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Bundestag: Steinmeier warnt vor Vergessen bei Kriegsgedenken


Kriegsgedenken im Bundestag
"Befreier von Auschwitz sind zu Aggressoren geworden"


08.05.2025 - 13:30 UhrLesedauer: 4 Min.
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Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier spricht zum 80. Jahrestag der Befreiung im Deutschen Bundestag (Archivbild). (Quelle: Liesa Johannssen/reuters)
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Der Deutsche Bundestag hält eine Gedenkstunde zum 80. Jahrestag der Befreiung Deutschlands vom Nationalsozialismus ab. Präsident Steinmeier warnt vor historischem Vergessen.

Am Donnerstag erinnert der Deutsche Bundestag in einer Gedenkstunde an das Ende des Zweiten Weltkriegs und die Befreiung Deutschlands von der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft, die sich am 8. Mai 2025 zum 80. Mal jährt. Die deutsche Wehrmacht kapitulierte am 8. Mai 1945 bedingungslos – nach 2.077 Kriegstagen, dem Holocaust und mehr als 60 Millionen Toten, die der Krieg an seinen verschiedenen Schauplätzen forderte.

Seit dem 25. Jahrestag 1970, als Bundeskanzler Willy Brandt erstmals im Bundestag die Bedeutung dieses Tages betonte, wird regelmäßig an dieses historische Datum erinnert.

Als besonders prägend gilt die Rede von Bundespräsident Richard von Weizsäcker am 8. Mai 1985, der den 8. Mai als "Tag der Befreiung" bezeichnete – ein Begriff, der die deutsche Erinnerungskultur seither tief geprägt hat. In diesem Jahr wendete sich Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier an die Deutschen und appellierte inständig, sich der eigenen Geschichte bewusst zu sein und sie zu nutzen, um gegenwärtigen Gefahren entgegenzutreten.

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"Befreiung musste von außen kommen"

Steinmeier betonte in seiner Rede vor dem Bundestag, dass die Befreiung am 8. Mai 1945 Beginn eines langen, oft schmerzhaften Prozesses der inneren Befreiung für die Deutschen markierte. "1945 kam die Befreiung von außen. Sie musste von außen kommen. Die meisten Deutschen hielten dem Regime bis zum letzten Tag die Treue", sagte der Bundespräsident und erinnerte daran, dass viele Deutsche sich selbst lange nicht als Befreite ansahen.

Auch die politische Kultur der jungen Bundesrepublik tat sich schwer, die Verbrechen der NS-Zeit aufzuarbeiten: "In Ost wie West sollte es Jahre, ja Jahrzehnte dauern, bis wir Deutsche uns umfassend den quälenden Fragen von Schuld und Verantwortung gestellt haben, bis in den Familien darüber gesprochen wurde, was gewesen war, wer von den Verbrechen gewusst und doch weggesehen hatte, wer sich schuldig gemacht und doch geschwiegen hatte", erklärte Steinmeier.

Dafür sei man den alliierten Streitkräften zu tiefstem Dank verpflichtet. In seiner Rede würdigte der Bundespräsident auch ausdrücklich die Rolle der Roten Armee. Mindestens 13 Millionen Soldaten der Sowjetunion verloren ihr Leben und noch einmal die gleiche Zahl an Zivilisten, um die deutsche Wehrmacht im Osten aufzuhalten, Auschwitz zu befreien und schließlich auch Ostdeutschland und Berlin vom nationalsozialistischen Terror zu befreien.

Steinmeier kritisiert Russland scharf

Steinmeier zog daraus eine direkte Linie von den Lehren des 8. Mai 1945 zur aktuellen politischen Lage in Europa. Mit scharfen Worten kritisierte er die russische Geschichtspolitik, die den Angriffskrieg auf die Ukraine regelmäßig als Fortsetzung des antifaschistischen Kampfes verklärt. "Die Befreier von Auschwitz sind zu neuen Aggressoren geworden. Mit dem Krieg gegen die Ukraine hat Putin unsere europäische Sicherheitsordnung in Trümmer gelegt – von der wir doch gehofft hatten, sie sei als Lehre aus den Schrecken des Krieges ein für alle Mal gelernt", sagte Steinmeier.

