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Ultra-konservative Wahlbeobachter in Ungarn: Die Zeugen Orbáns


Wahlbeobachter in Ungarn
Die Zeugen Orbáns


Aktualisiert am 22.06.2022Lesedauer: 8 Min.
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Orbán-Fans als Wahlbeobachter: Für den Urnengang in Ungarn kamen rechte christlich-fundamentalistische Organisationen als vermeintlich "unabhängige" Zeugen.Vergrößern des Bildes
Orbán-Fans als Wahlbeobachter: Für den Urnengang in Ungarn kamen rechte christlich-fundamentalistische Organisationen als vermeintlich "unabhängige" Zeugen. (Quelle: IMAGO/YAY Images, IMAGO/Pixsell , IMAGO/Xinhua, Illustration: Philipp Sipos)

Kritik an der Wahl in Ungarn? Ultra-konservative Organisationen lieferten dem Land als Wahlbeobachter ein alternatives Bild. Recherchen von t-online und "Vice" zeigen das Netz von "Orbáns Zeugen".

Heroische Musik, ein Auftritt zweier Männer in Zeitlupeneinstellung – und dann die Botschaft: "Die Lebensweise, die uns am Herzen liegt, ist unter Beschuss. Und deshalb glauben wir, dass konservative Kräfte sich verbünden müssen." Dieser Appell auf Ungarisch warb für das erste Treffen der US-amerikanischen Rechten in Europa, die "Conservative Political Action Conference" (CPAC), die Mitte Mai in Budapest stattfand.

Zu diesem Zeitpunkt hatten die "konservativen Kräfte" bereits bewiesen, wie effektiv sie sich verbündet haben. Denn Teilnehmer des Kongresses waren kurz zuvor bereits in Ungarn unterwegs: Damals fanden dort Parlamentswahlen statt. Und Viktor Orbán konnte ein paar Wahlbeobachter gut gebrauchen. Nicht die eher kritischen von der OSZE, die hinterher beklagten, Wähler hätten es schwer gehabt, informiert ihre Stimme abzugeben. Sondern vermeintlich unabhängige, die ihm bescheinigen, dass alles fair zugegangen sei.

Es waren alternative Wahlbeobachter für eine alternative Erzählung. So etwas kennt man eigentlich von Autokraten, die Scheinwahlen abhalten und sich von Vertretern aus demokratischen Staaten anschießend vom Vorwurf gefälschter oder unfairer Wahlen reinwaschen lassen wollen.

So etwas gibt es nun auch in der Europäischen Union? Ja. Bei den jüngsten Wahlen in Ungarn trat erstmals eine international aufgestellte Gegenmission zu den Wahlbeobachtern der OSZE in Erscheinung. Und, was wenig überrascht: Sie lieferte wie bestellt.

Vertreter aus Lucke-Partei LKR dabei

"Internationale Beobachter nehmen den OSZE-Bericht auseinander" meldete die regierungsfreundliche Zeitung "Magyar Nemzet" ("Ungarische Nation") im eigens auf Deutsch geschriebenen Text anschließend. Es war nach Orbáns Wahlsieg mit erneuter Zweidrittelmehrheit die zweite Jubelmeldung. Und ähnliche Botschaften sendeten Teilnehmer auch in ihre Heimatländer.

Nur: Wie kann so etwas sein?

Recherchen von t-online und "Vice" zeigen: Verantwortlich für die Pseudo-Wahlbeobachtung sind international vernetzte Organisationen, die mit viel Einsatz gegen liberale Werte kämpfen – und westliche Demokratien damit dem Beispiel des teil-autokratischen Ungarn annähern wollen. Dafür werden rechte Politiker aus ganz Europa angeworben, auch aus Deutschland und Österreich. (Lesen Sie mehr dazu auch bei "Vice").

Diese Methodik wurde bislang an den Rändern Europas erprobt: In russischen Einflussbereichen, vor allem in international nicht-anerkannten Separatistengebieten, fielen immer wieder AfD- und Linken-Politiker auf, die nach zweifelhaften Wahlen und Referenden anschließend in der Presse die angeblich fairen Prozesse lobten. Die "Europäische Plattform für demokratische Wahlen" in Berlin pflegt dafür sogar eine Datenbank und hat einen Namen für solche Engagements im Auftrag der Autokraten: "Fake Observers".

