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Ex-US-Botschafter Kornblum: "Deutschland befindet sich in einer Sackgasse"


Ex-US-Botschafter John Kornblum
"Das ist hochgradig gefährlich"

  • Bastian Brauns
InterviewVon Bastian Brauns

Aktualisiert am 25.06.2021Lesedauer: 6 Min.
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Die Ära nach Trump: Mit Präsident Biden war eine Besserung der transatlantischen Beziehungen erwartet worden – Botschafter a.D. Kornblum gibt seine Einschätzung im t-online-Interview ab. (Quelle: t-online)

Ex-US-Botschafter John Kornblum warnt vor großen Gefahren für die Demokratie. Im Interview sagt er, die Entfremdung der Menschen sei furchterregend.

Eigentlich lebt der ehemalige US-Botschafter John Kornblum nach wie vor in Berlin. Wegen der Corona-Lage aber wohnt er nun seit mehr als einem Jahr im US-Bundesstaat Tennessee. Auch von dort aus verfolgt er das Verhältnis zwischen den USA, Europa und Deutschland genau. Mit t-online hat er über die großen transatlantischen Herausforderungen gesprochen.

t-online: Herr Kornblum, die Bundeskanzlerin wird Mitte Juli im Weißen Haus auf Joe Biden treffen. Wie wichtig ist dieser letzte Besuch von Angela Merkel in den USA?

John Kornblum: Ihr Besuch ist aus zwei Gründen sehr wichtig. Für Deutschland, weil es Merkels letzter Besuch sein wird und man die künftige Ausrichtung diskutieren will. Für Amerika ist es wichtig, weil die Vereinigten Staaten, wie Joe Biden es sagt, wieder eine Führungsrolle übernehmen wollen. In dem globalen Machtdreieck aus China, Russland und der atlantischen Welt braucht man Deutschland als festen Partner. Deutschland ist die führende und die bestimmende Macht in Europa. Das wissen die Amerikaner.

Über welche Themen werden Joe Biden und Angela Merkel voraussichtlich sprechen?

Es gibt zwei wichtige Kategorien. Geopolitisch stellen sich die Fragen: Wie geht man mit Russland um? Und wie geht man mit China um? Was macht man im Nahen Osten? Dann gibt es noch die wichtigen zivilisatorischen Fragen wie den Klimawandel, Flüchtlingsbewegungen und auch den ganzen Bereich der Digitalisierung, des Internets und natürlich Gesundheitsfragen. Für unsere Zukunft sind diese zivilisatorischen Aspekte tatsächlich auch deutlich wichtiger als die Frage, wie sich unsere Beziehungen zu Russland entwickeln werden. Aber für beide Kategorien spielt Deutschland eine zentrale Rolle.

Die USA verstehen, dass sie auch als Großmacht nicht allein vorankommen würden. Sind Europa und Amerika in gleichem Maße voneinander abhängig?

Es geht darum, das Verhältnis realistisch einzuschätzen, und das ist im Moment nicht der Fall. Auf europäischer Seite gibt es das Gefühl: Wir wurden überrumpelt. Wir sind irgendwie in die Defensive geraten. Wir müssen uns behaupten wegen Trump. Auf der amerikanischen Seite gibt es das Gefühl, Europa würde die eigene Rolle nicht positiv ausfüllen. Es gibt diesen Eindruck, die Amerikaner hätten immer gegeben und die Europäer hätten nichts zurückgegeben.

Was könnte das gegenseitige Bild verbessern?

Ich versuche in den USA immer Folgendes zu vermitteln: Europa ist eine Gruppe von Staaten, die sehr wichtig sind und die das Weltgeschehen über 500 Jahre lang mehr oder weniger definiert haben. Das sind 500 Millionen Einwohner, die zum großen Teil gut ausgebildet und zu einem großen Teil sehr demokratisch sind. Es wäre also töricht, wenn man nicht versuchen würde, diese Partner so eng und so positiv wie nur möglich an uns zu binden. Dazu müssen aber beide Seiten ihre Emotionen etwas besser unter Kontrolle haben.