Angesichts dieser Entwicklungen müsse man heute nicht mehr fragen, ob der 8. Mai Deutschland befreit habe, sondern "wie wir frei bleiben können." Eine bloße Abkehr von der historischen Verantwortung sei keine Option, machte der Bundespräsident klar: "Tatsächlich wundere ich mich manchmal über die Hartnäckigkeit, mit der manche, leider auch in diesem Hause, einen sogenannten Schlussstrich unter unsere Geschichte und unsere Verantwortung fordern".

Versöhnung nach dem Holocaust

Dankbarkeit für die Versöhnung nach 1945 reiche nicht aus, um die Errungenschaften unserer Demokratie zu schützen, betonte Steinmeier weiter. "Niemals kann und niemals darf es uns gleichgültig lassen, wenn sich ausgerechnet in unserem Land Antisemitismus wieder zeigt", sagte er. Er erinnerte daran, dass die Aussöhnung mit jüdischen Gemeinschaften und dem Staat Israel ein "Wunder" sei, für das die Deutschen zutiefst dankbar sein müssten. "Wir Deutsche können für dieses Geschenk der Versöhnung nicht dankbar genug sein!"

Gleichzeitig machte er unmissverständlich klar, dass Antisemitismus nicht nur eine Bedrohung für jüdische Bürgerinnen und Bürger darstelle, sondern für die gesamte demokratische Gesellschaft: "Für Antisemitismus darf in unserer Gesellschaft kein Raum sein. Das zu gewährleisten, ist unsere Pflicht!" Diese Verantwortung sei gerade angesichts einer Zunahme antisemitischer Vorfälle in Deutschland aktueller denn je.

Steinmeier betonte in seiner Rede, dass die Errungenschaften der Demokratie niemals als selbstverständlich betrachtet werden dürften. Angesichts einer Welt im Umbruch und wachsender autoritärer Tendenzen sei es umso wichtiger, die demokratischen Werte zu verteidigen. "Demokratie ist nie fertig! Sie ist anstrengend! Sie verlangt Engagement. Aber: Eine bessere Ordnung gibt es nicht!" mahnte er. Die deutsche Geschichte zeige, wie schnell eine offene Gesellschaft in Diktatur und Verfolgung abrutschen könne, wenn demokratische Institutionen missachtet und Grundrechte ausgehöhlt würden. "So haben wir in Deutschland schon einmal die Demokratie verloren", so Steinmeier.

Mahnende Worte vor Vergessen

Er warnte vor einem historischen Vergessen, das nicht nur den Opfern der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft erneut Unrecht antue, sondern auch die Errungenschaften der deutschen Demokratie gefährde. "Wer sich der Vergangenheit stellt, der verzichtet nicht auf Zukunft. Unsere Geschichte ist kein Gefängnis, in das wir eingesperrt sind. Sie ist kein Ballast, auch nicht für uns Nachgeborene," betonte Steinmeier. Die deutsche Geschichte sei im Gegenteil ein "riesiger, ein kostbarer Erfahrungsschatz", der helfen könne, die Krisen der Gegenwart und Zukunft zu meistern.

Zum Abschluss seiner Rede richtete der Bundespräsident den Blick auf die Herausforderungen der Gegenwart und die Lehren, die aus der deutschen Geschichte für die Zukunft gezogen werden müssen. Steinmeier betonte, dass die Erinnerung an die Schrecken des Zweiten Weltkriegs nicht nur Mahnung, sondern auch Ansporn sei, die Demokratie aktiv zu verteidigen. "Wir wissen, wohin Krieg führt. Wir fürchten ihn zu Recht. Deshalb bleibt unsere Perspektive der Frieden," sagte er. ". Deutschland wird gebraucht, um um Frieden zu ringen, wo er verloren gegangen ist. Auch das ist der Auftrag des 8. Mai".

Zum Schluss appellierte Steinmeier an das Vertrauen in die demokratischen Kräfte der Bundesrepublik. "Ja, wir sind alle Kinder des 8. Mai," sagte er. "Schützen wir unsere Freiheit! Schützen wir unsere Demokratie!"

Verwendete Quellen
  • Rede des Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier bei der Gedenkstunde des Deutschen Bundestages zur Erinnerung an das Ende des Zweiten Weltkrieges und der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft in Europa vor 80 Jahren am 8. Mai 2025
  • bundestag.de: "8. Mai – Tag der Befreiung"
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