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Rainer Brüderle: Während Sondierungen weniger quatschen


Rainer Brüderle im Interview
Rat an die Jamaikaner: "Mehr Konklave, weniger Twitter"

t-online, Jonas Schaible

30.10.2017Lesedauer: 7 Min.
Rainer Brüderle empfiehlt den Unterhändlern von Union, FDP und Grünen eine stärkere öffentliche Zurückhaltung während der Sondierungsverhandlungen.Vergrößern des BildesRainer Brüderle empfiehlt den Unterhändlern von Union, FDP und Grünen eine stärkere öffentliche Zurückhaltung während der Sondierungsverhandlungen. (Quelle: imago-images-bilder)
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Rainer Brüderle war als Wirtschaftsminister Teil der schwarz-gelben Koalition. Im Interview mit t-online.de ruft der ehemalige FDP-Fraktionschef die Jamaika-Parteien zur Zurückhaltung auf – und kritisiert seinen Parteichef Christian Lindner.

Ein Interview von Jonas Schaible

Herr Brüderle, die FDP scheint gerade aus der außerparlamentarischen Opposition direkt in die Regierung zu wechseln. Ist das die richtige Entscheidung?

Rainer Brüderle: Was soll sie denn tun? Wenn die FDP sich weigert, dann gibt es keine Regierung. Schwarze und Grüne können ja schlecht mit AfD oder den Linken koalieren. Es gehört zur Verantwortung, das Wahlergebnis anzunehmen und zu versuchen, eine handlungsfähige Regierung zu bilden, in die man seine Überzeugungen einbringen kann.

Das ist das staatstragende Argument. Wäre für die Partei die Opposition gesünder?

Es ist natürlich ein sehr schneller Weg nach vorn. Andererseits muss niemand der FDP beibringen, wie man Politik umsetzt. Das macht sie seit Jahrzehnten erfolgreich. Genug qualifizierte Leute haben wir auch, obwohl das oft zu Unrecht bezweifelt wird.

Also: Verantwortung first, Bedenken second?

Der Wähler hat es so gefügt und die Parteien haben das Ergebnis anzunehmen und nicht oberschlau zu sagen, das wollen wir nicht. Das gilt für alle vier Jamaika-Parteien.

Die SPD verweigert sich einer Koalition. Viele Mitglieder Ihrer Partei haben sie dafür scharf angegriffen: Sie stehle sich aus der Verantwortung.

Das teile ich in der Schärfe nicht.

Generell muss man wissen, dass solche Verhandlungen in allen Parteien die Chance für die dritte, vierte und hintere Bank im Parlament sind, auch mal in die Medien zu kommen.

Solche Kritik kommt auch aus der Spitze der FDP.

Das ist eben auch Teil der Rhetorik der politischen Auseinandersetzung. Ich bin grundsätzlich dafür, dass man vorsichtiger mit öffentlichen Äußerungen ist, im Interesse der Sache.

Warum lassen Sie eigentlich der SPD durchgehen, was Sie bei Ihrer eigenen Partei kritisieren?

Es ist eine völlig andere Situation: Die SPD hat verloren, die FDP gewonnen. Die SPD lag früher bei 40 Prozent, jetzt nur noch bei 20. Ich kann nachvollziehen, wenn die sagen, wir haben verstanden, wir müssen in die Opposition. Außerdem hat das Wahlergebnis gezeigt, dass die Menschen genug von der Großen Koalition haben. Sie ist auf Dauer nicht gut für die Demokratie. Ich saß während der Großen Koalition nach 2005 im Bundestag, da gab es Haushaltsberatungen mit Tischvorlagen von fünfzig Zentimeter Höhe. Ich habe dann auch an der ein oder anderen Beratung unter Protest nicht teilgenommen, weil ich gesagt habe, ich habe als Abgeordneter keine Chance, das durchzublättern, geschweige denn zu lesen. Das Parlament wird durch eine Große Koalition geschwächt. Sie tut dem Herzstück der Demokratie nicht gut.

In Niedersachsen läuft alles auf eine Große Koalition zu, weil sich die FDP kategorisch einer Ampel-Koalition verweigert.

In Niedersachsen hat sich die FDP vor der Wahl klar festgelegt. Jeder wusste, woran er ist. An so ein Versprechen muss man sich nach der Wahl halten. Punkt, aus, Ende. Ob es klug ist, sowas vor der Wahl zu machen, ist eine andere Frage. Ich halte es nicht immer für sinnvoll.
Wenn jeder meint, durch Ausschließeritis die eigene Verhandlungsposition stärken zu müssen, dann bekommen wir in der Parteienlandschaft mit sechs Parteien überhaupt keine handlungsfähigen Strukturen mehr. In Rheinland-Pfalz hat man sich vorher nicht geäußert - da haben wir jetzt eine Ampel. Die funktioniert.

