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Sergej Lawrow: Russlands Außenminister weist Journalistin zurecht


Putin-Vertrauter attackiert Journalistin
Bei der Frage nach dem toten Kind platzt es aus Lawrow heraus

Von Christoph Cöln

Aktualisiert am 05.03.2022Lesedauer: 4 Min.
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Attacke gegen Journalistin: Bei der Frage nach dem toten Kind platzt es aus Lawrow heraus. (Quelle: t-online)

Sergej Lawrow gilt als knallharter Diplomat und einer der engsten Vertrauten von Wladimir Putin. Bei einer Presserunde griff er nun eine Journalistin scharf an. Dabei offenbarte der russische Außenminister sein Weltbild.

Cathy Newman gilt als mutige Reporterin. Sie ist bekannt dafür, auch die unangenehmen Fragen zu stellen. Und das tat die britische Journalistin am Donnerstag während einer vom Kreml überraschend einberufenen Presserunde. Sie konfrontierte Russlands Außenminister Sergej Lawrow mit den zahlreichen Kriegsgräueln, die in der ersten Woche der russischen Invasion in die Ukraine bereits bekannt geworden sind.

Newman nutzte gleich die erste der beiden Fragen, die ihr während des Gesprächs mit einem Dutzend internationaler Journalisten gewährt wurden, um über Polina Zapadynskaya zu sprechen. Das zehnjährige ukrainische Mädchen war ebenso wie ihre Eltern und ihr fünfjähriger Bruder in Kiew getötet worden, mutmaßlich durch einen russischen Raketenangriff.

"Herr Lawrow, Sie haben selbst eine Tochter", hob Newman an, um den stets grimmig dreinschauenden Außenminister direkt zu konfrontieren. "Ich möchte, dass Sie mir in die Augen schauen und mir sagen, wie Sie nachts noch ruhig schlafen können, darum wissend, dass russische Bomben und Kugeln Kinder töten?"

Für einen kurzen Moment schien Lawrow überrascht, er sortierte erst mal seine Hände und beteuerte, dass jedes menschliche Leben unersetzlich sei, um dann kühl hinzuzufügen, dass es bei dem Einsatz von militärischer Gewalt eben nicht nur militärisches Personal, sondern auch Zivilisten treffen könne. Die russischen Truppen seien aber angewiesen, nur Präzisionsschläge bei ihren Angriffen in der Ukraine vorzunehmen. Und natürlich bedauere er, wenn dabei Kinder ums Leben kämen. "Ich kann nur mein Beileid bekunden."

Für seine Ausbrüche gefürchtet

Der 71-Jährige ist Europas dienstältester Außenminister. Seit 2004 repräsentiert er die Russische Föderation in der Welt. Er gilt als mit allen Wassern gewaschener Politiker, ein harter Verhandler, der schon lange zum engsten Führungszirkel Wladimir Putins zählt und dafür bekannt ist, unliebsame Gegenüber vor laufenden Kameras bloßzustellen. Unter Diplomaten wie Journalisten sind die Eloquenz und der blitzartige Verstand des 1,88 Meter großen Hünen ebenso gefürchtet, wie seine gelegentlichen Ausbrüche.

Und Newman, die für den britischen TV-Kanal Channel 4-News arbeitet, ließ nicht locker. "Sie sagen, es werden Präzisionsgeschosse verwendet, aber es gibt Berichte, nach denen bereits Hunderte Zivilisten getötet wurden", entgegnete sie. "Das wird nun vom Internationalen Strafgerichtshof untersucht werden und ich frage mich, ob Sie persönlich sich schon Gedanken darüber gemacht haben, wie Sie sich in einem Kriegsverbrecherprozess verteidigen werden?"

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Lawrows Blick verfinsterte sich. "Ich verstehe Ihr Bedürfnis, solche aufgebrachten Fragen zu stellen", sagte er. "Sie wollen Ihr Publikum emotional aufwiegeln, aber das ist wohl Ihr Job, wenn ich das richtig verstehe. Sie wollen kein (seriöses) Medium sein, sondern irgendetwas in die Köpfe der Leute hämmern, was von den Führern des Westens verlangt wird."

