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Studie: Ohne Tarifvertrag mehr Arbeit für weniger Geld


Arbeitsmarkt
Studie: Ohne Tarifvertrag mehr Arbeit für weniger Geld

Von dpa
Aktualisiert am 29.04.2024Lesedauer: 3 Min.
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In Ostdeutschland sparen tariflose Unternehmen besonders deutlich an den Gehältern ihrer Beschäftigten. (Quelle: Jens Büttner/dpa-Zentralbild/dpa/dpa-bilder)
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Immer weniger Menschen werden nach den Regeln eines Tarifvertrags beschäftigt. Gleichzeitig lässt der Mindestlohn die unteren Gehälter überdurchschnittlich steigen. Ein Ersatz ist das aber nicht.

Fest geregelte Arbeitszeiten, einheitliche Bezahlung und verbindliche Zusatzleistungen - in Deutschland können immer weniger Arbeitnehmer die Vorteile eines Tarifvertrags für sich in Anspruch nehmen.

Nach einer Studie der gewerkschaftlichen Hans-Böckler-Stiftung führt das zu erheblichen Nachteilen für die Beschäftigten in tariflosen Betrieben: Sie müssten im Mittel 53 Minuten in der Woche länger arbeiten und erhielten dennoch zehn Prozent weniger Gehalt als Tarifbeschäftigte. Das entspreche über das Jahr gesehen einer zusätzlichen Arbeitswoche, während auf dem Konto mehr als ein Monatsgehalt fehle.

Auf der anderen Seite hat der zuletzt stark erhöhte gesetzliche Mindestlohn die Verdienstunterschiede in Deutschland abgemildert. Vor allem Geringverdiener profitierten von der Steigerung auf 12 Euro in der Stunde, wie das Statistische Bundesamt für den Zeitraum von April 2022 bis April 2023 berichtete. Am Ende dieser Periode verdienten die oberen zehn Prozent der Beschäftigten im Schnitt das 2,98-fache der Geringverdiener aus dem untersten Zehntel der Lohnskala. Ein Jahr zuvor war es noch das 3,28-fache gewesen. Nach einer weiteren Anhebung zum Jahresbeginn beträgt der Mindestlohn derzeit 12,41 Euro.

Stärkerer Zuwachs am unteren Ende der Lohnskala

Mit einem Bruttostundenlohn von 12,25 Euro zählte man im April 2023 gerade noch zu den Geringverdienern, während Besserverdienende mindestens auf 36,48 Euro in der Stunde auf dem Zettel hatten. Die Entwicklung konnte unterschiedlicher kaum sein: Im beobachteten Zeitraum gab es am oberen Ende der Skala einen Zuwachs von 1,9 Prozent, während die Gehälter am Sockel um 12,4 Prozent zulegten.

Die Lohnungleichheit sei bis Anfang der 2010er Jahre zu groß geworden - mit negativen Folgen für Produktivität und Beschäftigung, sagt Arbeitsmarktforscher Enzo Weber vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) bei der Arbeitsagentur. Nun müsse aber darauf geachtet werden, dass keine falschen Job-Anreize gesetzt würden. Im vergangenen Jahr sei der Anteil der Ungelernten unter den 20- bis 34-Jährigen erneut gestiegen, um knapp 100.000 Personen auf nun über 18 Prozent. Gerade in Zeiten der Transformation müsse deshalb noch mehr für Ausbildung und Qualifizierung getan werden.

Nur noch jeder Zweite arbeitet nach Tarif

Tarifverträge werden zwar zwischen Gewerkschaften und Arbeitgebern oberhalb des Mindestlohn-Niveaus ausgehandelt, aber der schleichende Rückgang der Tarifbindung habe sich auch 2023 Jahr fortgesetzt, berichtet das Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Institut (WSI) der Böckler-Stiftung. Nur noch 49 Prozent der Beschäftigten seien 2023 in tarifgebundenen Betrieben tätig gewesen, nachdem der Anteil im Jahr 2000 noch 68 Prozent betragen habe. Aktuell gibt es eine breite regionale Spanne zwischen 54 Prozent Tarifbindung in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz oder Mecklenburg-Vorpommern, wo nur rund 40 Prozent der Beschäftigten nach Tarif bezahlt werden.

Grundlage der Untersuchung ist das Betriebspanel des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) bei der Arbeitsagentur, für das jährlich rund 15.000 Betriebe detailliert befragt werden. Von den Betrieben ist bundesweit nicht einmal mehr jeder vierte (24 Prozent) noch an einen Tarifvertrag gebunden. Nicht berücksichtigt sind dabei Unternehmen, die sich ohne formelle Verpflichtung an Branchentarifverträgen orientieren.

Tariflose im Osten verdienen besonders wenig

In Ostdeutschland sparen tariflose Unternehmen besonders deutlich an den Gehältern ihrer Beschäftigten. Der Studie zufolge liegen etwa in Brandenburg die tariflosen Löhne rund 15 Prozent unter denen in tarifgebundenen Unternehmen. Deutliche Unterschiede bei der Arbeitszeit sind hingegen eher im Westen üblich. Die größte Differenz beobachteten die Wissenschaftler in Baden-Württemberg, wo tariflose Vollzeitbeschäftigte 83 Minuten länger arbeiten mussten als ihre tarifgebundenen Kollegen.

Die WSI-Autoren Malte Lübker und Thorsten Schulten fordern wirksame Maßnahmen der Bundesregierung, um die Tarifbindung auf die von der EU geforderten 80 Prozent zu steigern. Unter anderem sollten ihrer Meinung nach öffentliche Aufträge nur an tariftreue Unternehmen vergeben und Tarifabschlüsse leichter für ganze Branchen als allgemein verbindlich erklärt werden.

IAB-Experte Weber schlägt vor, Vorteile wie flexiblere Arbeitszeiten an tarifliche Regelungen zu binden, warnt aber auch vor zu viel staatlichem Zwang. "Ein Tarifvertrag sollte möglichst aus sich selbst heraus Vorteil genug sein." Die Bedingungen für eine höhere Tarifbindung seien angesichts knapper Arbeitskräfte nicht schlecht, wenn auch die Unternehmen erkennen müssten, dass sie nur zu guten Beschäftigungsbedingungen Mitarbeiter finden. Eine Chance für die Tarifpartner läge darin, innerhalb ihrer Vertragswerke den Individuen mehr Selbstbestimmung und Wahlrechte etwa zur Arbeitszeitgestaltung zu ermöglichen.

Verwendete Quellen
  • Nachrichtenagentur dpa
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