Das Anwerben von Wahlbeobachtern ist nur ein Weg, wie Staaten mit Demokratiedefiziten oder ohne internationale Anerkennung Unterstützung suchen. Lesen Sie im zweiten Text der gemeinsamen Recherche von t-online und Vice, wie prorussische Separatisten in Berlin deutsche Abgeordnete und Unternehmen für ihre Sache gewinnen wollen.

Für die War-alles-in-Ordnung-Erzählung gaben sich in Ungarn FPÖ-Politiker und der deutsche Europaabgeordnete Lars Patrick Berg her, der von der AfD zur Partei "Liberal‑Konservative Reformer" gewechselt ist. Die hatte AfD-Mitgründer Bernd Lucke aus der Taufe gehoben. Ungarischen Medien erzählte Berg etwas über seine fragwürdige Tätigkeit, t-online und "Vice" auf Nachfrage nicht.

Doch beim Urnengang in Ungarn fielen als willfährige Wahlbestätiger vor allem Organisationen auf, die wohlklingende Namen wie "Allianz für das Gemeinwohl" haben. Für sie spielt ein Mann eine große Rolle, der für konservative Allianzen wirbt und sich im ständigen Kulturkampf sieht: Miklós Szánthó.

Medienmanager mit Zugang zu Orbáns Amtssitz

Er ist ein enger Vertrauter von Viktor Orbán. Ein Video zeigt, dass er mit eigener Chipkarte Zugang zu dessen Amtssitz hat. Szánthó mischt bei vielen Sachen mit. Er steht an der Spitze der 2018 geformten Presse- und Medienstiftung (KESMA), unter deren Dach rund 500 regierungsfreundliche Medien operieren: Orbáns eigene Medien, fast alle Regionalzeitungen des Landes und große Fernsehsender bis auf RTL sind darunter.

Szánthó war auch der Mann mit dem Appell zum Verbünden in dem mit heroischer Musik unterlegten Video für die CPAC Ungarn, dem Europa-Gastspiel der US-amerikanischen Ultra-Konservativen. Und Donald Trump grüßte per Video. Szánthós Organisation war Mitveranstalterin.

Es war ein Wiedersehen von organisierten Abtreibungsgegnern und Schwulenfeinden, die sich bereits bei der Wahl wenige Wochen zuvor zusammengefunden hatten: Einige der anwesenden Berater, Anwälte und Lobbyisten waren zuvor vermeintlich unabhängige Wahlbeobachter. Und Szánthó hatte daran den Hauptanteil.

Aufgebaut mit Geldern von Fidesz-Stiftung

Der Grundstein dazu wurde 2013 mit Geldern der Stiftung von Orbáns Partei Fidesz gelegt: Szánthó gründete die gemeinnützige GmbH (gGmbH) "Rechtsstaatlichkeit und Gerechtigkeit". Mit Geldern einer weiteren Stiftung, die aus dem Büro des Premierministers kamen, konnte er sie ausbauen, wie das oppositionelle Online-Portal atlatszo.hu enthüllte.

Die gGmbH steht zum einen hinter einem Thinktank mit dem wohlklingenden Namen: "Zentrum für Grundrechte" (ungarisch: "Alapjogokért Központ"). Sein Generaldirektor: Szánthó. Das Zentrum hat enormen Einfluss auf die Meinungsbildung in Ungarn gewonnen. Seine Mitarbeiter schafften es sogar einmal, in einer einzigen öffentlich-rechtlichen Nachrichtensendung als Experten zu gleich vier verschiedenen Themen zu reden.

Doch der Einfluss beschränkt sich nicht auf Ungarn; die gGmbH unterstützt auch einen Kulturkampf mit internationalen Verbündeten, für die die Regenbogenfahne ein rotes Tuch ist und Flüchtlinge vor allem Invasoren. Die gGmbH steht hinter einer "Allianz für das Gemeinwohl" (ACG), die ein halbes Jahr vor der Wahl gegründet wurde. Szánthó ist deren Vizepräsident.

Das "Zentrum für Grundrechte" ist über diese neu geschaffene Organisation nun in einem Bündnis mit vier christlich-fundamentalistischen und erzkonservativen Organisationen aus Polen, Tschechien, Slowakei und Italien. Zur Gründung hieß es: Was vom "wahren Europa" übrig sei, sei heute hier in Mitteleuropa zu finden, in Ungarn, in Polen. "Die ACG wird handeln, um dieses wirkliche Europa zu schützen."

