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Merkel zu Nawalny-Vergiftung: "Er sollte zum Schweigen gebracht werden"


Regierung ringt um Nawalny-Reaktion
Putin soll büßen – nur wie?


Aktualisiert am 03.09.2020Lesedauer: 4 Min.
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Wladimir Putin: Der russische Präsident gerät unter Druck, weil ein Oppositionspolitiker vergiftet wurde.Vergrößern des Bildes
Wladimir Putin: Der russische Präsident gerät unter Druck, weil ein Oppositionspolitiker vergiftet wurde. (Quelle: imago-images-bilder)

Die Empörung über den Giftanschlag auf Kreml-Kritiker Nawalny ist in der großen Koalition riesig. Putin braucht eine deutliche Antwort, heißt es. Doch wie soll die aussehen?

Als Angela Merkel gestern um kurz nach 14 Uhr vor den Vorstand der Unionsfraktion tritt, wirkt sie ernst und besorgt. Eigentlich soll es um die außenpolitische Lage in aller Welt gehen. Doch Merkel spricht erstmal nur über ein Thema: Alexej Nawalny, den russischen Patienten, der in der Berliner Charité-Klinik behandelt wird. So erzählen es Teilnehmer der Sitzung. Man habe, sagt Merkel dort, jetzt den Beweis: Der Kreml-Kritiker sei in Russland vergiftet worden. Mehrmals betont sie, sicher nicht zufällig, selbst in der DDR, einem Unrechtsstaat, aufgewachsen zu sein.

Nachdem sie die Unionsfraktion eingeweiht hat, tritt Merkel am Nachmittag vor die Presse. "Es sind bestürzende Informationen über den versuchten Giftmord an einem der führenden Oppositionellen Russlands", sagt die Kanzlerin. Man erwarte, dass sich die "russische Regierung zu dem Vorgang erklärt".

Merkels Worte sind ungewöhnlich scharf. Die Geduld der großen Koalition mit Russland ist am Ende. In der Unionsfraktion schon seit einer Weile, aber inzwischen auch in der SPD. Doch was folgt daraus? Eine gemeinsame Reaktion mit den Partnern in der EU soll es sein, darauf kann man sich einigen. Doch wenn es konkret wird, werden Brüche sichtbar.

Der letzte Anschlag in einer langen Reihe

Der Fall Nawalny ist symbolträchtig. Mit ihm ist nun einer der wichtigsten und bekanntesten Gegner des russischen Präsidenten Wladimir Putin zum Opfer eine Anschlags geworden. Seit Jahren versucht Nawalny, die Macht des russischen Präsidenten zu schwächen. Zugleich ist der Fall Nawalny nur der letzte in einer langen Reihe von Anschlägen auf Kreml-Kritiker.

Nach Merkels Ansprache bricht in der Unionsfraktion enorme Entrüstung aus. Norbert Röttgen, der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses und Kandidat für den CDU-Vorsitz prescht vor: Er äußert im Fernsehen seine Fassungslosigkeit und fordert einen Stopp des Gaspipeline-Projekts Nord Stream 2. Solch harten Konsequenzen wollen sich die meisten seiner CDU-Kollegen zwar bislang nicht anschließen.

Doch in der Fraktion wird der Ton rauer. Die stellvertretende CDU-Fraktionsvorsitzende Gitta Connemann sagt t-online: "Dieser Anschlag zeigt einmal mehr das mörderische Gesicht der Politik Putins. Auch in der Fraktion sind wir uns einig, das ist perfide und niederträchtig." Putin sei nicht mit normalen Maßstäben beizukommen, heißt es.

Auch Merkel vermeidet in der Vorstandsklausur der Fraktion weitgehend, von "Russland" zu sprechen. Den Namen "Putin" nimmt sie dafür besonders oft in den Mund. Ihre Fraktionskollegen finden das richtig: Genau so könne man damit umgehen, den Fehler, den Präsidenten mit dem Land gleichzustellen, habe man mit den USA oft genug gemacht.

"Ein kaltblütiger Mordversuch"

Auch in der SPD ist die Empörung groß. Parteichef Norbert Walter-Borjans sagt am Mittwoch der "Süddeutschen Zeitung": "Das war ein kaltblütiger Mordversuch an einem unbequemen Geist." Mit jedem Mauern bei der Aufklärung verstärke der Kreml den Eindruck "gewissenloser staatlicher oder staatlich geduldeter Willkür".

