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100 Tage Merkel IV: Regieren am Rande des Abgrunds


In Merkels vierter Regierung ist die Krise Dauerzustand

Von dpa
21.06.2018Lesedauer: 4 Min.
Angela Merkel bei ihrer Vereidigung am 14. März im Bundestag: Der Streit mit der CSU überschattet bislang ihre vierte Amtszeit.Vergrößern des BildesAngela Merkel bei ihrer Vereidigung am 14. März im Bundestag: Der Streit mit der CSU überschattet bislang ihre vierte Amtszeit. (Quelle: Michael Kappeler/dpa-bilder)
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Seit genau 100 Tagen ist Angela Merkels viertes Kabinett im Amt. Das Zerwürfnis zwischen CDU und CSU verdeckt beinahe, dass die große Koalition tatsächlich regiert.

Ein US-Präsident Donald Trump, der sich aus der westlichen Wertegemeinschaft verabschiedet und dabei ist, einen Handelskrieg anzuzetteln. Wachsender Nationalismus in Europa. Und zu Hause schon wieder eine veritable Regierungskrise.

Nicht einmal 100 Tage nach der Vereidigung ihres vierten Kabinetts ist Angela Merkel mit voller Wucht von ihrer Vergangenheit als "Flüchtlingskanzlerin" eingeholt worden. Die Kanzlerin regiert erneut am Abgrund, ihr politisches Schicksal steht auf der Kippe. In ihrer wohl letzten Amtszeit könnte das zum Dauerzustand werden.

Rückblende: Der Start in ihre vierte Amtszeit beginnt für Merkel mit einem Desaster der Unionsparteien bei der Bundestagswahl. Wochenlange Sondierungen für eine Jamaika-Koalition mit Grünen und Liberalen scheitern an der FDP. Auch bei den quälenden Verhandlungen mit der SPD über eine Neuauflage der ungeliebten großen Koalition sieht es lange so aus, als stehe Merkels politische Karriere vor dem Ende.

Merkel musste Seehofer einbinden

Doch gefährlicher als die vergleichsweise handzahme und viel mit sich selbst beschäftigte SPD wird ihr gerade die kleine Schwesterpartei CSU. Die Folgen von Merkels Entscheidung im Jahr 2015, in Ungarn feststeckende Flüchtlinge nach Deutschland zu lassen, haben die Kanzlerin noch mehr mit Horst Seehofer entzweit, dem Chef der Schwesterpartei und ihrem Innenminister.

Bis heute glauben er und die Mehrheit der CSU-Führungsriege nicht, dass Merkel verstanden hat und ihre Flüchtlingspolitik tatsächlich verändern will. Aber sie ist natürlich auch stur: Einen Fehler sieht sie in ihrer Entscheidung von damals nach wie vor nicht.

Merkel war bei der Regierungsbildung kaum etwas anderes übrig geblieben, als Seehofer in ihr Kabinett einzubinden – weil die SPD mehrere Schlüsselressorts bekam, griff er schließlich nach dem Innenressort. Mittlerweile halten ihm etliche in der CDU vor, es sei eingetreten, was man von Anfang an befürchtet habe: Dass er vor allem das Schicksal seiner eigenen Partei und deren Verteidigung der absoluten Mehrheit bei der Landtagswahl im Herbst im Auge hat.

Danke, Seehofer!

Bis zum vergangenen Jahr galt Merkel als mächtigste Frau der Welt – jetzt dürften sich die mächtigen Männer in Washington, Moskau, Peking oder Ankara freuen, dass Seehofer sie geschwächt aussehen lässt. Die ersten großen Reisen in ihrer vierten Amtszeit in die USA, nach Russland, China und zum G7-Gipfel nach Kanada haben der Kanzlerin vor Augen geführt, wie sehr und in welch rasender Geschwindigkeit sich die gewohnten Machtkonstellationen ändern.

Nur eingebettet in ein einiges Europa könne Deutschland seine Stärke, Wirtschaftskraft und damit eng verbunden auch seinen Wohlstand erhalten – dieses Credo steht hinter den Bemühungen der Kanzlerin auch für eine europäische Lösung des akuten Asylstreits.

