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Evergrande-Krise: Die Lebensversicherung unserer Wirtschaft gerät ins Wanken


Evergrande-Krise in China
Die Lebensversicherung unserer Wirtschaft gerät ins Wanken

MeinungEine Kolumne von Ursula Weidenfeld

Aktualisiert am 28.09.2021Lesedauer: 4 Min.
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Baustelle in China (Symbolbild): Der Immobilienkonzern Evergrande steckt in der Krise, das könnte auch Auswirkungen auf Deutschland haben.Vergrößern des Bildes
Baustelle in China (Symbolbild): Der Immobilienkonzern Evergrande steckt in der Krise, das könnte auch Auswirkungen auf Deutschland haben. (Quelle: imago-images-bilder)

Die Krise des chinesischen Immobilienentwicklers Evergrande werde die Weltwirtschaft nicht belasten, behaupten Finanzmarktexperten. Sie könnten sich täuschen.

Natürlich kann man immer noch so tun, als falle in China nur ein Sack Reis um. Doch man könnte auch beginnen, den absehbaren Bankrott oder die staatliche Inobhutnahme des chinesischen Immobilienriesen Evergrande ernst zu nehmen. Es ist höchste Zeit dafür. Denn die Ansteckungsgefahr für das Weltfinanzsystem mag nicht sonderlich hoch sein. Für die Weltwirtschaft – und besonders die deutschen Unternehmen – aber trifft das nicht zu. Hier sind die Risiken höher, als viele es gerne wahrhaben wollen.

Die verbreitete Lesart der Krise des Unternehmens geht so: Der Immobilienmarkt in China ist überhitzt und durch faule Kredite aufgebläht. Nicht nur Evergrande, auch viele der anderen Bau- und Immobilienentwickler haben sich in den vergangenen Jahren durch Anleihen finanziert, die sie an Kleinanleger verkauften. Damit wurde der Immobilienboom befeuert, der inzwischen leerläuft – angeblich stehen in Chinas Großstädten 90 Millionen Wohnungen leer.

Weil aber die Firmen vor allem bei Bürgern Chinas verschuldet sind, werde die Immobilienkrise die Finanzsysteme der Welt voraussichtlich nicht anstecken. Darüber hinaus werde die chinesische Regierung mit milliardenschweren Liquiditätsspritzen dafür sorgen, dass der Immobiliensektor nicht zusammenbreche. Chinas Volkswirtschaft werde in den kommenden Jahren eben nur schwächer wachsen, außerdem werde die Finanzierung von Immobilienprojekten schwieriger und teurer.

China verpasst deutschem Export einen Dämpfer

Es spricht viel dafür, dass einige dieser Annahmen stimmen. Doch gerade im letzten Argument verbirgt sich der Sprengstoff für die Welt- und speziell für die deutsche Wirtschaft. Das zeigt sich auch daran, dass es längst nicht mehr nur um Immobilien geht. So geht mittlerweile auch der E-Auto-Tochter von Evergrande, New Energy Vehicle Group, das Geld aus. Der geplante Verkauf des Unternehmens, um die Verluste im Immobiliengeschäft auszugleichen, kam bisher nicht zustande und der Börsenwert brach drastisch ein.

China ist Deutschlands wichtigster Handelspartner. Waren im Wert von rund 200 Milliarden Euro wurden im vergangenen Jahr zwischen beiden Ländern gehandelt. Lässt in China das Wachstum nach, gibt es auch für den deutschen Export einen spürbaren Dämpfer. Wird es in Asien schwieriger, Investitionen zu finanzieren, wird weniger im Ausland bestellt. Fürchten die chinesischen Konsumenten, ihr Erspartes zu verlieren, werden sie nicht mehr einkaufen oder reisen. Zu glauben, das werde die deutschen Maschinenbauer und Bauzulieferer oder die französischen und italienischen Luxusartikelhersteller kalt lassen, ist eine Illusion.

China war in den vergangenen zehn Jahren so etwas wie die Lebensversicherung der Weltwirtschaft. Nach der Finanzkrise war es der Staatskapitalismus Chinas, der den Motor wieder zum Laufen brachte. Nach dem Corona-Schock erholte sich die zuerst betroffene chinesische Wirtschaft am schnellsten und zog auch die schwer gebeutelten Volkswirtschaften des Westens nach oben. Der Staat förderte das Wachstum, indem er Firmen, Städte und Provinzen großzügig mit Liquidität versorgte.

An Evergrande wird ein Exempel statuiert

In diesem Herbst aber ist das Ende des Geschäftsmodells absehbar. Als Lokomotive für die Erholung der Weltwirtschaft steht China voraussichtlich vorerst nicht zur Verfügung. Nicht nur Evergrande, große Teile seiner Wirtschaft, seiner Städte und Regionen sind überschuldet.

Seit Monaten versucht die Regierung, das Problem zu lösen. Sie maßregelt die gierigen Chefs der großen Konglomerate, manche werden verhaftet, andere verschwinden über Nacht von ihren Posten. Sie setzt neue strenge Regeln zur Finanzierung im Immobiliensektor und begrenzt den Freiraum von Unternehmen zu wachsen.

Und sie statuiert Exempel. Wie das von Evergrande. Zwar gehen die meisten Marktbeobachter davon aus, dass die Regierung am Ende für eine geordnete Abwicklung des Konzerns sorgen wird. Doch erst einmal sollen die Manager des Unternehmens, die Wettbewerber und die Käufer der Anleihen ordentlich ins Schwitzen kommen.

Niemand soll sich sicher sein können, dass es so etwas wie eine implizite Staatsgarantie für die Werte der Firmen gibt – auch wenn das de facto so ist. Denn die chinesische Regierung hat in der vergangenen und in dieser Woche bereits Milliarden in den Immobiliensektor gepumpt, damit versprochene Wohnungen weiter gebaut und fertiggestellt werden können.

Weltwirtschaft wird Krise zu spüren bekommen

Der Bau neuer Wohnungen machte im vergangenen Jahr zehn Prozent des chinesischen Bruttoinlandsproduktes (BIP) aus, der Immobiliensektor insgesamt sorgt für rund ein Fünftel der chinesischen Wirtschaftsleistung. Eine eigene Wohnung kaufen zu können, ist für die Bürger Chinas ein Zeichen von Wohlstand und Erfolg. Mehr als achtzig Prozent der Haushalte leben in Wohneigentum.

Bei Evergrande sollen mehr als 1,4 Millionen Wohnungen bereits bezahlt, aber noch nicht gebaut worden sein. Für diese – und möglicherweise weitere Kunden anderer Immobilienentwickler, die ebenfalls wackeln – eine Lösung zu finden, wird die chinesische Regierung als ihre Aufgabe ansehen. Das Mitleid mit den ausländischen Anlegern, die einen Teil der Kredite gegeben haben, dürfte dagegen begrenzt sein.

Beides – das zurückgehende Wirtschaftswachstum Chinas und die Entwertung von Offshore-Anleihen – wird die Weltwirtschaft vermutlich nicht in den Ruin treiben. Aber sie wird die Schleifspuren der Krise zu spüren bekommen.

Ursula Weidenfeld ist Wirtschaftsjournalistin in Berlin. Im August erscheint ihr neues Buch: Die Kanzlerin. Portrait einer Epoche. Sie können es jetzt schon vorbestellen.

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