Die Geduld mit Russland kommt auch in der SPD-Fraktion an ihre Grenzen, wie zu hören ist. Das ist bemerkenswert, weil es in der Sozialdemokratie traditionell seit Willy Brandts Ostpolitik vergleichsweise viel Geduld mit Russland gibt. In der Vergangenheit waren es oft SPD-Vertreter, die versuchten, die Schärfe aus den immer neuen Konflikten zu nehmen. Damit soll es nun erst einmal vorbei sein. "Zur Tagesordnung werden wir nicht übergehen", sagt die SPD-Fraktionsvize Gabriela Heinrich zu t-online.

Der Nawalny-Anschlag war der eine zuviel.

Reaktion ja – nur wie?

Doch was tun? Dass es eine scharfe Reaktion geben muss, ist zwischen Union und SPD nicht umstritten. Die Kanzlerin will eine geschlossene, internationale Antwort. Doch während der CDU-Politiker Röttgen ein Stopp von Nord Stream 2 fordert, warnt SPD-Chef Walter-Borjans in der "SZ" vor einem "Wettbewerb der Sanktions-Ideen" gegen Moskau, die nur der eigenen Profilierung dienten.

Beim Koalitionspartner Union gibt es deshalb auch schon die Sorge, dass die SPD nach erster Empörung dann doch nicht mitzieht. Der designierte Hamburger CDU-Chef und Bundestagsabgeordnete Christoph Ploß warnt im Gespräch mit t-online: "Die SPD darf sich nicht in vornehmer Zurückhaltung üben und sich in Schweigen hüllen, sondern sollte an einer entschlossenen Antwort gegenüber Putin mitwirken."

An Ideen für Reaktionen mangelt es gerade in der CDU nicht. Man könne etwa persönliche Sanktionen gegen die Menschen verhängen, die mitgewirkt hätten. Auch über weitere Wirtschaftssanktionen wird diskutiert und über eine bessere Ausstattung politischer Stiftungen, um die Zivilbevölkerung vor Ort zu unterstützen. Ein führender CDU-Abgeordneter sagt es so: "Niemand aus unserer Fraktion ist länger bereit, dass wir Putin mit dem Samthandschuh anfassen sollten, langsam haben wir alle genug."

Ziehen die EU-Partner mit?

Die SPD hält sich mit konkreten Sanktionsforderungen hingegen bislang zurück. SPD-Fraktionsvize Heinrich pocht zwar auf "eine geschlossene und einheitliche Antwort der Europäischen Union", wie sie t-online sagt. Die Debatte darüber in der EU stehe aber noch am Anfang.

Die Zurückhaltung hat durchaus Gründe. Nord Stream 2 zu stoppen etwa dürfte schlicht kompliziert werden. Das Projekt ist von allen Staaten, durch deren Hoheitsgewässer die Pipeline laufen soll, genehmigt: Russland, Finnland, Schweden, Dänemark – und auch Deutschland. Zudem weist auch Wirtschaftsminister Peter Altmaier darauf hin, dass man zumindest für einen Übergang auf das Gas angewiesen sei, weil Deutschland parallel aus Atomkraft und Kohleverstromung aussteige. Irgendwoher muss der Strom kommen.

Und auch wenn viele betonen, es brauche eine gemeinsame Reaktion der EU-Partner – ob es am Ende dazu kommt und vor allem wie kraftvoll sie wirklich ausfällt, ist offen. Noch strengere Sanktionen gegen Russland, als es sie ohnehin schon gibt, müssten erneut alle 27 Mitgliedstaaten zustimmen. Möglich, dass sich das eine oder andere aus Eigeninteresse auf die Seite Putins schlägt.

SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich will dann auch die "gesamte Palette" möglicher Reaktionen in Betracht ziehen. Es sei aber ein "schwieriger Balanceakt", weil man Russland brauche, um "zahlreiche internationale Krisen" anzugehen. Die Reaktion werde auch "von der Kooperationsbereitschaft" des Kreml abhängen. Und der wirft bislang vor allem Nebelkerzen.

Heißt also dann doch erstmal: abwarten.

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherchen
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