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Mitten in Berlin: Russlands heimliche Medienzentrale in Europa


Mitten in Berlin
Russlands heimliche Medienzentrale in Europa

Von Jan-Henrik Wiebe

Aktualisiert am 16.11.2018Lesedauer: 8 Min.
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Drei neue russische Medienkanäle berichten aus Berlin. Dass sie vom Kreml finanziert werden, verbergen sie den Zuschauern.Vergrößern des Bildes
Drei neue russische Medienkanäle berichten aus Berlin. Dass sie vom Kreml finanziert werden, verbergen sie den Zuschauern. (Quelle: t-online.de/Nour Alnader)

Egal, ob bei Pegida oder bei Höcke-Auftritten, russische Medien sind live dabei und übertragen die Botschaften der Rechten. Doch nun gibt es auch russische Kanäle für Linke und Ökos. Ihre Zentrale haben sie nicht in Moskau oder St. Petersburg, sondern in Berlin.

Elf Stockwerke hoch, die Front aus Glas und Stahl, die US-Botschaft schräg gegenüber. Das Gebäude in Berlin-Mitte wirkt fast unscheinbar zwischen all den anderen Hochhäusern. Drei Namen stehen dicht gedrängt neben einem Klingelknopf: Ruptly, Redfish, Maffick. Dahinter stecken Facebook-Kanäle mit teilweise Millionen Followern, die vor ihren Fans die wahre Identität mit viel Aufwand verschleiern. Das haben Recherchen von t-online.de ergeben. Selbst eine Bundestagsabgeordnete wurde beim Dreh einer Reportage getäuscht. Alle drei Medien haben gemeinsam, dass ihr eigentlicher Besitzer der russische Staat ist.

Eines dieser Medien, die Redfish GmbH, hat kürzlich mit einem Video für allerlei Furore in den sozialen Netzwerken gesorgt. Die Szenen, gedreht von einem Redfish-Mitarbeiter am 28. September am Kottbusser Tor in Berlin-Kreuzberg, sehen brutal aus. Polizisten schlagen auf einen Schwarzen ein, angeblich nur, weil der Mann ein "mutmaßlicher Fahrraddieb" sei. Als "Tapferkeit der Öffentlichkeit" bezeichnet Redfish in dem Beitrag die Würfe von Flaschen und Blumentöpfen durch Passanten auf die Beamten. Unerwähnt bleibt, dass der Mann die Polizisten zuvor attackierte und heftigen Widerstand bei der anschließenden Festnahme leistete (t-online.de berichtete).

Redfish ist ein Tochterunternehmen von Ruptly

Das Video verbreitet sich rasend schnell in den sozialen Medien. Auf Facebook ist es bisher von mehr als 2,4 Millionen Menschen angesehen worden, bei Twitter sahen es weitere 81.000 User und auf YouTube wurde das Video über 93.000 Mal angesehen (Stand: 16. Oktober 2018, 9 Uhr).

Was nur wenige User, die auf den Clip reagieren, ihn kommentieren und weiterverbreiten, wissen dürften: Redfish ist Teil des staatlichen russischen Medienbetriebs Rossija Sewodnja. Nach Aussage der Chefin Lizzie Phelan gegenüber t-online.de ist es eine hunderprozentige Tochter der Videoagentur Ruptly, die wiederum zu RT, ehemals Russia Today, gehört. Sender und Agentur gehören dem staatlichen russischen Rundfunk. Weder im Impressum noch in der Selbstbeschreibung wird diese Verbindung öffentlich gemacht.

Während Ruptly die rechten Aufmärsche von Pegida in Dresden und Höcke in Erfurt live und unkommentiert ins Internet streamt, besuchen die Reporter von Redfish die Proteste im Hambacher Forst, maoistische Terroristen auf den Philippinen und prangern deutsche Waffenexporte an.

"Wir brauchen keinen weiteren Propagandakanal"

Ganz offen räumt die im Januar 2018 gegründete GmbH ein, dass der Auftrag der neun Mitarbeiter politisch motiviert sei. Die Grenzen zwischen Aktivismus und Journalismus werden bewusst überschritten. Auf ihrer Facebook-Seite schreiben die Macher unter dem Menüpunkt "Über uns": "Redfish ist eine neue Art von Medienunternehmen, das kritische Ermittlungs- und kollaborative Kurzdokus entwickelt, um soziale und wirtschaftliche Veränderungen anzuregen."