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18 Personen als Wahlbeobachter gemeldet

Und die Allianz handelte. Für die ungarische Wahl stellte sie 18 Wahlbeobachter aus ihren Reihen zusammen, die das Narrativ fairer Wahlen in Ungarn verteidigten. Die "Allianz für die Familie" aus Tschechien war etwa dabei und "Abogados Cristianos", die "Christlichen Anwälte" aus Spanien. Die größte Gruppe stellte allerdings die berüchtigtste unter all diesen Organisationen: "Ordo Iuris" aus Polen, mit denen seit 2020 ein Kooperationsvertrag bestand, eine "Zwillingsorganisation" des ungarischen Zentrums, hieß es damals. Eine Funktionärin von "Ordo Iuris" ist Präsidentin der "Allgemeinwohl-Allianz".

In Polen ist "Ordo Iuris" die wahrscheinlich einflussreichste Nichtregierungsorganisation, ihren Chef Jerzy Kwaśniewski zählte "Politico" zu den 28 einflussreichsten Europäern im Jahr 2021. Mit "Ordo Iuris" führt er einen Feldzug gegen LGBT-Rechte, vermeintliche Frühsexualisierung, Verhütung und Abtreibungen an. Die Organisation wollte sogar Ukrainerinnen in polnischen Krankenhäusern hinterherspionieren, um Abtreibungen zu verhindern.

Die Wurzeln der Organisation zeigen sich noch im Wappen, einem Löwen: Sie liegen in der brasilianischen "TFP" (Tradition, Familie, Eigentum), die wiederum mit einem Netzwerk in vielen Ländern für eine Welt wie vor 40, 50 Jahren kämpft: weniger Rechte für Frauen und Minderheiten. In dem Geflecht nehmen auch deutsche Adelige aus dem Umfeld der AfD-Politikerin Beatrix von Storch Funktionen ein.

"Konservative Konterrevolution global aufstellen"

Der "Ordo Iuris"-Chef Kwaśniewski leitete die Wahlbeobachterkommission der "Allianz" in Ungarn. Beim Wiedersehen bei der CPAC in Ungarn war er auch: Das Treffen sei "die beste Gelegenheit, die mitteleuropäische konservative Konterrevolution global aufzustellen". Mittel- und Osteuropa müssten "zusammenarbeiten, um ein Gegengewicht zu den alten Demokratien Westeuropas zu bilden".

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Auf Anfrage von t-online und "Vice" antwortete "Ordo Iuiris", zur ungarischen Regierungspartei gebe es keine Beziehung. Die Kosten der Wahlbeobachtermission hätten die beteiligten Organisationen getragen. An der Mission habe die Zwillingsorganisation, das ungarische "Zentrum für Grundrechte", das sich in Budapest die Adresse mit der "Allianz für das Gemeinwohl" teilt, aber natürlich nicht teilgenommen. "Das ist offensichtlich, weil das Zentrum eine ungarische Einheit ist", erklärte Kwaśniewski dem polnischen Portal "Frontstory".

In einem Interview versicherte er auch, die Beobachtermission habe sich höchsten Prinzipien verpflichtet. Die Delegation sprach zumindest auch mit oppositionellen Politikern und Medien. "Man kann nur ein neutraler Beobachter sein, wenn man mit den Prinzipien im Einklang steht", sagte Kwaśniewski. "Wir sind nicht hier, um politische Prozesse zu beeinflussen."

Absurde Vorwürfe gegen die OSZE

Die ungarische Zeitung "Mandiner" applaudierte, das seien wahre Wahlbeobachter mit realen und sinnvollen Aktivitäten. Die OSZE dagegen sei "bislang als politisch nicht unparteiisch bekannt". Ihre Absicht sei es, "das Vertrauen in die demokratischen ungarischen Wahlen mit vorsätzlicher Absicht" zu untergraben. Diese Wahrnehmung der OSZE passt zu autokratischen Staaten.

Denn um die Demokratie mit regelmäßigen Wahlbeobachtungsmissionen zu stärken, hatten sich nach dem Zerfall des Ostblocks 57 Staaten auf Beobachtermissionen geeinigt. OSZE-Beobachter folgen seitdem einer festgelegten Methodik, sind längere Zeit in einem Staat und beobachten nicht nur den Wahltag, sondern auch was davor und danach geschieht.