Wie erklären Sie eigentlich den großen Erfolg der FDP?

Es ist offensichtlich so, dass die Menschen die FDP vermisst haben. In einem Parlament mit 80 Prozent großer Koalition und zwei linken Oppositionsparteien fehlte eine Partei der Bürgerrechte, der Marktwirtschaft, der liberalen Mitte. Die ganze Partei hat einen engagierten Wahlkampf gemacht. Und Christian Lindner hat die Fähigkeit, die Menschen zu überzeugen und zu gewinnen.

Wie viel ist auf die Sehnsucht nach der FDP an sich, wie viel ist auf den Wahlkampf zurückzuführen?

Das kann man nicht beziffern. Die Ansprache, die Themen und der andere Auftritt haben einen großen Beitrag geleistet. Aber ich glaube schon, dass das Vermissen und der Wunsch nach einer Partei, die stark in die Zukunft orientiert ist, die Haupttriebkräfte waren.

Was haben Sie gedacht, als Sie das erste Mal das berühmte Plakat „Digital first, bedenken second“ gesehen haben?

Es war ungewöhnlich, aber traf offenbar den Zeitgeist. Wir leben in einer Zeit dramatischer Veränderungen, in einer digitalen technologischen Revolution. Gerade junge Menschen wollen sehen, dass es nach vorn geht. Das wurde da von der Agentur sehr gut umgesetzt. Es ist ganz anders als alle anderen Wahlplakate und wenn ein Plakat wirken soll, muss es anders sein.

Hätten Sie sowas auch gemacht: Rainer Brüderle, schwarz-weiß, mit Smartphone?

Ich glaube nicht, aber ich bin auch eine andere Generation. Wahrscheinlich hätte man es mir auch nicht abgenommen. Obwohl Digitalisierung und Veränderung auch immer meine Themen waren.

Was hat FDP diesmal besser gemacht als vor vier Jahren – als Sie Spitzenkandidat waren?

Es war eine ganz andere Situation. Damals kamen wir von einem absoluten Spitzenergebnis bei der Wahl 2009, mit 14,6 Prozent. Und dann konnten wir nicht genug liefern. Unter anderem, weil wir von der Finanzkrise ausgebremst wurden und weil in der Regierung nicht alles gut funktioniert hat, auch in der FDP intern nicht. Diesmal kamen wir aus der außerparlamentarischen Opposition. Die Partei hat gekämpft, viele neue Mitglieder bekommen und überzeugt.

Dass es knirschte in der schwarz-gelben Koalition wird oft darauf zurückgeführt, dass die Koalition zu hastig verhandelt wurde.

Wir waren nach etwa drei Wochen fertig mit den Verhandlungen, hatten aber mehr als fünfzig Prüfaufträge im Koalitionsvertrag. Wir hätten uns besser mehr Zeit genommen und vieles präziser festgehalten – und uns so doppelte und dreifache Arbeit hinterher erspart. Außerdem muss man wissen: Die Stellung der kleinen Parteien ist vor allem vor der Wahl eines Kanzlers stark. Wenn er erstmal gewählt ist, nimmt die Macht der kleinen Parteien ab. Was man jetzt verpasst, holt man nie mehr nach.

Wie lang können sich die Sondierungsteams denn Zeit lassen?

Bis sie sich einig sind. Da gibt es keine Vorgaben in der Verfassung. Manchmal dauert es eben. Wenn die Verhandlungen vor Weihnachten fertig werden, umso schöner. Aber ich lege mich nicht fest. Die Sache ist wichtiger als ein Termin. Die Kernpunkte müssen geklärt sein.

Welche sind denn die Kernpunkte? Was muss die FDP durchsetzen?

Sie muss die Themen, die sie im Wahlkampf nach vorne geschoben hat, umsetzen. Dazu gehören Bildung, Digitalisierung. Alle Parteien müssen ein Stück ihrer Forderungen realisieren dürfen. Wenn einer der vier Verhandlungspartner mit gebückter Haltung vom Verhandlungsort weggeht, ist das Gift. Es muss ein Klima herrschen, in dem man später unvorhergesehene Probleme lösen kann. Die gibt es in der Politik immer und da muss Vertrauen gewachsen sein. Ich werde hier sicher keine roten Linien aufmalen. Das wäre ja ein Widerspruch zu dem, was ich vor allem mokiere: dass man zu viel öffentlich quatscht.

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Warum ist das ein Problem?

