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Nehmt die AfD endlich ernst! Weder "bürgerlich" noch "gemäßigt"


Nehmt die AfD endlich ernst!

Ein Gastbeitrag von Michael Kraske

Aktualisiert am 14.03.2021Lesedauer: 6 Min.
Meinung
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AfD-Politiker Björn Höcke bei einer Kundgebung in Magdeburg, 2017: Das ZDF lädt ihn nicht mehr zu Interviews ein. Andere Sender sind diesem Beispiel noch nicht gefolgt.Vergrößern des Bildes
AfD-Politiker Björn Höcke bei einer Kundgebung in Magdeburg, 2017: Das ZDF lädt ihn nicht mehr zu Interviews ein. Andere Sender sind diesem Beispiel noch nicht gefolgt. (Quelle: Christian Ditsch/imago-images-bilder)

Die Gesellschaft ist vergesslich. Worte von Radikalen gelten höchstens als Provokation. Das ist ein Fehler, der auch den Medien zuzuschreiben ist.

Die Verrohung der politischen Kultur und öffentlichen Rede wird von Ratlosigkeit und Sorge begleitet, zunehmend aber auch von Gleichgültigkeit. (...) Ideologischer Verbalradikalismus und kalkulierte Tabubrüche lösen nur noch selten größere Debatten aus. Das Spitzenpersonal der AfD darf in der "Tagesschau" regelmäßig alles Mögliche kommentieren, weil die Öffentlich-Rechtlichen auf Ausgewogenheit achten. Derweil dringen Opfer rechter Gewalt und Hasskampagnen sowie zivilgesellschaftliche Akteure mit ihren Appellen nach besserem staatlichem Schutz sowie größerer Sensibilität und Solidarität kaum durch. (...)

Großzügige Vergesslichkeit

Auffällig ist eine gefährliche Diskrepanz zwischen der Wirkung radikaler Worte und einer großzügigen Vergesslichkeit der Gesellschaft. Denn obwohl Gaulands "Vogelschiss" und Höckes "Denkmal der Schande" bereits im kollektiven politischen Gedächtnis archiviert sind, spielen diese Brandreden in der Öffentlichkeit keine Rolle mehr und bewirken: nichts.

Michael Kraske, geboren 1972, ist Journalist und Autor von Sachbüchern und Romanen. Sein politisches Sachbuch "Der Riss - Wie die Radikalisierung im Osten unser Zusammenleben zerstört" wurde mit dem Otto-Brenner-Preis ausgezeichnet. Sein neues Buch "Tatworte - Denn AFD & Co. meinen, was sie sagen" erscheint am 15. März bei Ullstein. Dieser Gastbeitrag ist ein Auszug daraus.

Das Muster ist stets gleich. Nach kurzer Aufregung gehen Medien und Politiker zur Tagesordnung über. Die Brandredner haben keine Konsequenzen zu befürchten und bleiben gefragte Gesprächspartnerinnen und -partner. Unbeirrt werden sie am Anteil der Wählerstimmen oder ihrer bürgerlichen Vita gemessen wie der AfD-Politiker Alexander Gauland, fatalerweise aber nicht an der Radikalität ihrer Worte.

Weder "bürgerlich" noch "gemäßigt"

Gauland hat nicht nur Stolz auf die "Leistungen" von Wehrmachtssoldaten eingefordert, was mindestens auf eine Verherrlichung des nationalsozialistischen Vernichtungskriegs hinausläuft, sondern auch eine geradezu aberwitzige Variante der rechtsextremen Verschwörungserzählung vom "Bevölkerungsaustausch" verbreitet. Wonach nämlich wir Deutsche für die "Einwanderer" arbeiten sollen, damit die sich in Ruhe fortpflanzen können.

Absurd? Ja, aber offenbar kein Grund, Gauland aufzufordern, sich innerhalb des demokratischen Diskurses zu verorten oder ihn andernfalls daraus auszuschließen.

Viele Äußerungen Gaulands sind weder "bürgerlich" noch "gemäßigt", doch die politische Öffentlichkeit blieb dem AfD-Ehrenvorsitzenden gegenüber merkwürdig wohlwollend. Der Altersradikale war weiterhin gern gesehener Dauergast in öffentlich-rechtlichen Polit-Talks. Sieben Mal durfte er in den vergangenen Jahren bei Frank Plasberg oder Sandra Maischberger die vermeintlich seriöse graue Eminenz der AfD geben.

Keine Provokation, sondern Ideologie

Nie wurde Gaulands Radikalisierung angemessen Rechnung getragen. Vielmehr wurde er unbeirrt als Konservativer missverstanden, weil er lange in der CDU gewesen war und Herausgeber der Märkischen Allgemeinen. Obwohl er sich in wichtigen Fragen inhaltlich kaum von seinem extremen Parteifreund Björn Höcke unterschied und sich demonstrativ vor und hinter ihn stellte.

