Europa hat gewählt – aber was bedeutet das alles? Ist Europa nach rechts gerückt? Ist ganz Europa grün? Und wer hat jetzt eine Mehrheit im Parlament?
Die Ergebnisse der Europawahl werden in Deutschland Folgen haben: Die SPD liegt in Trümmern. Die Grünen sind stärkste Kraft bei allen unter 60 Jahren und haben die acht größten Städte gewonnen. Die AfD ist stärkste Partei in Sachsen und Brandenburg, wo im Herbst Landtagswahlen stattfinden – was Fragen für den Wahlkampf der CDU aufwirft.
Aber es wurde eben auch noch in 27 anderen Ländern gewählt. Wie ging die Wahl anderswo aus und was bedeutet das? Sind die deutschen Ergebnisse auf die ganze EU übertragbar?
Die wichtigsten Ergebnisse der Europawahl in sechs Beobachtungen:
1. Grüne nur in einem Teil Europas stark
In Deutschland sind die Grünen die großen Sieger. Sie haben ihr Ergebnis verglichen mit der vorigen Europawahl fast verdoppelt, waren in einer deutschlandweiten Wahl noch nie so stark, sind stärkste Kraft unter allen, die jünger sind als 60 Jahre, und haben die acht größten Städte Deutschlands geholt. Das liegt wahrscheinlich an der Schwäche der anderen, dem neuen Führungspersonal, daran, dass die Grünen in Deutschland der Gegenpol zur AfD sind, und es lag vor allem auch daran, dass die Erderhitzung seit den "Fridays-for-Future"-Protesten extrem präsent ist.
Die deutschen Grünen sind die stärksten in Europa, aber man sieht auch, dass sie anderswo erstarkt sind: In Frankreich (12,6 Prozent), wo sie zuletzt kaum mehr sichtbar waren, haben sie sich erholt, in Österreich (13,5 Prozent), wo sie sich vor der Wahl 2017 zerlegt und gespalten hatten, sind sie plötzlich wieder da. Das spricht dafür, dass der Erfolg der deutschen Grünen nicht nur deutsche Gründe hatte.
Zugleich zeigen sich auch regionale Muster: Die Grünen finden in Südeuropa (Spanien, Italien, Griechenland, Zypern, Malta) gar nicht oder fast nicht (Portugal) statt; gleichzeitig gibt es in vielen dieser Länder aber auch noch starke linke oder sogar radikal linke Parteien. Italien fällt allerdings heraus. Auch in Mittel- und Osteuropa gibt es keine erfolgreiche Öko-Grüne Partei; im Baltikum erfolgreiche konservativere grüne Bauernparteien, in Tschechien starke Piraten, die wohl in die grüne Fraktion gehen. Aber eher linke, gesellschaftsliberale Klimaschutzgrüne gibt es fast nur in West- und Nordeuropa: Deutschland, Österreich, Belgien, Niederlande, Frankreich, Dänemark, Schweden, Finnland.
Diese Wahl war eine Klimaschutzwahl. Aber sie war es nicht überall gleichermaßen und nicht überall mit denselben Effekten. Europa ergrünt politisch nicht überall – sondern nur in bestimmten Gegenden. Und stärkste Partei sind die Grünen diesmal noch in keinem Staat.
2. Die radikale Rechte wächst nicht unaufhaltsam
Die radikale Rechte ist wieder stärker geworden. Sie kann mit 30 oder 40 Sitzen mehr rechnen. Würden sich alle Parteien dieser Orientierung zusammenschließen, wären sie etwa so stark wie die Sozialdemokraten und die Sozialisten. Gleichzeitig werden sie nicht immer und überall konsequent stärker.
Die AfD blieb unter ihrem Ergebnis der Bundestagswahl 2017 (10,8 Prozent), die österreichische FPÖ verlor wahrscheinlich wegen des Skandals um ihren Parteivorsitzenden Heinz-Christian Strache deutlich (17,2 Prozent), die Dänische Volkspartei (10,8 Prozent) hat nur noch halb so viele Stimmen wie 2014, in Spanien blieb Vox (6,2 Prozent) deutlich unter dem Ergebnis der nationalen Wahl vor wenigen Wochen. In den Niederlanden verschwand der PVV von Geert Wilders (4,1 Prozent, kein Sitz mehr) – dafür holte die FvD von Thierry Baudet auf Anhieb 11 Prozent. In der Summe änderte sich dort nicht viel.
Zugleich wurden Matteo Salvinis Lega in Italien (28,7 Prozent) und Marine Le Pens Rassemblement National (23,7 Prozent) in Frankreich jeweils stärkste Kraft, wobei Le Pen sogar Stimmen verloren hat. Viktor Orbans Fidesz (52,1 Prozent) und PiS in Polen (42,4 Prozent) ebenfalls.
Insgesamt zeigt sich: Die radikale Rechte ist mittlerweile zu Massenerfolgen in der Lage, in einigen Ländern stärkste Partei oder nahe dran. Sie ist, wie sich in Österreich zeigt, oft sehr immun gegen Skandale, aber kann durchaus auch wieder weitgehend irrelevant werden (PVV in den Niederlanden, Jobbik in Ungarn).
3. Unterschiedliche Parteiensysteme in West und Ost
An diesen Beschreibungen und auch daran, dass die Konservativen und die Sozialdemokraten zusammen noch nie so schwach waren wie diesmal, zeigt sich, dass sich die Parteiensysteme in den einzelnen Ländern extrem verändern, und dass es dabei auch länderübergreifende Trends gibt – doch es fällt auf, dass ein Unterschied bestehen bleibt: der zwischen Ländern diesseits und jenseits des ehemaligen Eisernen Vorhangs.
Schon immer seit dessen Fall ordnen sich die Parteiensysteme in Mittel- und Osteuropa anders als in Westeuropa. Diese Unterschiede verschwinden aber nicht, nur weil sich hier wie dort die Ursprungssysteme wandeln. Offensichtlich beeinflussen die bisherigen Konstellationen die Entwicklungen neuer Parteien.
Zugleich sieht es so aus, als erstarken rechtspopulistische radikal rechte Parteien und linke Grüne sehr oft parallel in denselben Staaten. Wo es die einen gibt, gibt es auch eher die anderen.
4. Die radikale Linke verliert
Nach der Finanzkrise ab 2008 wurden vor allem in Griechenland und Spanien mit Syriza und Podemos radikal linke Parteien groß. Es schien zu Beginn auch möglich, dass sich die 5-Sterne-Bewegung in Italien zu einer echten linkspopulistischen anstelle einer ungerichtet populistischen entwickelt. Dieser Aufschwung scheint vorbei. Die linke Fraktion GUE/NGL wird wohl deutlich schrumpfen. Syriza hat verloren. Podemos und die Vereinigte Linke, die diesmal als Bündnis antraten, auch. Die deutsche Linke ebenfalls.
Die Sozialdemokraten und Sozialisten haben sich immerhin in den Niederlanden mit dem Spitzenkandidaten Frans Timmermans berappelt und liegen in Spanien und Portugal mit jeweils mehr als 30 Prozent der Stimmen vorne.
Die europäische Linke ist also ab und an noch rot, jedenfalls im Westen und Norden zunehmend grün, aber kaum mehr dunkelrot.
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