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Sinkende Produktivität: Deutschland legt sich schlafen – mit gefährlichen Folgen


Deutschlands Wirtschaft und die Ampel
Ein Land legt sich schlafen

MeinungEine Kolumne von Ursula Weidenfeld

Aktualisiert am 07.12.2021Lesedauer: 3 Min.
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Olaf Scholz mit geschlossenen Augen: "Eigentlich schlafe ich gerne aus", berichtete der künftige Kanzler.Vergrößern des Bildes
Olaf Scholz mit geschlossenen Augen: "Eigentlich schlafe ich gerne aus", berichtete der künftige Kanzler. (Quelle: IPON/imago-images-bilder)

Nicht nur der künftige Kanzler Scholz und sein Vize Habeck sehnen sich nach Schlaf. Die anderen Deutschen tun es auch. Das aber birgt eine große Gefahr.

Der künftige Kanzler Olaf Scholz ("Eigentlich schlafe ich gerne aus") und sein Vizekanzler Robert Habeck ("Es wäre ganz gut, mal wieder atmen zu können") sehnen sich schon jetzt nach Ruhe. Bevor sie mit dem Regieren angefangen haben, reden sie vom Schlafen – und sprechen damit dem ganzen Land aus der Seele.

Denn obwohl jeder weiß, dass die Corona-Pandemie nur mit äußerster Anstrengung bekämpft, ihre Folgen nur mit größter Energie bewältigt und die zusätzlichen Herausforderungen wie Klimawandel und Digitalisierung enormen Einsatz fordern, gibt es in diesem Dezember vor allem: Erschöpfung, Müdigkeit, Schlummertrunk.

Das ganze Land braucht Ruhe

Egal, mit welchem Personalchef man in diesen Wochen spricht, alle berichten von Mitarbeitern, die die Arbeitszeit reduzieren wollen, oder sich mit Kündigungsgedanken tragen. Fragt man Familienunternehmer, erzählen die von großen Mühen, ihre Leute aus der Kurzarbeit zurückzuholen. Die Unternehmensberatungen, berühmt und berüchtigt für ihre 18-Stunden-Tage, jammern über den Nachwuchs, den es auf einmal in den öffentlichen Dienst zieht: wegen der geregelten Arbeitszeit.

Das ganze Land scheint der Ruhe zu bedürfen. Viele Ältere haben in der Corona-Zeit festgestellt, dass es sich mit etwas weniger Einkommen auch gut leben lässt, wenn die Kinder einmal aus dem Haus sind.

Wenn dafür ein Mittagsschlaf im Homeoffice drin ist, warum nicht? Die gut qualifizierten Jüngeren wissen, dass sie auf dem Arbeitsmarkt die Wahl haben. Wenn sie nicht wollen (oder das Geld brauchen), müssen sie nicht länger, intensiver und mehr arbeiten. Krankenpfleger sehen, dass sie mit ihrer Qualifikation keinen Schichtdienst auf Intensivstationen machen müssen, um woanders besser zu verdienen.

Produktivität sinkt – mit fatalen Folgen

Je höher qualifiziert die Leute sind, desto leichter fällt es ihnen, die persönliche Work-Life-Balance durchzusetzen. Dass sie es auch tun, lässt sich an der Produktivitätsentwicklung erkennen: Obwohl immer mehr Prozesse digitalisiert werden, wächst die Arbeitsproduktivität je Stunde schon seit der Finanzkrise um weniger als ein Prozent im Jahr. Für die Pandemie-Zeit gibt es noch keine genauen Daten, aber die Volkswirte erwarten, dass sie noch einmal schlechter ausfallen wird als in allen Jahren zuvor.

Das Phänomen ist keineswegs auf Deutschland beschränkt. "The Big Leave" nennen die Amerikaner es oder gleich "The Great Resignation". Doch während die Beschäftigten in den USA kündigen, wenn sie unzufrieden sind, bleiben die Deutschen erst einmal da, wo sie sind. Sie tun nur nicht mehr so viel.

Zwar sind auch hier die Kündigungsraten im Jahr 2021 etwas gestiegen, doch Arbeitsmarktexperten sehen darin vor allem den Nachholeffekt aus dem ersten Corona-Jahr, in dem die Leute wegen der Unsicherheit nur selten ihre Stelle wechselten.

Viele Arbeitskräfte fehlen

Allerdings gebe es den allgemeinen Trend zur grundsätzlichen Neubewertung von Arbeit inzwischen in nahezu allen Ländern, in denen die Arbeitslosenquote niedrig und das Angebot an neuen Arbeitskräften knapp ist. So, wie sich die Politiker der Ampelkoalition schon jetzt Gedanken um das Schlafen, den Sport und die Familienzeit machen, tun das Hunderttausende Bürger eben auch.

Die Folge: Längst ist Arbeitskräfte- und Arbeitsstundenknappheit ein Problem geworden. Die Krankenhäuser haben zur Zeit auch deshalb viel weniger Intensivbetten als in der ersten Corona-Welle, weil ihnen jetzt die Mitarbeiter fehlen.

Die Gaststätten reduzierten in diesem Jahr zunächst das Angebot nicht wegen der Pandemie, sondern weil ihnen die Köchinnen und die Kellner erst weggelaufen sind, und dann nicht mehr zurückkamen. Auch in Deutschland sind Lastwagenfahrer knapp, werden Lehrer gesucht, ist der Gesundheitsbereich personell unterversorgt. Das reduziert die Leistungsfähigkeit in diesen Branchen, damit das Wachstum und die Kraft der Volkswirtschaft.

Deutsche sollten wieder in die Hände spucken

Gut, dass der künftige Kanzler sich am Riemen reißen will: "Und nun machen wir uns an die Arbeit", sagte Olaf Scholz am Montag, nachdem er die künftigen SPD-Minister vorgestellt hatte. Das klang energisch.

Auch sein Vize scheint sich in das Schicksal des künftigen Vielarbeiters zu schicken: "Es geht halt nonstop weiter", seufzte Habeck in der vergangenen Woche.

Gut so. Die Deutschen sollten sich ein Beispiel an ihrem neuen Regierungsgespann nehmen – und wieder in die Hände spucken, anstatt dem Ruhestand entgegenzugähnen. Es ist nötig.

Ursula Weidenfeld ist Wirtschaftsjournalistin in Berlin. Ihr neues Buch heißt: Die Kanzlerin. Porträt einer Epoche.

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