Bei Verhandlungen muss eine intime Atmosphäre existieren. Das sage ich mit der Erfahrung von fast fünfzig Jahren aktiver Politik. Man darf nicht jede Äußerung und jeden Gedanken gleich in Eilmeldungen und auf Twitter durch die Gegend jagen. Es muss in einer vertrauensvollen Atmosphäre alles beleuchtet werden, bevor man die Posaune von den Zinnen schallen lässt.

Darf ich das so verstehen, dass man auch am Abend nicht direkt die ersten Papiere fotografieren und twittern sollte?

Ich habe das nicht als glücklich empfunden. Aber auch das ist offenbar ein Stückchen Zeitgeist. Und teilweise eine Reaktion auf den Druck der Medien. Ich hab das erlebt, die verfolgen einen fast bis auf die Toilette. Die Medien haben eine wichtige Aufgabe, Respekt davor, aber es muss auch erlaubt sein, dass man eine gewisse Zeit redet, ohne dass alles sofort in die öffentliche Erörterung kommt.

Für Christian Lindners Twitter-Account ist aber immer noch er selbst verantwortlich.

Aber er hat ja nicht als einziger einen. Da gilt: Actio et reactio. Wenn die einen anfangen, machen es die anderen auch. Ich bleibe aber dabei, ich halte das nicht für gut. Man muss ein bisschen Nestatmosphäre schaffen. Die Verhandlungen 1991 in Rheinland-Pfalz mit Rudolf Scharping haben wir bewusst abgeschirmt von der Öffentlichkeit auf einem Weingut im Rheingau geführt, damit wir vernünftig verhandeln konnten. Niemand lauerte vor der Tür, um etwas hinauszuposaunen.

Also mehr Konklave wagen und weniger Twitter?

Absolut. Mehr Konklave, weniger Twitter, das kann man so sagen. Übrigens hilft es nicht, wenn man mit fünfzig Leuten Verhandlungen führt. Da müssten eigentlich die Parteispitzen das Mandat bekommen, oft in kleiner Runde zu verhandeln.

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Sollte der Parteivorsitzende dem Kabinett angehören?

Das ist eine Frage, die er persönlich entscheiden muss. Ich habe da keine Ratschläge zu geben. Klar ist, dass der Spitzenkandidat und Parteivorsitzende das Erstzugriffsrecht hat, wenn es zu einer Regierung kommt.

Man hatte das Gefühl, dass die FDP sehr auf ihren Vorsitzenden fokussiert ist. Zu sehr?

Eine Oppositionspartei, zumal wenn sie nicht im Parlament sitzt, muss ihre knappen Ressourcen auf eine Person konzentrieren. Sonst erreicht man die volle Wirkung nicht. Er hat das glänzend gemacht, viele haben schon unser Sterbeglöckchen geläutet – aber wir sind immer noch da.

In der Regierung könnte es aber wieder eine FDP neben Lindner geben, oder?

Die gab es immer, es hat sich ja schon geweitet. Die Talkshows versuchen, die Koalitionsverhandlungen zu prägen, so ist das heute eben – und Lindner ist aus guten Gründen seit der Wahl fast nie dort. Es treten auf: Kubicki, Frau Strack-Zimmermann, Graf Lambsdorff. In der Regierung muss und wird das anders aussehen als in der außerparlamentarischen Opposition.

Im Wahlkampf war zu hören, in der EU und in Frankreich gehe die Angst um vor der FDP, weil man nicht wisse, wie die zu Griechenland steht. Europa fürchtet die FDP – schmerzt sie das?

Wer weiß, welche Zeitung da was rausgeblasen hat und wer da warum der FDP vor der Bundestagswahl schaden wollte. Wir haben ja nicht nur Freunde. Macron halte ich für viel zu intelligent, um so etwas in die Welt zu setzen. Die FDP ist immer eine klare Europa-Partei gewesen, dafür steht das Spitzenpersonal, dafür steht jemand wie Hans-Dietrich Genscher.

Stand.

Seine Überzeugungen sind nicht verschwunden, nur weil er nicht mehr lebt. Er hat Spuren hinterlassen.

Also muss Macron keine Angst haben vor der FDP?

Macron vertritt in weiten Teilen ein liberales Programm, da ist viel drin, was auch bei uns Programm ist: Marktkräfte wirken lassen, das eigene Haus in Ordnung bringen, die Defizitgrenze aus eigener Kraft erreichen. Für Europa ist das eine große Chance. Europa ist in einer schwierigen Lage, weil Vereinbarungen nicht gehalten werden. Man hilft nicht, indem man die Risse im europäischen Haus mit Silikon zuspritzt. Wir müssen Probleme lösen.

Löst Macron sie?

Er muss seine Arbeitsmarktreform durchhalten, auch gegen den Druck der Straße. Macron ist ein Glücksfall für Europa. Er verdient Unterstützung – die er braucht.

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