Hakeleien mit der SPD treten angesichts des Machtkampfs zwischen Merkel und Seehofer in den Hintergrund. Die Sozialdemokraten schlagen sich in der Europadebatte sogar auf ihre Seite.

Dabei regiert die Groko doch

In der Öffentlichkeit überdeckt der Unionsstreit aber auch, dass das Regierungsbündnis mit der SPD tatsächlich auch konkret regiert. Zu den beschlossenen oder in die Spur gesetzten Projekten zählen das Millionen Menschen betreffende Recht auf Rückkehr von Teilzeit- in Vollzeitjobs nach einer Auszeit, ein höheres Kindergeld von Mitte 2019 an oder die Rückkehr zur einer gleichberechtigten Finanzierung der Krankenkassen durch Arbeitgeber und Arbeitnehmer, was die Bürger entlastet.

Von Rentenreformen über ein Baukindergeld, die Digitalisierung der Schulen, mehrere Milliarden mehr für Kitas, Schulen und Unis bis zu Maßnahmen gegen den Pflegenotstand: Vieles ist geplant, auch wenn große Strukturreformen bisher fehlen.

Die SPD steht gerade etwas am Spielfeldrand, registriert aber, dass sich ruhiges Regieren statt Streiten vielleicht doch auszahlen mag. Während die Umfragen für die Union runtergehen, kommt die SPD zumindest wieder in Reichweite der 20 Prozent. Aber man zittert auch, was da kommen mag. Bloß keine Neuwahl. Wenn, dann würde wohl Vizekanzler Olaf Scholz als Kanzlerkandidat einspringen müssen. Mit der Bilanz und Gesetzen zum Wohle der Bürger ist man zufrieden.

Bislang kaum personelle Erneuerung bei der SPD

Gerade hat sich die SPD halbwegs gefangen, wurde die Wahlniederlage auf 108 Seiten schonungslos aufgearbeitet – und dabei vor allem Ex-SPD-Chef Sigmar Gabriel die Schuld gegeben. Er reagierte darauf mit bissiger Ironie. Er könne ja im Testament verfügen, dass man ihn nach seinem Ableben ausstopft und im Willy-Brandt-Haus ausstellt – als ewigen Sündenbock.

SPD-Chefin Andrea Nahles hat Mühe, die wegen der GroKo gespaltene Partei zusammenzuhalten. Und eine personelle Erneuerung hat bisher kaum stattgefunden. Wenn die Wahlen im Herbst in Bayern und Hessen schlecht ausgehen, wird es auch hier sicher ungemütlicher; aber die Angst vor Neuwahlen und einem Überrunden durch die AfD ist groß – daher ist man an die Koalition gekettet, was das Druckpotenzial gegenüber CDU und CSU einschränkt.

Prädikat "gibt sich alle Mühe"

In Bayern fällt das Resümee nach den ersten 100 Tagen ernüchternd aus, zumindest was die generelle Performance angeht. "Die Leute haben gehofft, da startet eine neue Regierung mit einem neuen Aufbruch. Jetzt stellen sie fest, dass ist der gleiche Haufen, nur müder und älter", sagt ein hochrangiger CSU-Funktionär.

Insbesondere Seehofer erhält intern als Innenminister das Prädikat "gibt sich alle Mühe". Für die vielen Probleme – etwa die Vorgänge bei der Bremer Bamf-Außenstelle – könne er nichts, die habe er nur geerbt. In der CSU hatten und haben sie durchaus Hoffnungen in die große Koalition gelegt. Von einem Doppelpass in der Sicherheits- und Asylpolitik zwischen Berlin und München ist da gerne die Rede. Doch bislang habe der erhoffte Transfer für mehr Bayern im Bund noch nicht umgesetzt werden können, sind sich viele Parteimitglieder einig.

Genau dies ist aber in den Augen der Parteistrategen um Ministerpräsident Markus Söder, Seehofer und Co. entscheidend. Denn will die CSU das Dogma von Franz Josef Strauss zumindest mittelfristig wieder herstellen und die rechts von ihr positionierte AfD wieder klein machen, muss Berlin liefern. "Die AfD ist in Berlin entstanden und kann auch nur dort bekämpft werden", heißt es in der CSU. Der Erfolg ist bislang nicht gegeben.

Verwendete Quellen
  • dpa
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