Wie meinen Sie das?

Die Europäer müssen verstehen, dass man nicht nur in ein paar wichtigen Grundfragen von Amerika abhängig ist. Europa ist zu 100 Prozent abhängig von den USA – in Fragen der Sicherheit, der Technologie und der Finanzwelt. Aber für uns Amerikaner wäre es wie gesagt eine totale Dummheit, wenn wir 500 Millionen Menschen, die eng mit uns verbunden sind und unseren Schutz genießen wollen, bei Meinungsverschiedenheiten einfach wegstoßen würden, wie es Trump gemacht hat.

In Berlin und Brüssel heißt es, die Bundeskanzlerin würde nicht nur in die USA fliegen, sondern anschließend noch eine letzte Reise nach China planen. Was sagen Sie dazu?

Ich würde ihr davon abraten. Das wäre natürlich genau das falsche Signal. Die deutsche China-Politik befindet sich gewissermaßen in einer Sackgasse. Viele deutsche Firmen haben große Geschäfte in China aufgebaut. Was auch gut ist. Aber es sind meist Geschäfte in Bereichen, die eigentlich nicht zukunftsträchtig sind. Es sind Bereiche aus der alten industriellen Wirtschaft. In der neuen digitalen Wirtschaft hängt Europa, wie wir wissen, ein bisschen hinterher. Die Gefahr für Europa und Deutschland ist, sich auch noch in digitalen Fragen von China abhängig und damit erpressbar zu machen. Das Beispiel Huawei und 5G ist nur eines von vielen. Das ist ein sehr wichtiger Punkt, bei dem die Amerikaner die Europäer nicht verstehen.

Diese Abhängigkeit ist für eine Exportnation wie Deutschland aber zugleich überlebenswichtig. Eine Entkoppelung von China, wie es die USA propagieren, ist doch gar nicht möglich.

Nein, man kann ja beides machen – wirtschaftliche Beziehungen und trotzdem klare Grenzen setzen. Denn auch die Chinesen brauchen Deutschland und die Europäer. Es ist auch nicht nur die Schuld der Europäer. Die Vereinigten Staaten haben in der Zeit von Donald Trump viel dazu beigetragen, dass Europa gewissermaßen gar nichts anderes übrig blieb, als sich anders zu orientieren. Man hatte Angst, dass Trump sie schwächen wollte, was auch stimmt. Übrigens hat auch Apple, dessen Geräte fast ausschließlich in China gefertigt werden, große Abstriche bei den Menschenrechten gemacht. Das ist ein Problem, das nicht nur Europa hat. Es ist unser gemeinsames Problem. Gerade Deutschland versucht sich aber , als Vermittler zwischen China und den USA zu definieren. Das ist einfach nicht möglich.

Meinen Sie die – vornehm ausgedrückt – typisch deutsche außenpolitische Zurückhaltung?

Der Grund, warum westliche Firmen so erfolgreich in China sein können, ist die Unterstützung des amerikanischen Militärs. Ohne diese Absicherung im Rücken würde man sich nicht derart engagieren können. Ich gebe zu, Europa und Deutschland müssen dieses Rätsel noch lösen. Aber der Westen ist intelligent genug, um das zu schaffen.

Die Sorge der Europäer vor einem baldigen erneuten Trump-Schock ist groß. Ist die Vorsicht vor einer blinden Annäherung an die USA nicht berechtigt?

