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Sicherheit von Lebensmitteln: Die Rückrufe sind nicht der eigentliche Skandal


Sicherheit von Lebensmitteln
Die vielen Rückrufe sind nicht der eigentliche Skandal

MeinungEine Kolumne von Ursula Weidenfeld

Aktualisiert am 05.11.2019Lesedauer: 3 Min.
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Hackfleisch aus dem Supermarkt steht in einem Kühlschrank: Rund 95 Rückrufe für Lebensmittel verzeichnet die Webseite Lebensmittelwarnung.de in diesem Jahr bisher.Vergrößern des Bildes
Hackfleisch aus dem Supermarkt steht in einem Kühlschrank: Rund 95 Rückrufe für Lebensmittel verzeichnet die Website Lebensmittelwarnung.de in diesem Jahr bisher. (Quelle: Thomas Trutschel/imago-images-bilder)

Die jüngsten Lebensmittelskandale haben gezeigt, dass die deutschen Lebensmittelkontrollen immer nachlässiger werden. Doch ist die Qualität deutscher Waren wirklich in Gefahr oder verstellen die Ereignisse nur den Blick für eine Welt, die trotz aller Mängel in Ordnung ist?

Es ist eine Liste des Grauens. Wer die Lebensmittelrückrufe der vergangenen Tage studiert, könnte den Eindruck gewinnen, mordlustige Attentäter hätten die deutsche Nahrungsmittelindustrie gekapert: bedrohliche Listerien-Bakterien in den Buletten der Firma Fleisch-Krone. Glassplitter im Käse der britischen Belton Farm. Schimmelgift im Diesdorfer Apfelsaft, Salmonellen in Walnüssen aus Hamburg, Metallstücke in der Lüttje Kochmettwurst. Ganz zu schweigen von den Frikadellen, Würsten und Schweinebraten der hessischen Firma Wilke, die wegen Bakterien und Schimmel tonnenweise aus Kantinen, Krankenhäusern und Supermärkten abtransportiert wurden.

Doch der Eindruck täuscht. Jenseits aller offensichtlichen Machenschaften, Kontrolldefizite und Schlampereien sind Lebensmittel in diesem Land bemerkenswert sicher.

Immer weniger Lebensmittelkontrollen

Klar, es gibt gefährliche Defizite: Die Zahl der Lebensmittelkontrollen nimmt von Jahr zu Jahr ab, weil in den Behörden gespart wird. Fliegt ein Lebensmittelsünder auf, dauert es oft Wochen, bis das ganze Land alarmiert ist. Im Fall der hessischen Firma Wilke dümpelten die Informationen monatelang in Hessen vor sich hin. Dann dauerte es noch eine kleine Ewigkeit, bis die keiminfizierten Produkte bundesweit zurückgerufen wurden. Statt wenigstens dann eine gemeinsame Anstrengung für mehr Lebensmittelsicherheit zu unternehmen, schieben die Bundesverbraucherministerien und die zuständigen Behörden in den Ländern die Verantwortung hin und her.

Das ist unangemessen, unklug und wird den Sorgen vieler Verbraucher nicht gerecht. Denn die Herausforderungen für die Lebensmittelbranche sowie deren Kontrolleure wachsen: Der Klimawandel, die Globalisierung, die exakte Dokumentation der Zutaten, und die absolut hygienische Verarbeitung der Rohstoffe. Zudem verlangen immer mehr fertig zubereitete Salate, Mittagessen und To-go-Snacks lückenlosere Kühlketten.

Hygienemängel während unangemeldeter Kontrollen

Nicht nur die Hersteller müssen sich anstrengen. Rund 1,2 Millionen Betriebe unterliegen in Deutschland ausweislich des Kontrollberichts der Bundesregierung der Lebensmittelkontrolle. Davon bekamen im Jahr 2018 etwas mehr als 40 Prozent unangemeldeten Besuch vom Amt.

Während bei den Herstellern und Verpackern nur jeder zehnte ermahnt werden musste, erhielt jeder fünfte kontrollierte Wirt, Kantinenmanager und Einzelhändler eine Mängelanzeige. In mehr als der Hälfte aller Fälle mangelte es an der Betriebshygiene: Mal waren die Kühlräume, mal war die Küche schmutzig. Mal wuschen sich die Mitarbeiter die Hände nicht, mal wurde mit demselben Messer Hühnchen zerteilt und Gemüse gehackt. Mal nagten die Mäuse am Brot, mal hatten nur die Lehrlinge die Finger im Kochtopf.

Rund 95 Rückrufe für Lebensmittel verzeichnet die Website Lebensmittelwarnung.de in diesem Jahr bisher. Im ganzen Jahr 2013 waren es insgesamt 75. Das ist nicht gut. Aber schlimm ist es in den meisten Fällen auch nicht. Denn die Firmen tun sich heute nicht mehr so schwer wie früher, ihre Produkte aus dem Handel zu nehmen. Auch weil die Öffentlichkeit und die Verbraucherverbände wacher geworden sind, können sie kaum noch hoffen, unentdeckt zu bleiben.

Je billiger, je oller?

Wer preiswerte Lebensmittel kauft und sich vornehmlich aus der Kühltheke der Discounter bedient, hat denselben Anspruch an einwandfreie Lebensmittel wie Biomarkt-Kunden, die mehr bezahlen können. Manchmal bekommt er – hygienetechnisch betrachtet – sogar bessere Ware. Die Stiftung Warentest hat immer wieder Hackfleisch getestet. Das Ergebnis: Die Discounterangebote waren den handwerklich hergestellten Produkten oft überlegen, jedenfalls, was die Keimbelastung betrifft. Auf der Rückrufliste der Lebensmittelwarner finden sich Aldi-Produkte genauso wie die Biomarke Rapunzel, die in diesem Jahr ihre Brühwürfel wieder einsammeln musste. Die EHEC-Epidemie des Jahres 2011, an der mehr als 50 Menschen starben, hatte ihren Ursprung in Bockshornklee-Sprossen eines veganen Biohofs.

Immer weniger Deutsche kochen selbst

Nur eines ist ziemlich klar: Umso weniger Menschen ihre Nahrungsmittel selbst und frisch zubereiten,desto weniger wissen sie selbst über Hygiene in der Küche und im Kühlschrank. Dadurch steigt das Risiko, irgendwann keimbelastete Ware zu essen. Eine Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Allensbach aus diesem Frühjahr zeigt, wie dynamisch der Wandel der Ernährungsgewohnheiten ist: Nur noch in etwas mehr als der Hälfte der deutschen Haushalte wird täglich gekocht. Vor zehn Jahren dampften die Töpfe noch in fast zwei Drittel der Küchen täglich.

Wenn also heute mehr Eiersalate, Snackboxen oder Leberkäs-Packungen zurückgerufen werden, muss das nicht an dramatisch schlechteren Produktionsbedingungen liegen. Es kann sein, dass einfach nur der Markt dramatisch gewachsen ist.

Mehr von Ursula Weidenfeld? Abonnieren Sie den Podcast "Tonspur Wissen" von t-online.de und der Leibniz-Gemeinschaft, hier.

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