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Sterbehilfe: Streit zwischen Politik und Justiz über Möglichkeiten zur Selbsttötung


Wirbel um Sterbehilfe: Streit zwischen Politik und Justiz


22.08.2018Lesedauer: 3 Min.
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Schwerstkranker Mann wird palliativ behandelt: Derzeit konzentriert sich die Sterbebegleitung vorwiegend auf die Linderung von Schmerzzuständen.Vergrößern des Bildes
Schwerstkranker Mann wird palliativ behandelt: Derzeit konzentriert sich die Sterbebegleitung vorwiegend auf die Linderung von Schmerzzuständen. (Quelle: Sven Simon/imago-images-bilder)

Es gibt unheilbar Kranke, die furchtbar leiden und sich nur noch nach Erlösung sehnen. Und es gibt die Sorge, dass die Sterbehilfe missbraucht wird. Auch Justiz und Politik sind sich nicht einig, wie der Bereich im Detail geregelt werden soll. Ein Urteil des Bundesverwaltungsgerichts sorgt für großen Wirbel, denn die Bundesregierung scheint es nicht anzuerkennen.

Der Fall ist kompliziert: Im Dezember 2015 wurde die Sterbehilfe in Deutschland neu geregelt. Dazu wurde der Paragraph 217 Strafgesetzbuch (StGB) geändert. Darin ist seither festgelegt, geschäftsmäßige Beihilfe zum Suizid unter Strafe zu stellen. Die Neuregelung gilt für Vereine, Organisationen und Einzelpersonen, die mit gewerbsmäßiger Absicht eine Assistenz bei der Selbsttötung anbieten. Angehörige und Nahestehende von Sterbewilligen, die im Einzelfall handeln, sind von der Strafandrohung nicht betroffen.

Das Bundesverwaltungsgericht machte Ausnahmen möglich

Im März 2017 entschied das Bundesverwaltungsgericht mit Sitz in Leipzig, dass sterbewillige Menschen unter bestimmten Voraussetzungen legal Zugang zu Betäubungsmitteln bekommen können, um sich selbst zu töten. Damit haben die Verwaltungsrichter Ausnahmen vom § 217 geschaffen. Die Rechtssprechung ermöglicht also im Einzelfall den legalen Erwerb von tödlichen Medikamenten zum Zwecke des Suizids.

Patienten, die unheilbar krank sind und massiv leiden, können infolgedessen beim zuständigen Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) mit Sitz in Bonn einen Antrag stellen, um legal eine tödliche Dosis von Arzneimitteln erwerben zu dürfen. In der Verwaltungspraxis bedeutet das: Das BfArM muss nach diesem letztinstanzlichen Richterspruch jeden einzelnen Fall genau prüfen.

Mehr Anträge auf tödliche Medikamente

Infolge der neuen Rechtssprechung aus Leipzig beantragten vermehrt Schwerkranke beim BfArM tödliche Dosen zur Durchführung eines Suizids.

Das CDU-geführte Bundesgesundheitsministerium (BMG), das die Aufsicht über das BfArM hat, scheint dieser Praxis zwischenzeitlich aber einen Riegel vorgeschoben zu haben. Nach Recherchen des Berliner Tagesspiegels hat es im Ministerium Anweisungen an die ihm unterstellte Arzneimittelbehörde gegeben, keine Anträge dieser Art zu bewilligen. Entsprechende interne Vermerke liegen der Zeitung vor. Das BfArM erklärte jedoch, es werde weiterhin jeder Antrag einzeln geprüft. Laut Tagesspiegel würden jedoch trotz des anderslautenden Gerichtsentscheids in Wirklichkeit entsprechende Anträge vom BfArM grundsätzlich abgelehnt.

Aber ganz offensichtlich lehnt das Bundesgesundheitsministerium das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts ab. "Das BVerwG hat ein im Ergebnis von allen Beteiligten völlig unerwartetes Urteil gefällt“, steht demnach in einem internen Vermerk vier Tage nach dem Urteil. Zu dieser Zeit führte noch Hermann Gröhe (CDU) das Ministerium. Weiter hieß es: Ein Kriterienkatalog zur Feststellung solcher Extremfälle "würde die bisherige ethisch-politische Linie von Herrn Minister konterkarieren".

Die Grundwerte der Christdemokraten sind in der Tat nicht unbedingt mit Sterbehilfe in Einklang zu bringen. Dem Tagesspiegel liegt die interne Korrespondenz des Ministeriums zum Thema vor. Der Zeitung zufolge sind die Zuständigen im Ministerium in Sorge, dass hierzulande ein „Suizid-Tourismus“ einsetzen könne. So heißt es demnach in einem Vermerk des Bundesgesundheitsministeriums weiter: Das BfArM dürfe nicht international zur „Hauptantragsstelle für die Erlangung von Suizidmitteln“ werden.

Das BMG hat daraufhin ein Gutachten in Auftrag gegeben, das der ehemalige Verfassungsrichter Prof. Udo Di Fabio erstellt hat. Der Tenor des Gutachtens ist, dass mit den Ausnahmemöglichkeiten gegen geltendes Recht verstoßen. Die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts sei "verfassungsrechtlich nicht haltbar", argumentiert der Rechtsprofessor.

Verfassungsbeschwerden gegen § 217 StGB

Auch auf Seiten der Patienten gibt es heftige Reaktionen auf die Neuregelung der Sterbehilfe. Allerdings sehen einige mit dem Paragraphen 217 StGB vielmehr einen Eingriff in die Persönlichkeitsrechte von Menschen, die massiv leiden und deshalb sterben wollen. So wurden gegen die Regelung mehrere Verfassungsbeschwerden beim Bundesverfassungsgericht eingereicht, unter anderem von deutschen Sterbehilfevereinen. Die Bundesverfassungsrichter werden sich diesen Beschwerden aller Wahrscheinlichkeit nach demnächst annehmen.

Deutsche Stiftung Patientenschutz: "Das Urteil hat ein großes Dilemma geschaffen"

Auch bei Patientenschützern wird das Urteil aus Leipzig nicht unbedingt als hilfreich für Patienten gewertet. So sagte der Vorstand der Deutschen Stiftung Patientenschutz, Eugen Brysch, t-online.de: „Das Urteil des Bundesverwaltungsgerichtes im März 2017 hat ein großes Dilemma geschaffen. Denn unerträgliches Leiden lässt sich nicht in allgemeinverbindliche Kategorien pressen. Ein Beamter darf nicht am Schreibtisch Entscheidungen über Leben und Tod treffen". Die geschäftsmäßige Suizidbeihilfe stehe seit knapp drei Jahren unter Strafe. Die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts über die eingereichten Rechtsbeschwerden seien nun abzuwarten. Danach müsse der Bundestag gegebenenfalls mit einem Gesetz "für Klarheit" sorgen, so Brysch weiter.

Regelungen zur Sterbehilfe, die alle befürworten, wird es nicht geben

Das Thema Sterbehilfe bleibt ein höchst sensibles. Menschen, die unheilbar krank sind und massiv leiden, wünschen sich häufig, einfach sterben zu dürfen. Auf der anderen Seite steht die Notwendigkeit, dass Menschen vor Missbrauch geschützt werden müssen. Keiner soll einen Mitmenschen dazu drängen, vorzeitig aus dem Leben zu scheiden. In diesem Spannungsfeld bewegen sich Politik, Justiz, Ämter und Organisationen. Und klar ist: Es wird wohl nie eine Regelung geben, bei der sich alle in ihren Wünschen und Ängsten vollständig wahrgenommen fühlen.

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