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"Kriegsultimatum" für Selenskyj? Das steckt hinter den Verhandlungs-Gerüchten


Ukraine-Krieg
Plötzlich reden alle von Verhandlungen

  • Daniel Mützel
Von Daniel Mützel

Aktualisiert am 28.02.2023Lesedauer: 5 Min.
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Emmanuel Macron, Olaf Scholz und Wolodymyr Selenskyj: Gemeinsames Arbeitsessen im Elysee-Palast.Vergrößern des Bildes
Emmanuel Macron, Olaf Scholz und Wolodymyr Selenskyj: Gemeinsames Arbeitsessen im Elysee-Palast. (Quelle: Lewis Joly/AP/dpa/dpa-bilder)

Nato-Staaten drängen offenbar auf ein baldiges Kriegsende, auch Selenskyj kann Chinas Friedensinitiative etwas abgewinnen. Was steckt dahinter?

Bewegt sich was im Ukraine-Krieg? Noch bis vor Kurzem schienen beide Kriegsparteien meilenweit von Verhandlungen entfernt. Die Ukraine steckte in intensiven Vorbereitungen für ihre angekündigte Frühjahrsoffensive, während die russische Armee bereits zum Großangriff überging.

Doch nun tauchen mehrere Berichte auf, wonach sich europäische Regierungen offenbar für eine Verhandlungslösung noch in diesem Jahr starkmachen. Und auch aus der ukrainischen Regierung kommen Signale, die Gesprächsbereitschaft andeuten.

Worum genau geht es? Wie wahrscheinlich sind baldige Verhandlungen? Und auf wen kommt es an? Der Überblick.

Drängt Europa Selenskyj zu Verhandlungen?

Anlass für die Spekulationen um Friedensverhandlungen gab eine Recherche des US-Magazins "Wall Street Journal" (WSJ): Demnach sollen Kanzler Olaf Scholz und der französische Präsident Emmanuel Macron ihrem ukrainischen Amtskollegen Wolodymyr Selenskyj klargemacht haben, dass dieser sich noch in diesem Jahr für Verhandlungen mit Russland offen zeigen solle. Konkret soll dem Bericht zufolge Macron Selenskyj gesagt haben, dass auch die einstigen Erzfeinde Frankreich und Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg Frieden schließen mussten.

Hintergrund dieser Ansage an Selenskyj, so das "WSJ": Trotz öffentlicher Solidaritätsbekundungen des Westens für einen ukrainischen Sieg rechne in der Nato keiner damit, dass Kiew alle von Russland besetzten Gebiete befreien könne. "Keiner glaubt, dass sie (die Ukrainer) die Krim zurückholen können", zitiert das Blatt einen französischen Regierungsvertreter. Das "WSJ" beruft sich auf Quellen in der deutschen, französischen und britischen Regierung.

Demnach sollen die neuesten Panzer- und Waffenlieferungen aus dem Westen die Ukraine dazu ertüchtigen, weitere Territorien zu befreien, so die Zeitung weiter. Danach jedoch solle verhandelt werden. Ein "Verteidigungspakt", den der britische Premier Rishi Sunak entworfen und mit Frankreich und Deutschland abgestimmt hat, soll der Ukraine einen zusätzlichen Anreiz geben, mit Russland zu verhandeln. Der Pakt sieht Sicherheitsgarantien und weitere Waffenhilfen nach dem Krieg vor – im Gegenzug für einen Waffenstillstand und wohl die Abgabe ukrainischer Gebiete.

Auch die "Bild"-Zeitung berichtet unter Berufung auf deutsche und US-Regierungskreise, dass der Druck auf Selenskyj, mit Moskau zu verhandeln, steigen könnte, sollte die ukrainische Frühjahrsoffensive scheitern. Die Zeitung spricht von einem "Kriegsultimatum" für Selenskyj.

Was ist die Position der ukrainischen Regierung?

Wie ernst diese Vermittlungsversuche sind, ist unklar. Die Bundesregierung dementierte den "WSJ"-Bericht teilweise. Bei dem Dreiertreffen in Paris hätten Sicherheitsgarantien "überhaupt keine Rolle" gespielt, so ein Regierungssprecher am Sonntag. Das wäre jedoch aus ukrainischer Sicht ein zentraler Punkt: Denn ohne glaubhafte Sicherheitsgarantien des Westens wird Kiew sich kaum auf Gespräche einlassen.

Offizielle Position der Ukraine ist: Wir sind bereit zu verhandeln, aber nur auf Basis von Selenskyjs Friedensplan. Das bestätigten sowohl der ukrainische Vize-Außenminister Andrij Melnyk als auch der ukrainische Botschafter Oleksii Makeiev t-online. Der Plan sieht unter anderem den Rückzug aller russischen Truppen und die Bestrafung von Kriegsverbrechen vor.

Vor allem der erste Punkt scheint Gespräche fast unmöglich zu machen: Putin hat mittlerweile mehrere ukrainische Gebiete zu russischem Staatsgebiet erklärt, es ist unrealistisch, dass er diese freiwillig wieder aufgibt.

Verhandeln die Ukrainer womöglich schon mit Russland?

