iranische Bombe nicht zulassen. Andere Regionalmächte wie die Türkei oder Saudi-Arabien könnten ebenfalls auf Ideen kommen.

Das ist alles andere als ein beruhigendes Szenario.


Was steht an?

Heute geht es im Bundestag um den Haushalt. Fest steht: Nicht nur für das sogenannte 100-Milliarden-Euro-Sondervermögen für die Bundeswehr muss der Finanzminister Christian Lindner neue Schulden machen. Dafür braucht er eine Staatsfirma, die in Deutschland kaum einer kennt – bis auf einige Verschwörungserzähler. Mein Kollege Mauritius Kloft aus unserem Wirtschaftsressort stellt sie Ihnen hier vor.

Vor dem Landgericht Frankfurt beginnt heute ein beachtenswerter Verleumdungsprozess. Der in den USA einst als Doppelmörder verurteilte Jens Söring will gerichtlich gegen Berichterstattung über sich vorgehen, wonach von ihm weiterhin eine Gefahr ausgehen könnte. Der Fall Söring macht seit den Achtzigerjahren und insbesondere seit seiner Abschiebung 2019 nach Deutschland immer wieder Schlagzeilen.

Zu Gast in Berlin ist heute außerdem der Präsident des ukrainischen Parlaments, Ruslan Stefantschuk. Zuerst trifft er auf Bundeskanzler Olaf Scholz, dann besucht er den Bundestag und wird dort von Bundestagspräsidentin Bärbel Bas begrüßt. Anschließend empfängt ihn noch Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier.


Was lesen?

Im Ukraine-Krieg sind derzeit die Augen auf die Stadt Sjewjerodonezk gerichtet: Sie steht kurz vor dem Fall. Warum der Kreml aber auch in dieser Schlacht wohl wieder einen hohen Preis zahlen wird, erklärt Ihnen meine Kollegin Liesa Wölm hier.

Um zu verhindern, dass seine schwer kranken Eltern sich selbst umbringen, hat ihr Sohn Mark deren assistierten Suizid organisiert. Doch nach deren Tod fing für ihn das Leiden an. Was passiert, wenn Kinder ihren Eltern beim Sterben helfen, beschreibt meine Kollegin Antje Hildebrandt.

Mit dem 9-Euro-Ticket will die Regierung die Bürger nicht nur finanziell entlasten, sondern ihnen auch längerfristig Bus und Bahn schmackhaft machen. Doch was heißt das für die Menschen außerhalb der gut angebundenen Städte? Meine Kollegin Lisa Becke war in dem Landkreis mit der schlechtesten ÖPNV-Anbindung unterwegs. Dort zeigt sich, was das 9-Euro-Ticket nicht kann.


"Völlig losgelöst" sang Peter Schilling 1982. Dieses Gefühl hatte der Astronaut Ed White schon 1965. Warum? Das lesen Sie hier.


Was amüsiert mich?

Nächste Woche schreibt an dieser Stelle wieder mein Kollege Florian Harms für Sie.

Ich wünsche Ihnen nun ein schönes Wochenende!

Ihr

Bastian Brauns
Washington-Korrespondent
Twitter @BastianBrauns

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Mit Material von dpa.

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