Auf Anfrage von t-online.de beschreibt Geschäftsführerin Lizzie Phelan Redfish als Kanal, der "bahnbrechende Graswurzelberichte" veröffentliche. "Unsere Zielgruppe ist jeder, der eine Mainstream-Medienindustrie satt hat, die eine der sozial exklusivsten Industrien der Welt ist und Journalisten beschäftigt, die oft eine größere Verbindung zu den Machthabern haben, die sie herausfordern und zur Rechenschaft ziehen sollen, als zu den Massen von Menschen, denen unser Beruf dienen soll", heißt es von der Redfish-Geschäftsführerin.

Der Vorsitzende des Deutschen Journalisten-Verbandes (DJV), Frank Überall, ist nicht erfreut über diese Art von Zuwachs bei den Medien in Deutschland. "Hier wird mit billiger Polemik gegen Journalistinnen und Journalisten das Vorurteil geschürt, die Medien seien der verlängerte Arm der Staatsgewalt. Welch ein Unsinn! Wir brauchen keinen weiteren Propagandakanal in Deutschland", sagt der in Köln auch als Professor für Journalistik und Kommunikation lehrende Überall.

Die genauen Ziele von Redfish sind nicht bekannt: sowohl politische als finanzielle Motive wären möglich. "Seit dem Engagement des Kreml via Russia Today für die Medienfeinde von Pegida kann man nichts mehr ausschließen", sagt Überall.

Bundestagsabgeordnete von Redfish getäuscht

Dass ausgerechnet zwischen dem Potsdamer Platz und dem Brandenburger Tor ein neues, scheinbar linkes Medium seinen Sitz hat, darüber muss auch die Grünen-Bundestagsabgeordnete Canan Bayram im Nachhinein lachen. Die Gegend gehört immerhin zum teuersten Pflaster der Hauptstadt.

Als die Abgeordnete in ihrem Berliner Wahlkreis Friedrichshain-Kreuzberg interviewt wurde, sei sie von Redfish getäuscht worden, erzählt Bayram im Gespräch mit t-online.de. Sie habe das Medium nicht gekannt, "der Zusammenhang mit Ruptly war mir nicht bekannt“, so Bayram.

Hätte sie gewusst, dass der Beitrag mit dem Titel "Wem gehört Berlin? 'F*** Google'" über Mietsteigerungen von einem Tochterunternehmen eines staatlichen russischen Fernsehsenders gedreht wird, hätte sie das Interview nicht gegeben. Mit Ruptly oder RT wolle sie nichts zu tun haben.

Auch Marcus Staiger, dem freien Journalisten und Moderator des Beitrages, wurde nach eigener Aussage nicht die volle Wahrheit gesagt. "Zum Zeitpunkt des Interviews war mir diese Verbindung nicht bewusst", sagt der 47-Jährige, der zwar von einem Zusammenhang mit Ruptly gewusst habe, aber nach eigener Aussage nicht, dass die Verbindung zum russischen Staat so eng sei. Auch Staiger schließt nach eigenem Bekunden eine weitere Zusammenarbeit mit dem Kanal aus.

Facebook sperrt politische Werbung

Die Bundestagsabgeordnete und der Journalist sind nicht die Einzigen, die sich von Redfish getäuscht sehen. Auch der britisch-ugandische Schriftsteller Musa Okwonga beschwert sich in einem Blogeintrag, dass ihm vor einem Interview mit dem Medium nicht die Wahrheit gesagt worden sei. "Ich wende mich so stark gegen ihre allgemeine politische Mission, dass ich, hätte ich von der Beteiligung von Russia Today in diesem Dokumentarfilm gewusst, die Gelegenheit zur Teilnahme abgelehnt hätte", schreibt Okwonga.