Eine ebenso simple wie regelmäßig missachtete Regel im Umgang mit radikalen Scharfmachern sollte lauten: Nehmt sie beim Wort! Das bedeutet zunächst, keine vorauseilende Beschwichtigung gegenüber Geschichtsrevisionismus oder Rassismus zu zeigen. Wenn Höcke oder Gauland eine Neubewertung der NS-Zeit bewirken wollen, ist das zuallererst keine Provokation, sondern eine ideologisch motivierte, bewusste Abkehr von der bundesrepublikanischen Staatsräson.


Beim Wort nehmen heißt weiter, sich nicht mit halbherzigen Ausreden, wonach das ja alles nicht so gemeint sei, zufrieden zu geben. (...) Verbalradikale Grenzverletzer dürfen weder die Deutungshoheit noch das letzte Wort haben. Als politische Personen sind sie an ihren Aussagen zu messen.

Eine weitere Grundregel lautet: Offener Rassismus und Rechtsextremismus sind nicht Teil des demokratischen Diskurses. Das sind nicht bloß irgendwelche Meinungen und sie dürfen auch nicht so behandelt werden, als wären sie legitim. Es sind menschenverachtende Ideologien und müssen als solche benannt und verbannt werden. Für liberale Demokratien ist es überlebensnotwendig, diese Haltungen und Argumentationen auszugrenzen. (...)

Kein Recht auf kritiklose Interviews

Es gibt kein Recht auf Talkshowpräsenz. Und schon gar nicht auf kritiklose oder weichgespülte Interviews. Immer wieder führt ein falsch verstandenes Bemühen um vermeintliche Fairness und Ausgewogenheit von Journalisten gegenüber der AfD zu absurden Ergebnissen. Wenn etwa der ebenfalls vom Verfassungsschutz-Chef als "Rechtsextremist" beurteilte damalige AfD-Chef von Brandenburg, Andreas Kalbitz, vom RBB zum lauschigen Sommerinterview geladen wird. In einer Kulisse mit Enten und Wasserplätschern und einer Interviewführung, die konsequent darauf verzichtet, Kalbitz mit dessen Radikalität und Vergangenheit in der rechtsextremen Szene zu konfrontieren.

Oder wenn der MDR Björn Höcke zum Interview bittet und der Interviewer diesen allen Ernstes fragt, ob die AfD denn nun eine "Brandmauer" gegen rechts errichte. Ausgerechnet Höcke, der in seinem Buch "Nie zweimal in denselben Fluss" politische und ethnische Säuberungen andeutet. Und das, nachdem Höcke ein kritisches ZDF-Interview abgebrochen und dem Redakteur unverhohlen gedroht hatte. "Vielleicht werde ich auch mal eine interessante persönliche, politische Person in diesem Land", raunte Höcke.

Nach dem Motto: Wenn ich erst die Macht habe, dann bist du dran. ZDF-Chefredakteur Peter Frey kündigte daraufhin an, Höcke werde nicht mehr eingeladen. Das war konsequent und richtig.

Wertvergessenes Appeasement

Dass ARD-Sender wie der MDR mit Höcke trotzdem weitermachen, als wäre nichts gewesen, ist nicht Ausdruck notwendiger Neutralität, wie gern argumentiert wird, sondern von wertevergessenem Appeasement. Der Journalismus kann und darf gegenüber Rassismus, Rechtsextremismus und autoritären Allmachtsfantasien nicht neutral sein. Das ZDF hat vorgemacht, wie es geht. Als Mindeststandard muss gelten, dass es keine Interviews mit Rechtsextremisten geben darf, ohne sie mit ihrem eigenen Rechtsextremismus zu konfrontieren.

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Denn wer Rassekategorien wie "afrikanischer Ausbreitungstyp" oder rechtsextremes Vokabular wie "Volkstod", "Überfremdung", "Umvolkung" oder "Bevölkerungsaustausch" verbreitet, disqualifiziert sich dafür, ausschließlich über Sachthemen wie Renten oder Verkehr befragt zu werden. ZDF-Chef Frey weist zu Recht darauf hin, dass es nicht darum geht, irgendwen zu erziehen, sondern darum, im demokratischen Diskurs Grenzen zu ziehen. Es muss klar sein, dass die demokratische Mehrheit die Spielregeln festlegt, nicht die Grenzverletzer.