Dass Putin derzeit kein Interesse an Verhandlungen hat, gilt als sicher. Allerdings gab es zuletzt Berichte, dass die Ukraine am Kremlchef vorbei mit Russland verhandelt. Das jedenfalls legt Andriy Tschernyak, ein Vertreter des ukrainischen Militärgeheimdienstes (HUR), nahe. "Wir haben Mechanismen der Zusammenarbeit auch mit Menschen gefunden, die Putin sehr nahestehen", sagte Tschernjak in einem Interview mit der griechischen Zeitung "lefimerida" vor wenigen Tagen.

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Sind damit tatsächlich Friedengespräche gemeint? Auf t-online-Anfrage ruderte Tschernjak am Montag zurück: "Verhandlungen mit Vertretern des Terrorstaates können nur legal geführt werden und mit der obersten Staatsführung vereinbart werden." Im Klartext: Allzu viel scheint an dieser Deutung seiner Worte nicht dran zu sein.

Was will Russland?

Auch das Timing spricht aus russischer Sicht gegen solche und andere mögliche Verhandlungen. Aktuell läuft die russische Kriegsmaschine auf Hochtouren: An vielen Frontabschnitten führen russische Truppen und Söldner der Wagner-Miliz Angriffsoperationen aus. Vor allem in Wuhledar und Bachmut im Donbass hat die Kreml-Armee Kräfte konzentriert, um immer neue Angriffe zu befehligen.

Die russische Offensive ist das Ergebnis monatelanger Planungen. Seit vergangenem Herbst wurden Hunderttausende neue Soldaten rekrutiert, ausgerüstet und an die Front geschickt. Laut Erkenntnissen westlicher Geheimdienste ist die Mobilisierung noch immer nicht abgeschlossen, es werden also noch weitere Soldaten erwartet. Zugleich schickt Russland immer mehr Material und Waffen an die Front, um tiefer in ukrainisches Gebiet vorzurücken.

Selbst wenn die Kreml-Truppen bei diesem Vormarsch wie zuletzt nur langsam und unter hohen Verlusten vorankommen – vieles spricht dafür, dass die russische Führung derzeit nicht auf politische Lösungen setzt, sondern auf militärische Gewinne auf dem Schlachtfeld. Auch bei seinen jüngsten öffentlichen Auftritten zeigte Kremlchef Wladimir Putin kaum Verhandlungsbereitschaft, wiederholte stattdessen seine Kriegslügen über angebliche Nazis in der ukrainischen Regierung und den Westen als eigentlichen Aggressor.

Kann China etwas bewirken?

Russland-Experten sagen, nur ein Mann hat Einfluss auf Kremlchef Putin: Xi Jinping. Der chinesische Staatschef hat vergangene Woche viele im Westen überrascht, als er seinen Chefdiplomaten auf Reisen geschickt hat, um einen Zwölf-Punkte-"Friedensplan" vorzustellen. (Mehr dazu lesen Sie hier.)

Darin fordert China unter anderem die Achtung der territorialen Integrität von Staaten, den Verzicht auf Atomwaffen, aber auch ein Ende der "Kalter-Krieg-Mentalität" (ein Vorwurf an die Nato). Bisher hielt sich China nach außen hin aus dem Konflikt heraus, nun will es offenbar stärker Position beziehen.

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Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hatte sich am Wochenende überraschend positiv zu Chinas Plan geäußert: Er teile mehrere Punkte, wenn auch nicht alle. Er begrüße, dass China nun öffentlich über die Ukraine spreche und warb für ein Treffen mit Xi Jinping. Bisher gibt es keine Regierungsgespräche auf höchster Ebene zwischen Peking und Kiew.

Aus dem Kreml kamen zurückhaltendere Töne. Das Papier verdiene zwar "Aufmerksamkeit", sagte Sprecher Dmitri Peskow am Montag der russischen Agentur Interfax zufolge – doch sehe man derzeit "keine Voraussetzungen" für eine friedliche Lösung. "Wir wiederholen noch einmal, dass wir im Moment keine Voraussetzungen sehen, um diese ganze Geschichte in eine friedliche Richtung zu bringen".

Ob China wirklich etwas bewegen will, muss mit Skepsis gesehen werden. So gibt es vermehrt Hinweise darüber, dass China Russland Waffen liefern könnte. China-Experte Klaus Mühlhahn bewertet zudem Chinas Friedensplan eher als Versuch, neutral zu bleiben. China wolle Russland für den Angriffskrieg nicht klar verurteilen, aber zugleich nicht vollends unterstützen, so Mühlhahn kürzlich zu t-online. Chinas Ziel sei es, Staaten wie Brasilien und Indien aus dem westlichen Bündnis herauszuhalten und so den Westen zu schwächen.

Derzeit ist es also eher unwahrscheinlich, dass es zu Verhandlungen kommt. Sowohl die Ukraine als auch Russland setzen gerade auf militärische Lösungen. Auch wenn es diplomatische Initiativen gibt, wie jetzt von China, oder immer wieder auch konkrete Verhandlungen etwa beim Gefangenenaustausch oder dem Getreideexport, bleiben beide Staaten bei ihren Maximalforderungen.

Verwendete Quellen
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