Dieses Jahr startete die Organisation mit mehreren Hundert Wahlbeobachtern zum ersten Mal eine Langzeitmission in Ungarn. Zum Geschehen in den Wahllokalen selbst gab es vergleichsweise wenig zu kritisieren: Nicht überall sei alles immer geheim abgelaufen, in vielen Lokalen habe man nicht unbeobachtet das Kreuz machen können, und Lokale seien überfüllt gewesen.

Die Organisation sieht aber Ungarns jahrelangen Demokratieabbau und registriert im Wahlkampf damit einhergehende erhebliche Probleme. Wählerinnen und Wähler hätten es schwer gehabt, informiert ihre Stimme abzugeben: Regierungsressourcen seien zum Wahlkampf für Fidesz genutzt worden, und die Berichterstattung vieler Medien sei Werbung für Fidesz gewesen. Das alles machte auch die Medienstiftung von Miklós Szánthó möglich.

Ungarischen Oppositionspolitikern geht der kritische OSZE-Bericht sogar nicht weit genug. Der gesamte Wahlkampf sei eine Schmierenkampagne gewesen, sagte die ungarische Politikerin Zita Gurmai t-online und "Vice". Gurmai zog mit der Wahl im April für die Ungarische Sozialistische Partei ins Parlament ein, eine Art ungarische SPD: "Diese Wahlen kann man nicht als demokratisch bezeichnen."

Bericht fabuliert von mehr Medienvielfalt

Im 75 Seiten langen Bericht der Wahlbeobachter von "Ordo Iuris" und der "Allianz für das Gemeinwohl" liest sich das vollkommen anders. Der Medienpluralismus in Ungarn habe seit 2010 zugenommen, wird da etwa behauptet. Der Wahltag, der Wahlkampf und die Parteienfinanzierung seien fair und transparent gewesen. Ungarn spiele in einer Liga mit anderen europäischen Staaten, die Wahl habe internationalen Standards entsprochen.

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So ein Zeugnis gefiel auch Orbáns Regierungssprecher, er verbreitete es nach Kritik an der Wahl und verwies im US-Magazin "The Atlantic" gleich noch auf eine weitere Gruppe von Wahlbeobachtern und deren Lob. Die US-Organisation "Judicial Watch" war mit sechs Leuten angereist und hatte hinterher erklärt, die Wahl sei geordnet und "vielleicht besser als in manchen US-Staaten" abgelaufen.

Behauptung: Linke wollten betrügen

Fast überflüssig zu erwähnen, dass "Judicial Watch" auch bei der CPAC Ungarn prominent vertreten war und Ungarn in den höchsten Tönen lobte. Die US-Organisation gehört zwar nicht der "Allianz für das Gemeinwohl" an, ist aber mit dem ungarischen Zentrum vernetzt.

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Ein "Judicial Watch"-Vertreter setzte zur Wahl in Ungarn auch noch in einem Interview in die Welt, im Vorfeld habe man von einem möglichen Wahlbetrug der Linken gehört. Dafür habe es keine Bestätigung gegeben. Bei Orbáns Wahlsieg mit Zweidrittelmehrheit wäre das auch eine ziemlich absurde Annahme.

Von der Möglichkeit eines solchen Betrugs sei man aber nicht überrascht gewesen – in den USA sei das schließlich nicht ungewöhnlich. Die US-"Wahlbeobachter" in Ungarn nähren in der Heimat regelmäßig die von Trump verbreitete unbelegte These, bei den Präsidentenwahlen sei betrogen worden.

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Eine Anfrage von t-online und "Vice" beantwortete die Organisation nicht. Wozu "Judicial Watch" auch nach der Wahlbeobachtung nichts sagen wollte, waren mögliche Ungereimtheiten bei "Wahlkampffinanzierung, Verzerrung durch Medien oder der Repräsentationen von Frauen auf Wahllisten". Es sei nicht angebracht, sich in einem Bericht zur Wahl dazu zu äußern. Das sollten Reporter machen.

Der Hinweis ging in ungarischen Berichten über die Wahlbeobachter wohl weitgehend unter.

Verwendete Quellen
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