In die Ecke gedrängt

Die persönliche Attacke gehört zum Standardrepertoire von Putins Chefdiplomaten. "Wer zum Teufel sind Sie eigentlich, dass Sie mich maßregeln?", soll er 2008 den damaligen britischen Außenminister David Miliband bei einem Telefongespräch angefahren haben. Erst Anfang Februar brüskierte Lawrow seine britische Amtskollegin Liz Truss öffentlich, als er ihr bei einer Pressekonferenz mangelnde Vorbereitung auf ihren Besuch in Moskau vorwarf. "Ich komme mir vor, als würde hier ein Stummer mit einem Tauben sprechen", ätzte er.

Im Gespräch mit der TV-Journalistin Newman gab Lawrow ein Paradebeispiel dafür, wie er reagiert, wenn jemand ihn in die Ecke drängen will. Mit Verweis auf Militäreinsatze des Westens versuchte er die Vorwürfe gegen ihn kurzerhand zu relativieren. "Wir (Russen) sind nicht diejenigen, die den Ausdruck Kollateralschäden erfunden haben. Das haben unsere westlichen Kollegen besorgt, während ihrer Eskapaden im Irak oder in anderen Regionen wie Lateinamerika oder in Libyen … Haben Sie da auch so emotionale Fragen gestellt?"

"Ja, das habe ich durchaus", konterte Newman. "Aber Sie haben diesen Krieg vom Zaun gebrochen, Polina Zapadinskajas Blut klebt an Ihren Händen, oder etwa nicht?" Sie war nun sichtlich aufgebracht. "Jetzt spielen Sie ein Spiel mit mir", kanzelte Lawrow die Journalistin scharf ab. "Sie führen sich auf wie in einer Talkshow." Lawrow schickte einen vielsagenden Blick in Richtung seines Presseoffiziers, sprach dann aber weiter.

Die Weltsicht des Judoka

Seine Ausführungen, die dann folgten, enthielten die Weltsicht des Kremls wie unter einem Brennglas. Die Invasion in die Ukraine sei nur das Ergebnis ukrainischer Provokationen und jahrelanger Gräueltaten im Donbass, so Lawrow. Dieses Narrativ fügt sich in die Erzählung von der "Sicherheitsoperationen", die Russland in der Ukraine angeblich zum Schutze der eigenen Bevölkerung unternimmt. Ein Narrativ, das die Kreml-Propaganda der russischen Bevölkerung seit Wochen und Monaten eintrichtert.

Lawrow deklarierte aber nicht nur den nach internationalem Recht völkerrechtswidrigen Angriffskrieg in eine unvermeidliche Verteidigungsoperation um. Er verkehrte einmal mehr die Rollen in dem kurzen Zwiegespräch um, als er Newman unterstellte, kein Gewissen zu haben, unprofessionell zu arbeiten und ihre journalistische Arbeit lediglich zu propagandistischen Zwecken zu machen. "Wo waren Sie denn in den vergangenen acht Jahren, als im Donbass Tausende Frauen, Kinder und Ältere von Minen des ukrainischen Regimes getötet wurden?"

Der Auftritt des russischen Außenministers demonstrierte einmal mehr die bekannte Rhetorik des Kremls. Ebenso wie Putin, versteht es auch Lawrow sein Gegenüber mit Worten abzuwehren. Ihr beliebtestes Mittel dabei: den Angriff des Gegners gegen ihn selbst zu wenden. Das ist ein Prinzip der eigentlich noblen Kampf- und Selbstverteidigungssportart Judo. Putin ist ein erfahrener Judoka.

Es ist aber auch das Prinzip der Rabulistik, jener etwas halbseidenen Redetechnik, bei der es darum geht, um jeden Preis die Oberhand zu behalten. Lawrow und Putin könnte man erfahrene Rabulisten nennen. Laut Duden ist ein Rabulist jemand, der in "spitzfindiger, kleinlicher, rechthaberischer Weise argumentiert und dabei oft den wahren Sachverhalt verdreht".

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