Auf Facebook hat Redfish seit der Veröffentlichung des ersten Videos im November bereits mehr als 250.000 Follower gesammelt und bislang 25 Reportagen veröffentlicht. Einfach macht es Facebook dem Kanal nicht immer. Das Netzwerk löschte bereits einen Werbetrailer mit dem Titel "Die vergessene Kolonie: Puerto Rico", der mit 100 bis 499 Euro vor allem in Südamerika beworben wurde. Der Konzern stufte das Video als politische Werbung ein und entfernte die Reklame dafür, da unklar war, woher das Geld dafür stammt. Das Video selbst ist weiter online.

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Wer steckt hinter Maffick?

Am Klingelschild in der Lennéstraße 1 steht neben der Videoagentur Ruptly und Redfish noch ein dritter Name: Maffick. Als Geschäftsführerin der im März 2018 in Berlin gegründeten GmbH steht im Handelsregister die Chefin des Kanals "In the Now", Anissa Naouai.

"In the Now" ist ein Kanal mit mehr Fans als "Spiegel Online" oder "Bild". Über 3,7 Millionen Menschen folgen dem Account allein auf Facebook. Zehntausende folgen dem Kanal auf Twitter, Instagram und Youtube. Dass auch dieser digitale Kanal mit internationaler Zielgruppe zum Imperium der staatlichen russischen Medien gehört, wird bei "In the Now" besonders stark verschleiert. Erst eine Abfrage zur Herkunft der Seite bringt ans Licht, dass die Homepage inthenow.media in der Region Moskau von einem staatlichen Medium registriert wurde.

Facebook selbst gibt zumindest einen kleinen Hinweis auf die russische Herkunft, denn das soziale Netzwerk hat Ende Juni ein neues Feature für Seiten eingeführt, das Nutzern aktuelle Werbekampagnen der jeweiligen Seite sowie die Herkunftsorte der Administratoren anzeigt. Eingeführt wurde es wegen mutmaßlicher Beeinflussung der US-Wahl durch Russland – und "In the Now" wurde offenbar auch gleich erwischt.

Facebook sperrte einen beworbenen politischen Kommentar, der nur Menschen in Kalifornien angezeigt und mit russischen Rubeln bezahlt wurde. Die Seite wird laut Facebook von sechs Personen aus Russland, drei aus den USA und zwei aus Deutschland geleitet.

Dass "In the Now" auch Mitarbeiter in Berlin hat, bestätigt der Chief Operating Officer (COO) von Maffick, Jeffrey Ray Sparks. Im Gespräch mit t-online.de sagt der US-Amerikaner: "Die Redaktion von 'In the Now' sitzt zum Teil in Moskau, zum Teil in Berlin." Maffick sei eine Tochtergesellschaft, die zum Großteil mit Geld von Ruptly finanziert werde, so Sparks.

Das junge Unternehmen ist vor allem mit dem Aufbau zweier neuer Kanäle für "In the Now" beschäftigt: "Backthen" und "Waste-Ed". Während bei "Backthen" historische Ereignisse beleuchtet werden, zeigt "Waste-Ed" Videos zu Umweltverschmutzung und hat ökologisch bewusste Menschen als Zielgruppe.

Falsche Informationen in Tiervideo verpackt

"Killerwale könnten in 30 bis 50 Jahren für immer verschwinden", heißt es etwa in einem Video von "Waste-Ed". Im Hintergrund schwimmen Schwertwale, später wird noch ein Warnschild vor einer Giftmüllhalde in Kalifornien eingeblendet. Die unterschwellige Botschaft: Wegen den USA sterben die Wale aus.

Als Quelle wird die renommierte britische Zeitung "Guardian" genannt. Dort heißt es allerdings, dass nur die Hälfte der weltweiten Population sterben werde. Und anders als im Video dargestellt, werden laut "Guardian" gerade die Tiere vor den Küsten der Vereinigten Staaten überleben. Der Grund: Im Gegensatz zu Europa sorgen die USA laut den Forschern der Zoologischen Gesellschaft in London dafür, dass keine giftigen PCB-Stoffe mehr ins Meer gelangen.

Bei beiden neuen Kanälen "Backthen" und "Waste-Ed" wird auf Facebook weder auf Maffick noch auf den Mutterkanal "In the Now" hingewiesen. User können sich den Zusammenhang nur denken, weil der Hauptkanal jedes Video teilt. Selbst eine Kontaktadresse oder Homepage sind nicht zu finden, der Kanal wirkt damit wie ein eigenständiges Medium.