Dazu gehört auch zu entscheiden, wem Aufmerksamkeit geschenkt wird und wem nicht. Dazu gehört darüber hinaus, dass sich öffentliche Multiplikatoren wie Anne Will, Sandra Maischberger, Frank Plasberg und Maybrit Illner davor hüten sollten, radikale rechte Narrative bewusst oder unbewusst zu reproduzieren. Immer wieder werden Erzählungen von kriminellen Migranten in Fragen oder Schaubilder verpackt. Oder man talkt absurderweise darüber, ob es nicht doch noch okay ist, das rassistische N-Wort zu benutzen.

Jeder kann und darf alles sagen

Manche vermeintlich freigeistige Fragepose ist eher die Anbiederung an rechten Populismus als kritischer Journalismus. Jedenfalls ist es unsinnig, die Scharfmacher zwar nicht einzuladen, aber ständig deren Thesen nachzubeten oder als Aufmacher für eine Sendung zu benutzen. Kritischer Journalismus bedeutet auch, Themen nicht an populistischer Erregung auszurichten, sondern wieder stärker an Relevanz. (...)

Wenn Journalisten und Öffentlichkeit Widerspruch einlegen und Menschenverachtung kritisieren, ist das keineswegs Anzeichen einer ausufernden political correctness. Es gibt weder Denkverbote noch Sprachverbote, wie gern unterstellt wird. Niemand wird in seinem Recht auf freie Rede beschnitten. Jeder kann und darf alles sagen, solange es nicht strafrechtlich relevant ist, aber keiner hat das Recht auf Aufmerksamkeit und Applaus. Mit dem Kampfbegriff der "PC" und dem Hinweis auf angeblichen "Tugendterror" und eine "Meinungsdiktatur" soll vielmehr jegliche Kritik delegitimiert werden.

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Im politischen Diskurs gibt es aber kein Recht auf Kritiklosigkeit. Vielmehr hat Kritik an menschenverachtender Sprache und Ideologie eine wichtige Funktion: Sie trägt dazu bei, einen unverzichtbaren gesellschaftlichen Minimalkonsens auszuhandeln. Und verhindert, dass durch gedankenlose Übernahme von Kampfbegriffen eine schleichende Gewöhnung an rassistische und rechtsextreme Erzählungen und Ideologie stattfindet. (...)

In Foren und sozialen Medien breitet sich Hatespeech epidemisch aus. Der öffentliche Diskurs wird seit Jahren von rechten Akteuren verroht. Hinzu kommen verschwörungsideologische Figuren der Populärkultur mit großer Reichweite und fanatischem Sendungsbewusstsein wie etwa Attila Hildmann oder Xavier Naidoo. Für die politische Kultur ist humanistischer Widerspruch unverzichtbar.

Nicht nur, weil sich emotionalisierte und ideologisierte Täter ermutigt fühlen, hasserfüllten Worten irgendwann auch Taten bis hin zu Terrorakten folgen zu lassen, wenn sie sich durch ein entsprechendes politisches Klima bestärkt fühlen. Sondern auch, weil erst die Gewöhnung an Ideologien der Ungleichheit rechtsextreme Vorstellungen von einer homogenen "Volksgemeinschaft" derart normalisieren können, dass sie zu einer ernsthaften Gefahr für die liberale Demokratie werden. (...)

Freiheit ist im politischen Diskurs unverzichtbar. Aber auch sie hat Grenzen, nämlich dort, wo andere beleidigt und bedroht werden. Im demokratischen Rechtsstaat sind diese Grenzen ganz bewusst weit gefasst. Unterhalb der Schwelle justiziabler Hasssprache müssen liberale Gesellschaften daher viel aushalten. Umso wichtiger ist es, die populären politischen Stichwortgeber an ihren Aussagen zu messen. Radikalität und Grenzverletzungen nicht widerspruchslos zu akzeptieren, sondern sachlich, aber kompromisslos zu kritisieren. Nicht jeden Pieps, aber das laute Gebrüll und die permanente Einflüsterung.

Denn Worte sind nicht nur Geschmackssache, sondern setzen den Ton, geben einen Rahmen und bereiten politisches Handeln vor. Sie können entweder sozialem Fortschritt den Weg bereiten oder autokratischer Herrschaft – sogar politischem Terror wie die Anschläge von Halle und Hanau sowie der Mord an Walter Lübcke zeigen. Sie sind präzise Seismografen, die anzeigen, wohin die Reise einer Gesellschaft geht. An den Wegmarken der vergangenen Jahre zeigten sich hierzulande Verrohung, Entgrenzung, Entmenschlichung und Verschwörungsmythen. Wir tun gut daran, diese Warnsignale ernst zu nehmen.

Die im Gastbeitrag geäußerten Ansichten geben die Meinung des Autors wieder und entsprechen nicht notwendigerweise denen der t-online-Redaktion.

Verwendete Quellen
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