Die ist ohne Frage berechtigt. Trump war ein Schock für uns alle. Er war aber ein Symptom und nicht die Ursache. Und diese Symptome gibt es auch in Europa. Darum ist es so wichtig, dass ganz Nordamerika – Kanada, die USA und auch Mexiko – gemeinsam mit Europa den Westen neu definieren und sich gegenseitig absichern. Großbritannien hat eine – ich drücke mich freundlich aus – unbeständige Regierung. Das führte zum Brexit. Für die EU ein unfassbar schwerer Verlust. Wir wissen nicht, was nächstes Jahr im französischen Wahlkampf passieren wird. Wir sehen, wie Polen und Ungarn abdriften. In Italien ist der Faschismus sehr stark. Darüber spricht man nicht gerne, aber es stimmt. Das alles sind Herausforderungen für unsere Demokratien, bei denen wir uns gegenseitig unterstützen müssen.

Das klingt nach Joe Biden, der den Kampf der Demokratien gegen die Autokratien global organisieren will. Wie soll das aussehen, brauchen wir ein neues Bündnis, eine erweiterte Nato?

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Das muss gar nicht so offiziell aussehen. Es geht eher um eine politisch-mentale Sache als um eine organisatorische. Joe Biden sagte schon bei seiner ersten außenpolitischen Rede bei der Münchener Sicherheitskonferenz: "Wir müssen liefern." Und er hat recht. Unsere Bevölkerungen glauben, dass unsere demokratische Politik nicht liefert. Die Wählerschaft ist verärgert und das ist noch milde ausgedrückt. Weite Teile sind komplett entfremdet. Das ist hochgradig gefährlich.

Inwiefern?

Ich werde jetzt nicht sagen, dass wir einen Krieg erwarten müssen. Aber es könnte sein, dass wir in eine Phase kommen, wie wir sie Anfang des 20. Jahrhunderts hatten. Die Entfremdung der Menschen ist furchterregend. Der Sturm auf das Kapitol am 6. Januar war nur ein Ereignis. Auch in Deutschland wurde der Reichstag gestürmt, wenngleich mit einem glimpflichen Ausgang. Es war eine viel kleinere Gruppe von rechtsgerichteten Menschen, aber sie waren auch bereit, Gewalt auszuüben.

Worauf führen Sie diese Entfremdung zurück?

Das hat auch mit den Folgen der Globalisierung und dem Wegfall von Arbeitsplätzen und der eigenen Bedeutung zu tun, aber nicht nur. Wir stehen insgesamt vor einer Jahrhundertaufgabe und haben nicht mal ein gemeinsames Vokabular, um all das zu beschreiben, was eigentlich los ist.

Hat Joe Biden bei seiner Europareise denn zumindest wieder eine gemeinsame Sprache gefunden?

Das hat er, aber ich stimme nicht zu 100 Prozent mit ihm überein. Um die Beziehungen zu Deutschland zu festigen, hat er zwei Dinge gemacht: Vor seiner Reise hat er den Kampf gegen Nord Stream 2 mehr oder weniger aufgegeben. Dafür wurde und wird er in den USA heftig kritisiert. Und nach seiner Rückkehr hat er die Lieferung von Kriegsgeräten an die Ukraine gestoppt. Beides halte ich für fragwürdig. Man hört, selbst sein eigener Außenminister Antony Blinken war nicht einverstanden. Der war immerhin 10 Jahre lang Bidens außenpolitischer Berater.

Wer hat denn von dem Gipfeltreffen in Genf mehr profitiert – Putin oder Biden?

Das wird hier in den USA heftig debattiert. Ich meine, beide haben etwas gewonnen. Das ist immer der Maßstab für ein gelungenes Treffen, zumal bei einer so komplizierten Weltlage. Putin hat gewonnen, weil das Treffen überhaupt stattgefunden hat, ohne öffentliche Konfrontationen. Biden konnte profitieren, weil er den Kontakt zu Russland wieder aufgenommen hat und weil er zu Recht und sehr hart mit Putin gesprochen hat. So wurde ein Fundament für eine weitere Entwicklung der Beziehungen gelegt. In sechs Monaten werden wir sehen, wie Putin sich verhalten hat.

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherchen
  • Video-Interview mit John Kornblum
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