Bleiche-Video sorgt für Diskussionen

In die Kritik ist "In the Now" kürzlich gekommen, weil ein geteilter Beitrag unter Fake-News-Verdacht steht. In dem Video schüttet eine junge Frau Bleiche über die Hosen von Männern in der U-Bahn von St. Petersburg, weil diese ihr zu breitbeinig sitzen. "Manspreading" nennt sich diese Art zu sitzen.

Tausende Hasskommentare ergießen sich unter dem Beitrag – gegen die Frau im Speziellen und Feminismus im Allgemeinen. Mehr als sieben Millionen Nutzer haben das Video angeschaut und über 54.000 Mal auf Facebook geteilt.

In den Untertiteln des Videos bei "In the Now" steht nur der Hinweis: "Manche denken, sie sei zu weit gegangen – manche meinen, es sei alles gestellt". Eines der vermeintlichen Opfer sagte laut dem russischen Magazin "Bumaga" zunächst, dass er für seine Teilnahme bezahlt worden sei. Inzwischen hat er seine Aussage in einem Interview mit der russischen Zeitung "Metro" zurückgezogen.

Laut Maffik konnte das Video nicht verifiziert werden, es wurde aber dennoch veröffentlicht. "Vielleicht war es ein Fake", sagt Sparks t-online.de. Das Video sei jedenfalls nicht von "In the Now" gedreht, sondern ihnen lediglich angeboten worden.

EU-Behörde hat "In the Now" im Blick

Die Abteilung für Aufklärung von Desinformation der Europäischen Union beobachtet neben RT und Ruptly auch "In the Now". Dieser Facebook-Kanal mische "völlig unpolitische, oft emotionale und unterhaltsame Geschichten mit weniger häufigen politischen Geschichten, die eng an die Botschaften des Kreml anknüpfen", schreibt das Team von "EU vs Disinformation". Laut ihnen ist das Bleiche-Video wohl verbreitet worden, um unter den Zuschauern Stimmung gegen Feministinnen zu machen.

Anmerkungen der Redaktion:
Dieser Artikel wurde nachträglich an drei Stellen korrigiert:

  1. In der ursprünglichen Version der Bildunterschrift unter einem Screenshot eines Facebook-Posts von „In the Now“ stand: „‘Warum sind Amerikaner so arm?‘, fragt die Moderatorin Anissa Naouai von ‘In the Now‘ ihre Zuschauer.“ Die auf dem Screenshot abgebildete Person ist aber nicht Anissa Nauoai, sondern die Moderatorin Rania Khalek. Sie, nicht Nauoai, hat den Zuschauern die Frage gestellt. Naouai ist Co-Geschäftsführerin von Maffick, einer im Text erwähnten Tochterfirma von Ruptly.
  2. In einer Passage des Artikels wurde ein Video erwähnt, in dem eine junge Frau in der U-Bahn von St. Petersburg Bleiche über die Hosen von Männern schüttet, weil diese in ihren Augen zu breitbeinig sitzen. Es folgte der Satz: „Nach Angaben von "In the Now" ist die junge Russin eine radikale Feministin.“ Richtig ist aber, dass „In the Now“ an keiner Stelle von einer „radikalen Feministin“ sprach. Ein vermeintliches Opfer des Vorfalls, das zunächst behauptete, Geld für den Videodreh bekommen zu haben, hat in einem Interview mit der russischen Zeitung „Metro“ seine Aussage inzwischen zurückgenommen. Ob das Video inszeniert worden ist, ist damit weiterhin unklar.
  3. In der ursprünglichen Version des Artikels hieß es, dass „In the Now“ nicht auf die Anfrage von t-online.de geantwortet habe. Richtig ist aber, dass es ein Telefongespräch mit dem Co-Geschäftsführer der Maffick GmbH, Jeffrey Ray Sparks gab, der die Fragen, von wem die aufwendigen Videos finanziert werden und warum der Kanal gegründet wurde, nach Ansicht der Redaktion nicht zufriedenstellend beantwortet hat. Der möglicherweise entstandene Eindruck, dass keinerlei Reaktion von „In the Now“ erfolgte, sollte durch die obige Aussage nicht erweckt werden.
Verwendete Quellen
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